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DRITTE WELT: WIRTSCHAFTLICHE AUSEINANDERENTWICKLUNG UND DEMOKRATISIERUNG

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Dritte Welt: Wirtschaftliche Auseinanderentwicklung und Demokratisierung
 
Die Achtzigerjahre waren von vielfältigen, regional unterschiedlichen Entwicklungen in der Dritten Welt gekennzeichnet. Wirtschaftlich konnten einige Staaten eine beachtliche Aufwärtsentwicklung verzeichnen, die meisten verharrten jedoch auf der Stelle und etliche machten sogar Rückschritte. »Verschuldungskrise« und »Tigerstaaten« stehen als Schlagwörter für gänzlich unterschiedliche Entwicklungstendenzen, die die weitere Verwendung des Begriffs »Dritte Welt«, der für viele eine gewisse Einheitlichkeit der mit ihm bezeichneten Länder voraussetzt, zweifelhaft erscheinen ließen. Politisch stand dieses Jahrzehnt im Zeichen der »dritten Demokratisierungswelle«, die ihren regionalen Schwerpunkt in Lateinamerika hatte.
 
 Tigerländer und Schuldenkrise
 
Mexiko musste 1982 seine Unfähigkeit zur Zahlung der Zinsen auf seine Auslandsschulden erklären. Die Verschuldungskrise erfasste bald weite Teile Lateinamerikas, Afrikas und Südasiens. Nur mittels des Schuldenmanagements des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der auf Initiative der USA begonnenen Entschuldung — 1985 legte der damalige amerikanische Finanzminister James A.Baker, drei Jahre später sein Nachfolger Nicholas F. Brady einen entsprechenden Plan vor — konnten globale finanzpolitische Wirren vermieden und gewisse Entlastungen der Schuldnerländer erreicht werden. Die Dekade wurde so für die meisten Staaten in Afrika und Lateinamerika in entwicklungspolitischer Hinsicht zum »verlorenen Jahrzehnt«. In Ost- und Südostasien hingegen nahmen einige Länder, die von der Verschuldungskrise verschont blieben, eine rasante ökonomische Entwicklung. Bald war für die Staaten der ersten Welle — Hongkong, Singapur, Süd-Korea und Taiwan — die griffige Bezeichnung »Tigerstaaten« gefunden. Ihnen sollten später weitere Staaten wie Indonesien, Malaysia und Thailand folgen.
 
Auf dem Feld der internationalen Politik hatte diese Entwicklung zur Folge, dass — nachdem die Entwicklungsländer in den Siebzigerjahren in den Nord-Süd-Beziehungen einen Bedeutungszuwachs erlangt hatten — die eindeutige Dominanz der Industrieländer wiederhergestellt wurde. Das schlug sich auch in einem Wandel des ökonomischen Zeitgeistes nieder. In den Siebzigerjahren betrachtete man die Entwicklungsproblematik vorderhand unter strukturpolitischen Gesichtspunkten. Dementsprechend hatte die Forderung nach einer neuen, gerechteren Weltwirtschaftsordnung auf der Tagesordnung der Nord-Süd-Konferenzen gestanden, hatten in den Vereinten Nationen Proklamationen über wirtschaftliche Rechte und Pflichten von Staaten verabschiedet werden können, die den Interessen der südlichen Länder entgegenkamen, und war hoffnungsvoll auf staatsinterventionistische und nicht kapitalistische Entwicklungsexperimente und -modelle in der Dritten Welt geblickt worden. Nun triumphierte der Neoliberalismus, der im freien Spiel der Kräfte den Königsweg zu Wachstum, Modernisierung und Wohlstand sieht. Vordenker dieser Renaissance des Wirtschaftsliberalismus war der amerikanische Ökonomieprofessor Milton Friedman, dessen Lehren sich zunächst die chilenischen Wirtschaftsreformer in der Diktatur des Generals Augusto Pinochet Ugarte zu Eigen machten, später dann die britische Premierministerin Margaret Thatcher und der amerikanische Präsident Ronald Reagan. Angesichts der Verschuldungskrise und des Scheiterns der bisherigen Entwicklungsstrategie der Industrialisierung, die Importe überflüssig machen sollte, sprang der Neoliberalismus im Gefolge der Strukturanpassungspolitik, die Weltbank und IWF zur Überwindung der Wirtschaftskrise in den Entwicklungsländern propagierten, auf viele Staaten der Dritten Welt über. Ihnen blieb oft nichts anderes übrig, als die umstrittenen Strukturanpassungsprogramme zu akzeptieren, da von ihrer Durchführung die Bereitstellung von Krediten und Umschuldungsmaßnahmen abhängig gemacht wurde.
 
Ursachen der Verschuldungskrise
 
Die lange Aufschwungphase der Industrieländer nach dem Zweiten Weltkrieg und der neue Reichtum der Ölstaaten hatten in den Siebzigerjahren zu einer großen anlagesuchenden Geldmenge auf dem internationalen Kapitalmarkt geführt. Veränderungen im internationalen Bankwesen bewirkten, dass Offshore-Banken ebenfalls auf den Kapitalmarkt drängten. Der enorm gewachsene Konkurrenzdruck führte dazu, dass bisherige Hemmschwellen, Kredite an Entwicklungsländer zu vergeben, sanken und dass sorgfältige Überprüfungen der Kreditwürdigkeit unterblieben. Angesichts der fast frei verfügbaren Kapitalmittel zu sehr niedrigen und zeitweise sogar negativen Realzinsen wurde die Auslandsverschuldung für viele Entwicklungsländer ein äußerst verlockendes Instrument, um ehrgeizige Industrialisierungsprojekte zu finanzieren und Probleme bei der Zahlungsbilanz zu überbrücken, zumal so der gestrenge IWF und dessen ungeliebte Anpassungsauflagen umgangen werden konnten. Das anhaltend niedrige Zinsniveau und die steigenden Rohstoffpreise der Siebzigerjahre taten ein Übriges, Gedanken an die Risiken der Verschuldung überhaupt nicht aufkommen zu lassen.
 
Gegen Ende des Jahrzehnts änderten sich die weltwirtschaftlichen Bedingungen aber entscheidend. Die Hochzinspolitik in den wichtigsten Industrieländern 1979/80 führte in den Achtzigerjahren zu einer Verdreifachung der Zinszahlungen im Vergleich zur vorangegangenen Dekade. Dass die USA ihren Haushalt mittels Kreditaufnahme finanzierten, da teure Aufrüstung und massive Steuersenkungen in Einklang gebracht werden mussten — ein Weg, den das Land unter Reagan beschritt —, lenkte die Kapitalströme weg von den Entwicklungsländern. Des Weiteren verteuerte der Kursanstieg des Dollars im Vergleich zu fast allen Währungen die Zins- und Tilgungszahlungen. Da die meisten Kredite in US-Währung aufgenommen worden waren, stellte sich als fatale Folge des Wertverfalls der einheimischen Währung in einigen Ländern eine massive Kapitalflucht ein, die in Lateinamerika teilweise die Verschuldung erst zur Krise werden ließ. Schließlich begannen Anfang der Achtzigerjahre noch die Rohstoffpreise zu verfallen.
 
Die Verschuldungskrise war aber nicht allein das Resultat ungünstiger Entwicklungen der Weltwirtschaft. Als selbst verschuldete Faktoren sind wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen der Entwicklungsländer zu nennen, unter anderem die Überdimensionierung ehrgeiziger Entwicklungsprojekte, die damit verbundene Korruption und eine starke Binnenorientierung der Industrie. Da es an Devisen und Exporterlösen mangelte, verschlimmerte die Konzentration auf den einheimischen Markt die Rückzahlungsprobleme. Aus diesem Grund ging der Kelch der Verschuldungskrise an den exportorientierten Volkswirtschaften Ostasiens vorüber.
 
Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und IWF
 
Die Weltbank und der IWF sind laut Satzung dem Ziel verpflichtet, die weltweite wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Dazu stellen sie Kredite bereit, die auch zu besonders günstigen Konditionen, etwa niedrigen Zinsen, vergeben werden können. Beide Einrichtungen agieren im Rahmen des Organisationsgefüges der Vereinten Nationen; im Gegensatz zur Generalversammlung der UNO, in der jedes Land eine Stimme hat, werden ihre Entscheidungsgremien jedoch von den Industrieländern dominiert, da die Stimmen nach Kapitalanteilen gewichtet werden. So verfügten 1992 die fünf größten Industriestaaten — USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien — zusammen über fast 39 Prozent der Stimmrechte. Die Logik von Strukturanpassungsprogrammen besteht nun darin, dass Kredite nur gewährt werden, wenn die Entwicklungsländer bestimmte Auflagen erfüllen, die als notwendig für die wirtschaftliche Gesundung erachtet werden. Dazu gehören in der Regel die Reduzierung der Staatsausgaben, die Deregulierung der Wirtschaft, die Aufhebung von festen — meist niedrigen — Nahrungsmittelpreisen, die Neufestsetzung von Wechselkursen für die einheimische Währung, die zumeist eine drastische Abwertung bedeutet, und schließlich eine generelle Liberalisierung des Außenhandels.
 
Solche Maßnahmen sind für viele Regierungen von Entwicklungsländern schwer zu akzeptieren, da für sie die Zuteilung von Pfründen an bestimmte gesellschaftliche Gruppen oftmals ein wichtiges Herrschaftsmittel ist. Auch die Freigabe der Nahrungsmittelpreise und die Kürzung der Sozialetats sind alles andere als unproblematisch, weil sie zu erheblichen sozialen Härten führen können und außerdem die Gefahr sozialer Unruhen in sich bergen, zu denen es in der Tat in einigen Ländern kam, nachdem die Grundnahrungsmittel teurer geworden waren. Mithilfe der Strukturanpassungsprogramme konnte zwar in den meisten Fällen das makroökonomische Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Vor allem wurde die soziale Geißel der Hyperinflation erfolgreich bekämpft. Doch die Armut und die Kluft zwischen Arm und Reich nahmen weiter zu. Weltbank und IWF reagierten darauf, indem sie das Konzept der Strukturanpassung mit »menschlichem Antlitz« einführten: Es wurden Programme zur Milderung und Reduzierung der Armut aufgelegt, die teilweise erfolgreich waren, die grundsätzliche Kritik an der wachsenden Verteilungsungerechtigkeit jedoch nicht verstummen ließen.
 
Widerlegung monokausaler Erklärungsansätze
 
Einigen Theoretikern bereitete vor allem die rasante Entwicklung der Tigerstaaten Kopfzerbrechen. Diese Staaten hatten ihre wirtschaftlichen Erfolge durch eine kräftige Exportsteigerung, also durch Anbindung an den Weltmarkt, errungen. Nach den Dogmen einer populären Spielart der Dependenztheorie, die den Weltmarkt als herausragendes Entwicklungshemmnis begriff und den Entwicklungsländern eine Abkopplung vom Weltmarkt empfahl, hatten sie alles falsch gemacht.
 
Die gegenläufige historische Erfahrung führte bei den Vertretern dieser Theorie zu hektischem Umdenken. Waren sie zuvor von weitgehend identischen Tiefenstrukturen der Gesellschaften in der Dritten Welt ausgegangen, sahen sie nun angesichts der wachsenden Auseinanderentwicklung der Entwicklungsländer das »Ende der Dritten Welt« gekommen. Hierbei übersah man zunächst, dass sich hinter dem scheinbar so homogenen Begriff »Dritte Welt« schon immer eine Vielfalt von höchst ungleichen Staaten mit stark unterschiedlichen Entwicklungspotenzialen, Rohstoffausstattungen, kulturellen und politischen Traditionen verborgen hatte. Sodann blieb unberücksichtigt, dass das Versagen von Theorien, die für alle Entwicklungsländer Geltung beanspruchen, keineswegs die Preisgabe des Begriffs »Dritte Welt« für eine Ländergruppe nach sich ziehen muss, die sich von den Industrieländern grundsätzlich unterscheidet. Die Entwicklungsländer selbst ziehen diesen Begriff gegenüber anderen Bezeichnungen vor.
 
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums triumphierten nun die Vertreter modernisierungstheoretischer Ansätze, denen stets die internen Verhältnisse von Entwicklungsländern als wichtigste Analyseebene gegolten hatten. Zweifellos war die Renaissance der Modernisierungstheorie in Anbetracht der Entwicklungen in Asien, wo zudem die bildungsfreundliche konfuzianische Kultur eine gewisse Erklärungskraft für den erfolgreich verlaufenden Prozess nachholender Entwicklung besitzt, allzu berechtigt. Nun erhob man mancherorts den Weltmarkt zum allein selig machenden und unfehlbaren Erfolgsgaranten, als ob es die Verschuldungsproblematik nie gegeben hätte, die den Fortbestand von — allerdings eben nicht alles erklärenden — Abhängigkeiten nahe gelegt hatte.
 
Ursachen der Wiederherstellung nördlicher Hegemonie
 
Der Umstand, dass in erster Linie Staaten der Dritten Welt über die für die Industrienationen so wichtigen Rohölvorkommen verfügten, schien der Dritten Welt ein wirksames Instrument, die »Ölwaffe«, an die Hand gegeben zu haben. Die OPEC-Staaten ließen es jedoch an der notwendigen Solidarität untereinander oder gegenüber anderen Entwicklungsländern mangeln. Jedes Land war sich hinsichtlich Förderungs- und Preispolitik selbst das Nächste. Die westeuropäischen Industrieländer und Japan (die USA besitzen selbst ausreichende Vorkommen), 1973 geschockt, hatten für umfangreiche Erdölreserven und alternative Energieversorgung gesorgt, sodass die Ölwaffe stumpf wurde, bevor sie in den Nord-Süd-Beziehungen den Wandel zu mehr wirtschaftlicher Gleichheit herbeigeführt hatte.
 
Zum Nachteil gereichte den Entwickungsländern nun auch, dass ihre internationalen Zusammenschlüsse, die Bewegung blockfreier Staaten und die Gruppe der 77, in der Vergangenheit überzogene Forderungen gestellt hatten. Diese Missachtung der Spielregeln internationaler Politik, der Ersatz einer realistischen Politik durch agitatorischen — allerdings nicht immer unberechtigten — Moralismus, wog umso schwerer, als seinerzeit große Teile der Dritten Welt von autoritären Regimen beherrscht wurden, denen der Norden neben ihrer bescheidenen Entwicklungsbilanz auch massive Verletzungen von Bürger- und Menschenrechten vorhalten konnte.
 
 Demokratisierung in der Dritten Welt
 
Die Diktatur war zum Ende der Siebzigerjahre die dominierende Herrschaftsform in der Dritten Welt. In den beiden folgenden Jahrzehnten brachen jedoch viele autoritäre Regime zusammen und eine Demokratisierungswelle setzte ein, die die politisch-institutionelle Landkarte der Welt grundlegend veränderte. Dieser Prozess begann Ende der Siebzigerjahre in Lateinamerika. Mitte der Neunzigerjahre konnten dort 14 von 20 Staaten uneingeschränkt als Demokratien betrachtet werden, darunter so wichtige Länder wie Argentinien und Brasilien; fünf Staaten befanden sich im Übergang, unter anderem Mexiko und Haiti. Lediglich Kuba verblieb unter der Herrschaft Fidel Castros eine Diktatur.
 
Für die Demokratisierung in Lateinamerika lassen sich einige allgemeine Ursachen nennen. Angesichts der tiefen wirtschaftlichen Krise des »verlorenen Jahrzehnts« und ihrer sozialen Folgen — wachsende Arbeitslosigkeit und Armut — blieben die autoritären Regime weit hinter den Erwartungen zurück, die sie als »Entwicklungsdiktaturen« zunächst hatten akzeptabel erscheinen lassen. Umso schwerer wogen nun die gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen individueller Freiheitsrechte. Wachsende Proteste der Bevölkerung verursachten Spannungen unter den regimetragenden Kräften oder beschworen die Gefahr von Spaltungen im Militär herauf. Das begünstigte die Bereitschaft der Machthaber zu einer politischen Öffnung, die sich überall zur Demokratisierung der politischen Systeme fortentwickelte. Ihr Verlauf folgte in den einzelnen Ländern eigenen Mustern. Dabei spielten unterschiedliche historische Traditionen sowie spezifische Umstände und Kräftekonstellationen die entscheidende Rolle. In der Regel gingen die neuen Demokratien aus Pakten zwischen dem Militär und den zivilen politischen Kräften hervor, was den Militärs erlaubte, ihre Sonderstellung zu wahren. Durch Amnestiegesetze schützten sie sich auch davor, für ihre früheren Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Nur in Argentinien verloren die Militärs jeglichen Einfluss auf den Demokratisierungsprozess, da sie besiegt aus dem Krieg mit Großbritannien um die Falklandinseln hervorgegangen waren, den sie angezettelt hatten, um die eingebüßte innenpolitische Unterstützung wiederzugewinnen.
 
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Ost-West-Konflikts schwappte die Demokratisierungswelle auch auf Schwarzafrika über. In erster Linie herrschte hier tiefe Unzufriedenheit über die desolate Wirtschaftsbilanz der Einparteien- oder Militärregime vor. Das rasche Ende ihrer für stabil gehaltenen Systeme zeigte, wie wirksam Massenproteste zu sein vermochten. Darüber hinaus konnten viele afrikanische Tyrannen nicht länger vom Ost-West-Konflikt profitieren. Experimente eines afrikanischen Sozialismus wie in Benin sahen sich ebenso ihrer politischen und finanziellen Unterstützung beraubt wie westlich orientierte Diktaturen, zum Beispiel in Zaire. Überdies begannen die westlichen Geberländer, die Gewährung von Entwicklungshilfe an politische Bedingungen zu knüpfen; unter anderem forderten sie die Einhaltung von Menschenrechten, die Einschränkung der Rüstungsausgaben, die Beteiligung der Bevölkerung an der politischen Willensbildung und eine »gute Regierungsweise« (good governance), worunter sie besonders die Bekämpfung der Korruption verstanden. In zahlreichen Staaten — etwa Benin, Gambia, Kongo, Kap Verde, Mali und Niger — fanden zu Beginn der Neunzigerjahre freie Wahlen statt. Einige der errichteten Demokratien brachen allerdings nach Militärputschen wieder zusammen. Einen Sonderfall bildete die Republik Südafrika: Das weiße, rassistische Apartheidsregime machte angesichts des internen Widerstands und des sich verschärfenden internationalen Drucks den Weg für eine Demokratisierung frei. Aus den Wahlen von 1994 ging der African National Congress als Sieger hervor, sein Vorsitzender Nelson Mandela wurde zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt.
 
Auch in Asien vollzogen sich Entwicklungen hin zu mehr Demokratie. Die beiden Tigerstaaten Süd-Korea und Taiwan, die lange als Paradebeispiele von Entwicklungsdiktaturen gegolten hatten, leiteten Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre demokratische Reformen ein. Hier scheint sich die modernisierungstheoretische Annahme zu bestätigen, dass die Demokratie auf wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt folgt.
 
 Neue Konfliktlinien — Massenvernichtungsmittel, Migration und Umweltzerstörung
 
Seit Beginn der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts beschäftigen vor allem drei neue Problemkomplexe, die in erster Linie in den Ländern des Nordens als »Risiken« oder »Gefahren aus dem Süden« wahrgenommen werden, die internationale Politik.
 
Zum einen bewegt die Gemüter, dass Massenvernichtungswaffen und moderne Trägersysteme in der Dritten Welt weiterverbreitet werden. Dieses Problem geriet insbesondere nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auf die Tagesordnung internationaler Sicherheitspolitik. Dem Verlangen der Industriestaaten nach strikter Kontrolle der Rüstungsprozesse, das auch in ökonomisch-strategischen Interessen gründet, stehen die Souveränitäts- und Machtansprüche der Entwicklungsländer entgegen. Sorge bereitet vor allem, dass Despoten wie Saddam Husain Massenvernichtungswaffen herstellen oder sich beschaffen könnten. Gleichzeitig sind die Industrieländer an den auch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten beklagten Rüstungsanstrengungen der Dritten Welt als Waffenexporteure in erheblichem Umfang selbst beteiligt.
 
Zum anderen bereiten wachsende Wanderungsbewegungen Sorge. Als Folge anhaltender Wirtschaftskrisen und blutiger Konflikte in vielen Entwicklungsländern hat sich der Migrationsdruck auf die Länder des Nordens verstärkt, dem diese durch Abschottungsmaßnahmen zu begegnen versuchen. Augenfälligstes Beispiel der westlichen Abwehrbemühungen ist die »Mauer« an der Südgrenze der USA, welche die aus oder durch Mexiko strömenden Wirtschaftsflüchtlinge zurückhalten soll. Das Flüchtlingsproblem ist aber vorderhand ein Problem der Dritten Welt selbst, da sich 90 Prozent der Flüchtlingsströme in diesen Ländern bewegen. Gleichwohl wird der Migrationsdruck auf die Industrieländer wachsen, nicht nur durch Flüchtlinge aus der Dritten Welt, sondern auch aus Osteuropa. Die Bekämpfung der Migrations- und Fluchtursachen in den Ursprungsregionen liegt damit im ureigenen Interesse der Industrieländer. Gesetzliche Zuwanderungsbeschränkungen wie in Deutschland oder Frankreich sind jedoch keine Lösung des Problems.
 
Des Weiteren nehmen Umweltprobleme quantitativ und qualitativ zu. Hier zeigt sich, wie aus dem Wechselverhältnis von Wohlstand und Massenkonsum im Norden sowie Armut und Massenelend im Süden globale Gefährdungen erwachsen. Auf der einen Seite sind es die Industrieländer, deren Wohlstandsmodell die Hauptverantwortung für die Bedrohung globaler Ökosysteme zuzuschreiben ist. So gehen beispielsweise über 90 Prozent der Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die langfristig die Ozonschicht der Erde angreifen und zerstören können, von den Industrieländern der Nordhalbkugel aus. Eine Verallgemeinerung der heutigen industriegesellschaftlichen Lebensweise im Sinne einer nachholenden Entwicklung in der Dritten Welt würde die ökologische Belastungsfähigkeit der Erde daher schlicht überfordern. Es gilt folglich, den Entwicklungsbegriff und das Leitbild von Entwicklung anzupassen. Auf der anderen Seite ist die Umweltzerstörung in vielen Regionen der Dritten Welt armuts- oder verschuldungsbedingt. Erosionsschäden sind Folge des Holzeinschlags zur Brennstoffgewinnung, aber auch des Raubbaus an Edelhölzern. Um durch Exporterlöse dringend benötigte Devisen zu erlangen, gefährden Länder der Dritten Welt ihre natürlichen Lebensgrundlagen. Hier zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten und Umweltproblemen.
 
Mit dem Brundtlandt-Bericht von 1987 wurde das Konzept einer »nachhaltigen Entwicklung« (sustainable development) in die entwicklungspolitische Diskussion eingeführt. Es impliziert eine Kritik an dem bisherigen wachstumszentrierten und Ressourcen verschlingenden Entwicklungsmodell und verweist auf den weltweiten Zusammenhang von Wachstum, Unterentwicklung und Über- beziehungsweise Fehlentwicklung, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Zwar drückt sich in der wachsenden Popularität dieses Konzepts eine zunehmende weltweite Sensibilisierung gegenüber dem Problem der Umweltzerstörung aus. Klare, konsensfähige Strategieempfehlungen konnten jedoch bislang aufgrund der höchst unterschiedlichen Interessen der einzelnen Staaten noch nicht aufgestellt werden.
 
Die Dritte Welt an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
 
Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lehren, dass ein Wandel der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse in den Ländern der Dritten Welt von vielen Faktoren abhängig ist. Monokausale Theorien haben ebenso ausgedient wie solche, die vorgeben, universal erfolgreich anwendbar zu sein. Im Zeichen der Globalisierung stehen die Länder der Dritten Welt auch vor Herausforderungen, die neue Antworten verlangen. Die Tendenz zur Ausdifferenzierung dürfte noch weiter zunehmen. Einige Entwicklungsländer werden sich den neuen internationalen Rahmenbedingungen besser anpassen können als andere. Voraussetzung dafür ist, dass ihnen ein entsprechendes Entwicklungspotenzial zur Verfügung steht; dies ist für eine Reihe von Entwicklungsländern fraglich. Zu den Erfolgsbedingungen gehören am Ende des 20. Jahrhunderts eine stabilitäts- und weltmarktorientierte Wirtschaftspolitik, entwicklungsrelevante soziale Investitionen (insbesondere im Bildungssektor), Achtung der Menschenrechte, Demokratie und good governance.
 
Prof. Dr. Dieter Nohlen
 
Literatur:
 
Die Armut der Nationen. Handbuch zur Schuldenkrise von Argentinien bis Zaire, herausgegeben von Elmar Altvater u. a. Berlin 21988.
 
Handbuch der Dritten Welt, herausgegeben von Dieter Nohlen und Franz Nuscheler. 8 Bände Bonn 31993-95, teilweise Nachdruck.
 
Die Herausforderung des Südens. Der Bericht der Südkommission. Über die Eigenverantwortung der Dritten Welt für dauerhafte Entwicklung, bearbeitet von Barbara Bortfeldt. Bonn 1991.
 
Lexikon Dritte Welt. Länder, Organisationen, Theorien, Begriffe, Personen, herausgegeben von Dieter Nohlen. Reinbek 101998.
 Nuscheler, Franz: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. Neuausgabe Bonn 1996.
 Senghaas, Dieter: Konfliktformationen im internationalen System. Frankfurt am Main 1988.
 
Systemwechsel, herausgegeben von Wolfgang Merkel u. a. Band 1: Theorien, Ansätze und Konzeptionen der Transitionsforschung. Opladen 21996.
 Wöhlcke, Manfred: Risiken aus dem »Süden«. Neue Themen in den Nord-Süd-Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Ebenhausen 1991.


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