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ENGLISCHE LITERATUR: DER VIKTORIANISCHE ROMAN DAS INDIVIDUUM ZWISCHEN AUTONOMIE UND EINSAMKEIT

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englische Literatur: Der viktorianische Roman - Das Individuum zwischen Autonomie und Einsamkeit
 
Die im 18. Jahrhundert einsetzende Wandlung der Literatur zur Ware, die sich den Marktgesetzen beugen muss, eröffnete für Frauen die Möglichkeit, sich von der ihnen zugeschriebenen Sphäre des Häuslichen aus an diesem Markt und damit am Leben der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu beteiligen. Dies gilt in besonderem Maße für die Geschwister Charlotte und Emily Brontë, deren mutterlose Jugend in der abgeschiedenen Landpfarrei ihres Vaters in Haworth (Yorkshire) Stoff für manche romantisierte Biographie lieferte. Mit »Jane Eyre« (1847) gelang es Charlotte Brontë, den ersten Roman zu schreiben, in welchem eine Frau ohne Rücksicht auf gesellschaftliche oder religiöse Tabus kompromisslos das Recht auf gründliche Bildung, auf freie Berufs- und Partnerwahl und auf ihre leidenschaftliche Liebe zu einem (auch noch hierarchisch übergeordneten) Mann einfordert.Als Maßstab ihrer Handlungen beruft sich die Titelheldin Jane - die gezwungen ist, wie viele andere leidlich gebildete Frauen im 19. Jahrhundert ihren Lebensunterhalt als Gouvernante zu verdienen - auf ihre Gefühle, die sie nur dort zurückdrängt, wo die Rechte Schwächerer verletzt werden. Als ihr geliebter Rochester, von den buschig-schwarzen Augenbrauen bis zu seinen erotischen Eskapaden ein romantischer Held im Stile Byrons, Jane die Ehe anbietet, obwohl er, wie sie entdeckt, mit der verrückten Bertha Mason verheiratet ist, flieht sie von seinem Gut. Zwar wird ihre Standhaftigkeit am Ende durch die Ehe mit dem geläuterten und zur rechten Zeit verwitweten Rochester belohnt, doch dieser ist nun blind und an einer Hand verkrüppelt. Offensichtlich erschien die Vorstellung einer unscheinbaren Gouvernante als gleichberechtigtes Gegenüber eines aristokratischen Traummannes, der im Vollbesitz seiner Kräfte ist, selbst Charlotte Brontë anmaßend.
 
Auch der Roman »Die Sturmhöhe« (1847) der jüngeren Schwester Emily Brontë sprengt in der Darstellung intensiver Gefühle die viktorianischen Konventionen. Die Leidenschaft des dämonischen Heathcliff für die Bauerntochter Catherine Earnshaw, mit der gemeinsam er als Findelkind aufwuchs, wirkt wie eine Urgewalt, vor der Verbrechen, Tod und ewige Verdammnis unwichtig werden. Die dadurch aufgeworfene Frage nach der Rechtmäßigkeit einer solchen Einstellung wird im Roman offengelassen. Denn die moralisierenden Kommentare der Erzählerin Nelly Dean, die bei den Earnshaws als Haushälterin diente, sind den stürmischen Erlebniswelten von Heathcliff und Catherine offensichtlich nicht angemessen.
 
Während die Romane der Brontës im 19. Jahrhundert Einzelerscheinungen blieben, wirkten die Werke von Elizabeth Gaskellentscheidend am Profil des viktorianischen Romans mit. Gaskell kannte die industriellen Verhältnisse in Manchester aus eigener Anschauung. Mit ihrem ersten Roman »Mary Barton« (1848) schuf sie das Genre der »industrial novel«, welche die Verlustrechnung der Industrialisierung aus der Perspektive der Arbeiter aufmacht. Die melodramatische Handlung bildet den Ausgangspunkt für eine detaillierte Schilderung der elenden Behausungen in den Slums, der unmenschlich langen Arbeitszeiten für Männer, Frauen und Kinder, der rücksichtslosen Unternehmer und der Verlorenheit einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die sich unvermittelt von einer ländlichen Dorfgemeinschaft in die Keller einer Großstadt versetzt sah.
 
Auch Charles Dickens beschreibt in seinen Romanen die zeitgenössische Gesellschaft als eine ungebändigte Maschinerie der ökonomischen und sozialen Knechtung und Ausbeutung. Doch Dickens strebt keine Kopie der Wirklichkeit an, sondern sucht seine Wahrnehmungen durch Übertreibung ins komisch Karikierte, ins melodramatisch oder schauerlich Bösartige zu präzisieren. In »Harte Zeiten« (1854) verkörpert der Kapitalist Gradgrind die Welt eines - in Carlyles Worten - »Dampfmaschinenintellekts«, an der seine eigenen Kinder seelisch zerbrechen. Doch sieht er schließlich die Mängel seines Weltbildes ein. Aber Dickens' Hoffnung auf die individuelle Bekehrung zu christlich-humanitären Werten, seine »Weihnachtsphilosophie«, als Antwort auf die Auswüchse der Industrialisierung beinhaltet letztlich das Eingeständnis von Ohnmacht gegenüber einem aggressiven Kapitalismus, dessen Eigendynamik nicht mehr zu bremsen scheint.
 
Nicht die Leiden der Arbeiterklasse, sondern die Status- und Geldversessenheit des gehobenen Bürgertums führt William Makepiece Thackeray in seinem Gesellschaftspanorama »Jahrmarkt der Eitelkeit« (1847-48) vor. Aber obwohl Standesdünkel und Heuchelei schonungslos bloßgestellt werden, machen die moralisierenden Kommentare der Erzählerfigur es aufgrund ihrer Ironie unmöglich, die Charaktere - wie bei Dickens - als eindeutig »böse« oder »gut« einzustufen. Die Einstellung zu der Antiheldin Rebecca Sharp schwankt zwischen faszinierter Anerkennung für die Energie, mit der sie an ihrem gesellschaftlichen Aufstieg arbeitet, und Kritik an den Mitteln, derer sie sich dabei bedient. Die Weigerung des Erzählers, für irgendeine Figur Partei zu ergreifen, spiegelt die Verunsicherung einer Epoche, der mit dem Zusammenbruch einer verbindlichen Metaphysik auch verlässliche moralische Prinzipien abhanden gekommen waren.
 
Sehr viel tiefgründiger und komplexer sind die Romane von Mary Ann (später Marian) Evans, berühmt geworden unter ihrem männlichen Pseudonym George Eliot. Besonders ihr Spätwerk zählt zu den Meisterleistungen des Jahrhunderts. Eliot, die führende Intellektuelle ihrer Zeit, begann mit 37 Jahren Erzählungen und Romane zu verfassen. Sie vertrat zum einen den Anspruch, die soziale Wirklichkeit ihrer Zeit unbeschönigt wiederzugeben und dabei bahnbrechende wissenschaftliche Entwicklungen zu verarbeiten. So verfügt der Arzt Lydgate in Eliots vorletztem Roman »Middlemarch« (1871-72) bei seinen mikroskopischen Gewebeforschungen und Fallstudien zum Fieber über neueste Erkenntnisse der Biologie. Zum anderen will Eliot Verhaltensmaßstäbe erarbeiten, die sich nicht durch den Bezug auf religiöse Überzeugungen rechtfertigen müssen. Aus diesem Anspruch erklären sich die hervorgehobene Rolle der Erzählerfigur in ihren Romanen, die das Geschehen deutend kommentiert, sowie die Verlagerung eines Großteils der Handlung in das Bewusstsein der einzelnen Figuren. An die Stelle eines christlichen Humanismus tritt bei ihr die Forderung nach »sympathy«, nach der Anerkennung der Andersartigkeit anderer Menschen, sowie nach selbstkritischer Zurücknahme eigensüchtiger Interessen. Diese Verabschiedung einer universal gültigen Moral verpflichtet jeden Einzelnen, aus seinen Erfahrungen mithilfe aller zur Verfügung stehenden Überlegungen in den Naturwissenschaften, der Philosophie und der Kunst Verhaltensregeln abzuleiten, welche die eigenen und die Bedürfnisse anderer Menschen, aber auch die beiderseitigen Pflichten umgreifen. Mit der Individualisierung aller Wertsetzungen zählt Eliot bereits zur Moderne.
 
Das Romanwerk Thomas Hardys spiegelt den Wandel vom typisch viktorianischen Wunsch nach einem harmonischen Verhältnis des Einzelnen zu Natur und Gesellschaft bis zur Verabschiedung dieser Wunschvorstellung angesichts der industrialisierten Wirklichkeit wider. Während seine frühen Romane (»Am grünen Rand der Welt«, 1874) ländliche Idyllen schildern, in denen menschliche Leidenschaften letztlich in traditionellen Strukturen wie Ehe und Dorfgemeinschaft aufgefangen werden, zeigen »Tess von D`Urbervilles« (1891) und »Juda, der Unberührte« (1895) die Titelfiguren in ausweglos-vereinsamten Situationen, in die sie einerseits durch gesellschaftliche Zwänge, andererseits durch ihr Ausgeliefertsein an ihre Triebnatur gebracht werden. Abgesehen von unüberwindbaren Klassenschranken scheitern die hochfliegenden Pläne des sensiblen Juda, sich durch ein Studium vom armen Waisenjungen zum Bischof hochzuarbeiten, daran, dass er sich zunächst von der drallen Arabella in eine Ehe manövrieren lässt, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, um dann nach der Trennung der frigiden »new woman« Sue Bridehead hörig zu werden, obwohl diese Beziehung ihn durch Sues kapriziös-freigeistige Emanzipationsdemonstrationen zum Außenseiter seiner Gesellschaft werden lässt. Geprägt durch den Pessimismus des deutschen Philosophen Schopenhauer erscheint die Welt in Hardys Spätwerk als unbedeutender Planet in einem naturgesetzlich determinierten Universum, auf dem das Schicksal des Menschen von einem blinden Willen zum Leben bestimmt wird, der sich als Sexualität äußert und gegen den Konvention und Moral, Intellekt und persönlicher Wille sich als machtlos erweisen - ein Weltbild, das bei der zeitgenössischen Leserschaft einen Sturm der Entrüstung auslöste.Trotz der manchmal aufdringlich künstlichen Konstruktion der Handlung führen Hardys Romane die Verlorenheit, Vereinzelung und Entfremdung des Individuums als Preis von Industrialisierung und Modernisierung plastisch vor Augen.
 
Dr. Annegreth Horatschek
 
Literatur:
 
Englische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hans Ulrich Seeber. Stuttgart u. a. 21993.
 
Der englische soziale Roman im 19. Jahrhundert, herausgegeben von Konrad Gross. Darmstadt 1977.
 Reinhold, Heinz: Der englische Roman des 19. Jahrhunderts. Düsseldorf u. a. 1976.
 Schirmer, Walter F.: Geschichte der englischen und amerikanischen Literatur. 2 Bände. Tübingen 61983.


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