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BRUCKNER: MUSIK ZUR EHRE GOTTES

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Bruckner: Musik zur Ehre Gottes
 
Zweifellos ist beim Hören der Sinfonien die innere Größe dieser in neuartiger Weise groß dimensionierten Musik Anton Bruckners spontan zu erfassen — verstehbar als ein ins Tönen versinnlichter Ausdruck des Lebens. Kaum eine Bewegung des Bewegten, eine Empfindung des zu Empfindenden, ein Sagen des musikalisch Sagbaren ist dieser Musik fremd. Jede ihrer Gestalten ist Seele und Charakter, emotional in der Intensität, mit der die Spätzeit des 19. Jahrhunderts ans Fühlen appelliert. Doch alles in Bruckners Musik ist aufgehoben im Feierlichen, ist Frömmigkeit unter der Last des Daseins und mit dem Herzen eines Kindes, hineingenommen in den imaginären Raum einer aus dem Barock überkommenen mächtigen Kirche. Die Zeit steht still zwischen den Säulen und Bögen, unterm Gewölbe der Kuppel, im kultischen Raum mit dem Licht der ewigen Lampe. Im Anfang der Sinfonie ist das Ende präsent und im Ende der Anfang. Die Welt, indem sie in den Kirchenraum gerät, ist in ihm und bleibt doch draußen. Drinnen sind die brausenden und verhallenden Klangmassen der Orgel, maestoso und mysterioso, Liturgie und Rhetorik, Prozession und Hymnus, Bilder und Figuren der Marter und des Triumphs, Fresken voller Weltlichkeit, Landleben, Hochzeit und Jagd.Und die Menschen, die kommen und gehen. Doch indem dies alles geschieht, verändert sich nichts. Das Choralische ist immer präsent.
 
Zu erklären ist die Musik Bruckners in ihrer unverkennbaren Eigenart einerseits aus Bruckners geschichtlicher Position im 19. Jahrhundert, in dem die große Musik Ludwig van Beethovens und Richard Wagners auch für Bruckner tonangebend wurde, und andererseits aus Bruckners biografischem Werdegang, in dem — vor dem Hintergrund der dörflichen, schulmeisterlichen und kirchendienstlichen Herkunft — Charaktereigenschaften sich entfalteten, die ihn in vielerlei Hinsicht als eigenartig und weltfremd, unsicher und ängstlich erscheinen lassen und die in anderer Hinsicht die extremen Besonderheiten, vor allem das Monumentale (das »Gigantische«) und das hartnäckig Normative (das »Schematische«) seines kompositorischen Denkens begründeten, das freilich in jedem neuen Werk immer wieder auf eigene Art verwirklicht und in beständigem Suchen nach Vervollkommnung zu je eigener Größe erhoben wurde.
 
 Sängerknabe in Sankt Florian
 
Geboren am 4. September 1824 in dem oberösterreichischen Dorf Ansfelden, wo der Vater schon in der zweiten Generation als Schullehrer tätig war, bestimmten die dörflichen Verhältnisse mit den Mittelpunkten des Schul- und des Pfarrhauses und der Kirche mit der vom Vater besorgten bescheidenen Kirchenmusik die Kindheits- und Jugendjahre Anton Bruckners. 1835 bis 1836 gab ihn der Vater zu einem Verwandten, dem Schullehrer Johann Baptist Weiß in der Ortschaft Hörsching bei Linz, der ihn auch im Orgelspiel und Generalbass unterrichtete, eine der Voraussetzungen für den Lehrerberuf, der wohl schon frühzeitig angestrebt war. Nach dem Tod des Vaters im Juni 1837 gelang es der Mutter Therese, Tochter des Amtsverwalters Ferdinand Helm aus Neuzeug bei Steyr, den stimmbegabten Jungen als Sängerknaben im Benediktinerstift Sankt Florian unterzubringen, wo er als fleißiger und vielfach gelobter Schüler bei dem Schulleiter wohnte, Unterricht im Generalbass, Orgel- und Violinspiel erhielt und zweifellos bleibende Eindrücke von der Stätte seines späteren Wirkens empfing, dem mächtigen Barockbau des Stifts und der Stiftskirche mit ihrer gewaltigen Orgel und der auf hohem Niveau stehenden älteren und neuen Kirchenmusik.
 
 Ausbildung zum Schullehrer
 
Im Oktober 1840 wurde Bruckner in Linz Schüler der »Präparandie«, der Ausbildungsstätte zum Lehrgehilfen der Trivialschule. In dieser Zeit erhielt er Unterricht in Harmonielehre bei August Dürrenberger, dem Leiter der Kirchenmusik an der Linzer Minoritenkirche, der ihn auch mit Werken Johann Sebastian Bachs bekannt machte. Nach bestandener Lehrerprüfung wurde der Siebzehnjährige als Schulgehilfe angestellt, zuerst ab Herbst 1841 in dürftigsten Verhältnissen des kleindörflichen Windhaag bei Freistadt, wo er neben dem Schuldienst regelmäßig auch kirchliche Hilfsdienste und Feldarbeit zu leisten hatte, und ab Januar 1843 in der kleinen Landgemeinde Kronstorf bei Steyr. Während dieser Zeit erhielt er bei dem Chordirigenten Leopold von Zenetti im nahen Enns weitere musikalische Fortbildung und versuchte sich in ersten kirchenmusikalischen Gelegenheitskompositionen. Nach bestandener zweiter Lehrerprüfung wurde Bruckner im September 1845 eine Stelle als Hilfslehrer an der Volksschule in Sankt Florian zugewiesen. Hier nun machte er, gefördert namentlich durch den Stiftsorganisten Anton Kattinger, als Orgelspieler auf sich aufmerksam, sodass er nach dem Fortgang Kattingers im März 1848 neben seiner Lehrtätigkeit an der Volksschule zum provisorischen Stiftsorganisten ernannt wurde. An Kompositionen entstanden in diesen Florianer Jahren fünf Tantum-ergo-Vertonungen (1846), ein Requiem für Soli, gemischten Chor, Orchester und Orgel (1849), der 114. Psalm und ein Magnificat (beide 1852), eine Libera-Komposition (1854) und, als Hauptwerk, eine Missa solemnis in b-Moll (1854), orientiert an den Wiener Messkompositionen, insbesondere an den Messen Franz Schuberts, die er als Sänger und als Organist in Sankt Florian verinnerlicht hatte.
 
 Domorganist in Linz und Sankt Florian
 
Nach dem Tode des Domorganisten in Linz bewarb sich Bruckner auf Zureden eines Linzer Instrumentenbauers um dieses Amt, das er nach einem Probespiel am 13. November 1855 zugeschrieben bekam und womit zugleich auch der Organistendienst an der Stadtpfarrkirche verbunden war. Damit nun wurde der Wechsel vom Schullehrer- zum Musikerberuf vollzogen, und zwar hin zu jenem Instrument, mit dem Bruckner seit seiner Jugend durch das Vaterhaus und durch die Lehrerausbildung und dann zeitlebens innerlichst verbunden war.
 
Grundlegend für Bruckners innere Einstellung zum Leben und zur Musik war dasjenige, was er in jenen ersten drei Jahrzehnten seines Lebens erfahren hatte und was sich nun in Linz fortsetzte und festigte: der Kirchenraum als Daseins- und Wirkungsstätte, wie er sich in Sankt Florian und Linz in barocker Größe und Pracht darstellte; der Gottesdienst, dem Bruckner allsonntäglich in vielfach bezeugter Herzensfrömmigkeit beiwohnte; die geistliche Musik, die er hier in größter Nähe und allseitigem Umfang kennen lernte und die er selbst zu schaffen begann; und als Mittelpunkt die Orgel, für deren Spiel, gefördert durch die Mächtigkeit der Domorgeln in Sankt Florian und Linz, Bruckner eine immer wieder in höchstem Grad bewunderte Begabung zeigte, nicht als Komponist von Orgelmusik (nennenswerte Orgelwerke sind von Bruckner nicht überliefert), sondern als gewaltiger Improvisator. Bezeichnend für Bruckner waren sein Fleiß, seine Strebsamkeit und Wissbegierde, verbunden jederzeit mit Unsicherheit, Selbstzweifeln und Ängstlichkeit, sodass es ihn beständig aufs Neue zu Lehrgängen und Unterweisungen zog, die er sich durch Zeugnisse aller Art peinlichst bestätigen ließ.
 
Anders als etwa Joseph Haydn oder Gustav Mahler, die in eine vergleichbare enge Umwelt hineingeboren wurden, sich jedoch der gehobenen Gesellschaft anzugleichen lernten, hat Bruckner den Absprung aus seiner dörflichen und schulmeisterlichen Herkunftswelt nie recht gefunden. Zeitlebens blieb er durch einen Zug von Unbeholfenheit, gleichsam Dörflichkeit, Sonderbarkeit und Weltfremdheit gekennzeichnet. Seine devote, linkische, in späterer Zeit von seiner Umgebung zunehmend belächelte, karikierte und mit Anekdoten überhäufte Art des Sich-gebens und Sich-anpassen-Wollens an die Gesellschaft erscheint in der Ausführung als ganz und gar unangepasst, wobei allerdings nicht feststeht, inwieweit hier nicht auch kalkulierte Selbstinszenierung mit im Spiel war. Die Nekrologe in der Wiener Presse des Todesjahrs 1896 schildern Bruckner rückblickend als eine der »originellsten Straßenfiguren Wiens«, als »Bauern im Flausrock und in Pluderhosen«, als »oberösterreichischen Rustikus«, dessen Bekleidung »ihm vielleicht heute noch der Dorfschneider in Ansfelden« lieferte. »Wenn man die künstlerische Individualität Bruckners seiner menschlichen gegenüberhält«, heißt es in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 13. Oktober 1896, »so gelangt man zu unerhörten Kontrasten. .. Sein bäuerlich-demütiges Gehaben, seine ärmliche Simplizität verwandelten sich in seinen Kunstwerken zu kühnem Trotz und blendendem Prunk. .. Man muss an Gott glauben, der diesem Mann im Busen wohnte, um eine Erklärung solcher Widersprüche zu finden.«
 
Auch in Linz war Bruckner eifrigst und mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit darauf bedacht, seine Lehrzeit in Musik fortzusetzen, nun allerdings nicht mehr mit Blick auf den Schuldienst, sondern in Richtung des Komponierens. Von 1855 bis 1861 war er, zuerst in schriftlichem Verkehr, dann in jährlich mehrwöchigen Besuchen Schüler des Musiktheoretikers Simon Sechter in Wien, dessen kompositionspropädeutische Kurse in Generalbass und Harmonielehre, Kontrapunkt, Kanon und Fuge Bruckner jedes Mal mit einem Prüfungszeugnis abschloss, bis er im November 1861 den »Meisterbrief« erhielt. Bruckner berichtet, dass er zeitweise »täglich 7 Stunden« an den Übungsaufgaben für Sechter gearbeitet habe; das eigene Komponieren war ihm während der Unterrichtszeit bei Sechter untersagt. Anschließend, 1861 bis 1863, nahm Bruckner Kompositionsunterricht bei dem Cellisten und Kapellmeister am Linzer Theater, Otto Kitzler, der in großer Aufgeschlossenheit für neue musikalische Entwicklungen Bruckner den Weg zur Instrumentalmusik wies. Im Rahmen dieses Unterrichts schrieb Bruckner nun u. a. Streichquartette, Orchestersätze, eine Ouvertüre und auch eine Sinfonie in f-Moll (1863), die er jedoch, wie alle diese Übungskompositionen, später als »Schularbeit« bezeichnete und nicht gelten ließ.
 
In diese Zeit fällt auch Bruckners Beitritt zur Liedertafel »Frohsinn«, deren Chormeister er 1860 und 1868 war und für die er etliche Männerchöre komponierte. Auch die für Bruckner höchst wichtigen, durch Kitzler angeregten Begegnungen mit der Musik Richard Wagners datieren seit jenen Jahren. Im Februar 1863 hörte er in Linz den Tannhäuser unter Kitzlers Leitung; 1865 besuchte er die Uraufführung des Tristan in München und lernte dort Wagner persönlich kennen, den »Meister aller Meister«, wie er ihn nannte; im April 1868 dirigierte er in einem Konzert des »Frohsinn« die erste Aufführung des Schlusschors aus den Meistersingern, den Wagner ihm für diesen Zweck eigens überlassen hatte. Im Juni 1868 wohnte er der Uraufführung dieser Oper in München bei.
 
Nach der im Juli 1863 als »Freispruch« gesellig gefeierten Beendigung des Unterrichts bei Kitzler vollzog sich bei Bruckner die kompositorische Befreiung zu sich selbst, und zwar in der Weise, dass er sein bisheriges kirchenmusikalisches Komponieren zu einem Höhe- und vorläufigen Endpunkt führte und zugleich und ohne jedweden Bruch seiner Musikauffassung in das Gebiet der sinfonischen Komposition überwechselte. 1863/64 komponierte er eine Sinfonie in d-Moll, die er, da sie seinem späteren Selbsturteil noch nicht standhielt, in die endgültige Zählung seiner Sinfonien als »Nr. 0« einreihte. 1864 schuf er die erste seiner drei, an die Wiener Orchestermesse anknüpfenden großen Messen, die Messe Nr. 1 in d-Moll, im gleichen Jahr uraufgeführt im Alten Dom zu Linz. 1865/66 folgte die Sinfonie Nr. 1 in c-Moll, deren erste Aufführung im Mai 1868 in Linz enttäuschend verlief. Im November 1866 beendete er die Messe Nr. 2 in e-Moll für achtstimmigen Chor und Blasorchester, in der die kontrapunktische A-capella-Kunst älteren Stils und der sinfonische Gestus des 19. Jahrhunderts zu vollgültiger Synthese gelangten; die Uraufführung fand im September 1869 auf dem Domplatz zu Linz unter Bruckners Leitung statt. Es folgte zum Abschluss der Linzer Zeit die im September 1868 vollendete letzte Messe, die Messe Nr. 3 in f-Moll, eine kultische Vokalsinfonie in der Größe und Gewichtigkeit der Missa solemnis von Beethoven. Wegen ihres Umfangs und Anspruchs erfolgte die Uraufführung dieser Messe erst 1872 in der Augustinerkirche in Wien. Danach widmete sich Bruckner fast ausschließlich der Komposition von Sinfonien. Bis zu seinem Lebensende entstanden neben kleineren Vokalkompositionen, Psalmen, Gradualgesängen und Ähnlichem an bedeutend kirchenmusikalischen Werken nur noch 1881 das Te Deum für Soli, Chor und Orchester, vollständig aufgeführt erstmals 1886 durch Hans Richter in Wien, und 1892 der 150. Psalm. An nennenswerten Werken jenseits der Kirchenmusik und der Sinfoniekomposition schuf Bruckner in seiner Wiener Zeit lediglich 1878/79, also zwischen der Komposition der V. und VI. Sinfonie, sein einziges kammermusikalisches Werk, das hoch qualifizierte Streichquintett F-Dur, das bei seiner ersten öffentlichen Aufführung 1885 in Wien begeistert aufgenommen wurde, sowie 1893 das unter politischem Blickwinkel stehende sinfonische Chorwerk Helgoland für Männerchor und großes Orchester, gewidmet dem Wiener Männergesangverein zum fünfzigjährigen Bestehen.
 
 Kompositionslehrer in Wien
 
Nach dem Tode Sechters im September 1867 bewarb sich Bruckner im Oktober des gleichen Jahres erfolgreich um dessen Nachfolge, sodass er im Sommer 1868 die Anstellung als Professor für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel am Konservatorium in Wien erhielt, wo er zwölf Wochenstunden zu unterrichten hatte. Zu seinen Schülern zählten hier Felix Mottl, Josef Pembaur, die Brüder Franz und Josef Schalk sowie Ferdinand Löwe. Den kompositionstheoretischen Unterricht gestaltete er in handwerklicher Gediegenheit ganz im Sinne seines Lehrers und Vorgängers Simon Sechter, dabei in großer Güte gegenüber seinen Schülern und in zum Teil drastischen Methoden, die dem Anekdotischen Stoff lieferten; z. B. beim Klang des Vesperglöckleins unterbrach er den Unterricht, um den Abendsegen zu sprechen. 1876 wurde Bruckner nebenamtlich auch als Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität berufen, die ihm später (1891) die Würde eines Ehrendoktors verlieh. Und seit 1868 war Bruckner zusätzlich als Hoforganist auch Mitglied der Hofmusikkapelle, womit seine finanzielle Position vollends gesichert war. Als Hoforganist unternahm er die triumphalen Orgelkonzertreisen 1869 zur Orgeleinweihung in Nancy und nach Paris zur Kathedrale Notre-Dame sowie 1871 anlässlich der Weltausstellung nach London, wo er als Orgelimprovisator an den mächtigen Orgeln der Albert Hall und des Kristallpalasts enthusiastisch gefeiert wurde. Bruckner galt — wie es unter anderem in den Nachrufen bei seinem Tode emphatisch bezeugt ist — unangefochten als »der größte Organist seiner Zeit«, und »jene, denen es vergönnt war, seinen Improvisationen zu lauschen, welche selbst die schwierigsten Formen, wie Kanon und Fuge, umfassten, schildern die empfangenen Eindrücke als unvergleichlich«.
 
 Die Sinfonien
 
Seit seiner Übersiedelung nach Wien und bis zu seinem Tod war Bruckner innerlich beständig mit seinen Sinfonien beschäftigt und äußerlich immer dann, wenn seine Dienstobliegenheiten und sein Gesundheitszustand es erlaubten. Auf ihnen beruht Bruckners Weltgeltung. Basis seiner sinfonischen Schöpfungen war der äußerst gediegene Theorie- und Kompositionsunterricht bei Sechter und Kitzler, sein Leitbild waren die Sinfonien Beethovens, besonders die IX. Sinfonie. Starken Einfluss im Blick auf Harmonik, Instrumentation und Motivverarbeitung gewann die Musik Richard Wagners, vor allem der Tristan. Daneben individuell prägend waren hinsichtlich Klangregistrierung und Rhetorik Bruckners Herkunft von der Orgelimprovisation, die innere Beheimatung im Kultraum der Barockkirche, ihrer Feierlichkeit und Pracht sowie die konzeptionelle Verwobenheit von geistlichem und sinfonischem Komponieren, wie sie unter anderem die Messe-Zitate in den Sinfonien bezeugen. Innerlich mitbestimmend war Bruckners tiefstgreifende Frömmigkeit, äußerlich wirksam wurde, wie im gesellschaftlichen Umgang so auch kompositorisch, eine Unangepasstheit ans Normative in Bezug auf Umfang, Aufführungs- und Höranspruch seiner Sinfonien, verbunden mit einer geradezu starren Fixierung eigengültiger Normen hinsichtlich des Festhaltens an einer bestimmten sinfonischen Formidee. Tangiert wird dies alles von einer beständigen Unsicherheit und Beeinflussbarkeit seitens Misserfolgen und seitens der Ratschläge von Dirigenten, Schülern und Freunden, die zu den andauernden Umarbeitungen und Neufassungen seiner Sinfonien führten.
 
Die I. Sinfonie hat Bruckner noch in der späten Zeit der Entstehung seiner IX. Sinfonie einer Revision unterzogen. Von der II. Sinfonie in c-Moll, die im September 1872 beendet wurde und deren Aufführung die Wiener Philharmoniker wegen ihrer Länge und technischen Schwierigkeiten zunächst ablehnten, gibt es Neufassungen von 1875/76 und 1877. Von der III. Sinfonie in d-Moll existieren aus der Zeit von 1873 bis 1889 fünf verschiedene Partituren.
 
Diese III. Sinfonie, deren erste Fassung zahlreiche Zitate aus Wagners Bühnenwerken Tristan und Walküre enthielt, hat Bruckner 1873 während eines Besuchs in Bayreuth Richard Wagner gewidmet, »dem unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst«. Im gleichen Jahr 1873 trat Bruckner dem Wiener »Richard Wagner Verein« bei; im Sommer 1876 besuchte er in Bayreuth die Uraufführung des Ring und 1882 die des Parsival. Die Coda des Adagios der VII. Sinfonie komponierte er 1883 als Trauermusik auf Wagners Tod. In den Jahren 1884 bis (letztmalig) 1892 nahm er sechsmal an den sommerlichen Festspielen in Bayreuth teil. Die kompositorischen und persönlichen Beziehungen zu Wagner belasteten aufs Heftigste Bruckners Position in Wien, wo die traditionalistische Anti-Wagner-Partei, die mit ihrem einflussreichsten Wortführer Eduard Hanslick den Komponisten Johannes Brahms für sich in Anspruch nahm, sich feindlich und gehässig gegen Bruckner verhielt. Die Ideologie Wagners mitsamt seiner Idee des Gesamtkunstwerks blieb Bruckner kompositorisch fremd. Gleichwohl galt er als »Wagnerianer«, dessen Musik, wie Hanslick 1886 in einer Rezension der VII. Sinfonie urteilte, »unnatürlich, aufgeblasen, krankhaft und verderblich« sei. Bruckners Verhältnis zu Brahms blieb von diesen Querelen nicht unberührt. Doch waren es vor allem Unterschiede der Persönlichkeiten, die trotz manchen Zusammentreffens einer Annäherung im Wege standen.
 
Die IV. Sinfonie in Es-Dur beendete Bruckner im November 1874, eine zweite Fassung mit neuem Scherzo entstand 1878, ein neues Finale 1880. Die Uraufführung 1881 in Wien unter Hans Richter wurde ein Triumph für Bruckner, eine zweite Aufführung im gleichen Jahr in Karlsruhe unter Felix Mottl ein Misserfolg. Eine Aufführung der V. Sinfonie in A-Dur, komponiert 1875 bis 1878, hat Bruckner selbst nie gehört. Die vollständige Erstaufführung der VI. Sinfonie, entstanden 1879/80, fand erst im Februar 1899, nach Bruckners Tod, in Wien unter Gustav Mahler statt. Die VII. Sinfonie in E-Dur von 1882/83 errang bei ihrer Uraufführung in Leipzig im Dezember 1884 unter Arthur Nikisch durchschlagenden Erfolg, der Druck aber wurde von dem Musikverlag Breitkopf ' Härtel abgelehnt. Die Erstaufführung der VIII. Sinfonie in c-Moll, komponiert 1884 bis 1887, hat Hermann Levi in München wegen Unverständlichkeit verweigert. Daraufhin unterzog Bruckner, indem er die Komposition der IX. Sinfonie unterbrach, die VIII. einer gründlichen Umarbeitung, die nun mit großem Erfolg erstmals im Dezember 1892 durch Hans Richter in Wien aufgeführt wurde.
 
Orientiert an der klassischen Sinfonie beethovenscher Prägung, die er zu neuen Dimensionen steigerte, verfolgte Bruckner in allen seinen Sinfonien den gleichen zyklischen Aufbau: gewichtiger erster Satz, gesanglich nach innen gekehrtes Adagio, derb rhythmisch geprägtes Scherzo mit Trio, zusammenfassendes und zur Schlussapotheose führendes Finale. Und auch die Formung der Einzelsätze folgt einem ein für alle Mal genormten Modell. Im ersten Satz erwächst aus einem vorkompositorischen Beginn der Hauptthemenkomplex, der variiert wiederholt wird; nach einer Überleitung folgt die Gesangsperiode und dann in elemetarischem Unisono ein drittes Thema, das zu einer Steigerung und zum Höhepunkt der Exposition führt. Nach dem Durchführungsteil und der Reprise leitet die Coda den Durchbruch zur strahlenden Wiederkehr des Hauptthemas ein. Der dreiteilige Adagio-Satz formt mit zwei Hauptthemen die Gesangsperiode des ersten Satzes ins feierlich Große. Das Scherzo mit kontrastierendem Trio ist gespeist von österreichischer Volksmusik; es lebt vom Element des Rhythmus in Analogie zum rhythmisch geprägten dritten Thema des Eröffnungssatzes. Und das Finale, ebenfalls in dreiteiliger Sonatensatzform, fasst mit seinen drei neuen Themen den Gesamtgestus der Sinfonie zusammen und übersteigt am Schluss den Coda-Höhepunkt des ersten Satzes, indem es in apotheotischem Glanz abermals dessen Hauptthema zur Darstellung bringt.
 
 Die sinfonische Idee
 
Der Genormtheit der sinfonischen Idee in ihrer Gesamtheit entsprechen die Typisierungen des kompositorischen Verfahrens im Einzelnen. Bruckners Themen sind elementarisch markant, um wandlungsfähig zu sein und doch identifizierbar zu bleiben. Die Binnenstruktur der Sätze ist blockartig, geprägt durch additive Zusammenfügung von Kurzzeilen in beständiger Variation und Metamorphose, registerartige Instrumentation, rhetorisch sich steigernde Wiederholungen, Klangballungen zu Höhepunkten und Durchbrüchen zur Gloriole der thematischen Substanz. Bruckner komponierte das sinfonische Einzelwerk in einer beständig neuen und in ihren Ergebnissen fortschreitenden Auseinandersetzung mit den Normen seines kompositorischen Denkens. Die Sinfonie in ihrer je individuellen Erfindung, Aussage und Schönheit ist das je neue Erscheinen eines konstanten inneren Ideals. Im Begriffsfeld der Vortragsbezeichnungen, in deren Mittelpunkt die Anweisungen feierlich und misterioso stehen, und in der bausteinartigen Reihentechnik finden das Choralidiom und das Messe-Zitat ebenso beständig eine sinnvolle Platzierung wie der hymnenartige Gesang, das Andächtige und das Geheimnisvolle, das Trauernde und das Traurige, das Herrliche und Monumentale. Das Absolute wird als das Religiöse sinfonisch der Kunst überführt, und die Kunst als absolute Musik wird der Welt des Religiösen verschwistert.
 
Im September 1887 begann Bruckner die Komposition der IX. Sinfonie, eines Werkes, in dem er vor dem Hintergrund seiner sinfonischen Idee in Form, Polyphonie und Harmonik in neunjährigem Ringen neue, zukunftweisende Wege suchte und fand. Unterbrochen wurde die Arbeit durch Krankheit und durch gründliche Revisionen der VIII., der III. und der I. Sinfonie sowie durch die Arbeit an verschiedenen Chorwerken, darunter der 150. Psalm und das Chorwerk Helgoland. 1891 wurde Bruckner als Professor am Konservatorium pensioniert, im folgenden Jahr seines Organistendienstes in der Hofmusikkapelle enthoben. Im November 1894 hielt er die letzte Vorlesung an der Universität. Im Winter 1894/95, während der Arbeit am Finale der IX. Sinfonie, erkrankte er schwer. Am 11. Oktober 1896 starb Bruckner. Wenige Tage später erfolgte gemäß Bruckners testamentarischem Wunsch die Einsegnung und Beisetzung in der Krypta unter der großen Orgel der Stiftskirche von Sankt Florian.
 
Dass Bruckner die IX. Sinfonie »dem lieben Gott« hat widmen wollen, ist ebenso wenig mit Sicherheit bezeugt wie sein mündlich überlieferter Vorschlag, anstelle des unvollendeten Finales das Te Deum aufzuführen. Beides jedoch beleuchtet Bruckners Vorstellung seines sinfonischen Werks als einer Musik zur Ehre Gottes in dem imaginären Kultraum, dem das Te Deum zugehört. Im Februar 1903 erfolgte die Uraufführung der IX. Sinfonie unter Ferdinand Löwe in Wien in dessen Bearbeitung und mit dem Te Deum als Schluss. Erst 1932 wurde die fragmentarische Originalversion unter Siegmund von Hausegger in München uraufgeführt.
 
 Probleme der Originalfassung
 
Nach Bruckners Tod und zunehmend im 20. Jahrhundert glättete sich der Parteienstreit zwischen den Wagnerianern und den Klassizisten, wenn auch die extreme Monumentalität, die expressive Inbrunst und der rhetorische Gestus der brucknerschen Symphonik nicht unbestritten blieben. Zunächst vor allem im deutschsprachigen Kulturraum, zögerlicher dann auch in anderen Ländern und in den außereuropäischen Metropolen fand Bruckner allgemein Anerkennung, und auch seine Sinfonien wurden nun immer selbstverständlicher in das sinfonische Repertoire zwischen Beethoven und Mahler platziert. Zunächst freilich vergrößerte sich das Gewirr der verschiedenen Fassungen der Sinfonien, besonders der I. bis IV. und der VIII. Sinfonie, durch immer wieder neue Anpassungsversuche an die Aufnahmefähigkeit des Publikums. Bruckner selbst hatte die eigenen Niederschriften als maßgebend »für spätere Zeiten« betrachtet und sie testamentarisch der Hofbibliothek in Wien vermacht. In den 1920er-Jahren widmete sich die aufkommende Bruckner-Forschung neben der Deutung von Persönlichkeit und Werk zunehmend auch der Lösung der Probleme der »Originalfassung« bzw. der »definitiven« Versionen, und als Resultat der Reinigungen erschienen die Sinfonien ab 1930 in der von Robert Haas und Alfred Orel besorgten Kritischen Gesamtausgabe der Werke Bruckners, die ab 1951 in einer von Leopold Nowak revidierten Ausgabe vorgelegt wurde. Eine endgültige bzw. eindeutige Entscheidung für die als letztlich gültig anzusehende Fassung wird in zahlreichen Fällen wohl kaum je möglich sein, ebenso wie auch die Interpretation der Gestalt und des Werkes Anton Bruckners immer wieder neue Fragen aufwerfen wird, auch dort, wo gesagt wurde: Bruckners Musik sei die Welt des 19. Jahrhunderts im wirklichen oder in einem imaginären Kultraum, in dem die Existenz des Menschen, seine Geworfenheit in die Welt, ein Zuhause sucht, jenes, bei dem das Choralische so beständig präsent ist wie das Licht der ewigen Lampe.
 
Die Symphonien Bruckners. Entstehung, Deutung, Wirkung, herausgegeben von
 
Literatur:
 
Leopold Nowak: Anton Bruckner. Musik und Leben. Linz 31995.
 
Anton Bruckner. Ein Handbuch, herausgegeben von Uwe Harten. Salzburg 1996.
 Hansjürgen Schaefer: Anton Bruckner. Ein Führer durch Leben und Werk. Berlin 1996.
 Karl Grebe: Anton Bruckner. Reinbek 1998.


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