Значение слова "DRITTE WELT: URSACHEN DER UNTERENTWICKLUNG" найдено в 1 источнике

DRITTE WELT: URSACHEN DER UNTERENTWICKLUNG

найдено в "Universal-Lexicon"

Dritte Welt: Ursachen der Unterentwicklung
 
Ende der Sechzigerjahre war, mit wenigen Ausnahmen, die Entkolonialisierung der ehemals überseeischen Besitzungen europäischer Mächte abgeschlossen. Doch zeigte sich bald, dass sich das durch die nationale Unabhängigkeit erworbene neue Selbstbewusstsein des Südens kaum in einem vermehrten allgemeinen Wohlstand seiner Völker niederschlug. Diese jungen Staaten waren nämlich mit einer Reihe tief greifender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Probleme konfrontiert: mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, krasser Einkommensungleichheit zwischen Arm und Reich, einer agrarisch geprägten Volkswirtschaft, geringer Lebenserwartung der Bevölkerung, Mängeln im Bildungs- und Gesundheitswesen, unzureichender Versorgung und oftmals konfliktträchtigen Gegensätzen zwischen ethnischen Gruppen.
 
Die »Unterentwicklung« hatte natürlich mit dem kolonialen Erbe zu tun. Es bestand vor allem in der einseitigen Ausrichtung der jeweiligen Volkswirtschaften.Da die Kolonien für ihre europäischen Herren namentlich als Rohstofflieferanten zu dienen hatten, waren die Volkswirtschaften wegen der weiten Verbreitung von Monokulturen in extremer Weise von den Preisschwankungen für diese Rohstoffe auf den Weltmärkten abhängig. Auch auf dem Feld der Politik gab es eine Vielzahl von Problemen. Willkürliche Grenzziehungen hatten oftmals traditionell verfeindete Völkerschaften künstlich zusammengezwungen. Überdies hatten die Kolonialherren häufig ethnische Ressentiments angeheizt oder erst geschaffen, indem sie beispielsweise bei den Verwaltungsarbeiten bewusst einzelne Ethnien bevorzugten. Da solche Tätigkeiten meist nur in nachrangigen Aufgaben bestanden hatten, waren die einheimischen Eliten vielerorts höchst unzureichend auf die Selbstregierung vorbereitet.
 
An Mitteln und Wegen, diese gravierenden Probleme zu lösen, mangelte es, weswegen sich relativ rasch Ernüchterung einstellte und zugleich die Suche nach Erklärungen begann, die die neuen Eliten entlasten sollten. So tauchte in Reden der Wortführer der Entwicklungsländer der an die Adresse der Industriestaaten gerichtete Vorwurf des Neokolonialismus auf, der zumeist mit dem Schlagwort des Neoimperialismus verbunden wurde.
 
Die Herrschaft des westlichen Kapitals
 
Die dahinter stehende Idee war einfach und vermeintlich einleuchtend: Zwar hätten die ehemaligen Kolonien die formale Unabhängigkeit erlangt, die Haltung der ehemaligen Kolonialmächte und der Länder des Westens, insbesondere der USA, habe sich jedoch in keiner Weise geändert. Angesichts der Durchdringung der Entwicklungsländer mit ausländischem Kapital, des von den multinationalen Konzernen ständig betriebenen Ressourcentransfers aus den Entwicklungsländern in die Industriestaaten wie auch der politisch-militärischen Überlegenheit des Nordens gegenüber dem Süden und der Kollaborationsbereitschaft einheimischer Eliten mit den Europäern stünde die Eigenständigkeit nurmehr auf dem Papier. Zusammengefasst: Der Kolonialismus existiere fort und habe lediglich eine andere Gestalt angenommen.
 
In der Tat fanden sich in der politischen Wirklichkeit Belege für diese These. Im »Konsens von Viña del Mar« (Chile) vom 17. Mai 1969 klagte der Süden Amerikas den Norden an: Dessen multinationale Konzerne zögen ihr in den Entwicklungsländern erwirtschaftetes Kapital ab, was ein Vielfaches ihrer Investitionen ausmache. So entstünde ein dramatischer Ressourcentransfer von Latein- nach Nordamerika. Um den weiteren Zugriff auf wertvolle Rohstoffe zu sichern, schrecke der Westen vor der Unterstützung willkommener Sezessionsbestrebungen nicht zurück, wie etwa im Falle der kupfer- und kobaltreichen Kongoprovinz Katanga (heute Shaba, Demokratische Republik Kongo) oder des ölreichen Biafra (Nigeria).
 
In den Regionen Afrikas südlich der Sahara spielte Frankreich eine besonders unrühmliche Rolle. Paris befahl zahlreiche militärische Interventionen, welche die Ein- und Absetzung genehmer Regierungen zum Ziel hatten. Die USA betrachteten Zentralamerika und die Karibik als ihren »Hinterhof«, wo es amerikanisches Kapital zu schützen galt, das die Ökonomien der meisten Entwicklungsländer der Region dominierte. Nachdem den Vereinigten Staaten die Kontrolle über das Kuba Fidel Castros entglitten war, sollte ein zweites sozialistisches Experiment dieser Art in der westlichen Welt um jeden Preis verhindert werden, auch um den Preis der Zusammenarbeit mit korrupten Potentaten, die eine Menschen verachtende Politik betrieben. Die USA intervenierten selbst militärisch, wie die Beispiele Grenada (1983) und Panama (1989) lehren.
 
Im Zeichen des Ost-West-Konflikts
 
Im Rahmen des Ost-West-Konflikts genügte den Entwicklungsländern gegenüber dem Westen fast stets ein entsprechendes außenpolitisches Wohlverhalten, um sich Unterstützung zu sichern, ohne dass die Europäer oder Amerikaner nach vernünftigen politischen und ökonomischen Konzepten für die Entwicklung dieser Gesellschaften fragten. Diktatoren wie der 1997 gestürzte Mobutu aus Zaire konnten so vor allzu lästigen Nachfragen sicher sein. Der Westen unterstützte den Kongo als antikommunistisches Bollwerk im Herzen Afrikas. Mobutu soll ein privates Vermögen von 20 Milliarden Dollar angehäuft haben, während sein Land im Chaos versank. Weitere berüchtigte »Kleptokraten« dieser Art waren zum Beispiel der haitianische Diktator und ehemalige Arzt François Duvalier (Papa Doc) und dessen Sohn Jean-Claude (Baby Doc).
 
Andererseits stand den Wortführern der Staaten der Dritten Welt, die sich dem Osten angenähert oder gar angeschlossen hatten, mit der Parole vom Neokolonialismus ein verführerisches Rechtfertigungsargument zur Seite, von dem sie auch großzügig Gebrauch machten. Mit der pauschalen Schuldzuweisung gegenüber dem Westen ließ sich von hausgemachten Missständen vorzüglich ablenken, obwohl doch diese Missstände oftmals das Resultat einer völlig verfehlten Wirtschaftspolitik waren — wie etwa im Ghana Kwame Nkrumahs, dem Guinea Ahmed Sékou Tourés und dem Tansania Julius Nyereres. So wurde mit dem Begriff Neokolonialismus zu einem Gutteil politische Propaganda betrieben.
 
 Der Entwicklungsansatz seit dem Zweiten Weltkrieg
 
Der entscheidende Impuls für die wissenschaftliche Debatte um die Ursachen von Unterentwicklung und Strategien zu ihrer Überwindung ging von der Analyse der Handelsbeziehungen zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten aus. Es war dies eine Position der Entwicklungsländer, die innerhalb der UNO-Unterorganisation CEPAL (Kommission für wirtschaftliche Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik) formuliert wurde. Führender theoretischer Kopf sollte ihr erster Generaldirektor, der Argentinier Raúl Prebisch, werden. Seine Überlegungen und Analysen waren zum einen gegen die klassische Theorie der Wohlfahrtssteigerung durch »Handel für alle Handelspartner« gerichtet, zum anderen gegen verschiedene Ansätze, die im Wesentlichen interne Faktoren als Ursache der Entwicklungshemmung für die Länder der Dritten Welt vermuteten.
 
Die wissenschaftlichen Bemühungen der Dritte-Welt-Forscher richteten sich vor allem gegen Annahmen, die unter dem Etikett Modernisierungstheorien zusammengefasst wurden. Danach war Unterentwicklung ein vorindustrielles, vormodernes Phänomen. Entwicklungsländer befänden sich in einem Durchgangsstadium von der »Tradition« zur »Moderne«, das die heutigen Industriestaaten bereits vor ihnen durchlaufen hätten. Gefragt wurde nach den Faktoren der Einwirkung, die die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung zu einem Industriestaat hemmen. Als Hemmfaktoren betrachtete man vor allem solche Phänomene, die ihren Grund innerhalb dieser Gesellschaften selbst hatten. Aufgeführt und je nach Denkrichtung innerhalb der Modernisierungstheorien gewichtet wurden danach unter anderem:
 
Erstens der Mangel an Rationalität, sozialer Mobilität und kultureller Dynamik; das Verharren im Stammesdenken (Tribalismus) und im »Zauber« von Religionen, mit anderen Worten: die Gefangenheit im »Ewiggestrigen«; zweitens die geringe institutionelle, das heißt nach allgemein anerkannten Verfahren vollzogene Regelung sozialer und politischer Konflikte; drittens das Überwiegen politischer Systeme, die durch mangelnde politische Legitimität und Stabilität gekennzeichnet sind; und, viertens, die geringe Autorität und Leistungsfähigkeit des Staates, der oftmals korrupt und schwach ist.
 
Alle externen, außerhalb der Länder selbst liegenden Faktoren der Einwirkung, insbesondere der kapitalistische Weltmarkt, wurden als förderlich für die Entwicklung angesehen. Man begründete dies unter anderem mit dem Theorem der komparativen Kostenvorteile, das schon der englische Nationalökonom David Ricardo im 19. Jahrhundert aufgestellt hatte. Vereinfacht ausgedrückt besagt dieses Theorem, dass die Arbeitsteilung mehrerer Länder dann von Vorteil ist, wenn es Unterschiede bei den Herstellungskosten für bestimmte Produkte gibt. Spezialisiert sich nun jedes Land auf die Produktion derjenigen Güter, für die es die relativ günstigsten Herstellungsbedingungen besitzt, so werden letztlich alle Handelsteilnehmer davon profitieren.
 
 Das Weltwirtschaftssystem in der Kritik
 
An diesem Dogma der klassischen liberalen Außenhandelstheorie entzündete sich nun Prebischs Kritik. Er ordnete die am Welthandel beteiligten Länder einem industriellen Zentrum und einer unterentwickelten Peripherie zu (Zentrum-Peripherie-Modell). Für beide Staatengruppen sei der Handel nicht von gleichem Nutzen. Die großen Profiteure befänden sich vielmehr ausschließlich unter den dynamischen Ländern des Zentrums. Der Handel bewirke auf internationaler Ebene nicht die im Theorem von den komparativen Kostenvorteilen unterstellte Angleichung der Einkommensunterschiede. Insbesondere die Struktur der wirtschaftlichen Beziehungen der lateinamerikanischen Länder mit den Industriestaaten bedinge die Aufrechterhaltung der Unterentwicklung. Die ungleiche Entwicklung führte Prebisch auf die Verschlechterung der terms of trade zurück: Für den Import einer konstanten Menge von Industriegütern wie etwa Autos oder Maschinen müssten die unterentwickelten Länder eine immer größer werdende Menge von Primärgütern, zum Beispiel Zuckerrohr, Kaffee, Rindfleisch, exportieren.
 
Zur Überwindung der Unterentwicklung empfahl die CEPAL eine Strategie der Industrialisierung, die durch einen »gesunden« Protektionismus bestimmt sein sollte, um die einheimischen Produkte vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Diese Strategie zielte darauf ab, die Einfuhr von Industriegütern durch einheimische Produktion zu ersetzen, die Ausfuhren zu steigern und die Produktpalette zu erweitern, um die Abhängigkeit von einzelnen Produkten zu vermeiden. Ferner sollte die einheimische Kapitalbildung erhöht werden, allerdings ohne zugleich mit einem Konsumverzicht für die arme Bevölkerung verbunden zu sein. Außerdem sollten kleine wirtschaftliche Einheiten regional zusammengefasst werden, um größere Märkte zu installieren.
 
Die Dependenztheorien
 
Obwohl die Politik der importsubstituierenden Industrialisierung durchaus Wachstumserfolge zeitigte, geriet sie rasch in die Kritik. Es gab Schelte von rechts. Hier wurde die Neigung zum Staatsinterventionismus verurteilt. Und es gab Schelte von links. Diese Kritiker operierten mit dem Begriff der dependencia (Abhängigkeit) und taten die CEPAL-Konzepte als »Reformismus« ab, mit dem den tatsächlichen Strukturen der Abhängigkeit nicht beizukommen sei. Diese Dependenztheoretiker griffen den Gedanken der Verschlechterung der terms of trade oder, sofern sie marxistisch orientiert waren, den des »ungleichen Tausches« auf, wonach den Industriestaaten eine größere Wertschöpfung beim Handel beschert werde. Sie stellten die bisher gängigen Erklärungen von Unterentwicklung gewissermaßen auf den Kopf: Diese impliziere nicht das bloße Zurückbleiben hinter dem Entwicklungsstand der Industriestaaten als Folge interner Entwicklungshemmnisse und einer mangelhaften Integration in den Weltmarkt, sondern sei im Gegenteil die Konsequenz der Abhängigkeit von diesem. Entwicklungsländern komme auf dem Weltmarkt nur der Status abhängiger und ausgebeuteter Randgebiete (Peripherien) zu. Unterentwicklung sei somit kein Durchgangsstadium, sondern eine dauerhafte Struktur.
 
Ecuadorianische Kinder lernen in einer von Missionaren eingerichteten Schule. Regelmäßiger Schulbesuch ist für viele Menschen in den Entwicklungsländern eine Seltenheit. Die UNESCO schätzte in einer Studie von 1994 die Zahl der Analphabeten auf ungefähr 1 Milliarde Menschen; etwa 95 Prozent von ihnen leben in der Dritten Welt.
 
Im Einzelnen wichen die Positionen der Dependenztheoretiker stark voneinander ab. Prebisch stand für solche Theorien Pate, die das Haupthindernis einer Überwindung der Unterentwicklung in den Bedingungen des internationalen Handels sahen, vermittelt durch die Verschlechterung der terms of trade oder den ungleichen Tausch. Das zwinge zu immer umfangreicheren Exporten, ohne dass gesteigerte Erlöse erzielt würden, die zur Entwicklung des Landes eingesetzt werden könnten. Eine strukturalistische Theorievariante bemühte sich um eine detaillierte Rekonstruktion der Prozesse, die zur Unterentwicklung geführt hatten. Diese Strukturalisten räumten den gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen der Außenabhängigkeit große Bedeutung ein. Es sei lediglich zu partiellen, auf den jeweiligen Exportsektor beschränkten Modernisierungsschüben gekommen. Die übrigen Sektoren würden zwar den Bedürfnissen des Exportsektors untergeordnet, ohne aber dabei selbst modernisiert zu werden. So sei die Konsequenz eine »strukturelle Heterogenität« der soziokulturellen Geflechte, die immer aufs Neue Desintegration und Unterentwicklung hervorbringe.
 
Auch hinsichtlich einer Entwicklungsstrategie wurde keine einheitliche Auffassung erzielt. Während vielen der marxistischen Autoren nur die Überwindung des »kapitalistischen Weltmarkts« durch eine sozialistische Revolution als geeignet erschien, erachteten andere eine Entwicklung der Peripherie unter kapitalistischen Weltmarktbedingungen für durchaus gangbar, nur wollten sie einige Rahmenbedingungen des Weltmarkts korrigiert sehen. Autoren wie der Bremer Politologe Dieter Senghaas sprachen sich für eine auf sich selbst bezogene (autozentrierte) Entwicklung der Peripherie aus. Senghaas nahm für die Gesamtheit der Länder der Dritten Welt identische Tiefenstrukturen eines »peripheren Kapitalismus« an, womit er die ursprünglich auf Lateinamerika beschränkte Dependenztheorie auch auf Asien und Afrika bezog. Seine Analysen gipfelten in der Forderung nach einer Abkopplung der Dritte-Welt-Länder vom Weltmarkt und der Empfehlung einer verstärkten Süd-Süd-Kooperation.
 
Ein Verdienst der Dependenztheorie ist es sicherlich, die unkritische Würdigung des Weltmark- tes als stets positive Entwicklungsstimulanz korrigiert zu haben. Die einseitige Bewertung des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems als immer währendes Entwicklungshemmnis erwies sich angesichts der Entwicklungserfolge der Tigerstaaten in Asien (Hongkong, Singapur, Süd-Korea und Taiwan) aber als falsch. Diese Staaten hatten ihre Erfolge nämlich durch eine exportorientierte Weltmarktanbindung erreicht.
 
 Die Dritte Welt gewinnt an Gewicht
 
Die Dependenztheorie, die ihre große Zeit in den frühen Siebzigerjahren hatte, fand im realen Weltgeschehen gewissermaßen ihr Gegenstück. Denn selbstbewusst erhoben die Vertreter der Dritten Welt nun ihre Stimme — sie hatten sich inzwischen in der Bewegung der Blockfreien und der Gruppe der 77 locker verbunden, und seit 1964 gab es die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), deren Hauptziel die Förderung des internationalen Handels im Hinblick auf den wirtschaftlichen Fortschritt der Entwicklungsländer war. Dieses Spezialorgan der UNO-Vollversammlung forderte die Industriestaaten auf, ihre finanziellen Transferleistungen auf mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts hochzuschrauben; tatsächlich haben allerdings bis heute nur wenige Industriestaaten dieses Kriterium erfüllt. Am 1. Mai 1974 wurde im Rahmen der UNO-Vollversammlung gegen die Stimmen der wichtigsten Industriestaaten ein Aktionsprogramm für die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) gefordert. Beabsichtigt waren unter anderen ein gerechterer Rohstoffhandel, eine Erhöhung der finanziellen Leistungen für die Entwicklungsländer sowie eine Erhöhung des Technologietransfers, die Kontrolle der Tätigkeit supranationaler Konzerne und eine Förderung der Zusammenarbeit der Entwicklungsländer untereinander.
 
Am 12. Dezember 1974 verabschiedete die UNO-Vollversammlung mit der »Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten« ein weiteres wichtiges Dokument und erfüllte damit eine Forderung der NWWO-Resolution vom Mai desselben Jahres. Unmissverständlich kam darin der Wunsch der Entwicklungsländer schon im ersten Artikel zum Ausdruck: »Jeder Staat hat das souveräne und unveräußerliche Recht, sein Wirtschaftssystem sowie sein politisches, soziales und kulturelles System entsprechend dem Willen des Volkes ohne Einmischung, Zwang oder Drohung irgendwelcher Art von außen zu wählen.«
 
Vorausgegangen war den UNO-Resolutionen ein einschneidendes Ereignis: Die wichtigsten, in der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) zusammengeschlossenen Staaten hatten 1973 ihre Lieferquoten einschneidend reduziert und so den Industriestaaten ihre Rohstoffabhängigkeit schockartig vor Augen geführt. Die psychologischen Auswirkungen dieser Maßnahme können kaum überschätzt werden. Nun mussten die Regierungen auch zu drastischen Sparmaßnahmen greifen. Energiepolitisch zeichnete sich mit der Ölkrise eine Wende ab: Zum einen wurde die Erschließung neuer Energiequellen in Angriff genommen, zum anderen gewann der Abbau konventioneller Energiequellen (vor allem Kohle) wieder größere Bedeutung.
 
So hatten die Siebzigerjahre in den Nord-Süd-Beziehungen zu einer Akzentverschiebung zugunsten der Entwicklungsländer geführt. Dieser Bedeutungszuwachs der Dritten Welt sollte jedoch nicht von langer Dauer sein. Bereits in den Achtzigerjahren konnten die Industriestaaten ihre deutliche Dominanz wiederherstellen. Eine neue Ära des Nord-Süd-Gefälles war eingeläutet worden.
 
Prof. Dr. Dieter Nohlen
 
Literatur:
 
Cardoso, Fernando H. / Faletto, Enzo: Abhängigkeit und Entwicklung in Lateinamerika. Aus dem Spanischen. Frankfurt am Main 1976.
 Elsenhans, Hartmut: Nord-Süd-Beziehungen. Geschichte - Politik - Wirtschaft. Stuttgart u. a. 21987.
 
Handbuch der Dritten Welt, herausgegeben von Dieter Nohlen und Franz Nuscheler. 8 Bände. Bonn 31993-1995, teilweise Nachdruck.
 
Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion, herausgegeben von Dieter Senghaas. Frankfurt am Main 71987.


T: 29