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BAROCK: DAS ENDE ALTEUROPAS

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Barock: Das Ende Alteuropas
 
Eine Beschreibung der Epoche des Barocks könnte den Titel »Vom Ende Alteuropas« tragen. Denn was die Zeitgenossen nicht sehen konnten, erschließt sich dem Blick der Späteren: Eine lange Kontinuität in der Geschichte Europas ging erst im 18. Jahrhundert zu Ende. Bis dahin wurden das Alltagsleben und die Mentalität von Traditionen beherrscht, die im hohen Mittelalter ihren Anfang genommen hatten, in Renaissance und Humanismus modifiziert worden waren, ohne Breitenwirkung zu erreichen, nun aber ganz neuen Strukturen wichen. Wirtschaftlich und sozial blieb Europa Hunderte Jahre hindurch ausgesprochen agrarisch geprägt; die Mehrzahl aller Menschen lebte in mehr oder weniger drückender Unfreiheit auf dem Lande, ausgebeutet von der dünnen Schicht des Adels und der Geistlichkeit. Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts setzte die Befreiung der Bauern ein, um sich lange ins folgende Jahrhundert hinzuziehen. Die Landflucht blieb deshalb seit dem 12. Jahrhundert weitgehend konstant, sodass die Städte unablässig expandierten; wenigstens im 19.Jahrhundert wurden sie sowohl demographisch als auch wirtschaftlich bestimmend.
 
Das Weltbild der mittelalterlichen Menschen war zutiefst religiös geprägt. Die Möglichkeit, in Gott nur eine - vielleicht falsche - Erklärungshypothese zu sehen, war für nahezu alle Europäer undenkbar. Erst durch die Verbreitung der Aufklärungsphilosophie im auf den Barock folgenden »bürgerlichen Zeitalter« begann sie weitere Kreise zu erreichen. Noch Voltaire - ausgerechnet dieser französische Aufklärer — wollte nicht anders sterben denn versehen mit allen Segnungen der katholischen Kirche. Wie intensiv die christliche Religion Denken, Fühlen und Handeln beherrschte, können wir heute nur erahnen, wenn wir einen Blick auf das Ineinandergreifen von Glaube und Alltag in islamischen Länder werfen. In Europa hatten diese religiöse Verinnerlichung vor allem die Predigten der Bettelorden und die Kontrolle der Gläubigen durch die erst 1215 vorgeschriebene Pflichtbeichte bewirkt. Die Jenseitigen waren im Diesseits anwesend, als Helfer, die an besonderen Orten den zu ihnen Wallfahrenden wunderbare Heilung schenkten, als Geist, der in der pietistischen Gemeinde die Gläubigen hör- und sichtbar ergriff. Nie zuvor und zu keiner Zeit später haben sich Kultstätten der christlichen »Göttin«, der heiligen Jungfrau und Gottesmutter Maria, so rapide vermehrt wie im Barock, volksfrommem Bedürfnis folgend, gewiss aber auch nach gegenreformatorischen Strategien gezielt geplant. Dass man den stets präsenten Jenseitigen unzählige Opfer darbringen zu müssen glaubte, belegen Scheiterhaufen, auf denen »Ketzer« und »Hexen« den Tod fanden, in den Religionskriegen verwüstete Länder, grausamst von der Justiz bestrafte »Gottesfrevler« und zum Schweigen gebrachte Philosophen.
 
Und trotzdem emanzipierte sich die Kultur der Laien stetig von der der Geistlichen; und seitdem die Welt mehr und mehr durch Menschenwerk, durch Technik und Medizin, beherrschbar wurde, rückten Himmel und Hölle in immer entferntere Regionen. Wer sich an der aus Amerika eingeführten Kartoffel satt essen durfte, der musste nicht in einer Flurprozession um Sonne oder Regen beten; wem der Arzt helfen konnte, der brauchte keine Kerze mehr in die Kirche zu tragen. Hatte das Spätmittelalter noch versucht, die wirkliche Hölle in den oft tagelang dauernden religiösen Schauspielen auf die Bühne zu bringen, so waren die Unterwelten des barocken Theaters, der barocken Oper als fiktionale Orte bewusst, gebildet aus Motiven, die der klassischen Antike entnommenen waren. Gewiss stürzt Mozarts »Don Giovanni« noch in eine »wirkliche« Hölle, aber die Unterwelten in Glucks »Orpheus und Eurydike« und in der »Zauberflöte« sind nur mehr ästhetische Proben für Märchenhelden, keine schreckliche Ewigkeit. Dass das Paradies innerweltlich im anderen liegen könne, das hatte um 1200 schon Gottfried von Straßburg im »Tristan« beschrieben und wenig später das Singspiel »Aucassin et Nicolette«; dass auch die Hölle die anderen sind, das hatte das Mittelalter so noch nicht gedacht. Im 17. Jahrhundert beschreibt Arcangela Tarabotti das Kloster realitätsgerecht als »Inferno monacale« für die zahlreichen Nonnen; im 18. Jahrhundert projiziert der Marquis de Sade in die irdischen Orgien der Libertins jene Fantasien, die sich Dante noch in der anderen Welt vorgestellt hatte: Nicht mehr unmenschliche Teufel, sondern teuflische Menschen sind nun die Akteure; die von Gott geschaffenen Höllen verblassen vor den menschengemachten.
 
Gott hatte sich für manche Philosophen aus dem Weltgeschehen zurückgezogen, er wurde als der »Uhrmacher« angesehen, der die Schöpfung bloß erschaffen und in Gang gesetzt hatte. Dass zwar nicht in der Dogmatik, aber in der gläubigen Praxis des 15. bis 17. Jahrhunderts dem Teufel so ungeheuer viel Macht zugeschrieben wurde, wirkt im Nachhinein als ein verzweifelter Versuch, das religiöse Weltbild zu retten, wenn auch mithilfe dieser Macht. Die für uns fiktiven, für die Zeitgenossen aber realen Verbrechen des Satanspaktes und der Teufelsbuhlschaft brachten ungezählte Frauen und Männer auf den Scheiterhaufen, man beschuldigte sie der Zugehörigkeit zu einer vom Bösen geleiteten Hexensekte, deren Ziel die Ausrottung des christlichen Glaubens sei. Wenn sogar der Papst - in protestantischer Sicht - und der Reformator - in katholischer Sicht - vom Teufel besessen waren, was Wunder, wenn er dann auch Gläubige aus dem einfachen Kirchenvolk und sogar aus der Geistlichkeit befiel?
 
So präsent Religion und Priesterschaft auch zur Zeit des Barocks waren, so pathetisch-machtvoll die Kirchen und Klöster der Epoche thronten, so heftig an Dämonen und Zauberer geglaubt wurde - es setzte dennoch unmerklich der Rückzug des Überweltlichen aus dem Leben der Europäer ein. Die Glaubensspaltung ließ es, zunächst nur für wenige einzelne, nicht mehr als undenkbar erscheinen, dass vielleicht nicht allein eine der Konfessionen irrte, sondern Religion an sich kein realitätsgerechtes Welterklärungsmodell sein könnte. Die Glaubenskriege, die Teile des Kontinents verwüstet hatten, bewiesen, dass religiösen Faktoren ein tödliches Gewicht im Staatsleben eingeräumt worden war, und legten langfristig eine obrigkeitliche Säkularisation nahe. Gleichzeitig wurde durch andere Entwicklungen das Jenseits mehr und mehr aus dem sichtbaren Himmel über uns und der greifbaren Erde unter uns in eine abstrakte Transzendenz gedrängt: Kopernikus hatte gezeigt, dass der Kosmos nicht die Erde und den Menschen als Mittelpunkt hatte, Giordano Bruno, dass dem Kosmos Unendlichkeit, eine bislang rein religiöse Größe, zukam. Brunos Flammentod aufgrund des Urteils der Inquisition verzögerte die Durchsetzung des neuen Weltbildes nur, konnte sie aber nicht aufhalten. Zwischen den Sonnen und Planeten der Astronomen war genauso wenig mehr ein Platz für ein himmlisches Paradies wie zwischen den Gesteinslagen der Physiker für eine unterirdische Hölle. Mehr noch, der Himmel wurde zugänglich und befahrbar: Seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts flogen Menschen in Fesselballons durch die Lüfte. Das bisher Unnahbare war erforschbar geworden, und damit mussten Glaube und Wissen noch mehr auseinander treten, musste eine Umwertung erfolgen, durch die der ganze Komplex des nun bloß Geglaubten in der Lebenspraxis immer unwichtiger wurde. Alles erschien dem Wissen zugänglich, der Wissenschaft machbar. Der auf die rapide naturwissenschaftliche Entwicklung gegründete Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts hatte seine Basis in den Erfindungen und Entdeckungen der vorhergehenden Ära.
 
Angesichts des Todes empfanden die meisten Menschen ihr Erdendasein aber immer noch als kurze Spanne der Prüfung, auf die die Unendlichkeit einer anderen Welt folgen würde. Der plötzliche Tod war faktisch allgegenwärtig und galt quasi als Gottesbeweis, denn von den protestantischen Kanzeln tönte es: »Der Herr ist ein scharff straffender Richter. / Will man sich nicht bekehren / so hat er sein Schwerdt gewetzt, / seinen Bogen gespannet/ und ziehlt / und hat darauf f gelegt tödliche Geschoss, / seine Pfeile hat er zugerichtet / zu verderben.« Spätmittelalter, Renaissance und Barock haben durchaus Anteil an derselben Konzeption, nach der die Sterbestunde selbst als bedeutsamer angesehen wird als die ganze vorherige Lebensführung: »Memento Mori« (Todesgedenken) und »Ars Moriendi« (Sterbekunst) waren allen drei Epochen wichtig. Die Bedeutung des »guten Todes« im späten Mittelalter, das heißt einer von Reue erfüllten letzten Stunde, konzentrierte die Entscheidung über Heil und Unheil im Jenseits in jenem kurzen letzten Moment des Lebens. Sie machte dadurch eine weitergehende Hingabe an das profane Leben vielleicht überhaupt erst möglich. Die forcierte Bewusstmachung des Sterbens und die Zunahme einer weltlichen Lebenseinstellung scheinen direkt zusammenzuhängen; das »Memento Mori« führte zu verstärkter Diesseitszuwendung und bildete damit einen Faktor, aus dem das säkularisierte Weltbild unserer Gegenwart erwachsen sollte.
 
Dass die Zeit schon damals zu einer immer bedrängenden Instanz wurde, verweist auf unsere Gegenwart. Glaubte der barocke Mensch noch an das Weiterleben in der anderen Welt, legt doch die irreversible Konzentration auf die irdische Existenz einen Wandel des Zeitgefühls offen. Seit dem 16. Jahrhundert wird die Uhr das so oft besungene und gemalte Symbol der Vergänglichkeit. Die Jahre der irdischen Existenz werden, wenn auch noch meist uneingestanden, zur einzigen als real eingeschätzten Dauer eines Menschenlebens. Die alles beendende Zeit in Dichtung und Ikonographie von Renaissance und Barock erfüllt - personifiziert - dieselbe Funktion, die seit dem Spätmittelalter einer anderen Personifikation zukam: dem Tod. Wie dieser mit Sense, Sichel und Hacke, aber auch mit Stundenglas oder Uhr ausgestattet, bricht nunmehr »Kronos« den Menschen unbarmherzig das Leben ab. Man muss ihn fesseln, dies legen die barocken Huldigungsbilder nahe, und gegen ihn kämpfen, so zahlreiche Autoren von Petrarca bis Milton. Schließlich tritt die Zeit die Rolle Gottes an, indem sie statt seiner Wachsen und Verfall, Leben und Sterben bestimmt.
 
Prof. Dr. Peter Dinzelbacher
 
Literatur:
 
Europäische Musik in Schlaglichtern, herausgegeben von Peter Schnaus. Mannheim u. a. 1990.
 
Geschichte der Musik, herausgegeben von Alec Robertson und Denis Stevens. Band 2: Renaissance und Barock. Aus dem Englischen. Sonderausgabe Herrsching 1990.
 
Die Musik in Geschichte und Gegenwart, begründet vonFriedrich Blume. Herausgegeben von Ludwig Finscher. auf 21 Bände berechnet. Kassel u. a. 21994 ff.
 
Neues Handbuch der Musikwissenschaft, begründet von Carl Dahlhaus. Fortgeführt von Hermann Danuser. Band 3 und 4. Sonderausgabe Laaber 1996.


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