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SYNTHESIZER UND GESANG: ENTFESSELTE GERÄUSCHE UND RAUE STIMMEN

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Synthesizer und Gesang: Entfesselte Geräusche und raue Stimmen
 
Für den Maler und passionierten Kammermusiker Paul Klee lag eine Maschine, die zwitschert, durchaus im Bereich des Vorstellbaren. Zwar ist ungewiss, wie die von ihm 1922 ersonnene »Zwitscher-Maschine« in ihrer verrückt-zerbrechlichen Bauart funktionieren soll. Fraglich bleibt ebenso, welcher Art das Gezwitscher ist, das aus den bewegten Vögelköpfen erklingen soll.
 
Das breite Spektrum der Geräusche, die die Lebensäußerungen von Tieren und Menschen bis hin zu Klängen der unbelebten Natur umfassen, wird in der Musik des 20. Jahrhunderts in sehr unterschiedlicher Weise integriert. In den Hörspielabteilungen des Rundfunks, in Filmstudios und ganzen »Geräuscho-theken« sind originale, das heißt gesampelte und simulierte Geräuschklänge gesammelt und verfügbar. Während ein gewöhnlicher musikalischer Ton immer ein zerlegbares Gemisch aus Grundton und Obertönen ist, lassen sich beim Geräusch keine einzelnen Töne unterscheiden; es besteht aus mehr oder weniger großen Schwingungsamplituden über einen größeren Frequenzbereich.
 
Während des Ersten Weltkrieges entwickelte der Italiener Luigi Russolo sechs Instrumentengruppen aus Holz und Metall, mit denen er sein Ideal einer futuristischen Geräuschmusik realisieren wollte: Summer (»ronzatore«), Reiber (»stropicciatore«), Rauscher (»frusciatore«), Zischer (»sibilatore«), Knisterer (»crepitatore«) und Heuler (»ululatore«).»Obwohl die Eigenart des Geräusches darin besteht, uns brutal ins Leben zu versetzen, darf sich die Geräuschkunst nie auf eine imitative Wiederholung des Lebens beschränken. Sie wird ihre größte Emotionsfähigkeit aus dem akustischen Genuss selbst schöpfen, den die Inspiration des Künstlers aus den Geräuschkombinationen zu ziehen versteht.« Russolos futuristisches Manifest »Die Geräuschkunst« (1913) markierte einen wichtigen Schritt auf dem Wege der Tonkunst zu neuen Klangwelten von Maschinen, Elektronik und Computermusik.
 
Zahlreiche Tüftler hatten sich seit den Zwanzigerjahren der Erfindung elektronischer Musikinstrumente verschrieben, angefangen mit dem Radiowelleninstrument »Ondes Martenot«, für welches Komponisten wie Maurice Ravel, Darius Milhaud, Arthur Honegger und Olivier Messiaen eigens Stücke anfertigten. Bekannt war neben dem Trautonium vor allem auch der Elektronik-Oldtimer Theremin, dessen säuselnd-ätherischer Klang bis in die gegenwärtige Popmusik mehrere »Revivals« erlebt hat. Der Ton wird in der Luft kreiert, indem die Hände im elektrischen Feld zweier Antennen bewegt werden; die linke Hand steuert die Lautstärke, die rechte die Tonhöhe.
 
Nachdem die amerikanische Filmindustrie das kalte, synthetisch vibrierende Timbre dieser futuristischen Wundermaschine als ideale Untermalung für Thriller-, Sciencefiction- und Gruselszenen entdeckt hatte, ließ Robert Moog einige dieser Bauprinzipien in die Erfindung des Synthesizers einfließen. Losgelöst von der analogen Welt natürlicher Klänge sind heute in den virtuellen Landschaften des Digitalen die Möglichkeiten ungewöhnlicher und ungeahnter Soundentwicklungen schier unbegrenzt. Der digitale Sampler, mittlerweile ein verbreitetes Instrument, ist in der Lage, Geräusche des Alltags genauso wie beliebige Stile und Klangsysteme einzufrieren und zum Gegenstand elektroakustischer Veränderungen und Variationen zu machen. Das per Mausklick mögliche Aufeinanderschichten, Bearbeiten und Wiederholen akustischer Bausteine bringt die tradierten ästhetischen Kategorien ins Wanken, beim Techno-Bastler genauso wie beim avantgardistischen Audio-Künstler. »Plunderphonics« nennt beispielsweise der Kanadier John Oswald seine digitalen Fragmente-Montagen populärer Kultur.
 
Bei allen technischen Möglichkeiten der Studiotechnik seit Ende der Sechzigerjahre bleibt bei jeder Tonaufnahme die Entscheidung darüber, ob »reine« Musik oder Musik als menschliche Hervorbringung, einschließlich aller Produktionsgeräusche wie Spielansatz, Atemgeräusche, Schnalzen und Räuspern, auf den Tonträger gehört.
 
Synthetische Singstimmen von mittlerweile beeindruckender Qualität vermag ein Synthesizer zwar zu simulieren, jedoch dem magischen Geheimnis der Stimmen von Sängerinnen und Sängern aller Genres kann er nicht auf die Spur kommen. Dieses ist bedingt durch die natürlichen Merkmale der jeweiligen Stimme, also Klangfarbe, Vibrato und Stimmansatz. Was aber darüberhinaus Sänger wie Édith Piaf, Mick Jagger, Janis Joplin, Tom Waits und viele andere einbringen, ist jene »Rauheit« der Stimme, die den franzsösischen Literaturkritiker und Essayisten Roland Barthes begeisterte - Stimmen, die den Rahmen der Kultur sprengen, indem die Zunge, die Stimmritze, die Zähne und die Nase mitsingen: »im Rachen, dem Ort, wo das phonische Metall hart und zugeschnitten wird, und im Gesichtsausdruck zerspringt die Signifikanz und lässt nicht die Seele, sondern die Wollust hervortreten. - Ich werde also in voller Freiheit einen wenig bekannten, zweitrangigen, vergessenen und vielleicht toten Künstler verehren und mich von einem anerkannten Star abwenden, und ich werde in allen Genres der Vokalmusik, einschließlich der Unterhaltungsmusik, meine Wahl treffen. ..« Das Geräuschhafte dieser »rauen« Stimmen, im europäischen Raum derart hervorgehoben, ist in anderen Regionen der Erde selbstverständlicher Bestandteil der Klangideale menschlicher Stimmen.
 
Die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts mit ihren Möglichkeiten der »akustischen Fotografie« ist in hohem Maße auch ein Gewebe von Stimmen, die, auf Tonträgern aufgezeichnet, andere Stimmen angeregt und beeinflusst haben. Hank Williams etwa, die Gründerfigur der Countrymusik, war zusammen mit zahlreichen farbigen Bluessängern einer der Vorbilder des jungen Elvis Presley; doch auch Ray Charles und Bruce Springsteen bezogen sich auf ihn. Ähnliche »Stimm-Geschichten« überziehen auch viele andere Bereiche populärer Musiken.
 
Doch auch auf dem Gebiet der Neuen Musik gab es im 20. Jahrhundert immer wieder, von Schönbergs »Pierrot lunaire« über Luciano Berios »Sequenza III« bis zu gegenwärtigen Vokalexperimenten, Alternativen zum Belcanto, zum Singen »im Dienste der Kommunikation, der Repräsentation, des Ausdrucks«, wie Barthes es ausdrückt. Komponisten und Vokalartisten inspirieren sich wechselseitig. Eine Sängerin wie Cathy Berberian mit ihren grandiosen vokalen Ressourcen regte zahllose Vokalwerke an. Heute hat die Abkehr von der »trainierten« oder »produzierten« Stimme in Darstellung und Technik über den poulären Bereich hinaus längst die Komponisten erreicht - auf der Suche nach neuen Arten des Gesangs für das nächste Jahrhundert.
 
Prof. Dr. Hartmut Möller
 
Literatur:
 
Flender, Reinhard und Rauhe, Hermann: Popmusik. Aspekte ihrer Geschichte, Funktionen, Wirkung und Ästhetik. Darmstadt 1989.


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