Значение слова "EUROPA: EXPANSION UND SELBSTZERSTÖRUNG IM 20. JAHRHUNDERT" найдено в 1 источнике

EUROPA: EXPANSION UND SELBSTZERSTÖRUNG IM 20. JAHRHUNDERT

найдено в "Universal-Lexicon"

Europa: Expansion und Selbstzerstörung im 20. Jahrhundert
 
In einer 1900 erschienenen Betrachtung des neuen Jahrhunderts zeichnete der Historiker Max Lenz ein überaus optimistisches Bild der politischen und gesellschaftlichen Ordnung im deutschen Kaiserreich. Mit der Errichtung des nationalen Machtstaats unter Bismarck und dem gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahrzehnte seien die Dinge herrlich weit gediehen. Das Weltstaatensystem, das sich anstelle des europäischen Mächtesystems herausgebildet habe, verspreche, ungeachtet der fortbestehenden Rivalitäten der Großmächte, politische und gesellschaftliche Stabilität. Die Untergangsszenarios der Sozialdemokratie, die den Zusammenbruch der kapitalistischen Weltordnung prophezeiten, würden jeglicher Grundlage entbehren.
 
In der Tat hatte die wirtschaftliche Entwicklung im Deutschen Reich und in den benachbarten Ländern Europas, besonders aber in den Vereinigten Staaten von Amerika, seit 1893 dramatische Fortschritte gemacht. Die »zweite industrielle Revolution«, die von den neuen Sektoren Elektrotechnik und Chemie getragen wurde, zugleich aber mit einem Umbruch in der Nachrichtentechnik und einer ungeheuren Verfeinerung im Maschinenbau einherging, löste ein weltweites Wirtschaftswachstum aus, das den Lebensstandard in den westlichen Industriestaaten nachhaltig erhöhte. Die hier durchgängig praktizierte Goldwährung garantierte zudem ein hohes Maß der Währungsstabilität und -konvertabilität; Kapitalexporte großen Stils förderten gleichfalls die Herausbildung eines Wirtschaftssystems, das nach und nach alle Regionen des Erdballs in seinen Geltungsbereich einbezog.
 
Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund und gewissermaßen auf dem Rücken der europäischen Expansion. Anfang der Neunzigerjahre war Europa in die letzte Phase des Hochimperialismus eingetreten, die auf die Arrondierung der bereits bestehenden Weltreiche zielte. Jetzt griffen auch jene Länder nach Übersee aus, die sich bisher - wie das Deutsche Reich, Italien und die Vereinigten Staaten - im Wettrennen um Territorien weitgehend zurückgehalten hatten. Die wachsenden imperialistischen Rivalitäten der europäischen Großmächte führten zu einem überbordenden Nationalismus, zu weltweitem Wettrüsten und zu immer schärfer werdenden Spannungen in der internationalen Politik, ungeachtet der zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit im wirtschaftlichen Gefüge. Am Ende dieses Prozesses stand 1914 der Erste Weltkrieg, der sich, obschon durch traditionelle mächtepolitische Konflikte geringeren Ranges ausgelöst, sogleich in einen imperialistischen Krieg verwandelte, in den Europa, Japan und seit 1917 auch die USA verwickelt waren.
 
Die »Urkatastrophe« des Ersten Weltkriegs führte dazu, dass Europa seine Vorrangstellung in der Welt verlor und die Vereinigten Staaten zur Vormacht der westlichen Welt aufstiegen. Der Versuch des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, auf der Pariser Friedenskonferenz eine Neuordnung Europas auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker herbeizuführen und mit der Gründung des Völkerbundes ein neues Instrument der internationalen Politik zu schaffen, durch das Kriege hinfort verhindert werden sollten, gelangte freilich über hoffnungsvolle Ansätze nicht hinaus - nicht zuletzt deshalb, weil die USA sich schon 1919 wieder auf eine Position des strengen Isolationismus zurückzogen. Vielmehr bildete die Zertrümmerung der überkommenen gesellschaftlichen Zustände und die heillose Zerrüttung der Wirtschaft Europas einen günstigen Nährboden für den Aufstieg extremer politischer Ideologien: Die demokratische Grundordnung, auf der die meisten europäischen Staaten nach 1918 zunächst fußten, machte in den Zwanzigerjahren vielerorts autoritären Diktaturen Platz - in Ungarn, Jugoslawien, Polen, Portugal und Österreich. In Italien konnte sich der Faschismus etablieren, in Deutschland gelang es Adolf Hitler 1933, mit Unterstützung der traditionellen Führungseliten die Macht zu übernehmen.
 
Der Verlust der Weltstellung Europas wurde in begrenztem Umfang durch eine ungewöhnliche kulturelle Kreativität in der Zwischenkriegszeit wettgemacht. Begünstigt durch die Zuwanderung von Künstlern und Intellektuellen aus Osteuropa oder den Vereinigten Staaten, die von den europäischen Metropolen - insbesondere von Berlin, Paris, Wien und Prag - angezogen wurden, bildete sich ein ausgeprägt individualistisches Kulturleben von zunehmend internationalem Zuschnitt aus. Die Architektur des Bauhauses, das neue künstlerische Medium des Films, das avantgardistische Theater, die bildende Kunst und die Literatur wurden zu Kraftquellen einer neuen postbürgerlichen Kultur, die freilich von großen Teilen der Gesellschaft als unnational bekämpft wurde.
 
In mancher Hinsicht waren die Zwanzigerjahre die goldene Periode des Kolonialismus; die überseeischen Besitzungen begannen nun vielfach stattliche Gewinne für das jeweilige Mutterland abzuwerfen. Zugleich kam es aber auch zu ersten Schritten, die den bisher abhängigen Territorien Souveränität gewährten: Das britische Weltreich wurde in ein Commonwealth of Nations umgewandelt, die weißen Dominions erhielten fast uneingeschränkte Selbstständigkeit unter der britischen Krone. In Afrika hingegen änderte sich fast überhaupt nichts. Der Nahe Osten wurde unter die Siegermächte des Ersten Weltkriegs aufgeteilt; die dort entstandenen Staatsgebilde - einschließlich des »Jewish National Home« im arabischen Palästina, aus dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Staat Israel entwickeln sollte - verursachten seither schwere internationale Konflikte. Die Erfolge des japanischen Imperialismus waren dagegen nur möglich, weil Russland wegen seiner inneren Probleme vorerst als ernsthafter Gegenspieler ausgefallen war.
 
Im Oktober 1917 war es den Bolschewiki, einer Minderheitenfraktion der russischen Sozialisten, unter der entschlossenen Führung Lenins und Trotzkijs gelungen, ihre Kontrahenten im Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat auszumanövrieren und die Macht im ganzen Land zu übernehmen. Die Konsolidierung ihrer Herrschaft im Kampf mit den weißrussischen Armeen und ihren Gegenspielern im Inneren führte zu langen, mit großer Brutalität geführten Auseinandersetzungen. Unter Lenins Nachfolger Stalin verwandelte sich das bolschewistische Regime der Sowjetunion dann vollends in eine Terrorherrschaft von unvorstellbarem Ausmaß, die in der Vernichtung von sieben Millionen russischer und ukrainischer Kleinbauern, der Kulaken, und der brutalen »Säuberung« der Partei, der Verwaltung und der Armee von allen angeblich unzuverlässigen »Elementen« gipfelte.
 
Viele Intellektuelle waren davon überzeugt, dass mit dem Sieg des Marxismus-Leninismus in Russland eine neue Ära der Geschichte begonnen habe. Der Aufbau des »Sozialismus in einem Lande« - auf diese Parole hatte Lenin das bolschewistische Programm zurückgenommen, nachdem sich die anfängliche Erwartung einer Weltrevolution als illusorisch erwiesen hatte - entpuppte sich freilich als beschwerlicher, opferreicher Prozess. Dagegen wurde die ideologische Polarisierung durch den Aufstieg der faschistischen Bewegungen erleichtert, indem diese sich den bürgerlichen Schichten als die einzige Kraft empfahlen, welche die Flutwelle des »asiatischen« Bolschewismus noch werde aufhalten können. So versprach etwa der Nationalsozialismus den Mittelschichten und den Bauern, die sich durch das rapide Voranschreiten des industriellen Systems in ihrer Existenz bedroht fühlten, die Rückkehr zu einer organisch gegliederten Gesellschaft, der »Volksgemeinschaft«, die sie gegen die Übermacht des großen Kapitals ebenso schützen werde wie gegen den Kommunismus. An die Stelle des angeblich sterilen Parteienkampfs setzten die Nationalsozialisten eine autoritäre Staatsordnung, in der die Verantwortung großen, kraft natürlicher Auslese zur Macht gelangten Führern zustehen sollte. Dass Hitler kaum verhohlen die restlose Beseitigung der Pariser Friedensverträge und die Eroberung Europas anstrebte, bedeutete Krieg, sobald die nationalsozialistische Macht im Inneren stabilisiert und die Wiederaufrüstung durchgeführt war.
 
Der Zweite Weltkrieg, den Deutschlands Angriff auf Polen im September 1939 auslöste und in den nach und nach alle bedeutenderen Staaten der Erde hineingezogen wurden, entwickelte sich zu einer Weltkatastrophe von einem bislang in der Geschichte unbekannten Ausmaß. Er wurde von Hitler von vornherein nicht nur als ein totaler Krieg, sondern auch als ein »Rassenkrieg« geführt, der mit der physischen Auslöschung ganzer Völker einherging, vor allem nach dem Angriff auf die UdSSR 1941. Insbesondere kam nun die gigantische Mordmaschinerie des Holocaust in Gang, der nicht weniger als zwei Millionen russischer Kriegsgefangener und fünf Millionen europäischer Juden zum Opfer fielen. Der Krieg im fernen Osten, 1941 mit dem überraschenden Angriff Japans auf Pearl Harbor eröffnet, wurde mit kaum geringerer Erbitterung geführt und endete erst mit dem Abwurf der ersten beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945.
 
Mitteleuropa lag bei Kriegsende in Trümmern; weithin herrschte unvorstellbare Not. Die Siegermächte waren sich nur in einem Punkt wirklich einig: Ein Wiedererstehen des Nationalsozialismus müsse unter allen Umständen verhindert werden. Über die Wege, die man gehen müsse, um nun auch den Frieden zu gewinnen, gingen die Meinungen der UdSSR und der Westmächte aber schon bald immer weiter auseinander. Da die ostmitteleuropäischen Staaten - mit Ausnahme von Finnland und Österreich - unter maßgeblicher Beteiligung der sowjetischen Besatzungsmacht in kommunistisch kontrollierte »Volksdemokratien« umgewandelt wurden, wuchs die Besorgnis der Westmächte im ersten Jahrzehnt nach 1945 ständig, dass die UdSSR nicht mehr und nicht weniger beabsichtige als die schrittweise Sowjetisierung aller ihr erreichbaren Regionen des Erdballs. Auch die Errichtung einer kommunistischen Volksrepublik in China unter Mao Zedong alarmierte 1949 die amerikanische Politik. Nun setzte sich der Gedanke eines zügigen Wiederaufbaus Westeuropas durch, um der drohenden kommunistischen Infiltration zu begegnen und der UdSSR ein festes Bollwerk freiheitlicher Politik entgegenzusetzen. Unter solchen Umständen kam es 1949 zur Gründung eines eigenständigen deutschen Weststaates, der Bundesrepublik Deutschland; wenige Monate später entstand in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik.
 
Seinen Höhepunkt erreichte der »Kalte Krieg« zwischen den beiden Supermächten 1950 mit dem Koreakrieg. Im Windschatten dieses weltpolitischen Konflikts kam es in Westeuropa zu einer systematischen Rekonstruktion der kapitalistischen Marktwirtschaft und eine Stärkung der hier wiedererstandenen parlamentarischen Regierungssysteme. Dass die Alliierten der Bundesrepublik volle Souveränität gewährten und ihre Wiederaufrüstung erlaubten, wurde freilich erst durch die unter Konrad Adenauer vollzogene konsequente Westbindung der westdeutschen Politik ermöglicht, die im Deutschlandvertrag vereinbart und durch die Gründung der Europäischen Gemeinschaft in den Römischen Verträgen zusätzlich verankert wurde. Ein Bündel wirtschaftlicher Maßnahmen, darunter der Marshallplan, flankierte diese Politik und leitete seit Mitte der Fünfzigerjahre einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung ein, den man gemeinhin als »Wirtschaftswunder« bezeichnet.
 
Die Systeme des »realen Sozialismus«, die unter dem Schutz der UdSSR schrittweise in den osteuropäischen Ländern errichtet wurden, taten sich erheblich schwerer. Erst nachdem mit dem Scheitern der Volksaufstände in der DDR 1953 und in Ungarn 1956 klar geworden war, dass vom Westen tatkräftige Hilfe - geschweige denn ein militärisches Eingreifen - nicht zu erwarten stand, stabilisierten sich die Verhältnisse; hierzu trug auch die Abschnürung der Warschauer-Pakt-Staaten vom Westen bei, insbesondere der Bau der »Mauer« in Berlin. Infolge der Entspannungspolitik, die nach der Kubakrise von 1962 einsetzte, ließ sich die Kenntnis westlicher Lebensideale und Maßstäbe aber immer weniger eindämmen. Unter Michail Gorbatschow wagte es die UdSSR seit Mitte der Achtzigerjahre dann nicht mehr, ihre langsam wegbrechenden Satellitenstaaten mit Gewalt in ihrer Botmäßigkeit zu halten: Der Zusammenbruch des sowjetischen Systems, der 1990 auch die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nach sich zog, und die Auflösung der UdSSR 1991 waren nur noch eine Frage der Zeit.
 
Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg hatten auch weit reichende Auswirkungen auf die »Dritte Welt«. Als Indien 1947 seine Unabhängigkeit erlangte, begann ein Prozess, an dessen Ende nahezu alle Völker der Dritten Welt ihre Kolonialherren abwarfen. Dabei spielten auch die nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufenen Vereinten Nationen als Vermittler im Nord-Süd-Konflikt eine bedeutsame Rolle. Die Rivalität der beiden Supermächte, die sich gleichermaßen um die Gefolgschaft der jungen Nationen der Dritten Welt bemühten, trug ebenfalls dazu bei, die Dekolonisation voranzutreiben. Nach dem Fiasko der britisch-französischen Intervention gegen die Verstaatlichung des Suezkanals durch Ägypten 1956 ging es nur noch darum, wie schnell man die ehemaligen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen könne. Dies ging allerdings nicht immer ohne schwere Krisen und Katastrophen ab: In Vietnam etwa verwickelte die amerikanische Hilfeleistung zur Wiederherstellung der französischen Herrschaft in Indochina die USA in einen der langwierigsten Kriege des 20. Jahrhunderts.
 
Prof. Dr. Wolfgang J. Mommsen
 
Literatur:
 
Geschichte des privaten Lebens, herausgegeben von Philippe Ariès und Georges Duby. Band 5: Vom Ersten Weltkrieg zur Gegenwart. Aus dem Französischen. NeudruckFrankfurt am Main 1995.
 Hobsbawm, Eric J.: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aus dem Englischen. Taschenbuchausgabe München 1998.
 
100 Deutsche Jahre, herausgegeben von Thomas Fischer und Rainer Wirz. München 1998.
 Krockow, Christian Graf von: Die Deutschen in ihrem Jahrhundert. 1890—1990. Reinbek 1997.
 Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1997.
 Schöllgen, Gregor: Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow. 1941—1991. München 1996.
 Schwarz, Hans-Peter: Das Gesicht des Jahrhunderts. Monster, Retter und Mediokritäten. Berlin 1998.
 Weinrich, Harald: Lethe — Kunst und Kritik des Vergessens. München 21997.


T: 48