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CHINA: DER GROßE SPRUNG NACH VORN

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China: Der große Sprung nach vorn
 
China - das war für Europäer seit Marco Polos Bericht aus dem 13. Jahrhundert das viel bewunderte »Land der Mitte«: ein mächtiges Reich mit einer hoch entwickelten Kultur, der Mittelpunkt einer ostasiatischen Welt, die mit den »Barbaren« im Westen wenig Berührung suchte. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert. Die chinesische Gesellschaft litt zunehmend unter der Verarmung weiter Bevölkerungskreise, Folge eines ungebremsten Bevölkerungswachstums. Die kaiserliche Herrschaftsordnung, seit Jahrhunderten nahezu unreformiert, stand hilflos vor der militärischen Bedrohung, die nun von den imperialistischen Mächten des Westens ausging. China geriet in vielfältige Abhängigkeit von den industrialisierten Ländern.
 
Der Sturz der Monarchie 1911 löste keines der Probleme des Landes. Vor allem das Elend der Landbevölkerung nahm weiter zu. Ein lang andauernder Bürgerkrieg verhinderte die politische Stabilisierung. 1937 überfiel Japan seinen schwachen Nachbarn und führte bis 1945 einen brutalen Eroberungskrieg gegen ihn. In diesen Jahren stieg die bereits 1921 gegründete Kommunistische Partei Chinas zur führenden patriotischen Kraft auf.Nach Kriegsende konnte sie sich gegen ihren innenpolitischen Gegner, den konservativen General Chiang Kai-shek, militärisch durchsetzen und durch ein Programm radikaler Veränderungen auf dem Lande die Unterstützung großer Teile der Bauernschaft gewinnen. Der Sieg der Kommunisten war daher nicht wie in Russland 1917 auf einen plötzlichen Putsch zurückzuführen, sondern hatte tiefere Ursachen und sogar eine gewisse Zwangsläufigkeit.
 
Am 1. Oktober 1949 proklamierte der Revolutionsführer Mao Zedong in Peking die Gründung eines neuen Staates: der Volksrepublik China. Innerhalb weniger Monate gelang den kommunistischen Streitkräften, der Volksbefreiungsarmee, das Unglaubliche: China nach Jahrzehnten der Zersplitterung in den weitestmöglichen Grenzen wieder zu vereinigen. Mit Ausnahme der Insel Taiwan, auf die sich die unterlegenen Bürgerkriegsgegner geflüchtet hatten, und der Äußeren Mongolei war das Großreich der Kaiser des 18. Jahrhunderts wieder auferstanden, das bevölkerungsreichste und nach der Fläche drittgrößte Land der Welt.
 
Damit war China noch keineswegs eine Weltmacht. Das Land war bettelarm und musste sich zunächst auf seine drängenden inneren Probleme konzentrieren. Die Kommunistische Partei Chinas hatte schon früh vermieden, eine Befehlsempfängerin der sowjetischen Schwesterpartei zu sein. Nach 1949 blieb ihr zunächst aber nichts anderes übrig, als sich eng an die Sowjetunion anzulehnen. Zum einen gab es angesichts der Feindschaft der anderen Supermacht, der USA, keine Alternative; China und die USA führten 1950-52 in Korea sogar einen Krieg gegeneinander. Zum anderen waren Mao Zedong und die übrigen Parteiführer nicht bloß Nationalisten, sondern überzeugte Anhänger des Marxismus-Leninismus, so wie sie ihn verstanden. Ihr Ziel war deshalb die »sozialistische Umgestaltung« der chinesischen Gesellschaft. Dieses Ziel packten sie mit rücksichtsloser Energie an.
 
 Sozialistischer Aufbau, revolutionäre Exzesse
 
Zwischen 1949 und 1957 schalteten die neuen Herren alle Kräfte gewaltsam aus, die als »konterrevolutionär« galten. Intellektuelle, die vorsichtig am Machtmonopol der Kommunistischen Partei rüttelten, wurden streng gemaßregelt. Industrie und Handel waren um 1956 nahezu vollständig verstaatlicht. Die Macht der vorrevolutionären Grundbesitzerklasse wurde gebrochen. Nach dem Vorbild von Stalins Kolchosen wurden die Betriebe von Millionen von Kleinbauern »kollektiviert« und in großen Produktionseinheiten zusammengefasst. Die gesamte Volkswirtschaft unterlag zentraler Planung. Diese in Chinas Geschichte beispiellos radikale Neuordnung zeitigte in den 50er-Jahren beträchtliche Erfolge. Die landwirtschaftlichen Erträge konnten gesteigert und die Grundlagen einer Schwerindustrie geschaffen werden. Sowjetische Rezepte waren mithilfe Tausender russischer Berater halbwegs erfolgreich auf ein rückständiges Agrarland übertragen worden.
 
Mao Zedong selbst ließ jedoch keinen Zweifel am Vorrang politischer Visionen vor wirtschaftlichen Notwendigkeiten. 1958 proklamierte er den Übergang zum »Kommunismus«, ein Schritt, den Lenin, Stalin und ihre Nachfolger nie getan hatten. In gigantischen Massenkampagnen wurde die Bevölkerung zu kräftezehrenden Arbeitseinsätzen in der Ernte, bei öffentlichen Bauten und der Errichtung zahlloser Miniaturhochöfen überall auf den Dörfern mobilisiert. Die letzten Reste von Privateigentum und individueller Lebensführung verschwanden während dieses »Großen Sprungs nach vorn«. Wirtschaftlich gesehen, war der »Große Sprung« heller Wahnsinn. Er endete in der weltweit schlimmsten Hungerkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Die Schätzungen der Bevölkerungsverluste zwischen 1959 und 1961 schwanken zwischen 14 und 30 Millionen. Im Westen nahm man davon wenig Notiz, vor allem weil Unruhen ausblieben und der gleichzeitige Abbruch der Beziehungen zwischen den einstigen sozialistischen Verbündeten China und der Sowjetunion die Aufmerksamkeit fesselte.
 
Mao Zedong überlebte politisch das Debakel des »Großen Sprungs« und setzte 1966 zu einem letzten bizarren Versuch totalitärer Mobilisierung an: seiner »Großen Proletarischen Kulturrevolution«. Durch geschickte Propaganda wurden Schüler und Studenten zur Revolte gegen jede Tradition und Autorität, natürlich außer der persönlichen Maos, aufgestachelt - gegen Lehrer, »bürgerliche« Intellektuelle, die klassische chinesische Kultur, schließlich gegen den gesamten Parteiapparat. Mao wäre es beinahe gelungen, die Partei, die er einst selbst aufgebaut hatte, zu zerstören. Als die Auseinandersetzungen jedoch immer mehr außer Kontrolle gerieten, setzte er die Armee ein, um die Ordnung wieder herzustellen. Hunderttausende von Jugendlichen wurden zur »Umerziehung« aufs Land geschickt.
 
Die Kulturrevolution mit ihren Massenaufmärschen fanatisierter »Rotgardisten«, die die rote »Mao-Bibel«, eine Sammlung von Aussprüchen des »Großen Vorsitzenden«, schwenkten, fand im Westen die Zustimmung derjenigen, die jeden Angriff auf ein »Establishment« begrüßten. Vor der Destruktivität dieser wilden Episode verschloss man die Augen. Ernsthafter ließ sich die Frage diskutieren, ob China nicht vielleicht mit seiner Politik der »Wiedergeburt aus eigener Kraft« ein Vorbild für andere Entwicklungsländer sein könne. Die Antwort gab die Führung der Kommunistischen Partei Chinas selbst, als sie nach Maos Tod (1976) die Strategie der Isolierung für gescheitert erklärte und die vordem verteufelten »ausländischen Kapitalisten« am wirtschaftlichen Aufbau beteiligte.
 
 Vom »Modell China« zur spannungsreichen Normalität
 
Mao Zedong hatte 1971 mit der Annäherung an den alten Erzfeind USA und der Aufnahme in die UNO eine gefährliche außenpolitische Isolierung durchbrochen. Seine Nachfolger verzichteten auf den weltweiten »Export der Revolution«, der ohnehin nur in Albanien und bei einigen Guerillabewegungen Widerhall gefunden hatte. Man rückte von dem Anspruch ab, ein Modell für den Rest der Welt gefunden zu haben. Unter der Führung von Deng Xiaoping konzentrierte sich die Volksrepublik seit 1978 auf ihre eigenen Probleme. Ihre Außenpolitik ist heute nicht länger ideologisch, sondern realpolitisch motiviert. Die Nuklearmacht China versucht nicht, weltweit präsent zu sein, sondern baut in erster Linie ihre Vormachtstellung in Asien aus - eine Sorge für viele ihrer Nachbarn. China öffnete sich wirtschaftlich und kulturell zur Außenwelt, ohne allerdings westlichen Demokratievorstellungen Raum zu geben. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung vor dem Tor des Himmlischen Friedens im Juni 1989 machte dies überdeutlich. Auch am Ende des Jahrtausends ist China noch eine kommunistische Parteidiktatur. Die »sozialistische Marktwirtschaft« Deng Xiaopings hat den Lebensstandard des Durchschnittschinesen viel deutlicher gesteigert, als dies den maoistischen Dogmatikern jemals gelang. Von dem Wirtschaftswachstum profitieren aber nicht alle Teile des riesigen Landes. China sucht heute nach Antworten auf seine eigenen Probleme. Ein Modell für andere kann und will es nicht sein.
 
Prof. Dr. Jürgen Osterhammel


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