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BERNHARD: DAS LITERARISCHE WERK UND DISTANZIERTE LEBEN DES ÖSTERREICHISCHEN SCHRIFTSTELLERS

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Bernhard: Das literarische Werk und distanzierte Leben des österreichischen Schriftstellers
 
Vom Tod her. ..
 
Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard starb am 12. Februar 1989 in Gmunden am Traunsee an den Folgen einer schweren Herzattacke. Dies war das Ende eines vierzigjährigen Kampfes mit der Krankheit, gegen Lungenleiden und Atemnot, verbunden mit schweren Operationen und langen Krankenhaus- und Sanatoriumsaufenthalten, wozu in der letzten Lebensdekade noch ein unheilbares Herzleiden kam. Es war dieser Sterbetag der Morgen nach dem vierzigsten Todestag des verehrten Großvaters, des Heimatschriftstellers Johannes Freumbichler, der dritte Tag nach Bernhards eigenem, achtundfünfzigstem Geburtstag.
 
Sein Tod wurde über sein Begräbnis am 16. Februar auf dem Grinzinger Friedhof in Wien hinaus geheim gehalten. Als der Rundfunk dann schließlich doch von Tod und erfolgter Bestattung berichtete, strömten Hunderte, vor allem Jugendliche, an das frische Grab. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf die über seinen Tod hinaus geradezu elektrisierende und die Massen mobilisierende Wirkung Bernhards. Es scheint, als suchte ein Publikum post mortem genauso insistierend die Nähe des Schriftstellers — und sei es nur in der Lektüre der zahlreichen »Bernhardiana«, also Erinnerungsbücher über den Autor —, wie umgekehrt Bernhard selbst zu Lebzeiten von einem überaus großen Distanzbedürfnis geleitet wurde. Es war dies ein Distanzbedürfnis, das Bernhard selbst gegenüber Weggefährten, Kollegen und Freunden zeit seines Lebens und in seiner letzten Zeit zunehmend an den Tag gelegt hat, die er sukzessive »in die Schranken gewiesen« und »vor den Kopf gestoßen« hat. Karl Ignaz Hennetmair, der Ohlsdorfer Vieh- und Immobilienhändler, der Bernhards Häuser in Ohlsdorf (Obernathal) und in Ottnang vermittelt hat, und der Held Moritz des Prosabandes Ja, Verfasser zweier Erinnerungsbücher, Bernhards »Eckermann«, und Gerhard Lampersberg, Herr des »Tonhofes« im Kärntner Maria Saal und zusammen mit seiner Gattin Maja Freund und Gastfreund Bernhards, der »einzige und wirkliche Freund« laut Widmung im frühen Gedichtband In hora mortis (1958), »negativer Held« schließlich in Holzfällen. Eine Erregung (1984), sind die wohl »prominentesten« Opfer dieses unfamiliären und harschen Grundzugs. »Erregung« (auch öffentlichen Ärgernisses) ist schließlich eine Konstante in Bernhards Leben, wovon der Band Sehr geehrte Redaktion, in dem die bedeutendsten »Skandale« und die entsprechenden Leserbriefcampagnen, offenen Briefe und Dossiers verbucht sind, beredtes Zeugnis ablegt. Abgesehen von direkterem literarischem Epigonentum, auch vielen »Nachdichtungen« und Parodien (wie sie etwa in dem von Jens Dittmar herausgegebenen Band Der Bernhardiner. Ein wilder Hund publiziert sind), wird Bernhards prägender Einfluss heute bis in den Wortschatz des österreichischen Alltagsjournalismus hinein spürbar: Wörter wie »Lebensmensch« für eine beispielgebende und richtungweisende Persönlichkeit der eigenen Biografie, »naturgemäß« oder die Wortfigur der »Gradatio« (Steigerung von Adjektiven) und der übermäßige Gebrauch von hyperbolischen Superlativen verdanken sich der Sprachkunst des »Übertreibungskünstlers« (W. Schmidt-Dengler). Der Höhepunkt der Österreich beschäftigenden und erregenden »Öffentlichkeitsarbeit« Bernhards war das Dramen-Auftragswerk Heldenplatz für das »Bedenkjahr« 1988 (50 Jahre nach dem »Anschluss« Österreichs an Hitlerdeutschland) für das Wiener Burgtheater unter dem Direktor und wichtigsten Bernhard-Regisseur Claus Peymann.
 
Abgesehen vom Stück selbst über ein intellektuelles jüdisches Brüderpaar und ihre politischen und privaten Verhältnisse, wirkte die öffentliche »Erregung« über das unpatriotische Stück mit den unzähligen Leserbriefen dafür und vor allem dagegen bereits wie sein letzter Akt, ein konsequenter, von Autor und Regisseur gleichsam verursachter und »mitgestalteter« Teil des Ereignisses. Eine indiskrete Vorausveröffentlichung des an sich zunächst geheim gehaltenen Textes machte die Angelegenheit schon lange vor der Uraufführung zum Skandal.
 
 »Meine Mutter hat mich weggegeben«
 
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, das literarische Werk und das politische Wirken Bernhards psychologisch monokausal aus einer Wurzel zu erklären. Und als der entscheidende Grund für seine — harmlos ausgedrückt — lebenslange »Unzufriedenheit« wurden gern fehlende Nestwärme und frühkindliche Defizite an Bezugspersonen, die Abwesenheit der Mutter vor allem, angeführt. Als Thomas Bernhard am 19. Februar 1931 als uneheliches Kind der Haushaltshilfe Herta Bernhard, der Tochter des Heimatdichters Johannes Freumbichler, und des Henndorfer Schreinergesellen Alois Zuckerstätter im niederländischen Herleen geboren wurde, verbrachte er Wochen, laut Selbstaussage ein Jahr, in einer »Aufbewahrungsanstalt« und verschiedenen Pflegeplätzen, bis er im Herbst 1931 zu seinen Großeltern, zu Anna Bernhard und Johannes Freumbichler, nach Wien gebracht wurde. Mit diesen übersiedelte er 1935 nach Seekirchen. Erst 1937 kam er zu seiner Mutter, nun verehelichte Fabjan, nach Traunstein und, nach einem Aufenthalt in einem NS-Erziehungsheim im thüringischen Saalfeld (»verschickt«), 1943 nach Salzburg, wo er die Hauptschule besuchte und in einem NS-Schülerheim wohnte, schließlich über einen Zwischenaufenthalt während des Umbruchs 1945 in Traunstein zurück nach Salzburg ins katholische Schülerheim »Johanneum«. Das humanistische Gymnasium verließ er sechzehnjährig, um eine Lehre in einem Lebensmittelgeschäft zu beginnen. 1976 begann Bernhard diesen Teil seiner »Frühgeschichte« in einer Reihe autobiografischer Bücher aufzuschreiben.
 
Sind diese autobiografischen Bücher auch im Einzelnen nicht authentisch — so ist etwa von einer Gärtnerlehre die Rede, die sich als Mystifikation herausgestellt hat —, so sind sie doch symptomatisch für die Weltsicht des Autors, der die Erziehung als unmenschliche Dressur, die Schulen, Heime und Internate als Zuchthäuser und Kerker beschrieb und vor allem immer wieder »nationalsozialistisch« und »katholisch« (»katholisch-nationalsozialistisch«) gleichsetzte — eine Gleichsetzung wegen der auf Hausordnung und Ordnung bedachten Präfekten und ihrer nicht selten personellen Identität in den Heimen vor und nach 1945. Von ganz wenigen Gestalten, Lichtgestalten, am Rande Stehenden, etwa einem behinderten Lehrer, abgesehen, erscheinen die Erzieher äußerst negativ (»vollkommene Übereinstimmung in den Züchtigungsmethoden«). Als Siebenjähriger dachte Bernhard bereits an Selbstmord, als Fünfzehnjähriger machte er, wie aus Tagebuchnotizen des Großvaters Johannes Freumbichler hervorgeht, einen Selbstmordversuch. Zur familiären Hölle mit seiner Mutter, die mit ihm nicht zurechtkam und ihn als Schwererziehbaren demütigte, kam das Inferno der Heime, vor allem des Krankenhauses und der »Heilstätte«, denen er sich ausliefern musste und die er als »Antiheilungs- und Menschenvernichtungsmaschine« bezeichnete.
 
Dabei ging es Bernhard darum zu zeigen, dass seine individuelle Krankheit nicht bloß das Unglück eines einfach Betroffenen und blindes Schicksal ist, sondern dass es eine systematische staatliche und kirchliche Verantwortung und Schuld an Einsamkeit, Krankheit und Tod gibt. Und das Jahr 1945 war ihm hierin absolut keine Zäsur. Sachlich ließe sich dagegen wohl manches einwenden, so ist die Gleichsetzung »katholisch-nationalsozialistisch« eine vergröbernde Lieblosigkeit gegenüber den (wenigen und doch zugleich relativ vielen) Gerechten (wie etwa Franz Jägerstätter), die gerade weil katholisch nicht nationalsozialistisch geworden sind und waren.
 
 »Außerdem fühl' ich mich über lange Zeit sowieso allein am wohlsten«
 
So handelt es sich auch bei den autobiografischen Werken vor allem um Kunstwerke, denen man die thematische Abwesenheit von zusätzlichen (positiveren) Aspekten und auch das insistierende Beharren auf generalisierenden und monomanisch verteidigten Positionen nicht als (ästhetisches) Manko anrechnen kann. Darum erscheinen auch viele Aversionen und auch angestrengte Gerichtsprozesse nicht nur bedenklich im Sinne der Freiheit der Kunst, sondern auch als Missverständnisse. »Die autobiografischen Erzählungen Thomas Bernhards sind fiktionale Texte« (Höller). Bernhard war in der österreichischen Kunstszene der große Einsame und Einzelgänger, wenn er auch immer wieder, jedenfalls in der früheren Zeit, Kontakt gesucht hat. Zu den besonderen Widersprüchlichkeiten gehört es auch, dass er trotz seines Staatsekels und seiner Politikerverdrossenheit in beiden »staatstragenden« Parteien vorübergehend Mitglied war. Wollten ihm aber Kollegen gegen Politiker wie einen Unterrichtsminister beistehen, der über ihn sagte, er werde »zunehmend zu einem Thema der Wissenschaft, wobei ich hier nicht allein die Literaturwissenschaft meine«, so wies er diese Hilfe schroff zurück und verbat sich derartige Solidaritäten. Und doch suchte auch er Nähe, kam auch er ohne die Hinwendung zu den anderen nicht aus — und sei es nur als Voraussetzung für seine mit einer Art Hassliebe schließlich vollzogenen Abwendungen und Distanzierungen. So auch in seinem Verhältnis zu den Frauen. Er hat weniger ihre Nähe, aber doch ihre Anwesenheit und Präsenz gesucht. Andererseits hat er sich frei gehalten und als Junggeselle seinem Einsamkeitsbedürfnis Vorrang eingeräumt. Anschluss und Aufnahme hat er bei meist vermögenden, oft adligen Damen oder Familien gefunden, bei denen er unangemeldet erscheinen und ohne Zwang bleiben oder gehen konnte. Über das Erotische sagte er später einmal in einem Interview, es habe für ihn nicht die allgemeine Bedeutung bekommen, weil er zu der Zeit, »da dies natürlich gewesen wäre«, immer krank und in Sanatorien gewesen sei. Über die Homosexualität machte er in dem »Skandalbuch« Holzfällen eine einschlägige »Andeutung«. Es bleibt eine nicht eindeutig zu beantwortende Frage, inwieweit ein gewisser Frauenhass, wie er aus seinen Büchern herauszulesen ist, wenn etwa in seinem Roman Kalkwerk ein »Gelehrter« seine gelähmte und an den Rollstuhl gefesselte Frau als Versuchsperson oder »Versuchsobjekt« für gewisse auditive Experimente nach der »Urbantschitschen Methode« gebraucht oder besser: missbraucht, indem er ihr unsinnige und quälende Sätze vorspricht, inwiefern ein solcher Frauenhass also mit ihm selbst zu tun hat. Dort Literatur und Fiktion und hier das eigentliche Leben? Dem Literarischen stehen einige äußerst frauenfreundliche Sätze in Interviews entgegen: So sagte Bernhard in einem Gespräch, drei Jahre vor seinem Tode: »Ein nützlicher Umgang war für mich nur der Umgang mit Frauen. Gelernt habe ich alles auch nur von Frauen — nach meinem Großvater.« Natürlich darf man die Literatur nicht wörtlich nehmen. Zugleich warnt der Bernhard-Biograf Hans Höller aber auch davor, sich auf Bernhards Selbstaussagen in Interviews zu sehr zu verlassen. Diese Interviews, etwa jene mit Christa Fleischmann, waren in der Tat nicht nur voller Widersprüche, sondern auch gespickt mit Maskeraden, Späßen und Mystifikationen. Zu Bernhards Verhältnis zu Frauen sagt Höller: »Man wird am besten auch diesen antipatriarchalischen Sätzen nicht ganz trauen und dem Autor ein gutes Stück an biografisch grundiertem Frauenhass lassen müssen.« Schließlich wurde ihm persönlich nach dem Tod des Großvaters die über 30 Jahre ältere Hedwig Stavianicek zum »Lebensmenschen«, deren Wiener Wohnung schließlich zu seiner eigenen und bevorzugten wurde. Und es entsprach seinem Willen, dass er nun mit ihr auch das Grab teilt.
 
Zu den Kindern der Nachbarn und der befreundeten Familien fand er laut Mitteilungen derer, die es erlebt haben, leicht Zugang. Für einen der Söhne des Ignaz Hennetmair stellte er sich sogar als Firmpate, als »Göd«, zur Verfügung. Er schlüpfte dabei vielleicht bewusst in die Rolle seines Großvaters, der ihn hat firmen lassen. Es gehört, den Zugang zu jungen Menschen betreffend, freilich zu den überall auftretenden Widersprüchlichkeiten in Bernhards Weltsicht, dass er in Gesprächen und Interviews wiederholt sehr pessimistisch gesagt hat, es habe gar keinen Sinn, mit »der heutigen Jugend« zu reden. Ausgehend von seinem eigenen Schicksal (so wie es sich ihm darstellte), sah er in den Kindern von Haus aus von »ahnungslosen Eltern« und »unmündigen Lehrern« verführte und verzogene Wesen, die freilich als Produkte ihrer Erziehung die Sünden, die man an ihnen begangen hat, unverzüglich selbst begehen. Sein Verhältnis zur Kirche war wohl anfangs eher positiv, jedenfalls mitgeprägt von der Geistigkeit, die er im Otto Müller-Verlag kennen gelernt hatte, wo eine Art christlicher Existenzialismus im Sinne des »Renouveau catholique« in Frankreich eine Rolle spielte und Namen wie Charles Péguy, Léon Bloix oder der österreichische Philosoph Ferdinand Ebner Bedeutung und Geltung hatten. Seine Haltung änderte sich freilich im Laufe der Zeit von positiv zu ambivalent bis zu ausgesprochen aversiv und negativ. Auf die Einladung des Residenz-Verlages, einen Beitrag für einen Almanach Meine Feinde zu schreiben, antwortete er, er habe so viele Feinde wie Österreich Einwohner hat, und gleich nach dem Staat nannte er an prominenter Stelle die Kirche. Ignaz Hennetmair berichtet schließlich in Weihnachten mit Thomas Bernhard darüber, wie Bernhard vergnügt die Bestätigung seines Kirchenaustrittes vom Briefträger in Empfang nahm und sagte, er wolle sich sofort zu seinem Trödler begeben und mit dem Geld, das er sich als Kirchenbeitrag nun erspart, ein wertvolles Kruzifix kaufen, was man immerhin noch im Sinne des Slogans: »Christus ja, Kirche nein!« verstehen könnte. Schließlich negierte Bernhard sogar das Grandiose und Ästhetische alter kirchlicher Architektur und bezeichnete die Stifte Österreichs, wie etwa Melk, als »Verschandelungen« der Landschaft, was sich mit der aparten Meinung anderer Intellektueller trifft, die den Stephansdom als eine Bausünde der Wiener Innenstadt ablehnen. Bernhard stand mit diesbezüglichen Äußerungen vielleicht tiefer, als man annimmt, in der Tradition der österreichischen Literatur, deren Grundzug ein spielerischer und unstillbarer Hang zum Unernst ist.
 
 »Wald, Hochwald, Holzfällen, das ist es immer gewesen. ..«
 
Ein besonderes Intimverhältnis hatte Bernhard zum ländlichen Raum und der bäuerlichen Architektur. Ähnlich viel wie seine Bücher haben ihm schließlich seine immerhin drei Häuser und zwei Wohnungen bedeutet. Mit dem Geld seines ersten Literaturpreises kaufte er sich 1964 einen heruntergekommenen Vierkanthof in Obernathal, Gemeinde Ohlsdorf, den er unter entschiedener eigener physischer Mitwirkung und Anstrengung renovierte und zu seinem Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt machte, wenn er auch später in persönlichen Krisen an einen Verkauf dachte. Hinzu kamen ein Haus auf dem Grasberg am Traunsee (»Krucka«) und schließlich ein »Beunthaus«, das heißt Kleinhäuslerhaus in Ottnang (»Haunspäuln«). »Hier schloss er sich ein, um zu schreiben, und von hier flüchtete er — in den letzten Jahren immer häufiger in die von ihm geliebte Mediterranee. Doch regelmäßig kehrte er stets nach wenigen Wochen oder Monaten in die Welt seiner Häuser zurück, und bis zuletzt lag ihm die Perfektion ihrer Einrichtung am Herzen«, heißt es in der Ankündigung des Buches Thomas Bernhards Häuser von Wieland und Erika Schmied. Wieland Schmied beschreibt dort in einem Essay als Vertrauter und Nachbar Bernhards dessen geradezu erotisches Verhältnis zu Häusern und Möbeln, was auch Hennetmairs Mitteilungen über viele gemeinsame Besuche bei Antiquitätenhändlern ergänzt. »Bernhards »häusliche« Existenz nimmt sich. .. beinahe so vielschichtig und bedeutungsgeladen aus wie seine literarische Welt« (Höller). Da er sozusagen von ganz unten kam, hat ihm der gesellschaftliche Aufstieg, der sich etwa auch in erlesenem Schuhwerk (den berühmten in Portugal maßgeschneiderten Schuhen) oder in der schlichten Loden-und-Leinen-Eleganz, aber auch in den Lederhosen und Gummistiefeln des »Landadligen« ausdrückte, viel bedeutet. So wäre er von seinem Äußeren her sicher auch in Bad Aussee oder Bad Ischl nicht aufgefallen. ..
 
Abgesehen von solchen Beiläufigkeiten und Anekdotischem, wie es freilich in Österreich eine nicht wenig bedeutsame Rolle spielt, drückt sich in alledem eine auch für Bernhards Bücher wichtige thematische Hinwendung zu Österreich aus. Er hat es sich schließlich selbst als Vorzug angerechnet, dass er von Österreich geschrieben habe, was sich in Ortsnamen wie »Ungenach« oder »Lend« oder »Aurach« ausdrückt, während »die Herren Kollegen« mit Romanhelden namens »Jimmy« oder »John« mondän getan haben, wobei sich aber gerade in Umkehrung der scheinbaren Prioritäten die Letzteren als die provinziellen Schriftsteller herausgestellt hätten, so weltläufig sie sich auch hätten geben und tarnen wollen. Bernhard, dessen Werk auch in viele Sprachen übersetzt wurde, hat sich dagegen tatsächlich als der eigentliche und einzige österreichische Gegenwartsautor von weltliterarischem Rang herausgestellt. Sicher aber war Bernhards »Entdeckung Österreichs« schulbildend und hat einer ganzen Generation von jüngeren Autoren Mut zum Eigenen gemacht, wenn auch Bernhard selbst wiederholt sein Missfallen an jenen Autoren und Büchern, ihren »gestohlenen« Schreibmethoden zum Ausdruck brachte. »Eine Figur redet und redet, die andere registriert und reflektiert die Monologe. Eine Figur hinterlässt ihre Aufzeichnungen, die andere setzt sich kommentierend mit den nachgelassenen Schriften auseinander«, wie Höller diese Methode von Frost und späteren Werken kennzeichnet. Mir hat der verstorbene Residenz-Verleger Wolfgang Schaffler erzählt, dass Bernhard ihn einmal Anfang der 70er-Jahre an einem Heiligen Abend (!) angerufen und dezidiert verlangt habe, dass er einige seiner Epigonen aus dem Programm nehmen müsse, wenn ihm weiterhin an ihm gelegen sei.
 
 Das literarische Schaffen
 
Nach zwei kleinen Gedichtbändchen im Otto Müller Verlag, Auf der Erde und in der Hölle (1957) und dem erwähnten In hora mortis, sowie Unter dem Eisen des Mondes bei Kiepenheuer und Witsch in Köln, journalistischen Arbeiten als Gerichtssaalreporter für das Demokratische Volksblatt (ab 1952) sowie verstreut publizierten, in ihrer Grundstimmung positiven, das Salzburger Land preisenden Erzählungen fand Bernhard 1963 mit dem Roman Frost zu seinen eigentlichen Themen, seinem Stil und seiner Weltsicht. Schlagartig wurde er mit diesem Werk berühmt. Ausführliche und hymnische Besprechungen erschienen, etwa von Carl Zuckmayr oder Ingeborg Bachmann, die schrieb, nun sei deutlich geworden, wie der neue österreichische Roman, auf den man gewartet habe, aussehe, später, nach dem zweiten großen Roman Die Verstörung, eine von dem jüngeren, damals aber als Senkrechtstarter schon berühmteren Peter Handke. So ist ihm in gewisser Weise gelungen, was er sich mit Frost vorgesetzt hatte: »die Welt zu erobern«. Inhaltlich geht es in diesem Roman darum, dass ein junger Mediziner im Auftrag eines Dozenten am Krankenhaus in Schwarzach (!) dessen Bruder in Weng, den Maler Strauch, besucht, um mit medizinischer Absicht über ihn schreibend zu berichten. Personenkonstellation, Erzählsituation, Erzählhorizont und Interesse werden in fast allen späteren Prosaarbeiten und Romanen in ähnlicher Form wiederkehren, was dann auch den Kritikervorwurf der Obsession und des Monomanischen provozierte.
 
Typisch und symptomatisch, auch biografisch motiviert durch den Halbbruder Peter Fabjan, der Arzt ist, erscheint auch die Pathologensicht auf die Dinge. In anderen Romanen sind es Wissenschaftler anderer Sparten, die durch ihren Zugriff auf die Wirklichkeit diese strukturieren. So steht einer dunklen, amorphen und dumpfen Weltschmerzstimmung ein klares Strukturkonzept gegenüber, das rational und kontrolliert erscheint, als würde einem Expressionismus mit einer Art Neuen Sachlichkeit begegnet. Darum führt das Diffuse nicht in die Konfusion, sondern in eine neue Helligkeit und hellsichtige Klarheit.
 
Fünfzehn Jahre lang, von 1963 bis zu seinem Tod, schrieb und veröffentlichte er jährlich Romane, mit einer gewissen Verzögerung auch Dramen, die die literarische Öffentlichkeit weniger durch thematische oder stilistische Innovationen als eher durch die Perfektionierung der ihm eigenen Ausdruckskunst überraschten.
 
Bernhards 18 Dramen (neben den sieben Dramoletten in Der deutsche Mittagstisch), beginnend mit Ein Fest für Boris (Uraufführung 1970 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg durch Claus Peymann) bis zu Heldenplatz (Uraufführung 1988, Burgtheater Wien), bringen einerseits Künstler auf die Bühne (Die Macht der Gewohnheit, Der Schein trügt und Einfach kompliziert), andererseits hoch gestellte Persönlichkeiten aus dem Gesellschaftsleben bzw. Cliquen oder Eliten. Das niedere Volk (Diener, Köchinnen, Masseure, Briefträger) spielt eine wichtige, buchstäblich aber untergeordnete Rolle. Die Herrschaften in den Gesellschaftssatiren, zu denen man die Stücke Ein Fest für Boris, Der Präsident, Vor dem Ruhestand, Die Jagdgesellschaft, Die Berühmten, Am Ziel, Über allen Gipfeln ist Ruh (zugleich auch Künstlerdrama), Der Weltverbesserer und Elisabeth II. rechnet, sind zum Personal meist herablassend, oft schikanös oder ausgesprochen boshaft, ohne dass das Soziale in einem vordergründigen ideologischen Sinn zum Thema gemacht würde. Schon in Ein Fest für Boris wird freilich die Güte der Guten (das Stück hieß ursprünglich Die Gute) in einer bitteren Satire als eine Perversion von Mildtätigkeit und Barmherzigkeit entlarvt. Der Krüppel Boris, für den das Fest ausgerichtet wird, bei dem er schließlich unter dem zynischen Gelächter seiner Gönnerin stirbt, erscheint wie als Ware benützt und missbraucht. Man spricht in diesem Zusammenhang gern von »repressiver Toleranz«. Abgesehen von der Moral des Stückes werden hier bereits immer wiederkehrende dramaturgische Situationen und Konstellationen sichtbar: Immer wird auch später an Tischen gesessen, gegessen und getrunken, auf- und abgegangen. Wie die Akteure treten sozusagen die Dramen meist auf der Stelle, ein Zug, der sie auch mit Bernhards Rollenprosa-Romanen verbindet. Man hat diesen Umstand der »Hörspielhaftigkeit« oft kritisiert, wie man andererseits Claus Peymann für seine Regie, die mit diesem Minimum an Aktion im Kleinräumigen und Gestischen viel Abwechslung und Bewegung zustande gebracht hat, häufig lobte. Die Kritik übersieht und unterschätzt meist die Brillanz und den Einfallsreichtum des Rhetorischen an den Großen und »Großsprechern«, den Künstlern, Präsidenten und Professoren, die - wie am Erfolg der Stücke beim Publikum ersichtlich - keine Langeweile aufkommen lassen. Außerdem münden die Stücke oft in einen pointenhaften Schluss und überraschen durch einen »starken Abgang«. So wird etwa im Stück Immanuel Kant (Uraufführung 1979, Staatstheater Stuttgart) Kant, der mit dem Schiff nach Amerika fährt, um eine Ehrendoktorwürde in Empfang zu nehmen, und die Gelegenheit dieser Auszeichnung nützen will, um sein Augenleiden behandeln zu lassen, im Hafen nicht wie erwartet von der Honorarkommission der Columbia-Universität begrüßt, sondern von den Irrenhauswärtern in Empfang genommen! In Elisabeth II. stürzt die feine Gesellschaft, die vom Balkon des Stadtpalais auf den Konvoi der staatsbesuchenden Königin hinunterschauen will, samt dem morschen Balkon in die Tiefe! Andere Dramenschlüsse sind weniger spektakulär, wenn auch oft gerade in ihrer gespielten Harmlosigkeit verblüffend: So endet etwa das Stück Über allen Gipfeln ist Ruh (Uraufführung 1982 bei den Ludwigsburger Festspielen durch das Schauspielhaus Bochum unter der Regie von Alfred Kirchner), eine Serie von elf Szenen, in denen der selbstgefällige Dichter Moritz Meister, der eben sein Lebenswerk, eine »Tetralogie«, vollendet hat, mit seinen Bewunderern, seiner Gattin, einer Doktorandin aus Heidelberg, einem Journalisten der FAZ und schließlich seinem Verleger spricht und sich von ihnen anhimmeln lässt, damit, dass er seinen Verehrern eine Privatlesung aus der Tetralogie schenkt. Diese Lesung entlarvt im referierenden Jargon des Klappentextes Meisters Hauptwerk als Machwerk. Durch das Werk insgesamt zieht sich eine monumentale, ja monströse Verspottung von Literaturkritik, Literaturwissenschaft und Germanistik, die Bernhard auch in vielen Gesprächen und Interviews mit viel Häme bedacht hat. Alle Stücke sind reich an Anspielungen auf wirkliche Personen und Ortschaften. Gerade die vorkommenden Städte haben sich, da meist sehr negativ denunziert (wie etwa Dinkelsbühl in Minetti oder Augsburg in Die Macht der Gewohnheit), oft irritiert und beleidigt zu Wort gemeldet. Bernhard schonte sich in diesem Spiel der Masken freilich auch selbst nicht. So spielt in Der Präsident, einem Stück, das von einem größenwahnsinnigen Staatspräsidenten handelt, ein Kaplan eine zwielichtige Rolle, von dem es heißt, dass er aus ärmsten Verhältnissen komme und bei Pflegeeltern in Rotterdam auf einem Fischkutter in einer Hängematte gelegen sei, was unverkennbar auf Bernhards eigene Herkunft hindeutet. Selbstironie und Eigenpersiflagen sind in den an Skurrilitäten, Bizarrerien und Absurditäten reichen Stücken überall präsent. Man darf auch wie vom »Kafka-Humor« nun vom »Bernhard-Humor« sprechen. Bernhard selbst hat seine Nähe als Dramatiker zu Ferdinand Raimund und Johann Nestroy betont, er steht aber natürlich auch in einem eindeutig feststellbaren Verhältnis zum modernen internationalen Theater, vor allem zum absurden Theater, dem epischen Theater, dem Theater der (seelischen) Grausamkeit (nicht umsonst ist vor allem in Minetti und auch sonst von Lear und überhaupt Shakespeare oft die Rede) und ganz besonders zum Lachtheater (Commedia dell'Arte), einem spezifisch österreichischen Possentheater. Dabei ist es aber auch bezeichnend, dass Bernhard seinem Lieblingsschauspieler Bernhard Minetti wie auch sonst deutschen Schauspielern Rollen »auf den Leib geschrieben« hat, nicht aber den österreichischen »Publikumslieblingen«.
 
Den künstlerischen Höhepunkt hatte Bernhard wohl schon 1970 im Roman Kalkwerk erreicht, während in den immer umfangreicher werdenden späteren Romanen nicht nur eine allmählich ermüdende Inflation an Schwärze und Depression, sondern auch eine gewisse Routine die Lektüre nicht leichter, sondern mühsamer machen.
 
Bezeichnend ist vielleicht in diesem Zusammenhang, dass Bernhard mit der Publikation der frühen Prosa In der Höhe (Salzburg 1989), nach den erwähnten autobiografischen »Erzählungen«, den Romanen und den Theaterstücken, schließlich selbst den Blick wieder auf das unvermitteltere, brüchigere, aphoristischere Erzählen des Anfangs lenkt (ähnlich etwa wie in Amras), das »unschuldiger« und »hilfloser« wirkt und mit dem Schweren schwerer zurecht und zurande kommt. Ist ihm das Schwere in der Korrektur oder in der Auslöschung schon zu leicht gefallen? Es ist auch bezeugt, dass er neben mancher selbstironischen Äußerung, etwa dergestalt, dass er ein »Humorist« sei, am Ernst etwa von Amras (1964) festgehalten und das dort praktizierte dissonantere und disparatere Erzählen in der Nachbarschaft des Novalis höher eingeschätzt hat. Vielleicht hat aber darin auch der Lyriker, zu dem er sich von Haus aus bestimmt und »berufen« fühlte, über den abgefallenen Lyriker, den Prosaisten, geurteilt.
 
Alois Brandstetter
 
Literatur:
 
Hans Höller: Thomas Bernhard. Reinbek 26.-28. Tsd. 1998.
 Rudolf Brändle: Zeugenfreundschaft. Erinnerungen an Thomas Bernhard. Salzburg 1999.


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