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ARS ANTIQUA UND ARS NOVA IN FRANKREICH

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Ars antiqua und Ars nova in Frankreich
 
Mit den mehrstimmigen Kompositionen der Notre-Dame-Schule beginnt eine kontinuierliche europäische Musikgeschichte, die sich in Werken, Gattungen, Stilen und deren sich wandelnden Erscheinungen dokumentiert. Bis zum frühen 15. Jahrhundert war Frankreich das Zentrum dieser Entwicklung mit zunehmender Ausstrahlung auf andere Regionen. Musikgeschichte versteht sich dabei, wie Kunstgeschichte überhaupt, als der Versuch, Kriterien der Kompositionen zusammenzufassen und als Ausdruck einer Epoche zu beschreiben. In diesem Sinne lassen sich in Frankreich bis zum Ende des Mittelalters vier Epochen unterscheiden: Notre-Dame-Schule (1170 bis 1240), Ars antiqua (1240 bis 1320), Ars nova (1320 bis 1380) und Ars subtilior (1380 bis 1410), wobei selbstverständlich diese Zeitangaben nur als ungefähre Anhaltspunkte zu betrachten sind, da Epochengrenzen nicht nur fließend sind, sondern auch wechselnden historischen Interpretationen unterliegen.
 
Schon die Bezeichnungen der Epochen sind uneinheitlich in ihrer Herkunft und ihrer inhaltlichen Intention.Nur der Begriff »Ars nova« ist an einem zeitgenössischen Dokument orientiert, nämlich an einer etwa 1322 verfassten Schrift von Philippe de Vitry, die diesen Titel trägt und die eine neue Art der Notation lehrt. Mit dieser neuen Notation und der »neuen Kunst« der Komposition, auf die sie sich bezieht, setzte sich eine jüngere Musikergeneration programmatisch ab von der vorhergehenden »alten Kunst«, die erst dadurch als Epoche der »Ars antiqua« nachträglich sichtbar wird. Auch diesen Begriff kann man unterschiedlich auslegen. Ars antiqua in einem weiteren Sinne schließt die Notre-Dame-Schule ein. In einem engeren Sinne ist damit die Gesellschaftskunst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts gemeint, die aus Ansätzen der Notre-Dame-Schule erwächst, sodass eine präzise Grenzziehung zwischen beiden schwierig bleibt. »Ars subtilior« schließlich ist ein erst 1963 vorgeschlagener Terminus, der eine Gruppe manirierter Kompositionen aus den letzten Jahrzehnten des Mittelalters von der Ars nova unterscheiden soll, in die man sie zuvor noch einbezogen hatte.
 
Die Problematik der Epochenabgrenzung im 13. Jahrhundert kann nur im Blick auf Gattungsfragen konkretisiert werden. Die vorherrschende Gattung der Ars antiqua bildete die Motette, deren Anfänge bis in die Notre-Dame -Zeit zurückreichen. Die Motette war im frühen 13. Jahrhundert noch ein Teil des Organums, keine eigene Gattung, besaß aber schon deren wesentliche Merkmale. Auslösendes Moment ihrer Entstehung zur Zeit des Perotinus war die Möglichkeit, das Duplum von Discantuspartien im Organum mit einem neuen Text zu versehen. Da ein solches Duplum ursprünglich wenige Textsilben enthielt, aber viele Noten, ist der Impuls verständlich, es durch einen neuen, meist gereimten Text leichter singbar zu machen. Zudem hatte dieser Text die Aufgabe, den zugrunde liegenden Gedanken des gregorianischen Cantus firmus im Sinne eines »Tropus« näher zu erläutern. Beispielsweise unterlegte man das Duplum einer Discantuspartie über den Tenor »Virgo« (=Jungfrau) mit einer Mariendichtung, den Tenor »Domino« (=dem Herrn) mit einer Darlegung der Allmacht Gottes. Die textierte Oberstimme hieß dann nicht mehr Duplum, sondern »Motetus« (von französisch: »mot« = Wort, Vers, Strophe). Da die Unterstimme als Teil des Gregorianischen Chorals dieselbe blieb, konnte man wahlweise die Discantuspartie in der alten Form mit melismatischem Duplum oder in der neuen Form mit kommentierendem Motetus singen.
 
In einer nächsten Phase löste sich die textierte Discantuspartie aus dem Verband des Organums und wurde zur selbstständigen Gattung, zur »Motette«. Dies interpretiert die Musikgeschichte als Beginn der Ars antiqua. Es wurden nun Motetten in großer Zahl neu komponiert, wobei der Kompositionsvorgang prinzipiell der Gleiche blieb. Noch immer geht der Komponist - obwohl es liturgisch keine Bedeutung mehr hat - von einem Ausschnitt des Gregorianischen Chorals aus, gibt diesem eine rhythmische Struktur und macht ihn als Tenor zur Basis seiner Motette, indem er eine oder mehrere Oberstimmen darüber setzt. Die von Perotinus eingeführte Dreistimmigkeit wird nun zum Normalfall. Die meisten Motetten der Ars antiqua bestehen daher aus dem Unterstimmen-Tenor, der von einem Instrument ausgeführt wurde, und aus zwei gesungenen Oberstimmen, dem Motetus und dem Triplum, die oftmals je ihren eigenen Text haben. Daher heißt diese Gattung »Doppelmotette«.
 
Die Dichter der Motettentexte sind durchweg nicht bekannt. Der kunstreiche und der Musik stets angepasste Bau der Verse lässt aber vermuten, dass entweder Komponist und Dichter ein und dieselbe Person waren oder der Dichter mit der musikalischen Formung eng vertraut gewesen sein muss. Motetus und Triplum können beide lateinisch oder beide französisch, beide geistlich oder beide weltlich sein. Auch die Kombination lateinisch/französisch beziehungsweise geistlich/weltlich war üblich. Das Lateinische trat aber allmählich zurück, und entsprechend erhielt die französische Dichtung, vor allem volksnahe oder höfisch stilisierte Liebeslyrik, den Vorrang. Das dichterische Interesse richtete sich auf die artifizielle Behandlung von Metrum und Reim und auf die geistreiche, spielerische Darstellung von Beziehungen und Begebenheiten. Damit etablierte sich die Motette endgültig als Gattung adliger und bürgerlicher Hausmusik, als gehobenes literarisch-musikalisches Spiel für Kenner. Strukturell - durch den Tenor - noch immer mit dem Organum verbunden, hatte sich ihr Sinn und Ausdruck fundamental gewandelt. Vom liturgischen Tropus war sie zur weltlichen Kleinkunst geworden.
 
Neben der Motette spielte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine andere Gattung, der »Conductus«, eine wichtige Rolle. Er stammt als einstimmiges Lied mit lateinischem, gereimt strophischem Text aus dem 12. Jahrhundert und hatte die Funktion eines »Geleit«-Gesangs in der Liturgie oder im geistlichen Spiel. Der mehrstimmige Conductus, bestimmt vor allem für Festlichkeit und Geselligkeit im Leben des Klerus und der Schulen, besteht aus zwei oder drei gleich gebauten, gleichrhythmisch geführten Stimmen, die den gleichen Text singen. Sie folgen weitgehend syllabisch dem Metrum der Sprachverse, münden aber an den Schlüssen oft in schmuckvolle melismatische Partien (»caudae«). Als Gattung ohne lange Haltetöne in der Unterstimme steht der Conductus satztechnisch in deutlichem Kontrast zum Organum. Im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde er zunehmend unmodern und schließlich ganz von der Motette verdrängt.
 
Der führende Musiktheoretiker der Ars antiqua war Franco von Köln, der um 1280 seinen berühmten Traktat »Ars cantus mensurabilis« verfasste. Darin wird die Gattungstypik zeitgenössischer Musik beschrieben und erstmalig eine systematische und vollständige Lehre der Notation und ihrer rhythmischen Struktur entwickelt. In ihr gelten die zeitlichen Wertstufen Longa, Brevis und Semibrevis, deren Dauern grundsätzlich im Längenverhältnis 3 : 1 stehen (1 Longa = 3 Breven; 1 Brevis = 3 Semibreven). In der Musik der Ars antiqua herrscht dementsprechend ein durchgängiges Dreiermetrum, das die Nähe der Motette zu Lied und Tanz spiegelt.
 
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts differenzierte und verlor sich allmählich diese klare Dreierbewegung. Es zeigen sich innerhalb der Ars antiqua Anzeichen einer Spät- und Übergangszeit, deren stilistische Neuerungen mit dem Namen des Komponisten und Theoretikers Petrus de Cruce verbunden sind. In dessen Werken fällt gegenüber der gleichartigen Gestaltung von Motetus und Triplum in älteren Motetten die unterschiedliche rhythmische Anlage der Oberstimmen auf. Das textreiche Triplum wird schneller und variabler in der Bewegung, der Motetus, weniger verändert, erscheint im Verhältnis dazu ruhiger und gedehnter. Das Grundtempo der Stücke verlangsamt sich trotz der raschen, parlandohaften Tripla, und die dreifach abgestufte Schichtung der Bewegungen (lange Tenortöne, mittleres Tempo im Motetus, rasches Triplum) verschafft dem Komponisten einen bedeutenden Zuwachs an Freiheit im melodischen und klanglichen Bereich.
 
Insofern bildet das Schaffen Petrus de Cruces eine unmittelbare Vorstufe zur Musik der Ars nova ab etwa 1320. Grundlage für die Ars-nova-Kompositionen bildet die in Philippe de Vitrys Traktat gelehrte Notation und deren gründlichere Ausführung in der »Notitia artis musicae« (1321) des Johannes de Muris. Diese neue Notation erweiterte das System des Franco von Köln. Indem sie kleinere rhythmische Werte unterhalb der Semibrevis einführte und auf allen Wertstufen neben dem Verhältnis 3 : 1 das Verhältnis 2 : 1 als gleichberechtigt zuließ, ermöglichte sie eine völlig neue, differenzierte Durchformung der Stimmen. Dennoch blieb die Ars nova in vieler Hinsicht der Kompositionsentwicklung seit dem späten 12. Jahrhundert verbunden und somit eindeutig noch mittelalterliche Mehrstimmigkeit. Das gilt für die Fortführung traditioneller Gattungen, für die bunte, kontrastierende Klanggebung, die die Stimmen nicht verschmelzen lässt, für die schweifende, arabeskenhafte Melodik und die eher horizontal als vertikal orientierte rhythmische Struktur. In besonderem Maße gilt es für die Harmonik mit ihren vorwiegend in Sekundschritten fortschreitenden Fundamentaltönen (im Gegensatz zur Quint- und Quart-Bassbewegung der neuzeitlichen Kadenz) und ihren allein als vollkommen geltenden Konsonanzen Einklang, Quinte und Oktave, die nach wie vor die wesentlichen Gerüstklänge bilden. Die Terz wird zwar verstärkt benutzt, aber nur als Farbe in Zwischenklängen. Die Tonalität bleibt an die Kirchentonarten gebunden, dreiklangsbezogene Dur-Moll-Harmonik tritt noch nicht auf.
 
Die repräsentative Gattung der Ars nova, die isorhythmische Motette, ist weiterhin in der Regel dreistimmig mit unterschiedlichen Texten in den Oberstimmen und basiert auf einem meist gregorianischen Tenor. Insofern geht sie unmittelbar aus der Motette der Ars antiqua hervor. Andererseits wird aus der kleingliedrig intimen älteren Vokalgattung nun ein längeres, mehrteiliges, komplexes Gebilde, das zu den Höhepunkten textlicher und musikalischer Durchformung in der abendländischen Musik zu zählen ist. Die rhythmische Anlage des Tenors und - aus dieser abgeleitet, sie ergänzend und erweiternd - die rhythmische Anlage der Oberstimmen, der harmonische Reichtum und die melodische Beweglichkeit des Satzes führen in jeder isorhythmischen Motette zu neuen bewundernswerten künstlerischen Lösungen. Dazu kommen eine oft ebenso kunstvolle Erfindung der Dichtungen im Triplum und Motetus und deren mannigfaltige Beziehungen untereinander und zur Musik.
 
Die ersten Werke dieser Art stammen von Philippe de Vitry. Den Höhepunkt der Gattung bilden die 20 isorhythmischen Motetten von Guillaume de Machault, dem bedeutendsten Komponisten der Zeit, der daneben auch einer der bekanntesten spätmittelalterlichen Dichter war. Er wurde um 1300 geboren, reiste als Sekretär Johann von Luxemburgs durch Europa und lebte ab 1340 in Reims, wo er 1377 starb. Er schrieb außer Motetten eine große vierstimmige Messe, einstimmige Lais (Minnelieder) sowie zahlreiche zwei- bis vierstimmige Rondeaux, Virelais und Balladen. Mit diesen Refrainformen erhielt die ursprünglich einstimmige weltliche Musik erstmals den Rang kunstvoller Mehrstimmigkeit, gleichberechtigt neben der Motettenkomposition und mit eigener Gattungsbildung und Satztechnik. Charakteristischer Typus ist der dreistimmige »Kantilenensatz« mit gesungener Oberstimme und zwei begleitenden Instrumenten, wie er noch in der weltlichen Chanson der Frührenaissance den Regelfall bildet.
 
Wie in anderen Künsten werden im 14. Jahrhundert nun auch in der Musik einzelne herausragende Gestalten namentlich bekannt und biographisch sowie ihren Kompositionen nach deutlicher fassbar. Leben und Schaffen führender Komponisten belegen eine neue Achtung der Künstlerindividualität und eine in die Zukunft weisende Tendenz zur Autonomie ihrer Werke. Neben Machault gilt dies in besonderem Maße für Philippe de Vitry. Er bekleidete gehobene Stellungen am französischen Königshof, war Diplomat, seit 1351 Bischof von Meaux und stand mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit in engem Kontakt. Petrarca nennt ihn in einem Brief den »Poeta nunc unicus Galliorum« (= den zur Zeit einzigartigen französischen Dichter). In der letzten Phase eines bis in die Notre-Dame-Zeit zurückreichenden musikgeschichtlichen Traditionszusammenhangs tritt somit ein eigenartiges Spannungsverhältnis zwischen Werk und Komponist in Erscheinung. Während die Musik Philippe de Vitrys und Guillaume de Machaultsnoch eine späte, wenn auch vollendete Stufe mittelalterlichen Komponierens darstellt, vermittelt das, was von ihnen als Persönlichkeiten überliefert ist, bereits den Eindruck eines selbstbewussten und gesellschaftlich geachteten Künstlertums, wie es dann für die Renaissance bestimmend wurde..
 
Nach dem Tode Machaults steigerten in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts französische Komponisten die Formen und Techniken der Ars nova bis zu einem Punkt der äußersten Verfeinerung, einem subtilen artistischen Spiel mit Rhythmen und Tönen und ihrem Verhältnis zueinander, sowohl innerhalb einer Stimme wie auch zwischen den Stimmen. Kleinste Notenwerte und rascher Wechsel zwischen schwarzen und roten Noten, die unterschiedliche Metren symbolisieren, unruhig schweifende Melodik und eine von Pausen und Synkopen durchsetzter Satz machen die Ausführung dieser Stücke so schwierig, dass sie nur noch einem elitären Kreis von Musikern und Musikkennern zugänglich waren. Der Begriff »Ars subtilior« kennzeichnet das Manirierte dieser letzten Phase mittelalterlicher Musik. Aus geschichtlicher Sicht wirkt sie wie ein spätes farbiges Verblühen zu einer Zeit, als neue Klang- und Ausdrucksformen, vor allem in Italien und England, in Ansätzen bereits sichtbar wurden.
 
Prof. Dr. Peter Schnaus


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