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BERNOULLI: EINE MATHEMATIKERFAMILIE

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Bernoulli: Eine Mathematikerfamilie
 
Es ist ein seltenes Phänomen in der Geistesgeschichte, dass eine einzige Familie innerhalb von drei Generationen acht Mitglieder hervorbringt, welche durch ihre besondere Begabung nicht nur einzelne bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen machen, sondern darüber hinaus schulbildend wirken, ganze Wissenschaftszweige überhaupt erst begründen und Mathematik und Naturwissenschaften insgesamt auf ein neues Niveau heben. Solches geleistet zu haben, macht den Ruhm der Basler Familie Bernoulli aus.
 
 Die Herkunft der Familie
 
Die Geschichte der Familie Bernoulli, die heute noch blüht, lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Über die Herkunft ihres Namens ist viel spekuliert worden. Eine Verbindung zur Familie De Bernuy aus Burgos oder zu burgundischen Ursprüngen ist aber bis jetzt nicht schlüssig belegt. Der älteste Ahn Jacob war als vermögender Importkaufmann in Antwerpen tätig. Er wanderte 1570 mit seiner gesamten Familie — wohl um den Verfolgungen der Protestanten unter Herzog Alba zu entgehen — nach Frankfurt am Main aus.1620 kam der Enkel dieses Jacob nach Basel, wo er 1622 in das Bürgerrecht der Stadt aufgenommen wurde. Sein Sohn Nicolaus, ein vermögender Gewürzhändler, Basler Gerichtsherr und ab 1668 Mitglied des Stadtparlaments, ist der Stammvater der Mathematikerdynastie, die mit seinen beiden Söhnen Jacob und Johann Bernoulli begann (Jacob I und Johann I nach der eingebürgerten Zählung der gleichnamigen Mathematiker der Familie).
 
 Jacob Bernoulli — Suche nach der Bestimmung
 
Jacob Bernoulli wurde als fünftes Kind seiner Eltern am 27. Dezember 1654 (alten Stils) in Basel geboren. Im Gymnasium seiner Vaterstadt erhielt er ab 1662 die übliche klassische Bildung. 1668 immatrikulierte er sich an der Basler Universität und studierte — es bleibt unklar, ob auf eigenen Wunsch oder auf Drängen des Vaters — Theologie. 1676 schloss er mit dem Lizenziat ab und war damit berechtigt, ein Pfarramt zu übernehmen.
 
Bereits während seines Theologiestudiums war Jacob von Büchern mathematischen Inhalts fasziniert und entdeckte bald seine besondere Begabung auf diesem Gebiet. Dem Beispiel vieler Basler Studenten folgend übernahm Jacob nach Abschluss seiner theologischen Studien einige Hauslehrerstellen in Genf und Frankreich. 1680 nach Basel zurückgekehrt, begann Jacob nun ernsthaft an seiner weiteren Ausbildung zu arbeiten. Jetzt studierte er insbesondere die Werke von Malebranche und Descartes und arbeitete die Archimedes-Ausgabe von Barrow aufmerksam durch. Eine zweite Bildungsreise nutzte er, um in Amsterdam Vorlesungen über Navigation zu hören, sein Studium von Euklids Elementen und der cartesischen Geometrie zu vertiefen und zu einem Abstecher nach England.
 
Der Aufenthalt in denjenigen beiden Ländern, die damals hinsichtlich der Pflege der Mathematik und Naturwissenschaften europäische Spitzenränge einnahmen, und die Begegnung mit ihren führenden Gelehrten brachten für Jacob Bernoulli den endgültigen Durchbruch zu seiner eigentlichen Bestimmung. 1683 erschien seine erste lateinische Schrift über das Gewicht der Luft und dasjenige einer feineren Substanz, des Äthers, sowie sein erster Artikel (über eine Tauchmaschine von Borelli) in einer der führenden wissenschaftlichen Zeitschriften jener Zeit, den Leipziger »Acta Eruditorum«. Den Baslern stellte er sein Talent in öffentlichen Experimentalvorlesungen zur Hydrostatik vor. Doch immer noch schien sich Jacob nicht endgültig binden zu wollen. Eine Berufung als Pfarradjunkt nach Straßburg lehnte er ebenso ab wie diejenige zum Vertreter auf dem mathematischen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg. 1684 wurde er endlich sesshaft und heiratete die Tochter einer gut situierten Basler Familie, Judith Stupan.
 
Die zahlreichen Publikationen, die öffentlichen Vorlesungen zur Experimentalphysik, die Bekanntschaft mit führenden Gelehrten seiner Zeit und vielleicht nicht zuletzt der Einfluss von Vater und Schwiegervater in Basel führten auch zur Sicherung der beruflichen Zukunft, und im Februar 1687 wurde Jacob Bernoulli auf den Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Basel berufen. Bei seinem Amtsantritt ahnte er wohl kaum, dass mit ihm der Basler Lehrstuhl, den er bis zu seinem Tod innehatte, für mehr als hundert Jahre in ununterbrochener Folge von einem Bernoulli, zuerst von seinem Bruder Johann I und dann von dessen Sohn Johann II, besetzt werden würde.
 
 Die Reifezeit
 
Die Übernahme des Basler Lehrstuhls für Mathematik gab Jacob Bernoulli die Möglichkeit, seinen wissenschaftlichen Interessen frei nachzugehen. In seinen Vorlesungen gab er Einführungen in die traditionellen Disziplinen wie Astronomie, Arithmetik, Algebra, Geometrie und Trigonometrie. Seine eigenen neuen Entdeckungen behandelte er in Privatvorlesungen, in denen er einen kleinen Kreis von begabten Privatschülern um sich scharte. Zwischen 1689 und 1704 erschienen die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungen in fünf großen Abhandlungen. Jacob Bernoulli untersuchte hier erstmals systematisch die Summation unendlicher Reihen. Mithilfe der gewonnenen Einsichten wurden Approximationsverfahren für die Lösungen algebraischer Gleichungen entwickelt sowie Potenzreihen für transzendente Funktionen, z. B. für die Logarithmus-, die Exponential- und die Winkelfunktionen, gefunden und analysiert. In Folge konnte er zahlreiche bisher ungelöste Fragen beantworten, darunter z. B. die schon von Galilei gestellte nach der Form eines gebogenen Balkens, womit er die Grundlage der Elastizitätslehre schuf.
 
Die Anwendung der Reihenlehre auf höhere Funktionen wurde für Jacob Bernoulli vor allem mittels des leibnizschen Differenzialkalküls möglich. Dieses mächtige und vielseitige Instrument stand Jacob und seinem Bruder Johann ab Mitte der 1680er-Jahre voll zur Verfügung. Im Oktober 1684, dem Monat von Jacob Bernoullis Heirat, erschien in den Leipziger »Acta Eruditorum« ein kleiner Aufsatz von Leibniz. Er stellte unter dem Titel Eine neue Methode für Maxima, Minima und Tangenten. .. in knappster Form die Grundlagen der vom Autor erfundenen neuen Infinitesimalmathematik, des »calculus«, vor. Leibniz, der schon seit längerem über diese Methoden verfügte, hatte die Arbeit publiziert, um seine inzwischen bedrohten Prioritätsansprüche zu sichern.
 
Jacob Bernoulli und sein dreizehn Jahre jüngerer Bruder Johann studierten aufmerksam die leibnizsche Veröffentlichung von 1684, ohne jedoch ihre Geheimnisse sofort entschlüsseln zu können. Bei Übernahme der Basler Professur im Jahre 1687 richtete Jacob Bernoulli einen ersten Brief an Leibniz und bat darin um Aufklärung über dessen neuartiges Verfahren. Da Leibniz in Italien weilte, blieb eine Antwort aus. Jacob und Johann Bernoulli eigneten sich daher ohne Anleitung gemeinsam die leibnizschen Methoden an. Als Leibniz aus Italien zurückkehrte, war er höchst erfreut zu sehen, dass die beiden Brüder als erste Forscher außerhalb seines direkten Freundeskreises sein Verfahren bereits meisterlich beherrschten. »Diese Methode ist nicht weniger die eure als die meine«, ließ er sie 1694 wissen. Die beiden Basler wurden von nun an seine wichtigsten Bundesgenossen und die schlagkräftigsten Propagandisten des »calculus« auf dem Kontinent.
 
Die Meisterschaft, mit welcher Jacob Bernoulli den neuen Differenzialkalkül anwendete, zeigte sich beispielsweise bei der Behandlung des von seinem Bruder aufgeworfenen »Brachystochronenproblems«. Im Jahr 1696 stellte Johann Bernoulli »den scharfsinnigsten Mathematikern des ganzen Erdkreises« öffentlich das Problem, die Gleichung derjenigen Kurve — Brachystochrone genannt — zu finden, auf der sich ein Körper allein unter dem Einfluss der Schwerkraft in kürzester Zeit von einem höher gelegenen Punkt zu einem tiefer gelegenen bewegt. Durch eine geschickte Analogie aus der Optik konnte Johann sehr elegant zeigen, dass die Brachystochrone die Form einer längst bekannten Kurve, nämlich der Zykloide, hat. Jacob löste die Aufgabe, der sich außer ihm nur Leibniz, Newton und der Marquis de L'Hospital gewachsen zeigten, auf eine Weise, die sein tieferes Verständnis der mathematischen Hintergründe verrät. Durch hämische Bemerkungen seines Bruders sah er sich jedoch bald veranlasst, ein eigenes Problem nachzuschieben, das »verallgemeinerte isoperimetrische Problem«, das die Maximierung der von bestimmten Kurven eingeschlossenen Fläche behandelt. Johann griff das schwierige Problem des Bruders begierig auf und behauptete voreilig, es vollständig gelöst zu haben. Als Jacob öffentlich nachwies, dass die Lösung falsch war, brach der Streit zwischen den Brüdern offen aus und wurde fortan in Schriften und Gegenschriften immer heftiger ausgetragen. Die Freunde Leibniz und Pierre Varignon versuchten vergeblich zu vermitteln. Die Zeitschriften lehnten schließlich die Aufnahme weiterer Streitschriften in dieser Angelegenheit ab.
 
Für die Nachwelt hatte dieser unschöne Bruderzwist das erfreuliche Ergebnis, dass aus ihm ein völlig neuer Wissenschaftszweig entsprang, die Variationsrechnung. Während Leibniz mit seinem Differenzialkalkül zunächst nur die Maxima und Minima einzelner Funktionen bestimmen konnte, ermöglichten die neuen Verfahren der Variationsrechnung, unter ganzen Scharen von Funktionen diejenigen zu finden, welche gewissen optimalen Bedingungen genügen. Die Methoden Jacob Bernoullis erwiesen sich dabei denjenigen seines Bruders, welcher meist am Einzelfall elegante Spezialverfahren entwickelte, durch ihre Allgemeinheit und Verallgemeinerungsfähigkeit überlegen. Bedeutende Fortschritte machte Jacob Bernoulli auch auf dem Gebiet der Differenzialgeometrie. Zu nennen sind hier z. B. seine Untersuchungen zur Isochrone und zur Lemniskate, zu Brennlinien bei optischen Linsen, zur Form eines geblähten Segels und einer durch Wasser belasteten Membran. Im Zusammenhang mit seinen differenzialgeometrischen Untersuchungen verwendete er 1691 erstmals im Druck den bis heute üblichen Begriff »Integral«.
 
Für einen weiteren Wissenschaftszweig, die Wahrscheinlichkeitstheorie, darf Jacob Bernoulli ebenfalls das Recht in Anspruch nehmen, ihn als Erster systematisch behandelt und seine entscheidenden Grundgesetze gefunden zu haben. Die wichtigsten Entdeckungen hierzu trug er zunächst in sein wissenschaftliches Tagebuch (»Mediationes«) ein, das er seit 1677 führte, um sie später in einem Buch weiterverarbeiten zu können. Das geplante Buch ist allerdings erst posthum im Jahr 1713 von seinem Neffen Nicolaus I unter dem Titel Ars conjectandi publiziert worden. Es enthält Untersuchungen über Permutationen und Kombinationen, das bernoullische Theorem über Binomialverteilungen und die bernoullischen Zahlen. Es gelang Jacob Bernoulli dabei, Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitslehre wie die des Zufallsversuchs, der relativen Häufigkeit, des Erwartungswerts oder der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses erstmals mathematisch zu formulieren.
 
Als Epoche machende Entdeckung wird in diesem Buch das »Gesetz der großen Zahl« vorgestellt, nach dem bei einer Folge von Zufallsversuchen die relative Häufigkeit eines Ausgangs mit wachsender Versuchszahl gegen einen bestimmten Grenzwert strebt. Dieser Wert kann als Maß für die Wahrscheinlichkeit des Ausgangs verwendet werden. In Jacobs eigenen Worten lautet das Gesetz so: »Durch Vermehrung der Beobachtungen wächst beständig auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zahl der günstigen zu der Zahl der ungünstigen Beobachtungen das wahre Verhältnis erreicht, und zwar in dem Maß, dass diese Wahrscheinlichkeit schließlich jeden beliebigen Grad der Gewissheit übertrifft.« Das Gesetz der großen Zahl ermöglichte erstmals eine gesicherte mathematische Berechnung unbekannter Wahrscheinlichkeiten aus den beobachteten relativen Häufigkeiten und wurde damit zur Grundlage der Statistik.
 
Jacob selbst war sich der Bedeutung seiner Entdeckung voll bewusst. Am Ende des Beweises seines Hauptsatzes in den »Meditationes« schreibt er: »Diese Entdeckung schätze ich höher, als wenn ich die Quadratur des Kreises angegeben hätte, welche, wenn sie allenfalls gefunden würde, doch von geringem Nutzen wäre.«
 
 Die letzten Lebensjahre
 
Jacob Bernoullis Entdeckungen auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie blieben den Zeitgenossen unbekannt. Nicht einmal sein jahrzehntelanger Briefpartner Leibniz zeigte großes Interesse. Seine übrigen Beiträge zu den mathematischen Wissenschaften brachten ihm mehr Ruhm und Ehre ein. Zusammen mit seinem Bruder wurde er 1699 als einer der acht auswärtigen Mitglieder in die Académie des sciences in Paris und auf Betreiben von Leibniz 1701 in die Brandenburgische Sozietät in Berlin aufgenommen.
 
Der Bruderzwist und schwere gesundheitliche Probleme belasteten die letzten Lebensjahre von Jacob Bernoulli. Als er erfuhr, dass sein Bruder Johann seinen Lehrstuhl in Groningen aufgegeben hatte, um den Lehrstuhl für griechische Sprache in Basel zu übernehmen, schrieb der bereits Todkranke resignierend an Leibniz: »Wenn das Gerücht stimmt, so wird mein Bruder gewiss nach Basel zurückkehren, nicht etwa um den griechischen Lehrstuhl zu übernehmen. .., sondern eher den meinen, von welchem er wahrscheinlich nicht zu Unrecht annimmt, dass ich ihn binnen kurzem zusammen mit meinem Leben aufgeben werde.« Jacob Bernoulli starb am 16. August 1705 in Basel und wurde in der Nähe seiner Wohnung in der Barfüßerkirche beigesetzt.
 
 Johann Bernoulli — der Weg zum Ruhm
 
»1667. D. 27. iuly st.v. Samstags 1/4 nach 11 uhren vor mittag in dem zeichen der Fischen, bin ich Johannes Bernoulli allhier zu Basel an das liecht dieser welt gebohren und allso die zahl der sünder, denen Gott gnädig seyn wolle, vermehrt.« So beschreibt Johann Bernoulli in seiner deutschsprachigen Autobiografie seinen Eintritt in die Welt. Als vierter Sohn seiner Eltern war er vom Vater für den Kaufmannsberuf ausersehen, doch erkannte er bald: »Ich ware aber von Gott dem Herrn zu etwas anders destinirt.« Er gab daher nach kurzer Zeit seine Lehrstelle in einem Neuchâteler Handelshaus auf und begann in Basel ein Medizinstudium, das er 1690 mit dem Lizenziat abschloss. 1694 erwarb er den Doktortitel. »Inzwischen hab ich mich auf die mathesin geleget, dazu ich eine sonderbahre lust bey mir verspühret, welches mir nicht übel gelungen, zumahlen ich darin durch göttlichen beystand zimlich fundamenta geleget.« Johann verschweigt bei diesem Bericht über den Beginn seiner mathematischen Studien allerdings, dass es nicht nur der göttliche Beistand, sondern auch derjenige seines älteren Bruders Jacob war, der ihn während seiner Medizinstudien zur Mathematik führte.
 
Nach dem Studienabschluss in Basel verbrachte Johann wie früher sein Bruder Jacob einige Zeit in Genf. Nachdem er sich mit einer Arbeit über die Kettenlinie in den »Acta Eruditorum« einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorteilhaft präsentiert hatte, reiste er für fast ein Jahr nach Frankreich. Im Kreis des Pater Malebranche in Paris genoss er wegen seiner überdurchschnittlichen Begabung, insbesondere hinsichtlich der Beherrschung des neuen leibnizschen »calculus«, bald hohes Ansehen. Der Marquis Guillaume de L'Hospital, ein hoch talentierter Amateurmathematiker, nahm bei Johann Bernoulli Privatlektionen über Differenzialrechnung. Nach der Heimkehr wurde dann jener merkwürdige Vertrag geschlossen, nach dem Johann Bernoulli sich gegen Zahlung einer Pension verpflichtete, die ihm zugesandten Arbeiten L'Hospitals durchzusehen und zu verbessern, seine eigenen zu erwartenden mathematischen Entdeckungen dem Marquis als Erstem mitzuteilen und diesem ein Erstverwertungsrecht abzutreten. L'Hospital schrieb nun in der Folgezeit unter Benutzung der mündlichen und schriftlichen Instruktionen Johanns das erste Lehrbuch der neuen leibnizschen Differenzialrechnung, die Analyse des infiniment petits (1696). Es enthält unter anderem die bernoulli-l'hospitalsche Regel zur Berechnung des Grenzwerts bestimmter Quotienten reeller Funktionen, welche Johann dem Marquis 1694 brieflich aus Basel mitgeteilt hatte. Zur großen Erbitterung von Johann erwähnte L'Hospital seinen Namen unspezifisch im Vorwort, und als Johann nach dem Tod des Marquis sein Urheberrecht öffentlich geltend machte, wollte ihm niemand glauben. Erst in unserem Jahrhundert konnte sein Anteil an L'Hospitals Buch urkundlich nachgewiesen werden.
 
 Die Jahre in Groningen
 
1694 heiratete Johann Bernoulli in Basel Dorothea Falkner, Tochter einer einflussreichen Basler Familie. Im folgenden Jahr nahm er einen Ruf auf den mathematischen Lehrstuhl an der Universität Groningen an. In Holland entstanden diejenigen Arbeiten, welche Johann bald zu einer europäischen Berühmtheit werden ließen. Von Groningen aus stellte er das Brachystochronenproblem, dessen Lösung ihn in eine Reihe mit Leibniz und Newton rückte. Er hielt Vorlesungen zur Differenzialrechnung und trug zum ersten Mal über die neue Integralrechnung vor. Er entwickelte eine allgemeine Theorie der Integration rationaler Funktionen und wendete dabei Partialbruchzerlegung und die bernoullische Reihe an. Er trieb die Theorie der Differenzialgleichungen voran, indem er diese z. B. als Beschreibungen von Richtungsfeldern interpretierte und die Methode der Separation der Variablen einführte. Ein von ihm begründetes gänzlich neues Forschungsgebiet war die Theorie der Trajektorien, das heißt die Lösung der Aufgabe, zu einer gegebenen Kurvenschar eine zweite Schar zu finden, welche die erste unter einem bestimmten festen Winkel schneidet. Auf seine Arbeiten zur Variationsrechnung anlässlich des Streits mit seinem Bruder wurde bereits oben hingewiesen. Seine Entdeckungen publizierte Johann in den gängigen Zeitschriften und bald auch in den Mémoires der verschiedenen Akademien, zu deren Mitglied er gewählt wurde (Paris 1699, Berlin 1701, London 1712, Petersburg 1735) und von denen er zahlreiche Geldpreise erhielt.
 
Johanns Aufenthalt in Groningen, wo 1700 sein zweiter Sohn Daniel zur Welt kam, wurde nur einmal getrübt, als Johann wegen Äußerungen in einer Vorlesung hinsichtlich der periodischen Erneuerung der materiellen Bausteine des menschlichen Körpers in Konflikt mit der protestantischen Orthodoxie geriet, die hierin einen Angriff auf die Lehre von der Auferstehung des Fleisches sah. Die Aufgabe seines Groninger Lehrstuhls nach zehn erfolgreichen Jahren begründete Johann mit den Wünschen seiner Schwiegereltern, welche die Tochter endlich wieder um sich haben wollten. Dass auch die Aussicht mit im Spiel war, den Basler Lehrstuhl seines Bruders übernehmen zu können, darf nach den oben zitierten Äußerungen von Jacob Bernoulli aber ebenfalls angenommen werden. So kehrte die Familie 1705 nach Basel zurück. Der Bruder Jacob war bei der Ankunft bereits seit einem Monat tot.
 
 Der mathematische Präzeptor Europas
 
Den Basler Lehrstuhl für Mathematik hatte Johann Bernoulli von 1705 bis zu seinem Tod inne. Seine neuartigen wissenschaftlichen Aktivitäten wurden in Privatlektionen, seinen Publikationen und in einem ausgedehnten Briefwechsel mit den bedeutenden Mathematikern seiner Zeit entfaltet. Johann wandte sich schließlich immer mehr astronomischen und mechanischen Problemen zu. Es gelang ihm eine erste analytische Fassung des Prinzips der virtuellen Geschwindigkeiten, nachdem er in seinem einzigen Buch (Théorie de la manoeuvre des vaisseaux, 1714) die negativen Folgen der cartesischen Verwechslung von Kraft und kinetischer Energie gezeigt hatte. Er verfasste eine eigene Hydrodynamik (in Konkurrenz mit seinem Sohn Daniel), behandelte die Pendelbewegung von starren Körpern sowie die Wurfbewegung in einem Medium mit Reibungswiderstand (z. B. in Luft). Bei der Untersuchung der Keplerbewegungen der Gestirne wies er eine Lücke in Newtons Principia nach und löste daraufhin erstmals vollständig das inverse Problem der Zentralkräfte. Die newtonsche Gravitation wurde von ihm als Erklärung der Bewegungsabläufe am Himmel jedoch stets abgelehnt und durch eine eigene Ätherstromtheorie ersetzt. In der Kontroverse um den Kraftbegriff (es geht dabei eigentlich um die Begriffe kinetische Energie und Impuls) stellte sich Johann ganz auf die Seite seines Freundes Leibniz. Im Streit von Leibniz und Newton um die Priorität bei der Entdeckung der Infinitesimalrechnung kämpfte Johann Bernoulli mit wachsender Verbitterung gegen die englischen Mathematiker. Er belieferte Leibniz mit Munition gegen die Engländer, indem er Aufgaben ersann, von denen er hoffte, dass sie mit newtonschen Methoden unlösbar wären. In diesem Zusammenhang spielte das von ihm aufgeworfene Trajektorienproblem eine große Rolle und gab Anlass zur Entwicklung der Theorie der partiellen Differenzialgleichungen.
 
Während sein Bruder Jacob nur wenige direkte Schüler hatte, scharte Johann im Laufe seines Lebens einen großen Kreis bedeutender Mathematiker um sich. Dazu gehörten vor allem seine Söhne Nicolaus II, Daniel und Johann II sowie die Gelehrten Clairaut, Cramer und Maupertuis. Mit Johanns Hilfe wurden Jacob Hermann, der Schüler seines Bruders Jacob, und danach sein Neffe Nicolaus I Bernoulli auf den Lehrstuhl Galileis in Padua berufen und damit die leibnizsche Mathematik den italienischen Wissenschaftlern zugänglich gemacht. Johanns Söhne Nicolaus II und Daniel sowie sein Enkel Jacob II wurden wie auch sein genialster Schüler Leonhard Euler nach St. Petersburg berufen und machten die dortige Akademie zu einer Bastion der neuen mathematischen Wissenschaften. Sein Enkel Johann III wirkte später als Astronom an der Berliner Akademie. Indem Johann Bernoulli die leibnizsche Symbolik zu einem handlichen Instrumentarium umschmiedete, das in seinen Händen und in denen seiner Schüler für die vielfältigsten Anwendungen genutzt wurde, trug er entscheidend zum Durchbruch der leibnizschen Infinitesimalrechnung auf dem Kontinent bei. Nach dem Tod von Leibniz (1716) und Newton (1727) galt er als der bedeutendste Mathematiker Europas. Johann Bernoulli, dem es noch vergönnt war, seine gesammelten Werke 1742 in Genf herauszugeben, starb am 1. Januar 1748 in Basel.
 
 Daniel Bernoulli
 
Da Johanns erstgeborener hoch begabter Sohn Nicolaus II, dem der Vater die Fackel hatte weiterreichen wollen, früh verstarb, blieb es vor allem dem am 8. Februar 1700 in Groningen zur Welt gekommenen zweiten Sohn, Daniel Bernoulli, vorbehalten, das wissenschaftliche Erbe in der zweiten Generation zu einer neuen Blüte zu bringen. Bereits vor Beginn seines Medizinstudiums in Basel vom Vater und vom älteren Bruder in der Mathematik unterrichtet, begab sich Daniel 1723 nach seiner Promotion zur Weiterbildung nach Venedig. Dort entstand sein erstes Buch Exercitationes mathematicae (1724). Es behandelt u. a. den Wasserausfluss aus Behältern nach Newtons Gesetzen sowie Differenzialgleichungen zweiter Ordnung. 1725 wurde Daniel zusammen mit seinem Bruder Nicolaus II an die neu gegründete Akademie von St. Petersburg berufen. Neben Arbeiten zur Muskelkontraktion, zum blinden Fleck, zur Positionsastronomie, zu Schwingungsproblemen, zur Dynamik starrer Körper u. a. entstand dort eine erste Fassung seiner Hydrodynamik. 1732 folgte Daniel Bernoulli einem Ruf auf den Lehrstuhl für Anatomie und Botanik nach Basel. Erst 1750 erhielt er dort den Lehrstuhl für Physik, den er bis zu seinem Tod innehatte.
 
Daniel Bernoullis Hauptwerk ist die 1738 erschienene Hydrodynamica. Mit dieser ersten systematischen Untersuchung der Phänomene bewegter Flüssigkeiten stellte Daniel zwei neuartige und zukunftsweisende Entdeckungen vor. Zum einen erklärte er erstmals eine makroskopische Eigenschaft eines Gases (das boyle-mariottesche Gesetz) mittels der mikroskopischen Bewegung seiner Moleküle und legte damit den Grund zur kinetischen Gastheorie. Zum anderen formulierte Daniel die bernoullische Strömungsgleichung. Danach herrscht in Bereichen höherer Strömungsgeschwindigkeit in einer Flüssigkeit oder einem Gas ein geringerer Druck, wodurch etwa ein Auftrieb entstehen kann (z. B. an Tragflächen).
 
Weitere Beiträge Daniels sind seine erste Abschätzung der Leistung des menschlichen Herzens, Risikoabschätzungen bei Pockenimpfungen, Arbeiten zur Neigung der Planetenbahnen, Untersuchungen zum Magnetismus und eine erste Formulierung des später coulombschen Gesetzes der elektrischen Anziehung. Daniel Bernoulli gewann mit seinen Arbeiten zehnmal das jährliche Preisausschreiben der Pariser Akademie. Er war ein nicht nur in Basel geschätzter Experimentator und Hochschullehrer, sondern sein Briefwechsel verband ihn mit den ersten Gelehrten Europas wie Euler, Fontenelle, Goldbach, Lagrange oder Maupertuis. Von allen Mitgliedern der Bernoulli-Familie erkannte er als Erster die Voraussetzungen der newtonschen Physik voll an, verband sie mit den Methoden der leibnizschen Mathematik und nutzte sie erfolgreich bei Experimenten. Daniel Bernoulli starb unverheiratet am 17. März 1782 in Basel.
 
 Ausblick
 
Zum Schluss sei noch die Frage gestellt, was von den Entdeckungen der drei »großen« Bernoulli heute geblieben ist. Dabei mag man sich mit den folgenden Hinweisen begnügen: Wenn heute weltweit Studenten eine einheitliche mathematische Symbolik benutzen, nämlich die von Leibniz eingeführte, so verdanken sie dies der Lehr- und Publikationstätigkeit der Bernoulli ebenso wie auch einige immer wieder verwendete Begriffe (Integral, Lemniskate, Trajektorie u. a.). Wenn die Höhe einer Versicherungsprämie oder das Risiko einer Epidemie zu berechnen ist, wird auf die Grundgesetze der Wahrscheinlichkeitstheorie von Jacob Bernoulli zurückgegriffen. Bei der Berechnung der Form eines an Masten aufgehängten Stromkabels oder Zeltdachs helfen die Methoden der Differenzialgeometrie, für die die Bernoulli Pionierarbeit geleistet haben. Und wenn schließlich ein Flugzeug bei einer gewissen Startgeschwindigkeit von der Rollbahn abhebt, steht hinter diesem Phänomen das Strömungsgesetz von Daniel Bernoulli. In Erinnerung an die Anfänge und Grundlagen der modernen Mathematik und Physik wird daher der Name eines Bernoulli stets gegenwärtig sein.
 
Fritz Nagel
 
Lexikon bedeutender Mathematiker, herausgegeben von
 
Literatur:
 
Rudolf Wolf: Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz. 4 Bände. Zürich 1858-62.
 Robert Zimmermann:Jacob Bernoulli als Logiker. Wien 1885.
 Otto Spieß: Die Mathematiker Bernoulli. Gedenkrede gehalten an der am 21. Jan. 1948 veranstalteten Feier bei Anlaß der 200. Wiederkehr von Johann Bernoullis Todestag. Basel 1948.
 Joseph E. Hofmann: Über Jakob Bernoullis Beiträge zur Infinitesimalmathematik. Genf 1956.
 Herbert Meschkowski: Mathematiker-Lexikon. Mannheim 31980.


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