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FARBENSEHEN BEIM MENSCHEN

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Farbensehen beim Menschen
 
Wer sagt, er kaufe Farben in einem Farbengeschäft, redet von Farbstoffen. Wer dagegen alle Dinge aufzählt, die dieselbe Farbe haben, meint nicht den gleichen Farbstoff, sondern dasselbe Aussehen. Ganz verschiedene Materialien können die gleiche Farbe haben, wie zum Beispiel Schnee, Zucker, die Kreidefelsen auf Rügen, das Bleiweiß in Ölgemälden oder das Titanweiß des ICE. Gleich ist in diesen Fällen die Farbempfindung Weiß und nicht der Farbstoff. Die Doppeldeutigkeit des Wortes Farbe stört nicht, so lange man weiß, ob von Färbemitteln oder von Farbempfindungen die Rede ist. In diesem Kapitel stehen die Farbempfindungen im Vordergrund. Farben in diesem Sinn gehören wie alle Empfindungen zu den subjektiven Wahrnehmungserlebnissen. Man muss die Menschen fragen, wenn man wissen will, welche Farben sie sehen. Erstaunlicherweise gibt es allgemein gültige und nachprüfbare Aussagen über Farbempfindungen. Ohne physikalisches und physiologisches Wissen, allein durch Beobachtung ist es möglich zu Erkenntnissen über Farben zu gelangen, die richtig und keineswegs trivial sind.
 
 Die Ordnung der Farbempfindungen
 
Eine Reihe von Farbkärtchen, die nach ihrer Ähnlichkeit geordnet sind, schließen sich zum Farbenkreis.Diese Anordnung der Farbkärtchen ist für normal farbentüchtige Menschen die allein richtige. Man braucht nur in Gedanken die Position von zwei Kärtchen auszutauschen, um sich davon zu überzeugen, dass der hier gezeigte Farbenkreis die einzige korrekte Reihung der Farben nach ihrer Ähnlichkeit ist. Daraus folgt: Es gibt ein System von Farbempfindungen, das trotz des subjektiven Charakters von Empfindungen nicht beliebig, sondern bei allen farbentüchtigen Menschen gleich ist. Auch im Regenbogen sind die Farben nach ihrer Ähnlichkeit angeordnet. Die Farbenfolge fängt mit Blauviolett an und hört mit einem tiefen Rot auf, das dem Blauviolett wieder ähnlich ist, sodass sich die Abfolge der Farben auch hier zu einem Kreis schließen ließe. Das Regenbogenspektrum kann man auch als eine Reihung von Wellenlängen oder Frequenzen der elektromagnetischen Strahlung beschreiben. Die subjektive Ordnung nach Ähnlichkeit und die physikalische nach messbaren Eigenschaften führt zur selben Reihenfolge. Die Wellenlängen- und die Frequenzskalen schließen sich aber nicht zu einem Kreis. Das ist nur bei der Reihung nach Empfindungsähnlichkeit der Fall.
 
Wer jedoch aus einer zufälligen Sammlung von Buntpapieren einen Farbenkreis formen will, kann in Schwierigkeiten geraten. Die vorhandenen Farben lassen sich manchmal in keine eindeutige Reihe ordnen. Wo sollte man in unseren Farbenkreis zum Beispiel Schwarz, Grau und Weiß einfügen oder alle die ungesättigten Farben wie Rosa oder ein ganz dunkles Tannengrün? Auf diese Frage geben die verschiedenen Farbkörper eine Antwort. Auf ihnen finden alle vorstellbaren Farben einen eindeutigen Platz zwischen denen, die ihnen jeweils ähnlich sind.
 
Bei den Farbenkugeln des Malers Philipp Otto Runge bildet der Kreis der gesättigten Farben den Äquator. Im Inneren verläuft unsichtbar die unbunte Graureihe vom weißen Nordpol zum schwarzen Südpol. Zwischen der Farbenkugel und dem Doppelkegel nach Wilhelm Ostwald besteht kein grundsätzlicher Unterschied: Zieht man die Farbenkugeln an den Polen auseinander, entsteht der Doppelkegel. Die nachbarschaftliche Zuordnung der Farben bleibt dabei gleich. Seit von Helmholtz ist es üblich, die Farben durch drei Worte der Umgangssprache zu charakterisieren: Farbton, Helligkeit und Sättigung. Die Farbtöne wie Rot, Gelb, Grün und Blau finden sich entlang des Farbenkreises, den der Äquator der Farbkörper bildet. Die Helligkeit entspricht der senkrechten Achse. Die Sättigung nimmt von der unbunten Mittelachse nach außen zu. Man kann auch einen Farbkörper entwickeln, bei dem die Farben nicht nur nach ihrer Ähnlichkeit angeordnet sind, sondern auch je nach dem Grad ihrer Verschiedenheit näher oder weiter auseinander stehen. Das ist bei Munsells Farbkörper der Fall, der samt einem dazugehörigen Farbatlas im englischsprachigen Raum verbreitet ist. Ob Farben mehr oder weniger ähnlich sind, lässt sich mit der eigenmetrischen Methode recht genau herausfinden.
 
Runge fiel auf, dass man sich zwischen den meisten Farben Zwischentöne vorstellen kann, wie zum Beispiel Orange zwischen Rot und Gelb oder Blaugrün zwischen Blau und Grün. Es gibt aber kein gelbliches Blau und kein rötliches Grün. Diese Farben liegen auf dem Farbenkreis einander gegenüber. Die Verbindungslinie kreuzt die Unbuntachse zwischen den Polen. Das ist eine Eigentümlichkeit der Farbempfindungen, die den Komplementärfarben bei den additiven Farbmischungen entspricht.
 
Farbkörper haben eine große praktische Bedeutung. Wenn die Gesamtheit aller Farben in einem dreidimensionalen Farbkörper angeordnet ist, kann man zur Verständigung über Farben statt der wenigen Farbwerte, die es gibt, einfach die Farborte mit den Koordinaten (X, Y, Z) verwenden. Alle Farben sind damit eindeutig gekennzeichnet. Heute gibt es verschiedene Farbatlanten, in denen die Farben wie auf Schnittflächen durch Farbkörper angeordnet sind. Jede Farbe ist in einem Farbatlas durch drei Zahlen eindeutig bestimmt. Wenn Kunden und Fabrikanten denselben Farbatlas benutzen, haben sie keine Schwierigkeiten bei der Verständigung. Die Unbeständigkeit der Farbstoffe steht dieser wichtigen Verwendung der Farbkörper allerdings entgegen. Weil auch die besten Farbstoffe nicht ganz lichtecht sind, verändern sie sich mit der Zeit. Darum wurden Messgeräte entwickelt, die nach einer farbmetrischen Theorie Farben im Prinzip so bewerten wie der Mensch. Die Farbmetrik ist auf die trichromatische Theorie des Farbensehens gegründet.
 
 Von den Farbmischungen zur trichromatischen Theorie
 
Bei dem Wort Farbmischung denkt fast jeder Mensch zunächst an einen Malkasten, jedenfalls an das Mischen von Farbstoffen. Von diesen komplizierten Farbmischungen soll zunächst jedoch nicht die Rede sein, sondern von den additiven Farbmischungen, auf denen die trichromatische Theorie des Farbensehens beruht. Die additive Farbmischung untersuchte Sir Isaac Newton in seinem berühmten Experiment. Danach ist die Sonnenstrahlung offensichtlich aus Komponenten zusammengesetzt, die verschiedene Farbempfindungen hervorrufen. Die am stärksten gebrochenen Strahlen sehen blau aus, die am wenigsten abgelenkten rot. Wir wissen heute, dass die Ursache der Lichterscheinungen elektromagnetische Wellen sind.
 
Newton hatte in einen Schirm Löcher gebohrt, durch die begrenzte Teile des Spektrums hindurchtreten konnten. Mithilfe einer Linse vereinigte er die nahezu monochromatischen Strahlen auf einem weiteren Schirm wieder, sodass sie sich überlagerten oder additiv mischten. Die Ergebnisse der additiven Farbmischung sind keineswegs trivial. Einige Beispiele sollen das zeigen. Rot und Gelb ergibt Orange, Blau und Grün ergibt Blaugrün. In diesen Fällen entsteht durch die Mischung aus zwei Farben eine dritte, die nach ihrer Ähnlichkeit eine Mittelstellung einnimmt. Besonders interessant sind die Mischungen Rot und Blaugrün sowie Blau und Gelb, die bei sorgfältiger Einstellung beide ein unbuntes Weiß ergeben. Farbenpaare, deren Mischung Unbunt ergibt, werden komplementäre Farben genannt. Diese beiden Beispiele für komplementäre Farben vermitteln noch eine weitere wichtige Erkenntnis: Physikalisch verschiedenene Lichtreize können dieselbe Farbempfindung hervorrufen. Das gilt nicht nur für Weiß, sondern für alle Farben. Daraus folgt: Es gibt mehr Farbreize als Farbempfindungen. Diese Ergebnisse stehen bereits in Newtons Lehrbuch der Optik von 1704.
 
Hermann von Helmholtz baute einen leistungsfähigen Farbenmischer, dessen Konstruktionsprinzip rechts abgebildet ist. Eine Versuchsperson betrachtet das schraffierte Feld, auf dessen einer Hälfte eine beliebige Farbe geboten wird. Diese soll sie durch Überlagerung von drei Farben auf der anderen Hälfte additiv nachmischen. Wenn dieses Farbabgleichsexperiment gelingt, sehen die beiden Seiten ununterscheidbar aus. Die Ergebnisse sind in einer ersten Gleichung zusammengefasst: LB·B + LG·G + LR·R = F.
 
Die Aussage ist die folgende: Wenn die drei Lichtreize, in diesem Beispiel Blau, Grün und Rot (B, G und R), additiv gemischt werden, können ihre Leuchtdichten LB, LG und LR immer so eingestellt werden, dass die Mischung genauso aussieht wie eine beliebige vorgegebene Farbe F. Die Ergebnisse der Farbabgleichexperimente kann man in ein dreidimensionales Diagramm, einen Farbraum, eintragen. In einem Farbraum hat jede Farbe ihren Farbort, wie in den Farbkörpern. Während aber die Farbkörper nach der geschätzten Ähnlichkeit der Farben eingerichtet werden, beruhen Farbräume auf Farbabgleichsmessungen. Die Aussage der ersten Gleichung hat wegen ihrer großen Bedeutung einen eigenen Namen: Trivarianz (lateinisch: drei Variable). Wenn man bei den Farbreizen nur drei Größen variiert, um alle Farben nachzumischen, dann brauchen Auge und Gehirn auch nur drei Variable, um alle Farben zu verschlüsseln. Das ist die Folgerung aus dem Trivarianzprinzip. Es ist nicht ganz klar, wer das Trivarianzprinzip erstmals verstanden hat. Es steckt aber implizit schon in den Farbmischungsergebnissen von Newton.
 
Welche drei Farben muss man im Farbenmischer verwenden? Die Antwort lautet: Die drei Mischfarben sind beliebig wählbar. Es müssen nur drei wirklich verschiedene Farben sein, das heißt, es darf nicht eine aus den beiden anderen ermischbar sein. Das ist erfahrungsgemäß nicht leicht zu verstehen. Wie soll zum Beispiel aus Rot, Grün und Gelb die Farbe Blau ermischt werden? Das geht selbstverständlich nicht, wird aber mit der Gleichung auch nicht behauptet. Entsprechend der ersten Gleichung muss man in diesem Fall folgendermaßen verfahren: Eines der Glieder auf der linken Seite der Gleichung erhält ein negatives Vorzeichen. Weil es kein negatives Licht gibt, kann das nur bedeuten, dass es zu der Farbe auf der rechten Seite addiert werden muss. Das heißt in der Praxis, dass zum Beispiel der gelbe Lichtreiz zur vorgegebenen blauen Farbe gemischt wird. Das Blau ändert sich dann in Richtung Gelb. Diese neue Mischfarbe kann man durch Rot und Grün nachmischen. Die erste Gleichung ist experimentell vielfach bestätigt worden, ist also allgemein gültig.
 
Der Physiker James Maxwell bestätigte die Trivarianz mit einer farbigen Sektorenscheibe. Die Sektoren mit den drei Farben lassen sich verstellen. Wenn die Scheibe schnell rotiert, kommt es zu einer additiven Mischung der schnell wechselnden Farben. Die farbigen Bildschirme liefern heute jedermann einen praktischen Beweis des Trivarianzprinzips. Wer einen Bildschirm mit einer Lupe anschaut, sieht nur drei Arten verschiedenfarbiger Lichtpunkte. Der Bildschirm erzeugt alle Farben durch die Variation der Leuchtdichten der drei Farbreize. Das Prinzip der additiven Farbmischung durch feine Mosaike von Farbpunkten kann man auch durch das Mikroskop an den verschieden bunten Schuppen der Schmetterlingsflügel studieren.
 
Die trichromatische Theorie des Farbensehens
 
Die physiologische Erklärung des theoretischen Trivarianzprinzips liefert die trichromatische Theorie (Drei-Farben-Theorie). Die meisten Menschen sind Trichromaten, weil sie drei Arten von Lichtsinneszellen, die Zapfen, besitzen. Die Stäbchen sind nur im Dämmerlicht am Sehprozess beteiligt, wenn wir ohnehin nicht farbentüchig sind. Sie bleiben hier zunächst außer Acht. Die drei Zapfenarten werden meistens S-, M- und L-Zapfen genannt (nach englisch short, middle und long), weil ihre maximale Empfindlichkeit im kurzwelligen, mittleren und langwelligen Spektralbereich des sichtbaren Spektrums liegt. Die trichromatische Theorie sagt, dass die Farbempfindungen des Menschen von der Menge der Lichtquanten abhängen, welche die drei Zapfenarten jeweils absorbieren. Diese drei sinnesphysiologischen Variablen sind also die Ursache für das Trivarianzprinzip. Die erste Gleichung kann man nun durch eine zweite ersetzen: nS·S + nM·M + nL·L = F.
 
Sie ist folgendermaßen zu lesen: Jeder Zapfen (S, M, L) absorbiert bei einem Lichtreiz eine bestimmte Zahl von Lichtquanten (nS, nM, nL). Wie viele es genau sind, hängt vom Spektrum des Lichtreizes, der spektralen Empfindlichkeit der Zapfen, der Dauer der Einstrahlung, der Absorption in der Linse und anderen physiologischen Größen ab, die im Prinzip alle bekannt sind. Für jeden Farbreiz kann nS, nM und nL bestimmt und in einem dreidimensionalen Raum eingezeichnet werden. Dieser Raum heißt Rezeptorabsorptionsraum. Jede Farbe hat auch in diesem Raum ihren Farbort. Die trichromatische Theorie des Farbensehens heißt auch Drei-Zapfen-Theorie oder Young-Helmholtz-Theorie. Thomas Young konnte von Sinneszellen oder gar Zapfen noch nichts wissen. Er postulierte aber bereits drei unabhängige Erregungsgrößen in der Netzhaut zur Verschlüsselung der Farbinformation.
 
Die trichromatische Theorie ist die Grundlage der Farbmetrik. Im Zentrum der Farbmetrik steht der Normalbeobachter. Er bewertet die Lichtreize nicht mit den Empfindlichkeitsfunktionen der Zapfen, sondern mit drei anderen Größen, die Normspektralwertfunktionen genannt werden. Als der Normalbeobachter um 1930 entwickelt wurde, waren die Zapfenkurven noch gar nicht bekannt. Damals wurden alle monochromatischen Komponenten des sichtbaren Spektrums mit einem Farbenmischer erzeugt. Die drei Werte, die der Farbenmischer für jede Wellenlänge benötigt, bilden die Spektralwertfunktionen. Es sei daran erinnert, dass die Mischfarben in der ersten Gleichung frei wählbar sind. Mit jeder Wahl bekommt man drei andere Spektralwertfunktionen, die sich aber ineinander und im Prinzip auch in die Zapfenkurven umrechnen lassen. Mit den Normspektralwertfunktionen gestalten die Farbmetriker ihr System so, dass es technischen Bedürfnissen genügt. Auch der Normalbeobachter liefert für jeden Lichtreiz drei Zahlen (X, Y, Z), die man in ein dreidimensionales Diagramm einzeichnen kann, sodass jede Farbe ihren Farbort erhält. Benutzt wird aber meistens nicht die unhandliche dreidimensionale Form, sondern eine Schnittfläche durch den X, Y, Z-Farbenraum, die Normfarbtafel.
 
Subtraktive Farbmischungen
 
Von den additiven sind die subtraktiven Farbmischungen zu unterscheiden. Wird mit einem Handspiegel Licht von der gelben Seite zur blauen gelenkt, kommt es zu einer additiven Mischung der Farben. Wenn aber das Licht des Schreibprojektors durch die übereinander liegenden Folien gefiltert wird, entsteht eine ganz andere Farbe. Jede Folie absorbiert einen Teil des Lichtes, das heißt durch jede Folie wird von dem Licht etwas weggenommen oder subtrahiert. So kommt es zu der Bezeichnung subtraktive Farbmischung. Bei der Mischung von Farbstoffen kann etwas Vergleichbares geschehen, wenn jeder Farbstoff einen Teil des Lichtspektrums absorbiert.
 
Die physikalische Ursache von Körperfarben ist oft komplizierter. Von Strukturfarben redet man, wenn nicht die Absorption, sondern andere physikalische Vorgänge den Lichtreiz so beeinflussen, dass bunte Farben entstehen. So ist der Himmel und das Gesicht des Mandrills nicht durch Pigmente blau, sondern wegen der Lichtstreuung. Der kurzwellige Teil des Spektrums wird viel stärker gestreut, sodass das Streulicht blau erscheint. Die schillernden Farben von Ölflecken auf dem Wasser, von Pfauenfedern und Compact Discs kommen durch die winkelabhängige Interferenz der reflektierten Lichtwellen zustande.
 
 Die Farbenblindheiten und die Genetik des Farbensehens
 
Der farbentüchtige Mensch freut sich an der Farbenpracht der Natur, die er nur ungern entbehren möchte. Farbige Bilder zieht er unbunten vor. Daher bringt Farbenblindheit den Menschen um manchen Genuss. Farben vermitteln uns aber auch wichtige Informationen. An den Farbnuancen von Früchten erkennt man zum Beispiel, ob sie reif und bekömmlich sind. Zum Glück ist vollständige Farbenblindheit so selten, dass man nicht einmal genau sagen kann, wie wenige Menschen davon betroffen sind.
 
Die unterschiedlichen Typen der Farbenblindheit
 
Es gibt verschiedene Typen der vollständigen Farbenblindheit. Die bereits erwähnte totale Farbenblindheit der Stäbchenmonochromasie (griechisch: Einfarbigkeit) tritt bei einer Million Menschen nach neueren Erhebungen höchstens 25-mal auf, oft in Verbindung mit anderen erheblichen Sehstörungen. Stäbchenmonochromaten haben keine funktionstüchtigen Zapfen. Sie sehen auch am hellen Tag ausschließlich mit den Stäbchen, von denen es nur eine Art gibt. Dementsprechend haben sie auch nur eine Empfindungsskala von dunkel bis hell, und sehen auch keine bunten Farben. Wie Stäbchenmonochromaten ihre Umgebung wahrnehmen, kann jeder Farbentüchtige im dunkeladaptierten Zustand erfahren. Sehr selten sind die vollständigen Farbenblindheiten vom Typ der Zapfenmonochromasie. Die davon betroffenen Menschen besitzen nur eine funktionstüchtige Zapfenart. Man erkennt diese Form der vollständigen Farbenblindheit daran, dass die spektrale Empfindlichkeit im dunkeladaptierten Zustand die der Stäbchen und im helladaptierten die der verbliebenen Zapfenart ist. Bei den genauer untersuchten S-Zapfenmonochromaten ist das visuelle Auflösungsvermögen besser als bei Stäbchenmonochromaten. Vollständige Farbenblindheit kann schließlich auch ein Ausfall des Areals V4 in der rechten oder linken Großhirnhäfte verursachen. Dieser Schaden führt zur Hemiachromatopsie, dem Ausfall der Farbentüchtigkeit in der linken beziehungsweise rechten Hälfte des Gesichtsfeldes.
 
Das Wort Farbenblindheit wird in der Alltagssprache meistens irreführend mit einer anderen Bedeutung benutzt. Es bezeichnet dann Abweichungen der Farbentüchtigkeit, durch welche die Wahrnehmung und Unterscheidung von Farben zwar reduziert, aber keineswegs vollständig verloren gegangen ist. Oft erfahren die Betroffenen erst bei augenärztlichen Untersuchungen für die Musterung oder Führerscheinprüfung von ihrer vorher nicht bemerkten Besonderheit der Sehfähigkeit. Diese macht sich vor allem darin bemerkbar, dass die Betroffenen nicht so viele Farben unterscheiden können wie die vollständig Farbentüchtigen, und folglich Farben verwechseln, die anderen Menschen verschieden bunt erscheinen.
 
Bei der ältesten Methode zur Prüfung des Farbensinnes wird genau diese Eigenschaft genutzt. Die abgebildeten Farbscheibchen stammen aus Goethes Farbenlehre. Die Farbscheibchen der zweiten und dritten Zeile sahen für die beiden Studenten, an denen Goethe die Farbenblindheit entdeckte, genauso aus wie die jeweils darüber liegenden. John Dalton, der Vater der chemischen Atomtheorie, entwickelte 1798, zur gleichen Zeit wie Goethe, aber unabhängig von ihm einen ähnlichen Test, für den er verschiedenfarbige Seidenproben verwendete. Pseudoisochromatische Tafeln, das heißt »fälschlich gleichfarbige« Muster, sind bis heute zur schnellen Prüfung des Farbensehens in Gebrauch. Die verschiedenen Farbflecken sind so arrangiert, dass der vollständig Farbentüchtige andere Muster, Buchstaben oder Ziffern erkennt, als der Farbenblinde. Feinere Differenzierungen zwischen verschiedenen Arten von Farbenblindheit sind mit den Farnsworth-Tests möglich, bei dem der Proband die verschiedenen Farbproben nach ihrer Ähnlichkeit in eine Reihe ordnet. Die jeweilige Reihenfolge ist charakteristisch für die spezielle Art der Farbenblindheit.
 
Die genetischen Grundlagen des Farbensehens
 
Farbenblind sind in Mitteleuropa acht Prozent der Männer, seltener die Frauen. Die meisten Farbenblindheiten gehören zu den beiden Gruppen der Rot-Grün-Blindheit und Rot-Grün-Schwäche. Zwei Gene sind dafür verantwortlich, eines für das Photorezeptormolekül der L-Zapfen und eines für das der M-Zapfen. Beide befinden sich auf den X-Chromosomen. Schon die frühen Genetiker schlossen das aus der geringeren Häufigkeit von Rot-Grün-Störungen bei Frauen. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer dagegen nur eines. Bei Frauen muss das Gen auf beiden X-Chromosomen verändert (mutiert) sein, damit sich die Mutation auswirken kann. Aus der Häufigkeit der Farbsinnstörung bei Männern (8 Prozent) kann man herleiten, dass die Wahrscheinlichkeit, ein mutiertes Gen zu erben, p1 = 0,08 beträgt. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau das mutierte Gen mit dem väterlichen und mütterlichen X-Chromosom erbt, ist dann mit p2 = (0,08)2 = 0,0064 sehr viel geringer. Tatsächlich treten Fälle von Rot-Grün-Störungen bei weniger als 0,64 Prozent der Frauen auf. Die Trägerinnen von zwei mutierten Genen, je einem für den L- und M-Zapfen-Photorezeptor, sind nämlich vollständig farbentüchtig, da das jeweils andere nicht mutierte Gen für die Bereitstellung des benötigten Opsin-Moleküls sorgt. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Blau-Gelb-Störungen. Sie finden sich bei weniger als einem hundertstel Prozent der Bevölkerung, aber immer noch häufig genug, um sagen zu können, dass sie bei Männern und Frauen gleich oft auftreten. Das Gen für das S-Zapfen-Photorezeptormolekül befindet sich demnach nicht auf den X-Chromosomen. Es wurde auf dem Chromosom 7 lokalisiert.
 
Eine Schwierigkeit der klassischen Genetik der Farbenblindheit bestand früher darin, dass die Häufigkeit der Mutanten bei verschiedenen Völkern nicht genau bekannt war. Bei Völkern, die noch unter natürlichen Bedingungen leben, fand man immer viel weniger Farbenblinde. Die größere Häufigkeit in modernen urbanen Populationen kann seine Ursache darin haben, dass die Träger der mutierten Gene unter den künstlichen Beleuchtungsbedingungen unserer Umgebung mehr Nachkommen haben, sodass sich die Mutanten schneller vermehren als unter natürlichen Lebensbedingungen. Man weiß aber nicht genau, warum der natürliche Selektionsdruck gegen die abweichenden Formen der Farbentüchtigkeit in der technisch fortgeschrittenen Welt nachgelassen haben sollte. Außerdem lässt sich der Effekt eines verringerten Selektionsdrucks nicht berechnen, solange nicht bekannt ist, wie oft die Mutationen spontan neu entstehen. Neue Erkenntnisse für diese Fragen bietet die moderne Genetik des Farbensehens.
 
Seit 1986 sind nicht nur die visuellen Pigmente (Rhodopsine), sondern auch ihre Gene vollständig aufgeklärt worden. Seit längerem war bekannt, dass der Teil des Moleküls, der die Lichtquanten einfängt, bei allen menschlichen Rhodopsinen gleich ist. Es handelt sich um Retinal, das Aldehyd des Vitamin A1. Retinal ist an ein großes Protein, das Opsin, gebunden, welches dieselbe Form besitzt wie das Riechrezeptormolekül. Die Forscher vermuteten, dass die Opsine bei allen menschlichen Rhodopsinen ähnlich gebaut sind, sodass auch die zugehörigen Gene ähnliche Sequenzen ihrer Bausteine besitzen. Diese Hypothese bewährte sich. Stücke von Rinderopsin-Genen, die man als molekulare Sonde benutzte, lagerten sich im Experiment an die verschiedenen Opsin-Gene des Menschen je nach ihrer Ähnlichkeit mehr oder weniger vollständig an. So konnten die Wissenschaftler mithilfe der Rinderopsin-Gene in vielen experimentellen Schritten die entsprechenden Opsin-Gene aus dem menschlichen Erbmaterial identifizieren und aufklären. Heute haben sie für alle Opsin-Gene genau passende Gensonden. Ein Tropfen Blut oder eine kleine Gewebeprobe reichen aus, um nachzuweisen, welche Opsin-Gene in den Zellkernen vorhanden sind oder fehlen. Die Opsine der Stäbchen und der S-Zapfen bestehen aus 348 Aminosäuren, die der M- und L-Zapfen aus 364. Alle Opsine sind 7TMD-Rezeptorproteine, das heißt sie haben eine Molekülstruktur mit sieben schraubenförmigen Bereichen (α-Helix), die die Zellmembran durchqueren. Die Aminosäuren bei den Opsinen der Stäbchen und der S-Zapfen sind zu 40 Prozent gleich, bei den Opsinen der M- und L-Zapfen zu 98 Prozent.
 
Die spektrale Empfindlichkeit der verschiedenen Rhodopsine beruht auf ihrer spektralen Absorption und diese auf der Aminosäuresequenz des Opsins. Weil die Opsin-Proteine durch ihre Gene codiert werden, sind diese deshalb auch die Gene für das Farbensehen. Die trichromatische Theorie des Farbensehens hat somit eine genetische Grundlage und die häufigsten Abweichungen können nach genetischen Prinzipien in ein System geordnet werden.
 
Rot-Grün-Blindheit und Rot-Grün-Schwäche
 
Rot-Grün-blinde Menschen sind Dichromaten, das heißt sie haben nur zwei Zapfenarten. Den Protanopen fehlen die L-Zapfen, den Deuteranopen die M-Zapfen (protos, deuteros, tritos, griechisch: erster, zweiter, dritter). Ungefähr zwei Prozent der männlichen Bevölkerung sind protanop oder deuteranop. Beide können die Farben im Rot-Grün-Bereich nicht gut unterscheiden. Protanope sind für das rote Ende des Spektrums weniger empfindlich, weil ihnen die L-Zapfen fehlen. Rote Bremslichter und andere Signale mit einem langwelligen Spektrum erkennen sie nicht so leicht wie Trichromaten, insbesondere, wenn die Sicht durch Nebel oder andere Umstände erschwert ist. Eine rote und eine schwarze Fahne können sie kaum unterscheiden. Ein Protanoper kann mit einem roten Schlips bei einer Beerdigung erscheinen. Der Deuteranope hat große Schwierigkeiten beim Pflücken von Erdbeeren, die sich für ihn, auch wenn sie reif sind, kaum von den grünen Blättern abheben.
 
Für Dichromaten gibt es im Lichtspektrum und im Regenbogen eine unbunte Stelle. Ein monochromatischer Lichtreiz mit der Wellenlänge, bei der sich die beiden Empfindlichkeitskurven schneiden, würde beide Zapfenarten gleich stark reizen. Ein anderer Reiz mit breitem Spektrum und gleicher Strahlungsleistung bei allen Wellenlängen würde ebenfalls beide Zapfen gleich reizen. Von Letzterem ist bekannt, dass er zu Unbuntempfindungen führt. Folglich muss auch der monochromatische Reiz mit derselben Wirkung eine Unbuntempfindung auslösen. Bei Trichromaten kann kein monochromatischer Reiz alle drei Zapfen gleich stark reizen. Darum gibt es für normal farbentüchtige Menschen keine Graustelle im Spektrum.
 
Menschen mit Farbanomalien haben meistens eine Rot-Grün-Schwäche, entweder die Protanomalie oder die Deuteranomalie. Beide Störungen treten ungefähr bei sechs Prozent der männlichen Bevölkerung auf. Der Farbanomale ist ein Trichromat, besitzt also alle drei Zapfenarten. Die spektralen Empfindlichkeiten seiner L- oder M-Zapfen sind aber ein wenig verändert. Die Veränderung der spektralen Empfindlichkeit kann durch den Austausch einzelner oder weniger Aminosäuren in den Opsinen verursacht sein.
 
Aus der Anordnung der Gene in den X-Chromosomen kann man sogar herleiten, wie es zu den mutierten Genen gekommen ist. Die Erbinformation für das L-Zapfenpigment ist im X-Chromosom nur einmal vorhanden, das gleich dahinter angeordnete Gen für die M-Zapfenpigmente dagegen zwei- oder dreimal. Der Enstehung der Ei- und Samenzellen geht ein Zellteilung, eine Meiose voraus. Dabei können Teilstücke der jeweils zweimal vorhandenen Chromosomen ausgetauscht werden, ein Vorgang, den die Genetiker Crossing-over nennen. Bei diesem Prozess kann eines der Gene aus einem der beiden Chromosomen verloren gehen, was zu einer Farbenblindheit führt. Teile eines M- und eines L-Rhodopsin-Gens können aber auch so rekombinieren, dass ein Mischgen entsteht. Dieses Gen kann zu einem funktionstüchtigen Rhodopsin mit einer verschobenen Empfindlichkeitsverteilung führen. Mit diesen Mechanismen lassen sich wahrscheinlich alle Anomalien erklären.
 
Die Anomalien kann man bereits mit den pseudoisochromatischen Tafeln unterscheiden. Der Augenarzt verwendet dafür aber in der Regel ein Anomaloskop, das nach einem schon 1881 von John Rayleigh eingeführten Verfahren arbeitet. Das Anomaloskop ist im Prinzip ein Farbmischapparat, der mit monochromatischem Licht arbeitet. In ihm wird beispielsweise gelbes Licht (F = L589nm) durch rotes und grünes monochromatisches Licht (L670nm, L546nm) nachgemischt. Bei einer Anopie sehen alle Mischungen gelb aus, sodass nur noch die Helligkeit zu regeln ist. Bei Protanomalen und Deuteranomalen wird aber ein jeweils bestimmtes Mischungsverhältnis eingestellt. Es gibt mehrere verschiedene Mutationen und dementsprechend verschiedene Formen der Anomalie.
 
Goethe und Dalton stellten 1798 zunächst fest, dass Farbenblinde verschiedene Farben für gleich hielten, zum Beispiel das Rosa einer Blüte und das Hellblau des Himmels. Ohne zusätzliche Information kann man dann nicht entscheiden, ob die farbenblinden Probanden das Rosa blau oder das Blau rosa sehen. Goethe glaubte, den beiden von ihm untersuchten Probanden fehle die Blauempfindung. Tritanopie ist allerdings sehr selten. Heute weiß man, dass Goethes Probanden protanop waren. Das konnte beinahe 200 Jahre später an einem Urenkel des einen Probanden mit modernen Methoden bewiesen werden. Dieser 88-jährige Herr hatte das Gen durch die weibliche Linie geerbt. Dalton selbst war deuteranop. Das bewies eine Untersuchung seiner DNA mit Gensonden für das M- und L-Zapfen-Opsin. Diese Untersuchung war möglich, weil Reste von Daltons Augen in getrocknetem Zustand erhalten waren. Dalton hatte eine Untersuchung seiner Augen testamentarisch angeordnet. Es sollte festgestellt werden, ob seine Farbenblindheit auf einer Blaufärbung der Augenmedien beruhe. Diese Hypothese erwies sich 1844 als falsch. 1995 stellte sich dann heraus, dass ihm das Gen für den M-Zapfenrezeptor fehlte.
 
 Die Wahrnehmung von Farben
 
Im Jahre 1777 beschrieb Johann Wolfgang von Goethe bei einer winterlichen Wanderung im Harz den Sonnenuntergang: »Waren den Tag über, bei dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so musste man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen wiederschien. Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte und.. . die ganze mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün, das nach seiner Klarheit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Smaragdgrün verglichen werden konnte«.
 
Diese berühmte Naturschilderung steht in Goethes Farbenlehre im Abschnitt über farbige Schatten. Die Schattenfarben sind auch das Erstaunlichste in dem Bericht. Warum erscheint der Schnee dort, wohin die Strahlen der Abendsonne nicht gelangen, smaragdgrün? Goethe erkannte, dass die Farbe der Schatten durch die Farbe der Umgebung hervorgerufen wird oder, wie wir heute sagen, durch den farbigen Simultankontrast zustande kommt. Der farbige Simultankontrast erzeugt eine Wahrnehmungstäuschung. Trotzdem erinnert er an eine allgemein gültige Erkenntnis über das Farbensehen. Die Farben werden von den Objekten nicht einfach abgelesen. Sie sind nicht durch das Reizspektrum definiert. Die Gegenstände erscheinen vielmehr in Farben, die ihnen nach den Regeln der Erregungsverarbeitung im Auge und Gehirn zugewiesen werden. Was in diesem Fall eine Wahrnehmungstäuschung erzeugte, ist, wie bereits im Zusammenhang mit der Farbkonstanzleistung beschrieben, die Voraussetzung für das normale Farbensehen. Der Zusammenhang zwischen Reiz und Farbe ist offensichtlich kompliziert. Wir haben konstante Farbwahrnehmungen trotz variabler Reize.
 
Edwin Land, der Erfinder der Polaroidkamera, untersuchte die Farbwahrnehmungen von Menschen bei variablen Beleuchtungen. Bei seinen Versuchen benutzte er Collagen aus Buntpapieren. Weil ihn diese farbigen Vorlagen an Gemälde des Malers Piet Mondrian erinnerten, nannte er sie Mondrian, was sich bei den Forschern eingebürgert hat. Land beleuchtete seinen Mondrian mit kurzwelliger, mittlerer und langwelliger Strahlung, die sich additiv zu unbuntem Licht mischten. Die Farben der Buntpapiere waren bei dieser Beleuchtung gut zu erkennen. Land variierte die Anteile der drei Mischlichter in der Beleuchtung. Erstaunlicherweise sahen die Zuschauer die Farben des Mondrian unverändert. Auf einem Farbfilm hätte sich die Änderung bemerkbar gemacht. So hätte zum Beispiel eine Verstärkung der langwelligen Strahlung in der Beleuchtung die Farbfotografie rot gefärbt. In der farbkonstanten Wahrnehmung der Menschen war aber keine Veränderung feststellbar. Diese Versuchsanordnung ist somit hervorragend geeignet, die Farbkonstanzleistung zu studieren.
 
Dieselbe Versuchsanordnung benutzte Semir Zeki in einem Experiment mit Rhesusaffen, von denen bekannt ist, dass sie farbentüchtig sind wie der Mensch. Er registrierte Aktionspotenziale von vielen Nervenzellen der Sehbahn, während der Affe auf einen Mondrian schaute. Der Mondrian wurde vor dem Auge des Affen verschoben, sodass die Meldung der jeweiligen Nervenzelle auf den Reiz von verschiedenen Buntpapieren registriert werden konnte. Außerdem veränderte er das Beleuchtungsspektrum wie in Lands Versuch. Die Nervenzellen der Sehbahn von der Netzhaut bis zum Areal V1 im Großhirn meldeten Änderungen des Beleuchtungsspektrums. Sie reagierten somit nicht farbkonstant. Darin sind sie dem Farbfilm im Fotoapparat vergleichbar. Im Areal V4 aber fand Zeki Nervenzellen, die bei den einzelnen Farbflächen des Mondrian immer dasselbe meldeten, unabhängig davon, wie sie beleuchtet waren. Diese Zellen reagierten farbkonstant wie der Mensch mit seiner Farbwahrnehmung.
 
Die Beziehungen zwischen den physikalischen Eigenschaften der Lichtreize und den Farbwahrnehmungen sind schwierig, aber nicht mehr ganz unverständlich. Das Problem der Farbkonstanz unter den variablen Beleuchtungsverhältnissen dieses Planeten ist erkannt. Die ersten Schritte sind getan, um zu verstehen, wie uns Auge und Gehirn zu farbkonstanten Wahrnehmungen verhelfen.
 
Die Wahrnehmungsfähigkeiten entwickeln sich immer weiter
 
Als der Physiker und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg Goethes Abhandlung über die farbigen Schatten gelesen hatte, schrieb er ihm am 7.Oktober 1793 einen begeisterten Brief. Er war wie Goethe fasziniert von der Erkenntnis, dass man am Beispiel der farbigen Schatten zwischen den Lichtreizen und dem unterscheiden kann, was beim Wahrnehmen daraus entsteht. Erst die Vorgänge im Auge und Gehirn bringen die Schattenfarben hervor. Unser Verständnis für diese Vorgänge ist seit Goethes Zeiten weit fortgeschritten. Es ist aber erstaunlich, dass die farbigen Schatten für Goethe und Lichtenberg den Charakter von Entdeckungen hatten, obwohl sie doch schon immer sichtbar waren und tatsächlich Maler sie schon früher dargestellt hatten. Lichtenberg schrieb, er laufe nun den farbigen Schatten nach »wie ehemals als Knabe den Schmetterlingen«. Durch Goethes Entdeckung war er auf die Erscheinung der farbigen Schatten aufmerksam geworden und seine Wahrnehmungsfähigkeit hatte sich weiterentwickelt. Wenn das so ist, kann man Wahrnehmungsvorgänge nicht allein durch biologische Untersuchungen erklären. Es kommt auch auf die Sehgewohnheiten an, auf das, was man wahrzunehmen gelernt hat. Damit wird die Betrachtung der Wahrnehmung von den biologischen Grundlagen aus weitergeführt in den Bereich der Kultur und ihrer historischen Entwicklung.
 
Die Weiterentwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit erlebt man beim Erkennen. Das schnelle Erkennen ist im Leben von Menschen und Tieren wichtig. Sprache, Schrift und die vielen komplizierten immer neuen Situationen in unserer zivilisierten Umgebung, die wir schnell einschätzen müssen, sind erste Beispiele für die Fortentwicklung unserer Wahrnehmungsfähigkeiten. Aufschlussreich ist aber auch der Umgang mit erinnerten Wahrnehmungen in der bildenden Kunst. Ein Fisch wird in der Regel mühelos als Fisch erkannt. Wer aber aus dem Kopf einen Fisch zeichnen soll, wird schnell entdecken, dass er nicht weiß, wie viele Flossen Fische haben und wo diese sitzen. Zu allen Zeiten forderten die Maler zum Studium der Natur auf, um das richtige Wahrnehmen zu lernen. »Denn wahrhaft steckt die Kunst in der Natur« schreibt Albrecht Dürer im dritten Buch seiner Abhandlungen über die menschlichen Proportionen, und fährt dann fort: »... wer sie heraus kann reißen, der hat sie«. Man muss lernen, das Wesentliche zu erkennen.
 
Künstler studierten zu allen Zeiten die Natur und die Werke anderer Künstler, um zu lernen, wie die Natur in die Kunst zu übersetzen sei, ob und wie zum Beispiel Schatten oder die räumliche Tiefe in flachen Gemälden darzustellen seien. Das Übersetzen der natürlichen Erscheinung in die Kunstform muss gelernt oder neu entwickelt werden. Die Kunstform gehört dem Künstler. Dem Maler Max Liebermann wird der Satz zugeschrieben: »Was man nicht auswendig malen kann, kann man überhaupt nicht malen«. So lehrt die Kunstgeschichte auch die Geschichte der fortentwickelten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten. Sinnesorgane und Gehirn vermitteln uns Fähigkeiten mit unabsehbaren Entwicklungsmöglichkeiten.
 
Prof. Dr. Christoph von Campenhausen
 
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Augen und Gehirn
 
Literatur:
 
Berlin, Brent / Kay, Paul: Basic color terms. Their universality and evolution. Taschenbuchausgabe Berkeley, Calif., 1991.
 Cytowic, Richard E.: Farben hören, Töne schmecken. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe München 1996.
 Goethe, Johann Wolfgang von: Die Tafeln zur Farbenlehre und deren Erklärungen. Neuausgabe Frankfurt am Main 51998.
 Newton, Isaac: Optik oder Abhandlungen über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und Farben des Lichts, übersetzt von William Abendroth. 3 Teile in 2 Bänden Leipzig 1898. Nachdruck Thun u. a. 1996 in 1 Band.
 Pawlik, Johannes: Theorie der Farbe. Köln 91990.
 Runge, Philipp Otto: Die Farben-Kugel und andere Schriften zur Farbenlehre, Nachwort von Julius Hebing. Stuttgart 1959.
 Sacks, Oliver: Die Insel der Farbenblinden. Aus dem Amerikanischen. Neuausgabe Reinbek 1998.
 Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Farben, herausgegeben von Gertrude E. M. Anscombe. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main 1979.


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