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ENGLISCHE LITERATUR: DIE ROMANTIK DER TRAUM VON DER KINDLICHEN UNSCHULD

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englische Literatur: Die Romantik - Der Traum von der kindlichen Unschuld
 
Obgleich getragen von einer intellektuellen Randgruppe, bestimmte die englische Romantik die Literatur im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts und wirkt bis heute entscheidend nach. Doch verdeckt der erst nachträglich und auf die gesamte Dichtergruppe angewandte Begriff der Romantik weit reichende Unterschiede zwischen dem visionären Frühromantiker William Blake, einem Kupferstecher, der sich in radikalen Zirkeln um Mary Wollstonecraft und William Godwin aufhielt, und den romantischen Programmatikern William Wordsworth und Samuel Taylor Coleridge oder zwischen diesen und der »zweiten Generation« um Percy Bysshe Shelley, Lord Byron und John Keats. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie die Französische Revolution als Signal für den Umsturz traditioneller Klassen- und Geschlechterhierarchien begrüßten, auch wenn Wordsworth und Coleridge sich später von den radikalen Ansichten ihrer Jugend distanzierten. Als Reaktion auf die Entfremdungserfahrungen in einer industrialisierten, kapitalisierten und verstädterten Welt entwarfen sie eine Gegenwelt, deren Schlüsselkonzepte sich in der Ablehnung herrschender Wertvorstellungen trafen.So deuteten sie das aufklärerisch begründete Prinzip der Individualität um in eine poetisch inspirierte Individualität, die sich die Natur nicht intellektuell-analytisch wie in den Naturwissenschaften aneignet, sondern sie als Anstoß für die Entfaltung der eigenen Vorstellungskraft nutzt. Die Metropole London wird zum Inbegriff der reduzierten Sensibilität und der Modernisierung. William Blake beschreibt die Stadt als infernalisches Zentrum kirchlicher, militärischer und ziviler Autoritäten, die gemeinsam die gewaltsame Zerstörung der ursprünglich guten Natur des Menschen bewirken. Ein zentrales Symbol für die unverfälschte, unschuldige Natur des Menschen in seinen Gedichtzyklen »Songs of Innocence« und »Songs of Experience« (Lieder der Unschuld und Lieder der Erfahrung, 1789 und 1794) ist das Kind. Die kleinen »chimneysweepers«, drei- bis sechsjährige Kinder, die von ihren Eltern verkauft wurden, um die Schornsteine der Herrschaftshäuser zu reinigen, indem sie - häufig über dem brennenden Feuer - hindurchklettern mussten, werden für Blake zum Inbegriff der institutionellen Vergewaltigung der menschlichen Natur in der Gesellschaft.
 
Wordsworth und Coleridge verfassen in dem 1800 hinzugefügten Vorwort zu ihrem bereits 1798 erschienenen Gedichtband »Lyrical Ballads« die Programmatik der romantischen Literatur. Der romantische Dichter verkörpert all jene Ideale, Werte und Fähigkeiten, die in der industrialisierten Welt durch ein ökonomisch und naturwissenschaftlich geprägtes Denken verloren zu gehen drohen. An erster Stelle rangieren hier die Imagination, die sich von der das ökonomische, soziale und politische Leben beherrschenden zweckorientierten Rationalität absetzt, und eine herausragende Sensibilität, die im Gegensatz zur emotionalen Verrohung und Verflachung der Bevölkerung in den überfüllten Städten steht; diese psychische Verarmung wird auf die monotone und entfremdende Arbeit, die Informationsflut, die Wirkung der Sensationspresse und den Konsum billiger literarischer Produktionen zurückgeführt. Das Interesse gilt - einen Gedanken des Kulturphilosophen Burke aufgreifend - der »primitiven«, von modernen Zivilisationserscheinungen verschonten Landbevölkerung als unverfälschten Repräsentanten universal menschlicher und organisch in der Tradition verwurzelter Gefühls- und Wahrnehmungswelten. Um diese angemessen zu fassen, ist eine ungekünstelte Sprache und daher eine Abkehr von der klassischen Regelpoetik vonnöten. Ganz in diesem Sinne stehen in Wordsworths Gedichten wiederholt ungebildete Landarbeiter oder Kinder im Mittelpunkt, die ein Wissen vermitteln, welches dem gebildeten Stadtbewohner verloren gegangen ist. Verschiedene Gedichte werden an die dramatische Form eines Dialogs angelehnt, um jene menschliche Nähe in der mündlichen Kommunikation zu suggerieren, wie sie für eine nicht von Schriftlichkeit geprägte ländliche Gemeinschaft typisch ist. In einigen seiner bekanntesten Gedichte (etwa in »Präludium«) stelltWordsworth aus der erinnernden Perspektive des Erwachsenen imaginativ das Lebensgefühl als Kind und Knabe dar, um den Prozess des Erwachsenwerdens als Verlustgeschichte zu illustrieren.
 
Coleridge studierte in London, Cambridge und 1798/99 in Deutschland. Seine aus Gesundheitsgründen verordnete regelmäßige Einnahme von Opium führte zu Abhängigkeit und schränkte seine dichterische Arbeitsfähigkeit etwa ab 1800 beträchtlich ein. Die Ballade »Der alte Matrose« in den »Lyrical Ballads« befasst sich im Gegensatz zu Wordsworths Beiträgen nicht mit den Möglichkeiten der Regeneration durch die individuell-imaginative Neudeutung der Wirklichkeit, sondern mit den Gefahren, welche eine durch keine rationale Kontrolle gezügelte Imagination mit sich bringt. Die suggestiven Rhythmen und Bilder des Erzählgedichtes verschmelzen zu visionären Gebilden, in denen die Macht des Unbewussten die Wahrnehmung des lyrischen Ich - und des Lesers - dominiert.
 
Keats, Shelley und Byron, die zweite Generation der Romantiker, von dem »arrivierten« Poeta Laureatus Robert Southey aufgrund ihres unbürgerlichen Lebenswandels als »satanic school« gebrandmarkt, setzten sich kritisch mit Wordsworth auseinander. Keats gilt als romantisches Genie, das in seinem kurzen Leben lyrische Meisterwerke der englischen Poesie schuf. Anschließend an seine Vorbilder Spenser und Milton schuf er in seinen Gedichten Oasen der Natur, deren Künstlichkeit und Vergänglichkeit er jedoch immer mitbedenkt. In seiner Ode »On a Grecian Urn« steht die gepriesene, durch die bildliche Fixierung bewirkte Zeitlosigkeit der auf einer griechischen Vase dargestellten Liebesjagd in spannungsreichem Gegensatz zu den Gedanken des lyrischen Ich über die Leblosigkeit des gefrorenen Augenblicks.
 
Shelley ist nicht zuletzt aufgrund seiner unerbittlichen Gesellschaftskritik gegen Religion und Kirche, gegen die Unterdrückung der Iren und gegen die Monarchie den Romantikern zuzurechnen. Ab 1818 führte er in Italien im Kreise englischer Freunde, zu denen auch Byron zählte, mit Mary Godwin, der Tochter von Mary Wollstonecraft und Godwin, ein unruhiges Leben. In dem Gedicht »Ode an den Westwind« (1820) fasst er seine Sehnsucht nach revolutionärem Umbruch, nach Bewegung und Veränderung in das Bild des Windes als ungezähmter Naturgewalt, die nicht nur Jahreszeiten und menschliche Lebensalter, sondern auch Imagination und Wirklichkeit und selbst Tod und Leben durchdringt und damit verbindet.
 
Lord Byron, der sich vor den gesellschaftlichen Ächtungen infolge seiner Ehescheidung und des inzestuösen Verhältnisses zu seiner Halbschwester nach Italien zurückzog, verkörperte selbst den Prototyp des lebensgierigen, abenteuerlustigen, amoralischen »byronischen Helden«, den er in dem dramatischen Gedicht »Manfred« (1817) oder in dem Versepos »Ritter Harolds Pilgerfahrt« (1812-18) entwarf. In dem pikaresken Versroman »Don Juan« (1819-24) entlarvt er die bürgerliche Vorstellung einer Liebesehe, die sich seit der Mitte des 18. Jahrhundert durchsetzte, als Quelle unablässiger Enttäuschungen. Sein eigenes Außenseitertum inszenierte Byron auf ein Weise, die ihn paradoxerweise zu einer Kultfigur werden ließ, deren erotische Eskapaden und politischer Radikalismus das sensationsgierige Publikum mit dem Reiz des Verbotenen fesselten. Pikanterweise illustriert ausgerechnet der übersteigerte und kompromisslose Individualismus des Paraderomantikers Byron die Verwandtschaft der romantischen Wertschätzung individuell angeeigneter Welterfahrung mit der eigensüchtigen Egozentrik, welche zum Wesen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gehört.
 
Dr. Annegreth Horatschek
 
Literatur:
 
Englische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hans Ulrich Seeber. Stuttgart u. a. 21993.
 Mason, Eudo C.: Deutsche und englische Romantik. Eine Gegenüberstellung. Göttingen 31970.
 Reinhold, Heinz: Der englische Roman des 19. Jahrhunderts. Düsseldorf u. a. 1976.
 
Romantik-Handbuch, herausgegeben von Helmut Schanze. Stuttgart 1994.
 Schirmer, Walter F.: Geschichte der englischen und amerikanischen Literatur. 2 Bände. Tübingen 61983.


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