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ETHNISCHE KONFLIKTE

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ethnische Konflịkte,
 
auch interethnische Konflịkte, ethno-politische Konflịkte, Minderheiten-Konflịkte, Bezeichnungen für Auseinandersetzungen, in denen die Berufung auf ethnische Zugehörigkeit oder Interessen die Grundlage sozialer Zusammenstöße, Parteiungen und Zielvorgaben darstellt. Die ethnische Zuschreibung kann unter Umständen verschärfender, legitimierender oder ideologisierender Faktor in bereits durch andere Problemfelder (soziale Spannungen, Grenzfragen und Gebietsansprüche, politische Partizipation) bestimmten Konflikten sein.
 
Soziale Gruppen werden als Ethnien oder Volksgruppen bezeichnet, wenn sie »eine eigene Sprache, Geschichte, Kultur, eigene Institutionen, einen bestimmten Siedlungsraum, möglicherweise auch eine gemeinsame Religion haben und sich ihrer Einheit und Zusammengehörigkeit bewusst sind « (P. Waldmann). Das Bewusstsein der gemeinsamen Zugehörigkeit, oft auch als kollektive Identität oder kollektives historisches Gedächtnis bezeichnet, ist bedeutsam für die Herausbildung von Ethnizität als »sozialer Organisation kultureller Unterschiede« (F.Barth) oder als Abgrenzung. Die auf die Entstehung des Nationalismus bezogene Formulierung von B. Anderson von »imagined communities« trifft insofern auch auf die Herausbildung von Ethnizität zu. Diese wird nach A. Cohen erst dadurch zur Identitätsbildung relevant, dass zwei oder mehrere kulturelle Gruppen in einem gemeinsamen Kontext operieren. Dies ist insbesondere in Staaten gegeben, in denen die Staatsnation (Demos) aus verschiedenen Ethnien zusammengesetzt ist, führt aber nicht zwangsläufig zu einem ethnischen Konflikt oder gar zu dessen gewaltsamer Austragung. Da weltweit nach Schätzungen von der Existenz von 2 500 bis 8 000 Völkern, Ethnien oder Sprachgruppen auszugehen ist, jedoch derzeit nur wenig mehr als 190 Staaten bestehen, ist der multiethn. Staat (und damit die Existenz von nationalen Minderheiten) der Normalfall, der homogene Nationalstaat die Ausnahme. Allein in Europa gibt es mehr als 100 Mio. Angehörige von etwa 200 nationalen Minderheiten, zum Teil zusammengeschlossen in der »Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen« (FUEV).
 
Dennoch lässt sich eine zunehmende Bedeutung ethnischer Konflikte und deren gewaltsamer Austragung feststellen. Die Kriegsstatistik zeigt einen Trend von zwischenstaatlichen Kriegen zu Bürgerkriegen. Von den 160 zwischen 1945 und 1988 begonnenen Kriegen waren 102 (63,7 %) innerstaatliche und 39 (24,4 %) internationale Kriege sowie 19 (11,9 %) Mischkriege mit innerstaatlichen und internationalen Komponenten. Von den 42 zwischen 1989 und 1998 begonnenen Kriegen waren 33 (78,6 %) innerstaatliche und nur noch 6 (14,3 %) internationale Kriege und 3 (7,1 %) Mischkriege. Betrachtet man die innerstaatlichen Kriege gesondert, so nahm der Anteil der um Autonomie beziehungsweise Separation geführten Kriege von 31 (30,4 %) zwischen 1945 und 1988 auf 16 (48,5%) zwischen 1989 und 1998 zu, während der Anteil der Antiregimekriege deutlich von 54 (52,9 %) auf 12 (36,4 %) zurückging, aber der Anteil der Kriege, die sowohl Antiregime- als auch Separationskriege waren mit 17 (16,7 %) beziehungsweise 4 (12,1 %) relativ konstant blieb. Sowohl die Zahl der Autonomie- beziehungsweise Separationskriege wie auch des Mischtyps lassen sich als die Spitze des Eisbergs ethnischer Konflikte, die die Gewaltschwelle überschritten haben, ansehen, da kleinere (kürzere beziehungsweise punktuelle) bewaffnete Auseinandersetzungen um die Zugehörigkeit hierbei nicht einmal erfasst sind.
 
In der Völkerrechtslehre werden zu nationalen Minderheiten nur Personen gerechnet, die die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt haben, sich jedoch von einer zahlenmäßigen Mehrheit durch ethnische, religiöse oder sprachliche Charakteristika unterscheiden und keine dominierende Rolle im Staat haben. Als eine nationale Minderheit gelten diese Menschen erst dadurch, dass sie als Gruppe (oft Mehrheitsethnie in einem weitgehend geschlossenen Siedlungsgebiet) ihre gemeinsame Eigenart behalten wollen und neben einer rechtlichen auch eine tatsächliche Gleichheit mit der Mehrheit im Staat erstreben. Demgegenüber werden längere Zeit oder dauerhaft in einem Land lebende Ausländer (Flüchtlinge, Arbeitsmigranten) nicht zu den Minderheiten gerechnet, auch wenn sie schon über Generationen in einer bestimmten Region wohnen und in einem politischen Sinne auch Anlass und Teilnehmer von interethn. Konflikten werden können.
 
 Ursachen und Hintergründe
 
Das Zusammenleben in fest eingegrenzten, sich als Nationalstaaten verstehenden politischen Einheiten hat sich - von Europa ausgehend - erst im 19. und 20. Jahrhundert weltweit verbreitet. Die Zahl der Nationalstaaten wuchs insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg durch die Aufteilung des Osmanischen Reiches und Österreich-Ungarns (1918), während der 50er- und 60er-Jahre im Zuge der Entkolonialisierung v. a. Afrikas und 1991/92 bei der Auflösung der UdSSR und Jugoslawiens. Grenzziehungen, die auf kriegerischen Eroberungen, Waffenstillstandslinien, Gebietsaustausch oder kolonialpolitischen Gründe zurückzuführen sind, entsprechen vielfach nicht den Grenzverläufen ethnischer Siedlungsgebiete. Vielmehr wurden im Zuge des Kolonialismus aus Machterhaltungsinteressen heraus Siedlungsräume indigener Völker (Ureinwohner) zerteilt oder miteinander rivalisierende Stämme zu einer Verwaltungseinheit beziehungsweise künstliche »Staatsnation« mit dadurch starker ethnischen Verschiedenheit zusammengeschlossen. So gründen die Anfang der 1990er-Jahre ausgebrochenen ethnischen Konflikte in Kaukasien v. a. in der Kolonialpolitik des zaristischen Russlands in Asien im 19. Jahrhundert. Insbesondere in Afrika blieben die kolonialen Grenzen nach der Entkolonialisierung erhalten (u. a. Nigeria, Somalia, Sudan, Tschad, Uganda). Infolgedessen waren und sind dort Kämpfe um die Macht- und Ressourcenverteilung zwischen einzelnen Clans, Stämmen und Völkern (Tribalismus) bestimmend für kriegerischen Auseinandersetzungen, besonders deutlich Mitte der 1990er-Jahre in Ruanda, Burundi und Zaire (heute Demokratische Republik Kongo).
 
Auch die Durchsetzung von Siedlungsgebieten einer Ethnie mit Angehörigen anderer Ethnien kann Ursache für ethnische Konflikte sein. Seit dem Altertum wurden aus unterschiedlichen Gründen (Teile von) Ethnien in einer fremden Region sesshaft, etwa während der Zeit der griechischen Kolonisation (8.-6. Jahrhundert v. Chr.), der Völkerwanderung (Höhepunkt im 4.-6. Jahrhundert) oder der deutschen Ostsiedlungen (10., 12.-14. Jahrhundert; 17.-19. Jahrhundert [Deutsche]); Einwanderungen erfolgten auch durch religiöse Verfolgung und Flucht oder aufgrund politischer Absichten (wie die Deportation zahlreicher Ethnien in der UdSSR unter J. W. Stalin während des Zweiten Weltkriegs). Vorrangig wirtschaftliche Motive wiederum waren es, die zahllose Europäer v. a. während des 19. Jahrhunderts nach Nord- und Südamerika auswandern und dort zu Lasten der indianischen Ureinwohner Land nehmen ließen (Auswanderung). In diesem Zusammenhang wird der Nahostkonflikt, zu dessen Ursprüngen die Rück-Einwanderung von Juden nach Palästina (ab 1888/1905) gehört, aber nicht zu den ethnischen Konflikten gezählt, sondern von der Wissenschaft als »ethnisierter Territorialkonflikt« charakterisiert, weil - wenigstens bisher - die Konfliktlinie nur marginal zwischen den jüdischen und arabischen Bürgern Israels verläuft, während die Hauptkonfliktlinie die besetzten Gebiete und die dort lebenden Araber betrifft, während die Siedler zu einem Teil als Besatzer oder Rückeroberer gekommen sind.
 
 Motive und Zielsetzungen
 
Ethnischer Gesichtspunkte, besonders die gemeinsame Religion, Geschichte und Kultur, werden häufig dafür instrumentalisiert, als identitätsstiftende Elemente ganze Gruppen hinter ihren Führern zu vereinen. Das Individuum erfährt dann die Interpretationsmuster, die ihm die Unterscheidung zwischen der Wir-Gruppe und der Ihr-Gruppe ermöglichen, und die daraus abgeleiteten Handlungsorientierungen über die Sozialisation innerhalb seiner Gruppe als absolute Form einer Selbstlegimitation, die auf der Abgrenzung gegenüber anderen basiert. Ob und in welcher Weise die Abgrenzung zwischen der positiv besetzten Wir-Gruppe und einer eventuellen negativen Sicht außenstehender sozialer Einheiten das Entstehen und die Austragung eines Konflikts beeinflusst, lässt sich nicht allgemein gültig bestimmen. Die Abgrenzung (z. B. nationalistisches Postulat der ethnischen Homogenität) kann jedoch für die Verschärfung eines Konflikts insofern entscheidend sein, als sich mit ihrer Hilfe Feindbilder aufbauen lassen, die dazu beitragen, dass ethnische Konflikte nicht nur Interessenkonflikte sind, die kompromisshafte Vereinbarungen erlauben, sondern zumindest von den Beteiligten als Identitätskonflikte wahrgenommen werden, bei denen es »um unterschiedliche Lebensentwürfe (geht), die in ihrer verschiedenartigen Geschichte, in unterschiedlichem Brauchtum, einer eigenen Sprache und in widerstreitenden politischen Zielsetzungen begründet sind« (D. Senghaas). Freilich stehen häufig Erscheinungen, die als Identitätskonflikte dargestellt werden, mit Interessengegensätzen in Verbindung, wie dies z. B. auch im Libanon- oder Nordirlandkonflikt, aber ebenso in den blutigen Rivalitäten zwischen verschiedenen Gruppierungen in Afghanistan zu sehen ist.
 
Im Einzelnen lassen sich nach Senghaas drei Konstellationen von ethnischen Konflikten unterscheiden:
 
1) Konflikte um die Besitzstandswahrung. Diese sind davon geprägt, dass eine Nationalität zu der Auffassung gelangt, ihre eigenen Aufwendungen für die Aufrechterhaltung des Gesamtstaates seien höher als der Nutzen, den sie aus der Gemeinschaft mit anderen Nationalitäten ziehen könne. Dies trifft am ehesten auf jene Völker zu, die innerhalb des gemeinsamen Staates ökonomisch vergleichsweise besser dastehen als die anderen Nationalitäten (v. a. aus diesem Grund bemühte sich das wohlhabendere, jedoch wenig einflussreiche Slowenien 1990/91 darum, den jugoslawischen Staatsverband zu verlassen). Wenn sie nach Sezession streben, kann allerdings auch bei diesen anderen Nationalitäten die Besitzstandswahrung zum Handlungsmotiv werden (so das Streben der Serben, Macht und Einfluss über den 1991 erfolgten Zerfall Jugoslawiens hinaus zu bewahren bis hin zu »ethnischen Säuberungen« in Gebieten, in denen in den Nachfolgestaaten die Bevölkerungen gemischt siedelten).
 
2) Konflikte um die Überfremdungsabwehr. Hierbei handelt es sich um das Streben einer ethnischen Gruppe, die in einem Ort, einer Region oder einem Staat die Bevölkerungsmehrheit stellt (z. B. der Tibeter seit 1950, der Albaner im Kosovo oder der Armenier in Bergkarabach besonders seit Ende der 80er-Jahre), die tatsächliche oder vermeintliche Vorherrschaft einer anderen Gruppe, die sich dort in einer Minderheitsposition befindet (der Chinesen, der Serben beziehungsweise der Aserbaidschaner), abzuwehren. Ähnliche Wirkungen zeitigten bis zur Auflösung der UdSSR (und für fortdauernde latente ethnische Konflikte in ihren Nachfolgestaaten) die gezielten (Zwangs-)Umsiedlungen zur Russifizierung der Sowjetrepubliken mit nichtrussischer Bevölkerungsmehrheit. Einer eskalierenden gewaltsamen Überfremdung entzogen sich in den 1980er-Jahren z. B. die Rumäniendeutschen beziehungsweise -ungarn oder die Bulgarotürken durch Massenabwanderung in die »Mutterländer« ihrer Ethnie.
 
3) Konflikte um die Assimilationsabwehr. Sie entstehen durch Bemühungen der nationalen Minderheiten, ihre Identität gegen den Anpassungsdruck der Mehrheit zu bewahren. Die meisten ethnischen Konflikte resultieren hieraus (so schon z. B. seit dem 17./18. Jahrhundert das Streben der Waliser und Schotten nach größerer Eigenständigkeit gegenüber den Engländern). Zwangsassimilierungen durch Repression oder unter dem (ideologischen) Postulat eines supranationalen Staatsvolks vermögen die Konflikte nur zu unterdrücken, wie ihr gewaltsames Aufbrechen seit Mitte der 1980er-Jahre, besonders aber nach dem Zerfall der UdSSR und Jugoslawiens 1989-91 verdeutlichte.
 
Sowohl bei der Überfremdungs- als auch bei der Assimilationsabwehr können auf sozialpsychologischen Ebene »chosen traumata«, kollektive Negativerinnerungen, eine zentrale Rolle spielen. Diese letztlich einseitigen und bewusst ausgewählten Traumata (z.B. die von den Serben 1389 gegen die Türken verlorene Schlacht auf dem Amselfeld) sind gesteuerte Mythologisierungen zur ethnischen Mobilisierung und Erzeugung sowie Festigung von lang wirkenden Feindbildern. Neben diesen existieren aber auch »chosen glories«, also mythisch überhöhte Großtaten, die ein Überlegenheitsgefühl der ethnischen Gruppe hervorbringen, das dabei hilft, in Konstellationen zahlenmäßiger Schwäche um das ethnische Überleben zu kämpfen.
 
Kompliziert und brisant gestaltet sich insbesondere die Situation von Minderheiten, deren Siedlungsgebiet auf verschiedene Nationalstaaten verteilt ist und deren Anspruch auf eigene Staatlichkeit nur durch Konflikte mit (und eventuell zwischen) mehreren Staaten einzulösen wäre (z. B. bei den über vier Staaten verteilt siedelnden Kurden) oder die durch ihre starke - auch zwischenstaatliche - Mobilität kein geschlossenes Siedlungsgebiet haben (Sinti und Roma).
 
Nach A. D. Smith verfolgten ethnische oder Minderheitsbewegungen gegenüber der herrschenden Gruppe folgende Ziele: Isolierung, Anpassung, Autonomie, Separatismus oder Irredentismus. Demgegenüber reicht die Bandbreite des Umgangs der herrschenden Gruppe mit den Minderheitsethnien innerhalb eines positiven Spektrums von der Integration über die Wahrung und Förderung ihrer kulturellen Identität bis zur pluralistischen und gegebenenfalls föderativen Beteiligung an den politischen Angelegenheiten, hingegen in einem negativen Spektrum von der Zwangsassimilierung über die Gettoisierung und andere Formen der Diskriminierung und Benachteiligung bis hin zur Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung (Extremfall: die Judenverfolgung im Holocaust).
 
 Charakteristika des Verlaufs
 
Ethnische Konflikte weisen in ihren Verläufen mindestens vier Charakteristika auf:
 
1) Sie besitzen ein extrem hohes Gewaltpotenzial, das bis zum Genozid reichen kann (z. B. die Tötung von bis zu 1 Mio. Tutsis und moderater Hutus durch die Hutu in Ruanda innerhalb weniger Wochen). Sie werden überwiegend mit Kleinwaffen und ohne Hightech-Aufwand ausgetragen. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung. Das humanitäre Kriegsvölkerrecht wird kaum beachtet. Grausamkeiten und insbesondere Vergewaltigungen werden systematisch eingesetzt, um die andere Ethnie physisch und psychisch zu schädigen. Dabei sind die Kämpfer in der Regel hochmotiviert und kämpfen bis zur Selbstaufgabe.
 
2) In den Fällen, in denen es zum Zerfall der staatlichen Ordnung kommt, entstehen um einzelne Akteure (Warlords), die häufig eher ökonomische als politische Ziele verfolgen, neue Machtzentren. Es entsteht auch eine eigene Kriegsökonomie, vor allem dort, wo über Rohstoffvorkommen verfügt wird (z. B. Angola, Liberia, Sierra Leone). Dort bilden sich auch »Sicherheitsfirmen« unter Beteiligung von Söldnern, die das Eigentum und die Tätigkeit internationaler Wirtschaftsunternehmen schützen, so dass sich die Zahl und Komplexität der Konfliktparteien erhöht.
 
3) Ethnische Konflikte besitzen häufig aufgrund der Siedlungsgeographie einen grenzüberschreitenden Charakter, was das Risiko einer Ausweitung des Konfliktes auf andere Länder oder ganze Regionen erhöht.
 
4) Im Verlaufe von länger andauernden Kampfhandlungen kommt es infolge »ethnischer Säuberungen« und anderer Gewaltmaßnahmen zu relativ homogenen Siedlungsräumen, d. h. mindestens eine Ethnie erreicht ihr Ziel mit Gewalt. Sofern dies von der Völkergemeinschaft toleriert wird, findet es Nachahmer in anderen Gebieten. So wurden die albanischen UÇK-Kämpfer im Kosovo zu ihrem gewaltsamen Vorgehen gegen die Serben 1998 dadurch motiviert, dass die gewaltsame ethnische Neuordnung Bosniens und Herzegowinas durch den Dayton-Vertrag von 1995 »belohnt« worden war.
 
 Maßnahmen zur Konfliktregelung
 
Die Schwere des Konfliktaustrags sowie die Herbeiführung von Regelungen oder gar Lösungen für die dahinter stehenden Probleme hängen davon ab, welches der oben genannten Ziele von der jeweiligen Bewegung verfolgt wird und in welchem Maße die herrschende Gruppe bereit und in der Lage ist, dem entgegenzukommen.
 
Völkerrechtliche Aspekte:
 
Ethnische beziehungsweise Minderheitenkonflikte sind zwischen rein innerstaatlichen und internationalen Konflikten einzuordnen. Aufgrund dieser Zwischenstellung war und ist eine Regelung der damit zusammenhängenden Probleme durch das Völkerrecht und internationale Organisationen wie UNO, Europarat und KSZE oft schwierig. Die UN-Charta vom 26. 6. 1945 betont zwar das »Selbstbestimmungsrecht der Völker«, stellt es aber neben den Anspruch der Staaten auf »territoriale Unversehrtheit«. Als eine Organisation von Staaten interpretiert die UNO folglich das Selbstbestimmungsrecht als Recht der staatlich verfassten Nationen und nicht als Autonomie- oder gar Sezessionsrecht irgendwelcher Teile davon. Zwar hat die 15. UN-Generalversammlung im Rahmen ihrer »Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker« vom 14. 12. 1960 das Selbstbestimmungsrecht wieder aufgegriffen, aber erst im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 wurden die Rechte von »Angehörigen« ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten insofern geschützt, als ihnen zugestanden wurde, ihre Muttersprache und kulturellen Traditionen zu pflegen und ihre Religionen »gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe« auszuüben (Art. 27). Der Europarat verankerte den Schutz der individuellen Grundrechte und -freiheiten in der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. 11. 1950 (EMRK).
 
Hinter der Einschränkung auf Einzelpersonen steht einerseits ein am Individuum orientiertes Menschenrechtsverständnis, das darauf zielt, niemanden wegen seiner Nicht-Zugehörigkeit zu benachteiligen. Andererseits lässt diese Haltung auch Befürchtungen von Staaten, in denen ethnische Minderheiten leben, erkennen, kollektive, insbesondere politische Rechte könnten Sezessionsbestrebungen erleichtern. Alle Bemühungen, darüber hinaus auch die Rechte ganzer Volksgruppen zu schützen beziehungsweise ihre in einzelnen Ländern anerkannten politischen Rechte völkerrechtlich abzusichern, sind deshalb bisher in der UNO gescheitert. Eine Weiterentwicklung dieser Völkerrechtsmaterie wurde nach der Auflösung der bipolaren Machtstrukturen ab 1989 (Zerfall des Ostblocks) und dem Untergang der UdSSR und Jugoslawiens als multiethn. »Wohnsitzstaaten« erforderlich, als die dabei aufgekommene Brisanz von Nationalitätenfragen und ihre Regionalisierung beziehungsweise Internationalisierung den internationalen Frieden zu stören begannen. Die im Moskauer Dokument zur »menschlichen Dimension der KSZE« vom 3. 10. 1991 verabschiedete Formel, dass »Fragen der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit«, zu denen der Minderheitenschutz gehört, »eine nicht ausschließlich innere Angelegenheit des betroffenen Staates darstellen«, konnte aber z. B. nicht in die Erklärung der UN-Generalversammlung vom 18. 12. 1992 (»Deklaration über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten gehören«; Resolution 47/135) aufgenommen werden. Auf der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz im Juni 1993 wurde eine Deklaration zu den »Rechten indigener Völker« verabschiedet, denen als ethnische Minderheit - im Unterschied zu nationalen Minderheiten (Nationalitäten) - wegen der nicht mehr möglichen eigenstaatlichen Gestaltung Gruppenschutz in den Siedlungsgebieten (Reservaten) gewährt wird.
 
Maßnahmen der KSZE und anderer internationalen Organisationen:
 
Die KSZE selbst hatte schon auf ihrem Treffen im Juni 1990 in Kopenhagen detaillierte Bestimmungen zur Sicherung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie des Minderheitenschutzes verabschiedet. Im Dokument vom 29. 6. 1990, das jedoch kein geltendes Völkerrecht darstellt, gab es erste bescheidene Ansätze, die über einen individualrechtlichen Schutz hinausgingen. Nach ihrem Gipfeltreffen vom November 1990 richtete die KSZE in Warschau ein »Büro für freie Wahlen« ein (Charta von Paris vom 21. 11. 1990; seit Februar 1992 »Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte«, BDIMR). Außerdem berief sie nach ihrem Folgetreffen von Helsinki im Juli 1992 den Niederländer Max van der Stoel in das neu geschaffene Amt eines Hochkommissars für nationale Minderheiten (HKNM; Helsinki-Dokument »Herausforderung des Wandels« vom 10. 7. 1992); ihm folgte 2001 der Schwede Rolf Ekéus im Amt.
 
Das BDIMR wie der HKNM dienen der OSZE als Frühwarnsysteme. Sie haben die Möglichkeit, mithilfe von Expertenmissionen, Wahlbeobachtungen, Anhörungen von und Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (z. B. Amnesty International, Helsinki Citizens Assembly, IKRK) Beiträge zur Konfliktminderung und friedlichen Streitbeilegung zu leisten. Die Aktivitäten des HKNM konzentrierten sich bis 1995 v. a. auf die baltischen Staaten (dort besonders auf die Schaffung und praktische Durchführung eines Wahlrechts, das die starke russische Minderheit nicht diskriminiert, sowie eines neuen Staatsbürgerschaftsrechts, das die Hürden der Aufnahme auf ein vernünftiges Maß absenkte) und auf Regionen des Balkans, in denen es noch nicht zum kriegerischen Konfliktaustrag gekommen war (v. a. in Makedonien, wo bis Anfang 2001 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen slawischen Makedoniern und der albanischen Minderheit verhindert werden konnten).
 
Der Europarat beschloss 1994 ein »Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten«, das auf den KSZE-Normen, besonders dem Kopenhagener Dokument vom 29. 6. 1990, aufbaut (abgeschlossen am 1. 2. 1995). Auf Initiative des französischen Ministerpräsidenten É. Balladur und der Europäischen Union wurde von den europäischen Teilnehmerstaaten der ab 1. 1. 1995 in OSZE umbenannten KSZE am 20. 3. 1995 ein »Stabilitätspakt« unterzeichnet, dem als Anhang zahlreiche bilaterale Vereinbarungen zur Regelung von grenzüberschreitenden Minderheitsproblemen (z. B. zwischen der Slowakischen Republik und Ungarn) beigefügt sind.
 
Einzelstaatliche Maßnahmen:
 
Konkret geht es bei der Behandlung von ethnischen Konflikten innerhalb einzelner Staaten darum, die Interessen der beteiligten Seiten so miteinander auszugleichen, dass sich alle gerecht behandelt sehen, wobei sich universalistische (z. B. Rechtsstaat) und partikularistische (z. B. die Wertschätzung und Anerkennung bestimmter Traditionen) Forderungen widerstreiten können. Seit dem 18. Jahrhundert hat der moderne Verfassungsstaat hierfür den (nicht unbestrittenen) Ansatz gefunden, formale Gleichheit im öffentlichen Raum und individuelle oder durch Ethnien oder Kulturen begründete Besonderheit in der privaten Sphäre anzuerkennen oder zu garantieren. Die kulturelle Nähe oder Distanz zur Mehrheitsethnie mag für die Angehörigen der Minderheiten ein entscheidendes Kriterium dafür sein, sich assimilieren oder abgrenzen zu wollen. Generell muss ihnen beides möglich sein. Das Selbstbestimmungsrecht von Volksgruppen im »Wohnsitzstaat« (mit seinem Anspruch auf territoriale Integrität und Souveränität) darf aber nicht von außen - etwa vom »konationalen« Staat, wo die Ethnie die staatstragende Bevölkerungsmehrheit bildet - beeinflusst werden (z. B. einer der Hintergründe der kriegerischen Auseinandersetzungen in Kroatien sowie Bosnien und Herzegowina 1992-95, aber auch der Zypernproblematik). Binationale Verträge über Selbstverwaltungsrechte (z. B. Grundlagenvertrag zwischen Ungarn und der Slowakischen Republik vom 19. 3. 1995, Deutsch-Polnischer Nachbarschaftsvertrag vom 17. 6. 1991), Gesetze zum Schutz von Minderheitssprachen und -kulturen (u. a. Sprachunterricht, Ortsnamen) können konfliktmindernd Identitätsbewahrung sichern.
 
Grenzen für die Wahrung der kulturellen oder religiösen Eigenständigkeit (Autonomie) sind nur dann gerechtfertigt, wenn mit bestimmten Verhaltensweisen gegen die Grund- und Menschenrechte (z. B. Gleichberechtigung der Geschlechter, körperliche Unverletzbarkeit) verstoßen wird. Angehörigen von ethnischen Minderheiten muss das aktive und passive Wahlrecht zustehen. Insofern müssen sie auch das Recht haben, entsprechend der demokratischen Spielregeln eigene Parteien zu gründen. Bei der Verwirklichung ihrer partizipatorischen Rechte kann es notwendig sein, vom Prinzip der Gleichheit abzuweichen, um ihnen eine Repräsentanz zu sichern. Ein Beispiel hierfür ist die Aussetzung der bei Wahlen in Deutschland sonst übliche Fünfprozentklausel für die Vertretung der dänischen Minderheit im schleswig-holsteinischen Landtagswahlrecht; nach der offiziellen Anerkennung der drei anderen Minderheiten in Deutschland, der Friesen, der Sorben sowie der Sinti und Roma (Beitritt zum »Rahmenübereinkommen« am 11. 5. 1995), müssten für die Minderheiten entsprechende Regelungen im Prinzip auch für die Bundestagswahlen vorgenommen werden (§ 6 Absatz 6 Bundeswahlgesetz).
 
Zu den Möglichkeiten, ethnischen Konflikten ihre Brisanz zu nehmen, gehört auch in Fällen, in denen die Siedlungsgebiete der einzelnen Ethnien relativ geschlossen sind, die Einführung von föderalistischen Strukturen wie z. B. Kantonen oder Bundesländern, die in bestimmten Politikbereichen eigenständig entscheiden und handeln können (Föderalismus). Dass davon auch Gefährdungen für den Zusammenhalt des Gesamtstaates ausgehen können, zeigte sich in der Schweiz in den 1930er-Jahren, als rechte Gruppierungen (Fronten) in den italoschweizerische beziehungsweise deutsch-schweizerische Kantonen irredentistische Neigungen erkennen ließen. Aus dem alle vier Ethnien umfassenden breiten politischen Bündnis, das den Zusammenhalt des Landes als »Willensnation« über den Zweiten Weltkrieg hinweg sicherte, entstand 1959 das System der »Konkordanzdemokratie«: Alle bedeutsamen politischen Gruppierungen und damit auch alle Ethnien gehören seitdem dauernd dem Bundesrat (der Regierung) mit einer festgelegten Zahl von Sitzen an.
 
 Das offene Problem des Separatismus
 
Die schwierigen Fragen der Sezession und Staatenneubildung, die an den Kern des staatlichen Souveränitätsanspruchs rühren, werden nie vollständig zu normieren sein. Allerdings kann die OSZE mit ihren Verfahren des kontinuierlichen Dialogs hierbei Prinzipien und normbildend wirken und so dazu beitragen, den Gewaltcharakter von Staatsauflösungsprozessen zu verringern. Ein zentrales Kriterium für die Beurteilung von Sezessionen, Staatszerfall und Staatenneubildung ist, welche Konfliktregelungen letztlich für die betroffenen Menschen mit der größten Akzeptanz und den geringsten »Kosten« verbunden sind. Priorität sollte dabei die Aufrechterhaltung des bestehenden Staates in seinen bisherigen Grenzen haben. Aber wenn es nicht möglich ist, durch Demokratisierung, Verbesserung des Minderheitenschutzes und Stärkung dezentraler Strukturen eine Akzeptanz des Staates durch alle ethnischen Gruppen zu erreichen, und wenn die Aufrechterhaltung der bestehenden staatlichen Strukturen nur noch mit Gewalt und Menschenrechtsverletzungen insbesondere bei ethnischen Minderheiten gesichert werden kann, müssen von der internationalen Gemeinschaft Verfahren angeboten und gegebenenfalls eingeleitet werden können, die eine Auflösung ermöglichen. Wichtig ist dabei allerdings, dass in den neu entstehenden Staaten die Minderheitenrechte geschützt werden, um die in dem neuen Staatsgebilde lebenden Angehörigen der Mehrheitsethnie des früheren Staates davor zu schützen, dass an ihnen Rache geübt wird. Nicht selten erweisen sich dabei die Bevölkerungsgruppen eher kompromissbereit als ihre politischen Führer.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Autonomie · Befreiungsbewegung · globale Probleme · Minderheit · Nationalitätenfrage · Regionalismus · Segregation · Souveränität · Vertreibung
 
Literatur:
 
Hb. der europ. Volksgruppen, bearb. v. M. Straka (Wien 1970);
 
Urban ethnicity, hg. v. A. Cohen (London 1974);
 Anthony D. Smith: The ethnic revival (Cambridge 1981);
 O. Kimminich: Rechtsprobleme der polyethn. Staatsorganisation (1985);
 
Ethnizität im Wandel, hg. v. P. Waldmann u. a. (1989);
 P. Waldmann: Ethn. Radikalismus. Ursachen u. Folgen gewaltsamer Minderheitenkonflikte am Beispiel des Baskenlandes, Nordirlands u. Quebecs (1989, Nachdr. 1992);
 
Ethnizität. Wiss. u. Minderheiten, hg. v. E. J. Dittrich u. a. (1990);
 A. E. Buchanan: Secession. The morality of political divorce from Fort Sumter to Lithuania and Quebec (Boulder, Colo., 1991);
 F. Heckmann: Ethn. Minderheiten, Volk u. Nation. Soziologie interethn. Beziehungen (1992);
 R. Olt: Angst vor dem Nationalen, Streben nach Autonomie u. nach einem wirksamen Volksgruppenschutz in Europa, in: Der Krieg, ein Kulturphänomen? Studien u. Analysen, hg. v. P. Krasemann (1992);
 D. Senghaas: Friedensprojekt Europa (21992);
 B. Wehner: Nationalstaat, Solidarstaat, Effizienzstaat. Neue Staatsgrenzen für neue Staatstypen (1992);
 
Das Minderheitenrecht europ. Staaten, 2 Tle., hg. v. J. A. Frowein u. a. (1993-94);
 Berthold Meyer: Überfordern Minderheitenkonflikte die »neue« KSZE?, in: Konfliktsteuerung durch Vereinte Nationen u. KSZE, hg. v. Berthold Meyer u. a. (1994);
 
Bosnien u. Europa. Die Ethnisierung der Gesellschaft, hg. v. N. Stefanov u. M. Werz (1994);
 S. Ryan: Ethnic conflict and international relations (Aldershot 21995);
 
Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel- u. SO-Europa, hg. v. G. Seewann (1995);
 Friedl. Konfliktbearbeitung in der Staaten- und Gesellschaftswelt, hg. v. T. Debiel u. N. Ropers (1995);
 
Selbstbestimmungsrecht der Völker - Herausforderung der Staatenwelt, hg. v. H. J. Heintze (1997);
 
Moderner Minderheitenschutz, hg. v. H. J. Heintze (1998);
 
Bürgerkriege: Folgen und Regulierungsmöglichkeiten, hg. v. H. W. Krumwiede u. P. Waldmann (1998);
 
E. K. in der Dritten Welt. Ursachen und Konsequenzen, hg. v. G. Meyer u. A. Thimm (2001).


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