Значение слова "AGRARREFORMEN IN EUROPA ZU BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS: VON BAUERNSCHUTZ UND LANDFLUCHT" найдено в 1 источнике

AGRARREFORMEN IN EUROPA ZU BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS: VON BAUERNSCHUTZ UND LANDFLUCHT

найдено в "Universal-Lexicon"

Agrarreformen in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Von Bauernschutz und Landflucht
 
Bauernbefreiung
 
In Europa erstreckte sich der Prozess der Bauernbefreiung über mehrere Jahrhunderte. So finden wir zum Beispiel in den Niederlanden bereits im 17. Jahrhundert liberale Agrarverfassungen mit freien Bauern und reformierten Eigentums- und Besitzverhältnissen an Grund und Boden vor. Dagegen hielt das zaristische Russland die Mehrzahl der Bauern noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in Leibeigenschaft. Im 17. und 18. Jahrhundert herrschten, wenn auch regional unterschiedlich stark ausgeprägt, feudale Abhängigkeiten vor und behinderten die Entfaltung der agrarischen Wirtschaftskräfte. Sehr enge Bindungen an den meist adligen Herrn existierten in den Gebieten östlich von Elbe und Saale: Die dortige Gutsherrschaft stellte eine besonders strenge Form der Grundherrschaft dar.
 
Im landwirtschaftlichen Bereich sind im Laufe des 18. Jahrhunderts, verstärkt nach 1740, Zuwachsraten zu verzeichnen. Die Bevölkerung begann stärker anzuwachsen und sorgte für zunehmende Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Die damit zusammenhängenden Preisanstiege erhöhten die Gewinne der Anbieter landwirtschaftlicher Produkte. Des Weiteren verdichteten sich die wirtschaftlichen Verflechtungsbeziehungen. Den Physiokraten — eine erste nationalökonomische »Schule«, die sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts auf Initiative François Quesnays (1694—1774) in Frankreich gebildet hatte — galt die classe productive, zu der sie Bauern und Pächter, nicht aber Landarbeiter zählten, als wichtigste gesellschaftliche Gruppe. Aber nicht nur in Frankreich, sondern auch zum Beispiel in Deutschland, Dänemark und der Schweiz setzte sich in der Öffentlichkeit langsam die Auffassung durch, dass zunehmende Wohlfahrt des agrikulturellen Fortschritts bedürfe. Reformen sollten helfen, die Nahrungsbasis zu sichern und Hungerkrisen zu vermeiden, die immer wieder, so zum Beispiel 1770/71, viele Menschen hinwegrafften und ganze Existenzen ruinierten oder einen Teil der Betroffenen zur Auswanderung zwangen. In den europäischen Ländern formierte sich eine »agrarische Bewegung«, die auf Reformen in der Landwirtschaft drängte und die Bauernbefreiung geistig vorbereitete. Ihr Einfluss führte zum Beispiel dazu, dass die Kartoffel in größerem Stil angebaut wurde und als Volksnahrungsmittel zunehmende Bedeutung erlangte. Besonders aufgeschlossen war man in den Kreisen dieser »Bewegung« gegenüber Neuerungen wie der verbesserten Dreifelderwirtschaft und der Fruchtwechselwirtschaft. In der traditionellen Dreifelderwirtschaft baute man im ersten Jahr Sommergetreide, im zweiten Jahr Wintergetreide an; ein drittes Jahr lag die Flur brach und wurde als Weide genutzt. Seit dem 16. Jahrhundert säte man in die Brache überwiegend Hackfrüchte ein. Diese Art der Bewirtschaftung wich im Laufe des 18. Jahrhunderts der verbesserten Dreifelderwirtschaft, das heißt dem Anbau von Futterpflanzen für die Stallfütterung in der Zeit der früheren Brache. Die noch heute praktizierte Fruchtwechselwirtschaft sieht einen regelmäßigen Wechsel von Halm- und Blattfrüchten vor. Der Ersatz der Brache durch Klee- und Hackfruchtanbau ermöglichte jetzt, uneingeschränkt Nahrungsmittel anzubauen. Die dadurch bedingte Steigerung der Nahrungsmittelproduktion erlaubte es, die Viehhaltung auszuweiten, wodurch gleichzeitig mehr Dünger anfiel. Die bessere Bodendüngung ermöglichte wiederum, die Erträge zu steigern. Im Übrigen nahm die Vielfalt der Nahrungs- und Futterpflanzen deutlich zu: Neben der bereits erwähnten Kartoffel zählen hierzu vor allem Zuckerrüben, Klee, Kohl, Mais, Karotten, Raps, Hopfen und Buchweizen.
 
Im technischen Bereich ersetzten der Pflug mit gewölbtem Streichblech die Hacke und die Sense die Sichel. Häufiger als früher wurden nun Pferde — im 19. Jahrhundert zunehmend hufbeschlagen — zur Bearbeitung des Bodens eingesetzt. Sie lösten meist den Ochsen ab. Nicht zu übersehen sind auch die Errungenschaften der Agrikulturchemie, durch die die traditionell verwendeten organischen Dünger ergänzt wurden. Führende Köpfe wie zum Beispiel der in preußischen Diensten stehende frühere Hofarzt Albrecht Daniel Thaer (1752—1828) und sein Schüler Carl Sprengel (1787—1859) empfahlen den Einsatz stickstoffhaltiger Dünger — darunter Guano, Salpetersalze und Knochenmehl —, um verbrauchte Bodennährstoffe zu ersetzen. Später erkannte Justus von Liebig (1803—73) durch systematische Pflanzenuntersuchungen die Bedeutung anorganischer Salze — zum Beispiel von Phosphat oder Kali — für das Pflanzenwachstum; diese Erkenntnisse trugen erheblich zur Ertragssteigerung bei.
 
Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lebten etwa 80 Prozent der Bevölkerung auf dem Land und von der Landwirtschaft. Ständespezifische Rechtssetzungen prägten noch weitgehend die Gesellschaft. Im 19. Jahrhundert begann man, entscheidende institutionelle Veränderungen durchzuführen. Die Ständegesellschaft wurde durch die »Privatrechtsgesellschaft« — der Begriff stammt von Franz Böhm — abgelöst, die vor allem dadurch gekennzeichnet war, dass Rechtsgleichheit für jedermann galt. Kurz: Die Moderne hielt Einzug. Die in den deutschen Ländern anfangs nach französischem Vorbild durchgeführten Liberalisierungen wirkten sich nicht nur auf die Wirtschaft förderlich aus, sondern stabilisierten darüber hinaus das Miteinander von Bürger und Staat.
 
 Die preußischen Reformen
 
Zuerst wurden in Preußen modernisierende Reformen eingeleitet. Ihr geistiger Kopf war zunächst Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757—1831), der als Staatsmann und Diplomat die Reorganisation Preußens betrieb. Ihm folgte Karl August Freiherr von Hardenberg (1750—1822), der nicht nur Verwaltung und Heer, Bildungswesen und Gewerbe reformierte, sondern auch die Landwirtschaft. Das berühmte Oktoberedikt von 1807 überführte Grund und Boden vollkommen in privatrechtliches Eigentum und befreite die Bauern sowohl aus der Leibeigenschaft als auch von der Erbuntertänigkeit. Das Edikt ermöglichte den Zeitgenossen, sich in freier Wahl für einen Beruf zu entscheiden: Die ehemals gutsherrlichen Bauern konnten in der freien Landwirtschaft tätig sein und für den Agrarmarkt arbeiten, sie konnten sich aber auch — und das war neu und revolutionär — für ein Leben und Arbeiten in der Stadt entscheiden und sich gewerblich betätigen. Diese Bestimmungen galten im Grundsatz. Es bestanden noch Dienst- und Abgabeverpflichtungen für die Bauern, die aber gegen Entschädigung abgelöst werden konnten. Geklärt wurden die Modalitäten hierfür in den Regulierungsedikten von 1811, Änderungen verfügte man in den Edikten von 1816 und 1821. 1811 und 1816 wurden die frondienstpflichtigen Gutsbauern, das heißt diejenigen Bauern mit den geringsten Besitzrechten, befreit. Das Gesetz vom 14. September 1811 gestand ihnen das Recht zu, sich »freizukaufen«: Um freie Eigentümer zu werden, mussten sie ein Drittel oder sogar die Hälfte ihres Landbesitzes an den Gutsbesitzer abtreten. Die Deklaration von 1816 schränkte die Zahl der freikauffähigen Bauern wieder erheblich ein, indem sie die Voraussetzungen hierfür verschärfte: Der Bauer musste spannfähig sein, das heißt ein eigenes Zuggespann und Geschirr stellen können, in die Steuerliste eingetragen und Besitzer einer Bauernstelle sein, die älter als ein halbes Jahrhundert war. Durch diese Einschränkungen hielt sich denn auch die Eigentumsregulierung, das heißt die Schaffung neuer bäuerlicher Eigentümer, in deutlichen Grenzen.
 
In den Provinzen Brandenburg, Preußen, Pommern, Schlesien und Posen zählte man insgesamt lediglich 70582 neue bäuerliche Eigentümer. Das Land der Masse nicht spannfähiger Kleinbauern konnten die Gutsbesitzer einziehen. Außerdem konnten sie die früheren Inhaber dieser Bauernstellen als Gutstagelöhner in Dienst nehmen, womit die Klasse der freien Landarbeiter geboren war. Es waren also zunächst die Gutsherren, die den größten Nutzen aus den preußischen Reformen zogen, zumindest bis zum Gesetz vom 2. März 1850, das die endgültigen Freiheitsrechte formulierte. Die rechtlich besser ausgestatteten Bauern konnten nach dem Edikt von 1821 die Ablösezahlungen in Geld entrichten. Die Hauptbedeutung der Regulierung von 1821 bestand aber darin, dass die Flurverfassung aufgehoben und Allmenden, also die der Dorfgemeinschaft gehörenden Länder, privatisiert wurden. Letzteren Vorgang bezeichnet man als Separation. Diese rechtlichen Änderungen gewährleisteten die Verfügungsgewalt über den Boden und dessen uneingeschränkte Nutzbarkeit, womit eine wesentliche Ausgangsbedingung effizienter Landnutzung gegeben war. Erneut profitierten vor allem die Gutsbesitzer von diesen Edikten: Sie hatten nach dem Umverteilungsprozess ihren Flächenanteil nahezu verdoppelt, wobei die größten Zuwächse aus der Allmendeaufteilung stammten. Aber auch den Bauern nutzte die Separation, da sie ihnen ermöglichte, einen Teil des durch die Regulierung verlorenen Bodens wiederzugewinnen. Aufs Ganze gesehen erlitten die Bauern keine Landeinbußen.
 
Entwicklungstendenzen in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts
 
Die drei Elemente Aufhebung der Leibeigenschaft, Regulierung und Separation umschreiben grob die Inhalte der Bauernbefreiung. Der eigentlich revolutionäre Impuls der Agrarreform gründet indes in dem Produktivitätsschub, den sie mit sich brachte. Aus der ehemals als Weide genutzten Allmende wurde vielfach umgepflügtes, fruchtbares Ackerland, die Neugliederung des Nutzlandes verminderte die Brachflächen und verhalf der bereits beschriebenen Fruchtwechselwirtschaft zum Durchbruch. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass eigenes Land auch verstärkt für die individuelle oder familiäre Reproduktion genutzt werden konnte. Dieses Eigeninteresse motivierte zur intensiven Bodenbearbeitung und trug somit dazu bei, die Erträge zu steigern. Es verwundert daher nicht, dass sich in Preußen die Getreideproduktion zwischen 1816 und 1865 verdoppelte und die Kartoffelproduktion gar auf das Zehnfache stieg. Ähnliches galt für die Fleischerzeugung. Der Produktivitätszuwachs in der Landwirtschaft bewirkte nicht nur, dass eine stark wachsende Bevölkerung ernährt werden konnte, sondern auch, dass ein beträchtlicher Agrarüberschuss erzielt werden konnte, den man einkommensteigernd auf den lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Märkten verkaufte. Nicht zuletzt leistete die Landwirtschaft mit diesem Zusatzeinkommen auch einen Beitrag zur Finanzierung der Industrialisierung und der gesellschaftlichen Wohlfahrt.
 
Wohlfahrt und Migrationsverhalten der bäuerlichen Bevölkerung hingen von den Agrarpreisen und damit von der Agrarkonjunktur ab. Die Getreidepreise erreichten zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach einem fünfzigjährigen Anstieg ihren Höchststand. Durch die guten Ernten 1805/06 und die Kontinentalsperre brachen dann in Deutschland die Preise zusammen. Nach 1815 trat durch Missernten eine starke Verknappung des Getreides ein. Die Getreidepreise stiegen, und da die Bevölkerung das Geld zum Nahrungsmittelerwerb ausgeben musste, unterblieben entsprechende Nachfrageeffekte in der gewerblichen Wirtschaft, die vorübergehend stagnierte. Die schweren Hungerjahre 1816/17 entzogen einer kriegsgeschädigten Bevölkerung den letzten Groschen. Viele Familien, die an der Subsistenzgrenze lebten, entzogen sich dieser Not durch Emigration. In den frühen Zwanzigerjahren waren die Ernten gut, und die Preise sanken bis 1826. Der Preisverfall traf die von der Landwirtschaft lebende Bevölkerung spürbar, zumal häufig noch Ablösungsverpflichtungen, die aus der Bauernbefreiung resultierten, bestanden. Danach trugen wieder ansteigende Agrarpreise dazu bei, dass die Lasten beschleunigt abgetragen werden konnten. In den Dreißigerjahren verbesserten sich außerdem die Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte wesentlich. Die Gründe hierfür sind unter anderem auf mittelmäßige Ernten, den Ausbau der Verkehrswege, die zunehmende Bevölkerungszahl, die gesteigerten Exportchancen und die Umstellung auf das freie Marktsystem zurückzuführen. Die Krise in den Vierzigerjahren erwuchs unter anderem aus der Bodenspekulation und verschärfte sich infolge der schweren Missernten zwischen 1844 und 1848. Die Hungersnöte wurden durch Cholera, Rinderpest und Überschwemmungen noch unerträglicher. Nach Überwindung dieser Krise stiegen bei zunehmender Produktion die Agrarpreise, das heißt, die Nachfrage muss deutlich über dem Getreideangebot gelegen haben. Die Landwirtschaft begann, goldenen Zeiten entgegenzusehen.
 
»Landflucht«: Folge der Bauernbefreiung?
 
Immer wieder wird die Frage erörtert, inwieweit wir im Zusammenhang mit der Bauernbefreiung von »Landflucht« sprechen können. So gewiss es ist, dass das Land im Gefolge der Bauernbefreiung Menschen in städtische Regionen abgab, so sehr ist doch vor einer einseitigen und oberflächlichen Sicht dieser Erscheinung zu warnen. Absolut gesehen nahm nämlich gerade in den östlichen Gebieten die Landbevölkerung zu: Im ostelbischen Deutschland wuchs die Bevölkerung zwischen 1816 und 1871 von 7 Millionen auf 10,7 Millionen an, sie erhöhte sich also um 3,7 Millionen. Gleichwohl konnten diese Gebiete »überschüssige Bevölkerung« an die städtischen und industriellen Zentren abgeben. Die Abwanderer waren Menschen, die auf dem Land nicht länger ihre Existenz sichern konnten, vor allem aus unterbäuerlichen und handwerklich geprägten, halbbäuerlichen Gruppen. So rekrutierte sich ein wesentlicher Teil der frühen Fabrikarbeiterschaft, und zwar vor allem die ungelernte Arbeiterschaft, aus ehemals ländlicher Bevölkerung aus dem Osten.
 
Um 1900 stammten mehr als ein Drittel der in Gewerbe und Industrie Tätigen direkt aus der Landwirtschaft oder aus Familien, die im Laufe des 19. Jahrhunderts vom Land in die Stadt abgewandert waren. Wie Friedrich-Wilhelm Henning betont, gab die Landwirtschaft rein rechnerisch etwa drei Viertel ihres Geburtenüberschusses an den sekundären Sektor ab, das heißt, nicht etwa die Agrarreformen und die damit verbundenen Freisetzungseffekte bewirkten die Abwanderung, sondern die hohe Geburtenrate konnte nur zum Teil durch landwirtschaftliche Betätigung absorbiert werden. Mithin ist angesichts dieser Befunde von der marxistischen These Abstand zu nehmen, die »industrielle Reservearmee« sei durch die »Expropriation«, das heißt durch die Enteignung der Kleinbauern, und aus Handwerkerschichten entstanden.
 
Prof. Dr. Rolf Walter, Jena
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Agrarwirtschaft der vorindustriellen Epoche: Von der Hand in den Mund
 
Literatur:
 
Braudel, Fernand: Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts. 3 Bände Aus dem Französischen. Sonderausgabe München 1990.
 Burkhardt, Johannes: Frühe Neuzeit. 16.-18. Jahrhundert. Königstein im Taunus 1985.
 Kriedte, Peter: Spätfeudalismus und Handelskapital. Grundlinien der europäischen Wirtschaftsgeschichte vom 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1980.
 
Quellen zur Geschichte der deutschen Bauernbefreiung, bearbeitet von Werner Conze. Göttingen u. a. 1957.


T: 21