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AVANTGARDE, MODERNE UND NEUE MUSIK

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Avantgarde, Moderne und Neue Musik
 
Was als moderne, neue und avantgardistische Musik verstanden wird, bildet ein vielfältiges Begriffsfeld mit beträchtlichen Unschärfen. Neue Musik ist eine plurale historische Grundkategorie der Musik des 20. Jahrhunderts, seitdem Paul Bekker den Begriff 1919 im Hinblick auf eine »Erneuerung des verbrauchten musikalischen Materials und der Musikempfindung« prägte. Neue Musik des 20. Jahrhunderts »ist immer eines und sein Gegenteil« (Hermann Danuser) und überschreitet einseitig verengte Geschichtsbilder; sie ist weder einheitliche Epoche noch ästhetische Idee noch Stilrichtung. »Die moderne Musik hat kein Publikum; niemand will sie. Dem Proletariat ist sie als Privatangelegenheit gut erzogener Leute gleichgültig. Die Bourgeoisie sucht stärkere Reiz- und Unterhaltungsmittel. Die moderne Musik führt, wie kaum eine andere Kunst, ein Scheindasein.« Was hier Hanns Eisler 1927 im Zusammenhang mit seinem Abrücken von den modernistischen Positionen seines Lehrers Arnold Schönberg feststellt, ist auch weiterhin im 20. Jahrhundert der Fall: Der überwiegende Teil der zeitgenössischen E-Musik bleibt eine Angelegenheit von 0,3 bis 0,4 Prozent der Bevölkerung. Ob das Schwerverstehbare und Abweisende weiter Bereiche der Musik unseres Jahrhunderts für die Mehrheit der Hörer daran liegt, dass sie in den Medien, in Konzertprogrammen und der Musikausbildung einfach zu wenig vorkommen, oder ob es die Musik selbst ist, die sich gegenüber einem breiteren Publikum sperrt, ist schwer zu entscheiden.Nicht selten wird den Hörern der Schwarze Peter zugeschoben, oft mit dem 1909 von Arnold Schönberg geäußerten Argument, »dass das Niveau der Durchschnittsbildung sich wird wesentlich heben müssen, oder dass die Kunst wieder das werden wird, was sie früher einmal war, eine Angelegenheit einer Auslese der kultiviertesten Menschen einer Zeit; ich hoffe aber, aufrichtig gestanden, das Gegenteil.«
 
Als Epochenbegriffe verstanden, greifen Moderne und Neue Musik ineinander. Die Frage ist, wie der harmoniegeschichtliche Einschnitt des Schritts in die Atonalität nach 1908 und der Wandel in der Musikanschauung um 1920 gewichtet werden. Reicht die Epoche der musikalischen Moderne von etwa 1890 bis 1910 oder darüberhinaus bis 1920? Beginnt die Neue Musik mit der bewussten Preisgabe der Tonalität in den Jahren nach 1908, womit eine universale kompositorische Ordnungskraft der Musik seit mehreren Jahrhunderten zu Ende gegangen scheint? Oder hat die eigentliche »Neue Musik ihren Anfang erst zu Beginn der Zwanzigerjahre, als von vielen Seiten her unter der Fahne von »Gebrauchsmusik« und »Neuer Sachlichkeit« mit den Werten der bürgerlich-romantischen Musikkultur gebrochen wurde?
 
Sicher ist, dass um 1910 mit zueinander konträren Ansätzen Traditionsbrüche gegenüber der Musikalischen Moderne zwischen 1890 und 1914 stattfanden, Reaktionen auf die Musik des fin de siècle, die in vielfältiger Weise als Vorläufer und Wegbereiter der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts begriffen werden können: von den Klangschichtungen Claude Debussys über Max Regers durchchromatisierte Werke bis zu Gustav Mahlers thematischen Auflösungsprozessen. Neben Umwälzungen im Bereich des musikalischen Materials (Expressionismus) standen Positionen, die auf Elemente der Tradition zurückgriffen(Ferruccio Busoni, Richard Strauss), und andere wie Futurismus und Dadaismus, die den überlieferten Kunstbegriff durch eine experimentelle neue Musik-Kultur zu entthronen suchten.
 
Vor dieser Pluralität der Ansätze, sich gegen ältere Modelle abzusetzen, gehört es zu den bedauerlichen Ein- und Ausgrenzungen der Musikgeschichtsbetrachtung im 20. Jahrhundert, wenn als das »Daseinsprinzip« der Neuen Musik und ihr »hauptsächliches Unterscheidungsmerkmal« allein die Atonalität ins Zentrum gestellt wird. Vergleichbar einseitig ist die Sichtweise, mit den verschiedenen Ausprägungen des (Neo-)Klassizismus habe sich die Neue Musik ins Abseits begeben, aus dem sie erst die serielle Musik der Fünfzigerjahre wieder herausgeholt habe. Diese willkürliche Entgegensetzung von Moderne und Klassizismus in der Nachfolge von Adornos lange Zeit äußerst einflussreicher »Philosophie der neuen Musik« (1949) verhindert einen unvoreingenommenen Blick auf die Einheit der klassizistischen Moderne jener Zeit, jenseits aller kompositionstechnischen und ästhetischen Unterschiede. Der Rekurs auf den Formenkanon seit Johann Sebastian Bach findet sich sowohl in der zwölftönig-atonalen Tonsprache wie in den neoklassizistischen Werken der Zwanzigerjahre. Kontrapunktiert werden diese beiden Gleise der klassizistischen Moderne durch den Protest einer jungen Komponistengeneration gegen die Werte der alten, bürgerlichen Musikkultur. Er brachte Werke wie Paul Hindemiths »Kammermusik Nr. 1« (1921) und andere musikalische Abrechnungen mit dem bürgerlichen Konzertwesen hervor.
 
Immer wenn der Kunst die Funktion des Verändernden zugestanden wurde, fiel auch der Begriff »Avantgarde«, so problematisch er sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts ausmacht. Schon 1962 hatte Hans Magnus Enzensberger die »Aporien« der Avantgarde beleuchtet und bemerkt: »Das avant der Avantgarde enthält seinen eigenen Widerspruch: es kann erst a posteriori markiert werden«. Gegenüber bloß technischen oder ästhetischen Innovationen des »Modernismus« ging es in progressiven Kunstkonzepten der Avantgarde, im 20. Jahrhundert etwa im Futurismus, um eine innere Korrespondenz zwischen ästhetischem und sozialem Fortschritt, um Protest gegen geheuchelte Autonomie-Konzepte. Was indes vielfach als »avantgardistisch« ausgegeben wurde, ist in Wirklichkeit gerade eine Institutionalisierung des Autonomen. Beispielhaft ist nach 1950 die Restaurierung und Radikalisierung der längst totgeglaubten modernistischen Zwölftontechnik. Gestützt auf Adornos Geschichtsphilosophie, welche die Musik der zweiten Wiener Schule als die einzig mögliche »Flaschenpost« zu noch ungeahnten Ufern herausstellte, konnte die zeitgenössische E-Musik der Musikfestspiele in Donaueschingen, der Münchner Musica-Viva-Konzerte, der Darmstädter Ferienkurse und der Nachtprogramme einiger Rundfunkanstalten gar nicht experimentell, elitär und esoterisch genug sein - in Absetzung gegen den allgemeinen Massengeschmack und gegen die »veraltete« Tonalität der Musik des Ostens. Punktuelle und serielle Musik, »Musique concrète« und elektronische Musik wurden zur Avantgarde der Nachkriegsjahre gekürt und verstießen aufgrund ihrer forcierten Inhaltslosigkeit gegen keine Ideologie.
 
Doch wie könnte eine musikalische Avantgarde, die ihrem Namen wirklich Ehre macht, aussehen? Jost Hermand zufolge gehört zu einer Avantgarde, welche den Fortschritt der Gesamtgesellschaft im Auge behält, dass sie die progressiven Intonationen ihrer eigenen Zeit aufgreift, wie das beispielsweise Beethoven in seiner »Sinfonia eroica«, Berlioz in seiner »Symphonie funèbre et triomphale« und Eisler in seiner »Deutschen Symphonie« getan haben. Die Frage ist, ob die progressiven Bewegungen unserer Zeit unter den Bedingungen des zunehmenden Auseinanderdriftens von stereotyper Kommerzialität und extremer Subjektivität überhaupt noch progressive Stimmen und Intonationen hervorbringen können. Ist eine Avantgarde-Musik in Sicht oder wenigstens denkbar, die nicht wie eh und je von gut 99,6 Prozent der Bevölkerung gar nicht gehört und beachtet wird?
 
Prof. Dr. Hartmut Möller
 
Literatur:
 
Dahlhaus, Carl: Schönberg und andere. Gesammelte Aufsätze zur Neuen Musik, Einleitung von Hans Oesch. Mainz u. a. 1978.
 Danuser, Hermann: Die Musik des 20. Jahrhunderts. Sonderausgabe Laaber 1996.
 Dibelius, Ulrich: Moderne Musik nach 1945. Erweiterte Neuausgabe. München u. a. 1998.
 Vogt, Hans: Neue Musik seit 1945, bearbeitet von Maja Bard u. a. Stuttgart 31982.
 Webern, Anton von: Der Weg zur neuen Musik, herausgegeben von Willi Reich. Neuausgabe Wien 1994.


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