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BIRGITTA VON SCHWEDEN: EIN BEISPIEL VON FRAUENMYSTIK

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Birgitta von Schweden: Ein Beispiel von Frauenmystik
 
Jene Christinnen des Mittelalters, die wir heute als Mystikerinnen bezeichnen, haben eine sachliche Würdigung nur selten erfahren. Bereits ihre Zeitgenossinnen waren oft uneins über sie - kamen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Gott oder vom Teufel? Für nicht wenige dieser Frauen entschied der Zufall der jeweiligen Verhältnisse, ob sie als Heilige verehrt oder als Hexen verurteilt wurden. Das Leben jener, die das Glück hatten, von der Kirche anerkannt zu werden, wurde schon zu ihren Lebzeiten und erst recht danach mit einem Schleier frommer Legenden umwoben, die im devotionellen Schrifttum noch heute gepflegt werden.
 
Zwischem dem 12. und dem 16. Jahrhundert traten Hunderte von Frauen auf, die von übersinnlichen religiösen Erfahrungen berichteten - man spricht von der »mystischen Invasion«. Drei von ihnen sind besonders bekannt geworden: Hildegard von Bingen (* 1098, ✝ 1179), Birgitta von Schweden * um 1303, ✝ 1373) und Katharina von Siena (* um 1347, ✝ 1380). Während Hildegard bald nach ihrem Tod fast vergessen war und erst in diesem Jahrhundert wieder berühmt wurde wie schon bei ihren Zeitgenossinnen und Katharinas Tätigkeit ganz auf Italien beschränkt blieb, hat Birgittas Wirken einen größeren Radius umfasst.
 
Die mittelalterliche Frauenmystik ist ganz wesentlich Erlebnismystik. Das heißt, diese Frauen berichteten von Offenbarungen, die sie in ihren Entrückungen von Gott erhalten hatten, der direkt zu ihnen sprach - so haben sie es jedenfalls erlebt. Diese Gespräche mit Christus, Maria, Heiligen und Engeln, diese unmittelbare Beziehung in die andere Welt war es, derentwegen sie zum Mittelpunkt einer gläubigen Gemeinschaft wurden, die oft in die höchsten Ränge der Gesellschaft reichte und ihnen einen Einfluss zu nehmen erlaubte, der heute kaum vorstellbar erscheint. Das Mittelalter dagegen rechnete damit, dass diese Manifestationen tatsächlich von Wesen außerhalb des Individuums eingegeben würden, weswegen diese Botschaften - speziell wenn sie von Gott direkt kamen - für so gewichtig wie die Bibel erachtet und als konkrete Handlungsanweisungen verstanden werden konnten.
 
Birgitta Birgersdotter war eine nahe Verwandte zum schwedischen Königshaus und Hofmeisterin der Königin. Das öffnete ihr fast alle Türen nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch in Italien, wo sie, früh verwitwet, seit 1349 mit einer Gruppe ihrer Verehrer lebte. Sie war mit 13 Jahren verheiratet worden und hatte acht Kinder geboren, von denen es ihr gelang, eine Tochter, Katharina, mit größter Strenge ebenfalls zu einer Heiligen zu machen. Von Birgittas Offenbarungen (Revelationes) in Form von Visionen und, öfter noch, von Auditionen (»Stimmen Hören«) sind über sechshundert von ihren Beichtvätern aufgezeichnet worden. Sie füllen zwei dicke Bände und wurden bereits 1492 gedruckt. Hauptinhalte dieser Mitteilungen Gottes waren Aufrufe zu sittlicher Besserung; sowohl gegenüber den Großen der Welt als auch der Kirche erwies Birgitta sich als zeitkritische Prophetin. So weissagte sie zum Beispiel ihrem Verwandten, dem König Magnus II., das göttliche Strafgericht über die Schweden: »mit Schwert und Lanze in seinem Zorn« werde Christus dieses Volk heimsuchen, wenn es sich nicht in Bescheidenheit üben wolle. Einen schwedischen Bischof sandte sie zur Vermittlung zwischen Frankreich und England im Hundertjährigen Krieg ab, den sie durch eine Eheschließung zwischen den Nachkommen der Gegner beenden wollte. Aber sie hatte auch weniger friedliche Pläne: Von Rom aus bemühte sich die Fürstin, König Magnus II. vom Thron zu stürzen, um ihre eigenen Verwandten zur Herrschaft zu bringen. Ihr Umsturzprogramm von 1361 gehört zu den wenigen Fragmenten, die in ihrer eigenhändigen Aufzeichnung bewahrt geblieben sind, und besteht in einer Rede der Himmelskönigin Maria an sie, die später tatsächlich von Aufständischen zur Propaganda gegen den Herrscher verwendet wurde.
 
Genauso wenig wie für Hildegard oder Katharina gilt für Birgitta die Vorstellung der bloß still in ihrem Kämmerchen dem Wort Gottes lauschenden Beterin. Alle drei waren kirchen- und staatspolitisch aktiv. Birgitta allerdings ist wesentlich weiter in der Welt herumgekommen als die meisten sonstigen Mystikerinnen, von Schweden nach Rom, von Rom nach Zypern und sogar ins Heilige Land. Ihr hauptsächliches Bemühen galt der Rückkehr des damals in Avignon residierenden Papstes nach Rom. Deswegen scheute sie sich nicht, dem Oberhaupt der Christenheit furchtbare Drohworte zu schreiben: Sollte er nicht kommen, verkündete sie Gregor XI., »dann wird er den Stab der Gerechtigkeit spüren, seine Tage werden gekürzt werden, und er wird zu Gericht gerufen werden. Nicht werden ihm dann die weltlichen Herren helfen können, nicht die Ärzte, auch nicht die gute Luft seiner Heimat. ..«. Urban V. war ihren Ermahnungen noch gefolgt, hatte aber die Ewige Stadt wieder verlassen, weswegen er, wie Birgitta schon in ihrer Ekstase erfahren hatte, bald darauf das Leben verlor.
 
Auf die Gläubigen in der Art der alttestamentlichen Propheten einzuwirken, war sicher Birgittas zentrales Anliegen. Die sonst häufigen brautmystischen Ergüsse sind bei ihr selten: »O du, mein süßester Gott! Wenn du mich würdigst, mein Herz zu besuchen, so können sich meine Arme nicht enthalten, meine Brust vor der vergöttlichenden Liebessüße zu umfassen, die ich alsdann in meinem Herzen empfinde. Es kommt mir vor, du werdest in meine Seele so eingedrückt, dass du wahrhaft ihr Herz und ihr Mark und ihr ganzes Inneres wärest. ..«. Zu Weihnachten erlebte Birgitta (wie mehrere andere Mystikerinnen) körperlich die Schwangerschaft mit dem Jesuskind in der Nachfolge Mariens.
 
Vor allem aber ist Birgitta eine ausgeprägte Leidensmystikerin, sie sucht, wie viele fromme Zeitgenossinnen, die Vereinigung mit Gott im Nachfühlen der Passion. Christi. Maria, zu der die Seherin ein besonders enges Verhältnis hat, lässt sie etwa miterleben, wie sie beim Anblick der Glieder ihres Kindes schon die künftigen Nägelmale sieht und darüber in tiefe Trauer fällt oder wie sie beim ersten Geißelschlag besinnungslos zu Boden stürzt. Maria ist es, die Birgitta zahllose erschütternde, aber in den Evangelien nicht verbürgte Einzelheiten aus dem Leidensweg des Herrn mitteilt: dass bei der Geißelung sein Fleisch bis auf die Rippen weggerissen wurde, dass die Peiniger seine Linke mit einem Strick auszerrten, dass der linke Fuß über dem rechten gekreuzigt wurde und so fort. Die Meditation über solche Ereignisse der Heilsgeschichte war für die Frömmigkeit und Mystik des späten Mittelalters viel typischer als etwa die abstrakte Wesensmystik eines Meister Eckhart. Denn, belehrt der Herr Birgitta, unterlassenes Mitleid »mit den Schmerzen und Wunden des Leidens Christi« ist ein so schweres Vergehen, dass, »wenn alle Sterne und Planeten sich in Zungen verwandelten, wenn alle Heiligen mich bäten«, Christus einem solchen Menschen doch nicht vergäbe.
 
Birgitta hat auch einen neuen Klosterorden, den »Ordo sanctissimi Salvatoris«, geschaffen. Genaue Details über die Anlage der Gebäude, die Tracht und Zahl der Mitglieder, den Tagesablauf und die Organisation bekam sie dazu in der Vision mitgeteilt. Vadstena, die am Vätternsee südwestlich von Stockholm gelegene Stammburg der Folkunger, wurde der Ausgangspunkt der sich in Europa weit ausbreitenden Birgittiner, einer Gemeinschaft von Nonnen und Priestern, die unter der Leitung einer Äbtissin ein Doppelkloster bewohnen.
 
Gerade weil Birgitta so leidenschaftlich für Reformen eintrat, war sie vielen unbequem. Ihre hochadlige Abkunft schützte sie davor, in größere Schwierigkeiten zu kommen, doch es gab die Beschuldigung, sie sei in Wirklichkeit eine Hexe. Noch ein Jahr vor ihrem Tod, als die Schwedin längst eine Berühmtheit geworden war, meinte ein königlich-zypriotischer Hofbeichtiger schlicht: »Das ist eine Irrsinnige«.
 
Auch die Beurteilung ihrer Offenbarungen nach ihrem Tod löste viel Streit aus. Manche predigten öffentlich, sie müssten verbrannt werden. Ihre Anhänger dagegen stellten sie geradezu auf eine Stufe mit der Heiligen Schrift. Schließlich hat es dreier Kanonisationen bedurft (1391, 1415 und 1419), bis Birgittas Heiligkeit unangefochten blieb; die Schwedin wurde so zur meistkanonisierten Heiligen. Von den deutschen Mystikerinnen hat sie besonders die Patronin des Preußenlandes, Dorothea von Montau (* 1347, ✝ 1394, bekannt aus »Der Butt« von Günter Grass), beeindruckt.
 
Birgittas Orden lebt, wenn auch mit nur sehr wenigen, meist weiblichen Mitgliedern bis heute. Sie stammen zu einem großen Teil aus der Dritten Welt. So paradox es klingen mag: Die Offenbarungen ihrer namengebenden Heiligen werden selbst im Orden kaum oder nur sehr selektiv gelesen. Damit teilt auch Birgitta das Schicksal der anderen großen mittelalterlichen Mystikerinnen: Sie werden viel und oft naiv verehrt, viel und oft einseitig zitiert, aber was sie wirklich schrieben, ist großenteils so fremd, dass eine Lektüre der ungekürzten Originaltexte nur selten gewagt wird.
 
Prof. Dr. Peter Dinzelbacher
 
Literatur:
 
Dinzelbacher, Peter: Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Paderborn u. a. 1994.
 Grundmann, Herbert: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Darmstadt 41977.


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