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DEUTSCHE EINHEIT: DER FALL DER BERLINER MAUER UND DER WEG ZUR EINHEIT

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deutsche Einheit: Der Fall der Berliner Mauer und der Weg zur Einheit
 
Die deutsche Frage, über die Jahrzehnte der Nachkriegszeit hinweg ungelöst, bestimmte 1989/90 Richtung und Ausprägung der Entwicklung im Osten Deutschlands entscheidend mit. Nach dem Mauerfall gewann der politische und gesellschaftliche Umbruch betont nationale Züge und wurde durch das »Ausbluten der DDR« beispiellos dynamisiert. Aber natürlich waren dort zugleich auch Einflussfaktoren wirksam, die im Jahr der »Wende« für fast alle Ostblockstaaten galten.
 
 Die akute Krise des Sozialismus
 
Unter dem Schutz kirchlicher Einrichtungen hatte sich in der DDR eine Art Gegenöffentlichkeit gebildet, die sich all jener Probleme annahm, die von der SED, der herrschenden Staatspartei, ignoriert wurden — nicht zuletzt auch der elementaren Menschenrechte. Ende 1987 und zu Anfang des folgenden Jahres kam es zu einer Verhaftungswelle oppositioneller und ausreisewilliger Bürger. Prominente Regimekritiker mussten das Land verlassen. Freilich hatte sich die SED dabei übernommen: Proteste im In- und Ausland zwangen die Machthaber in Ostberlin noch im selben Jahr zur Freilassung inhaftierter Dissidenten. Auch mussten sie der Rückkehr einiger Zwangsexilierter zustimmen.So offenbarte sich erstmals, dass der Willkür des Regimes Grenzen gesetzt waren.
 
Michail Gorbatschows Reformkurs setzte in der Sowjetunion eine Reform der erstarrten kommunistischen Gesellschaftsordnung in Gang. Er zielte dabei auf ein Politikverständnis, das die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft im Blick hatte und die Reste stalinistischer Strukturen niederreißen sollte. Das wurde in allen Ostblockländern mit viel Beifall bedacht, auch in der DDR. Aber ausgerechnet die Regierung in Ostberlin, Hauptverbündeter der Sowjetunion, verschloss sich diesen Vorhaben und beharrte auf Positionen des doktrinären Sozialismus. Den Machthabern war bewusst, dass die DDR ihre moralische und politische Existenzberechtigung nur im strikten gesellschaftlichen Gegenmodell zum »kapitalistischen« deutschen Weststaat suchen konnte. Durch Gorbatschow wurde diese Legitimität offenkundig untergraben, weil sein Anspruch lautete, vom Westen politisch zu lernen und dessen höhere Lebensweise anzustreben. Dagegen wurde SED-Chef Erich Honecker niemals müde zu betonen, Kapitalismus und Sozialismus vertrügen sich wie Feuer und Wasser. »Die Wohnung zu tapezieren, nur weil der Nachbar dies tue«, das komme für die DDR nicht infrage, erklärte Politbüromitglied Kurt Hager süffisant. Dabei befand sich die DDR-Wirtschaft auf rasanter Talfahrt: Um die hohe Auslandsverschuldung abzubauen, mussten die Importe gedrosselt und Exporte erhöht werden. Das ging zulasten der Versorgung der Bevölkerung sowie des Erhalts und Ausbaus der Infrastruktur, ruinierte das einst beachtete Bildungs- und Gesundheitssystem und führte zu einseitigen Produktionsschwerpunkten. Ende der Achtzigerjahre stand die Wirtschaft vor dem Bankrott. In der Ära Honecker waren Löhne und Renten zwar kontinuierlich gestiegen, auch hatte man den Wohnungsbau forciert und überhaupt den sozialen Belangen der Bürger stärker als unter Walter Ulbricht Rechnung getragen, aber die Ausgaben dafür überstiegen das volkswirtschaftliche Leistungsvermögen der DDR bei weitem. Dazu trug auch bei, dass die Verwaltung und der aufgeblähte Sicherheits- und Kontrollapparat Unsummen verschlangen. Die Wirtschaftslenker waren deshalb gezwungen, ganze Planungsbereiche der Produktion einfach zu ignorieren. Erich Mielke, der das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu einem gewaltigen Imperium ausgebaut hatte, ließ die Bevölkerung lückenlos überwachen. Mit seinen etwa 90000 hauptamtlichen sowie beinahe doppelt so vielen Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) nahm die Bespitzelung der Bürger groteske Züge an. Das MfS lag wie eine unheilvolle Krake über dem Land. Immerhin war es aber in den Achtzigerjahren zu spürbar gestiegenen deutsch-deutschen Begegnungen gekommen. 1988 besuchten 6,7 Millionen Bürger der DDR den Westen Deutschlands und 5,5 Millionen Bundesbürger reisten im gleichen Zeitraum in den Osten. So nahmen die Kenntnisse über das tatsächliche Leben im jeweils anderen Teil Deutschlands beträchtlich zu. Aber das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West war größer denn je. Darüber tauschten sich die Besucher hunderttausendfach aus und darüber informierte tagtäglich auch das Westfernsehen.
 
Im Frühjahr 1989 blickten die Menschen wie gebannt nach Ungarn und Polen, wo nicht für möglich gehaltene politische und gesellschaftliche Veränderungen in Gang gekommen waren. Die ungarische Regierung hatte am 2. Mai mit dem Abbau ihrer Grenzanlagen zu Österreich begonnen. Doch kurz darauf gab es Anlass zu tiefer Empörung: Oppositionsgruppen war es bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai gelungen, die Auszählung der Stimmen teilweise zu überwachen. So wurden erstmals ganz konkrete Vorwürfe der Wahlfälschung laut. Noch bewegte diese Ungeheuerlichkeit viele Gemüter, da erreichte die Menschen eine Schreckensmeldung aus dem fernen China: Die dortigen Machthaber hatten am 4. Juni auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens unter den Anhängern der dortigen Demokratiebewegung ein furchtbares Massaker angerichtet.
 
 Der Ausbruch der Bevölkerung: Die Botschaftsflüchtlinge
 
Der Schock der Bevölkerung darüber saß tief. Denn im eigenen Land standen sowjetische Truppen, denen man zutiefst misstraute. Für Zehntausende reiften Empörung und Angst nun zur Entschlossenheit, ihr ummauertes Gemeinwesen zu verlassen. In den Sommerwochen begannen sich die Botschaften der Bundesrepublik in Prag, Budapest und Warschau wie auch Bonns Ständige Vertretung in Ostberlin mit Flüchtlingen zu füllen. Alle wollten mit behördlicher Unterstützung der Bundesregierung in den Westen. Die Botschaften mussten zeitweise wegen Überfüllung geschlossen werden. Flüchtlinge in großer Zahl begannen auch die grüne Grenze zwischen Ungarn und Österreich zu überschreiten. Während man im Westen erste Aufnahmelager einrichtete, bemühte sich die Bonner Diplomatie fieberhaft um humanitäre Lösungen des Flüchtlingsproblems. In Prag und Warschau warteten in der 2. Septemberhälfte Tausende auf ihre Ausreise. Schließlich konnte Außenminister Hans-Dietrich Genscher in Verhandlungen mit seinem Ostberliner Amtskollegen die Ausreise aller Prager und Warschauer Botschaftsflüchtlinge erwirken. In Sonderzügen erreichten sie in den ersten Oktobertagen den Westen. Für etwa 15000 Menschen war dies das glückliche Ende einer Odyssee.
 
 Der Sturz Honeckers durch den Druck der Straße
 
Die Flüchtlinge hatten ihre kleinen und am Ende großen Erfolge, mit denen sie der nach dem chinesischen Massaker wie gelähmt wirkenden Protestbewegung indirekt den Rücken stärken konnten. Diese meldete sich im September zurück und gewann eine neue politische Qualität. Am 25. des Monats kam es in Leipzig zur ersten nicht staatlich organisierten Großdemonstration. Dort forderten 8000 Menschen die Zulassung des Neuen Forums. Diese Gruppierung hatte sich am 9. September konstituiert und war mit einem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit getreten. Darin hieß es: »Wir wollen freie, selbstbewusste Menschen, die doch gemeinschaftsbewusst handeln. Wir wollen vor Gewalt geschützt sein und dabei nicht einen Staat von Bütteln und Spitzeln ertragen.« Fast zeitgleich wandten sich auch andere Bürgerbewegungen an die Öffentlichkeit. Auf den in mehreren größeren Städten aufflackernden Protest reagierten die Sicherheitskräfte hilflos und mit brutaler Härte. Während des Staatsakts zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR erklärte Honecker in seiner Festrede: »40 Jahre DDR — das waren 40 Jahre heroische Arbeit, 40 Jahre erfolgreicher Kampf für den Aufstieg unserer sozialistischen Republik, für das Wohl des Volkes.« Angesichts der tatsächlichen Lage im Lande mussten solche Phrasen wie blanker Hohn wirken. Gorbatschow, Honeckers vornehmster Staatsgast dieser Feier, warnte denn auch viel sagend in Worten, die schnell um die Welt gingen: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.«
 
In den Tagen der Feierlichkeiten agierten die Sicherheitskräfte hochnervös und ließen sich deshalb zu Überreaktionen hinreißen. Wehrlose wurden verprügelt und die Filmrollen der Journalisten beschlagnahmt. Drückender Erklärungszwang lastete inzwischen auf den SED-Machthabern — aber nicht nur wegen dieser Vorfälle. Politbüromitglied Egon Krenz und andere aus dem engsten Führungskreis wollten mit einem Reformprogramm an die Öffentlichkeit treten. Als sie erkannten, dass Honecker darauf nur taktierend einzugehen bereit war, betrieben sie seinen Sturz. Am 18. Oktober musste Honecker alle seine Ämter niederlegen. Sein Nachfolger wurde Krenz, der im Namen der alten Kräfte noch einmal versuchte, die politische Initiative zurückzugewinnen. Doch in Leipzig und anderswo gingen die Demonstrationen ungebrochen machtvoll weiter. Hunderttausendfach zeigten sich die Menschen nun selbstbewusst. Auf ihren Transparenten stand zu lesen: »Wir wollen raus!«, aber auch: »Wir bleiben hier!«
 
 Der Fall der Berliner Mauer
 
Der neuen DDR-Führung war klar, dass Reformen unerlässlich sein würden, um wieder Herr der Lage zu werden. Zunächst schien sich alles Bemühen auf die Neuregelung der Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger zu konzentrieren. Seit Anfang November flohen täglich mehr als 10000 Menschen über die Tschechoslowakei in den Westen. Prag übte in jenen Tagen Druck auf die Ostberliner Führung aus und drängte auf eine schnelle Lösung der Ausreisefrage. Am Nachmittag des 9. November verlas Krenz vor dem Plenum des Zentralkomitees (ZK) den Entwurf einer Verordnung im Vorgriff auf ein neues Reisegesetz. Die Verordnung sollte ursprünglich nur die »ständige Ausreise« neu regeln. In der textlichen Ausführung war der Entwurf aber weiter reichend und bezog alle Privatreisen mit ein. Man ließ das Papier ohne größere Einwände passieren. Offenbar erkannte während der Sitzung niemand die Brisanz der Verordnung. Wie beiläufig wurde sie noch am selben Abend von Politbüromitglied Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz verlesen. Die Überschrift war inzwischen weggeschnitten worden und an deren Stelle trat der lapidare Schriftzug »Presseerklärung«. Schabowskis Meldung schlug wie eine Bombe ein. Die Tagesschau der ARD brachte sie an erster Stelle und textete dazu die Schlagzeile: »DDR öffnet Grenze.«
 
Schon am frühen Abend machten in Ostberlin Gerüchte die Runde. Man munkelte, der Grenzübergang an der Bornholmer Straße nach Westberlin sei offen. Die Ostberliner eilten daraufhin zu Hunderten, bald zu Tausenden zu den Grenzübergängen. Gegen 22 Uhr drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten. Am Bornholmer Übergang hatten sich inzwischen etwa 20000 Menschen eingefunden. Sie drängten gegen die Sperrgitter und forderten in Sprechchören den Durchlass nach Westberlin. Noch vor Mitternacht gab ein Grenzoffizier den Befehl, die Schlagbäume zu öffnen. Schon Minuten später befanden sich Tausende auf Westberliner Seite. »Trabbis« fuhren durch ein Spalier jubelnder Menschen, die sich vor Freude und Rührung umarmten. Andere tanzten ausgelassen auf der Mauerkrone. Bald waren die Straßen der Westberliner City hoffnungslos überfüllt. Die Menschen spürten, dass etwas Bedeutsames eingetreten war. In den folgenden Tagen und Wochen setzte sich die friedliche Invasion aus dem Osten fort. Allein bis zum Mittag des 12. November wurden rund 4,3 Millionen Visa für Privatreisen erteilt. Wer noch niemals im Westen war, dem gingen angesichts des »kapitalistischen« Warenangebots die Augen über.
 
 Das Niederringen der alten Kräfte durch Runden Tisch und Volkszorn
 
Der Fall der Berliner Mauer war von einschneidender Bedeutung. Gleichwohl stand die politische Wende noch aus. Am 13. November hatte die Volkskammer den SED-Sekretär des Bezirks Dresden, Hans Modrow, zum neuen Ministerpräsidenten und damit zum Nachfolger Willi Stophs gewählt, der kurz zuvor seinen Hut nehmen musste. In seiner Regierungserklärung kündigte Modrow unter anderem Wirtschaftsreformen an: Das Leistungsprinzip sollte durchgesetzt, die staatliche Planung reduziert, das MfS in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt und der Einfluss der SED auf die Regierung zurückgedrängt werden. Letzteres Problem löste sich im Dezember von selbst, weil ZK und Politbüro der SED geschlossen zurücktraten. Der Geruch von Amtsmissbrauch und Korruption lag seit längerem in der Luft. Gegen Honecker, Stoph, Mielke und andere ergingen Haftbefehle. Ein glaubwürdiger Neubeginn schien jetzt möglich. War er es wirklich? Die Kräfte des Neuen gruppierten sich in ihren neu gegründeten Parteien und Initiativen. Der Regierung Modrow wollten sie ihre Unterstützung aber auf keinen Fall geben. Andererseits waren sie von ihrem Selbstverständnis her zu wenig homogen und unerfahren im Umgang mit der Macht, um diese, wie es später im Rückblick hieß, »an sich zu reißen, als sie noch auf der Straße lag«. Schließlich kam es nach polnischem Vorbild zu Gesprächen am Zentralen Runden Tisch. Strikt paritätisch vertreten, nahmen dort die alten Kräfte (SED, Blockparteien und Massenorganisationen) und die neuen Platz. Schon in seiner konstituierenden Sitzung brachte der Runde Tisch die Politik zupackend voran und entwickelte Spürsinn für Vorrangiges: Man einigte sich auf den 6. Mai als Datum für Neuwahlen zur Volkskammer und begann Druck auf die Regierung auszuüben, das AfNS aufzulösen. Dieser Nachfolgeorganisation des Mielke-Imperiums galt das ganze Misstrauen der Bevölkerung — und mehr: Angst ging um vor möglichen Racheakten der Stasi (Staatssicherheitsdienst). Man befürchtete auch, die ausgebooteten SED-Oberen könnten sich zurück an die Macht putschen. Anfang Januar wurden die Forderungen der oppositionellen Kräfte am Runden Tisch massiver. Ultimativ wollten sie Modrow vor das Gremium zitieren, um von ihm einen Bericht zur Lage der inneren Sicherheit zu bekommen. Der Zorn der Straße gipfelte am 15. Januar in der Erstürmung der verhassten Stasizentrale in der Ostberliner Normannenstraße.
 
Das war für alle sichtbar das Ende des alten Regimes und ein Vorgang von hohem Symbolwert. »Seht her, wir haben die zentrale Zwingburg des Unterdrückungsregimes erobert!«, lautete die stolze Botschaft an alle im Land. Ratlos über den ökonomischen Verfall angesichts der unvermindert anhaltenden Absetzbewegung der Menschen in den Westen hatte Modrow der Opposition schon eine Woche vor der Erstürmung der Stasizentrale die Zusammenarbeit angeboten, auch er in Unruhe über die Putschgerüchte. Schweren Herzens und in Sorge um die Zukunft der DDR gingen die Oppositionsgruppen auf Modrows Angebot ein. Ende Januar 1990 einigte man sich auf die Bildung einer Regierung der Nationalen Verantwortung, in die acht Minister ohne Geschäftsbereich aus den Reihen der neuen Kräfte eintraten.
 
 Die deutsche Frage kommt in Bewegung
 
Auf der Leipziger Montagsdemonstration vom 20. November 1989 traten erstmals in größerem Umfang Gruppen auf, die die Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten forderten. Sie skandierten »Wir sind ein Volk!« und: »Deutschland einig Vaterland«. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte sich in der deutschen Frage lange zurückgehalten. Gleichzeitig trieb ihn aber um, in dieser so wichtigen Angelegenheit deutscher Politik die Meinungsführerschaft nicht zu verlieren. Aus Moskau erreichten ihn kurz nach der Maueröffnung Signale, die auf eine gewisse Aufgeschlossenheit der Sowjets schließen ließen. Nun griff der Kanzler die nationalen Forderungen der Ostdeutschen auf und legte dem Bundestag am 28. November ein 10-Punkte-Programm vor, das auf die Schaffung konföderativer Strukturen zwischen beiden deutschen Staaten zielte. Am Ende sollte dabei ein gesamtdeutscher Bundesstaat stehen. Mit diesem Vorgehen, im Ausland eher mit Skepsis aufgenommen, hatte sich Kohl in die Herzen vieler getragen. Als er sich am 19. Dezember mit Modrow in Dresden traf, wurde er von mehreren zehntausend Menschen mit stürmischem Beifall bedacht. Trotz der weltweiten Zustimmung für die Öffnung der Mauer ließen die auswärtigen Mächte zunächst verlauten, dass die Wiedervereinigung »nicht auf der Tagesordnung« stünde. Von den drei Westmächten bekannten sich die USA als erste zum Recht der Deutschen auf Selbstbestimmung. Der amerikanische Präsident George Bush zielte dabei auf ein Kompensationsgeschäft: Ein klares »Ja« zur Wiedervereinigung seitens der USA verlange ein ebenso klares Bekenntnis der Bundesregierung zur NATO-Mitgliedschaft und zu den bestehenden Grenzen in Europa. Die Sowjetunion warnte in öffentlichen Erklärungen zunächst mit aller Entschiedenheit vor Versuchen, den Status quo in Europa zu verändern. Aber der rasante Zusammenbruch der DDR veranlasste sie im Januar 1990, ihre Deutschlandpolitik zu überdenken. Jetzt setzten sich in der Kremlführung jene Stimmen durch, die das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten im Interesse der Aufrechterhaltung politischer Stabilität in Europa für sinnvoll hielten. Am 10. Februar waren Kohl und Genscher zu einem Blitzbesuch in Moskau. Gorbatschow ließ die Gäste aus Bonn wissen, er respektiere die Entscheidung der Deutschen, in Zukunft in einem Staat leben zu wollen. Die Einheit sei »eine Angelegenheit, die allein von den Deutschen entschieden werden kann«.
 
Großbritannien und Frankreich taten sich lange schwer, den deutschen Einigungsprozess zu unterstützen. Dabei schwang die Sorge über ein zu mächtiges Deutschland mit. Schließlich setzte sich in London und Paris aber die Meinung durch, dass eine Verhinderungsstrategie größere Risiken berge als die Billigung des Unvermeidlichen. Am Rande der Konferenz Open Sky (Offener Himmel) zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Pakts im kanadischen Ottawa vereinbarten die vier Siegermächte und die beiden deutschen Staaten Zwei-plus-Vier-Gespräche über die Zukunft Deutschlands und die Sicherheit in Europa. Die Bereitschaft der Weltkriegssieger von einst, die Deutschen als Partner mit an den Verhandlungstisch zu holen, war von dem Gedanken getragen, einen Diktatfrieden nach dem Vorbild von Versailles zu vermeiden.
 
 Die Parlamentarisierung der DDR
 
Der Runde Tisch war in dem, was er tat, darauf angelegt, sich nach den Volkskammerwahlen überflüssig zu machen. Diese sollten aus der DDR einen demokratisch legitimierten Staat machen. Um im Interesse der Stabilität möglichst frühzeitig klare Verhältnisse zu schaffen, wurde der Wahltermin auf den 18. März vorverlegt. Das fand keineswegs nur Zustimmung, da die kleinen Parteien einen Wahlkampf aus dem Stand heraus nur schwer durchstehen konnten und so benachteiligt waren. Durch die Vorgabe demokratischer Wahlen veränderte sich die politische Landschaft von Grund auf. Die Frontstellung der Blöcke zwischen Alt und Neu begann sich schon im Dezember aufzulösen: Oppositionsgruppen konstituierten sich als Parteien (zum Beispiel der Demokratische Aufbruch, DA), neue Parteien wurden gegründet und Wahlbündnisse geschlossen. Die Parteien der Nationalen Front vollzogen eine programmatische Wende, auch die SED, inzwischen zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) gewendet, war davon nicht ausgenommen. Den Wahlkampf kennzeichneten Großveranstaltungen, auf denen westdeutsche Spitzenpolitiker auftraten. Davon und von massiver finanzieller Wahlhilfe aus dem Westen profitierten vor allem die Christdemokraten, Christlich-Sozialen (Deutsche Soziale Union, DSU), Sozialdemokraten und Liberalen.
 
Der Wahlabend endete mit einer faustdicken Überraschung. Denn entgegen aller Prognosen bekam das konservative Wahlbündnis »Allianz für Deutschland« mit über 47 Prozent die meisten Stimmen. Verlierer der Wahl waren die Sozialdemokraten. Sie erreichten knapp 22 Prozent. Die SED-Nachfolgeorganisation PDS schnitt mit über 16 Prozent überraschend gut ab. Die Bürger hatten sich dafür entschieden, alle »Sozialismen« abzuwählen und sahen in Kohl den zukünftigen Architekten der Einheit. Am 12. April wurde der CDU-Spitzenkandidat Lothar de Maizière neuer Regierungschef einer großen Koalition aus CDU, DSU, DA, SPD und Liberalen. Nach schwerer und lang anhaltender Staatskrise sollten nun Monate des raschen Übergangs zu einem vereinten Deutschland folgen.
 
 Auf dem Weg in die Einheit- Die Einführung der D-Mark im Osten
 
Als Modrow am 13. Februar 1990 zu Verhandlungen mit der Bundesregierung in Bonn weilte, nannte er dem Bundeskanzler konkrete Zahlen, die die absehbare Zahlungsunfähigkeit der DDR untermauern sollten, und forderte in diesem Zusammenhang einen Solidarbeitrag in Höhe von 15 Milliarden DM. Kohl antwortete mit dem Gegenangebot, in gemeinsame Verhandlungen zur Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion einzutreten. In den Delegationsgesprächen am Rande des Besuchs meldeten DDR-Minister Bedenken an. Die sofortige Einführung der D-Mark käme einer bedingungslosen Kapitulation gleich. Entschieden werde, so aber die Entgegnung der Westdeutschen, erst nach der Volkskammerwahl. Im Klartext für die von der PDS angeführte Regierung hieß das: harte D-Mark nur um den Preis freier Wahlen! Den Ostdeutschen blieb keine andere Wahl. Sie waren mit leeren Händen nach Bonn gekommen.
 
Die abrupte Einführung der Marktwirtschaft in einem Gesellschaftssystem mit ausgeprägten Plan- und Kommandostrukturen wurde damals äußerst kontrovers diskutiert. Aber der Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, der am 18. Mai nach längeren Verhandlungen unterzeichnet werden konnte, war vor allem politisch gewollt. Kernpunkte der Vereinbarung waren erstens die Umstellung der Löhne, Gehälter, Stipendien und anderer wiederkehrender Zahlungen sowie von Sparguthaben bis zu bestimmten Höchstgrenzen im Verhältnis eins zu eins, zweitens die Auflage an den Gesetzgeber der DDR, alle wirtschafts- und finanzpolitischen Voraussetzungen für die soziale Marktwirtschaft zu schaffen, drittens die Einführung der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung nach dem Vorbild der Bundesrepublik, viertens desgleichen die Einführung der Tarifautonomie, der Streik- und Mitbestimmungsrechte, ferner des Kündigungsschutzes und fünftens Maßnahmen zur Sanierung der Umwelt. Stichtag für die Währungsunion war der 1. Juli 1990. Über Nacht füllten Waren aus dem Westen die Regale, während die meisten DDR-Produkte liegen blieben. Währungsspekulanten und Warenschieber hatten in diesen Wochen Konjunktur und dürften damals einen volkswirtschaftlichen Schaden von mehreren hundert Millionen DM angerichtet haben. Plötzlich ging auch die Angst vor unsicherer Zukunft um. Viele würden durch die Umstellung und die mit ihr verbundene Stilllegung unrentabler Betriebe jetzt arbeitslos werden. So dachte »Herr Jedermann« in Dresden, Halle oder Ostberlin.
 
 Der Einigungsvertrag
 
In den Sommerwochen des Jahres blieb es das Bestreben der DDR-Regierung, für die Wiedervereinigung möglichst umfassend alle Übergangsbestimmungen zu fixieren — vor allem solche, für die der Staatsvertrag vom 18. Mai noch keine Regelung getroffen hatte. Der Regelungsbedarf bezog sich dabei in erster Linie auf das Verwaltungs-, Straf- und EG-Recht sowie auf die Felder Kultur, Bildung, Wissenschaft und Sport. Bundestag und Volkskammer stimmten diesem zweiten deutsch-deutschen Vertragswerk des Jahres (Staatsvertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands) am 20. September mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu, nachdem es die beiden Verhandlungsführer, der Parlamentarische Staatssekretär beim DDR-Ministerpräsidenten Günther Krause und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, Ende August unterzeichnet hatten. In seinen inhaltlichen Bestimmungen legte sich dieser Einigungsvertrag auf Berlin als zukünftige Hauptstadt Gesamtdeutschlands fest, ließ aber die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung offen. Der Beitritt wurde auf den 3. Oktober des Jahres terminiert. Eine der wichtigsten Bestimmungen enthielt das Schlusskapitel. Hier wurde die Vermögensfrage angesprochen. Es sollte eine Rückübertragung von Eigentum an ehemals enteignete Besitzer dann nicht geben, »wenn das betroffene Grundstück oder Gebäude für dringende, näher festzulegende Investitionszwecke benötigt wird«. Vor dem Hintergrund hundertausendfacher Enteignungen im Osten barg diese Regelung der Eigentumsfrage viel Brisanz. Das sollte noch lange so bleiben.
 
 Schulterschluss im Kaukasus und das Ende der Zwei-plus-Vier-Gespräche
 
Als Anfang 1990 der Zug in Richtung Einheit an Fahrt gewonnen hatte, blieb die Frage der zukünftigen Bündniszugehörigkeit noch ungeklärt. Ein neutrales Deutschland mochten sich weder die Westmächte noch die Bundesregierung vorstellen. Andererseits erschien der Sowjetunion zum damaligen Zeitpunkt eine deutsche NATO-Mitgliedschaft undenkbar. In den Wochen und Monaten, die dem historischen Durchbruch vom 10. Februar in Moskau folgen sollten, suchte Genscher den diplomatischen Dauerkontakt mit seinen westlichen Amtskollegen, ebenso auch zu Eduard Schewardnadse, dem Außenminister der Sowjetunion. Genschers Devise lautete: Vermitteln, klären und um Vertrauen werben, damit vereinbar werden konnte, was zwischen Ost und West unvereinbar erschien. Schließlich — die Zwei-plus-Vier-Gespräche waren längst angelaufen — machte Gorbatschow in einer Phase innenpolitischer Stärke den Weg zur Wiedervereinigung endgültig frei.
 
In Moskau und im Kaukasus kam es am 15./16. Juli zum zweiten Zusammentreffen des Jahres zwischen ihm und Kohl. Man müsse »den Mantel der Geschichte« ergreifen, eröffnete der Kanzler die Gespräche unter Verweis auf Bismarck. Am Ende billigte Gorbatschow dem künftigen vereinten Deutschland die volle Souveränität zu und ließ auch seine Einwände gegen eine NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands fallen. Hintergrund war, dass NATO und Warschauer Pakt sich damals näher gekommen waren, sich geradezu die Hand zur Versöhnung reichten. Außerdem hatte die Bundesregierung ihren Moskauer Gesprächspartnern mehrfach die Bereitschaft bekundet, die deutsch-sowjetischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Ausgestattet mit dem energischen Willen zu innenpolitischen Reformen, war der sowjetischen Führung viel an einem wirtschaftlich starken, der UdSSR partnerschaftlich verbundenen Deutschland gelegen. Das gab den Ausschlag für den Sinneswandel.
 
Die Zwei-plus-Vier-Gespräche kamen zügig voran und waren eingebunden in Gip- fel und Sondergipfel der NATO-, EG- und KSZE-Staaten, obwohl sich die Verhandlungen besonders in der Schlussphase als überaus schwierig erwiesen. Die USA argwöhnten, dass sich eine nicht ganz eindeutige Regelung in Bezug auf die Verlegung von NATO-Truppen auf das Gebiet der DDR abzeichne, Gorbatschow feilschte mit dem Kanzler um zweistellige Milliardenbeträge und dieser wiederum verärgerte fast alle im Ausland und viele in der deutschen Öffentlichkeit, weil er sich einer völkerrechtlichen Anerkennung der polnischen Westgrenze vor Herstellung der Einheit widersetzte.
 
Aber das Vertragswerk gelang zu guter Letzt: Als die Außenminister der vier Siegermächte, der Bundesrepublik und der DDR im unscheinbaren Empfangssaal eines Moskauer Hotels am 12. September 1990 gegen 12.50 Uhr das Abschlussdokument zum Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland unterzeichneten, war damit ein entscheidender Schlussstrich unter viereinhalb Jahrzehnte Nachkriegsgeschichte gezogen. Im Einzelnen legte der Vertrag fest: Die deutschen Außengrenzen sind endgültig (Artikel1); die Personalstärke der deutschen Streitkräfte ist auf 370000 Mann zu reduzieren (Artikel3); die UdSSR regelt den Abzug der sowjetischen Streitkräfte bis Ende 1994 (Artikel4); die Viermächteverantwortung für Berlin und Deutschland als Ganzes erlischt (Artikel7).
 
 Die deutsche Einheit — Ein Gestaltungsauftrag
 
So konnten die Deutschen ihren Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 in dem Bewusstsein voller staatlicher Souveränität begehen. Bereits am 23. August hatte die Ostberliner Volkskammer in einer Sondersitzung mit 294 gegen 62 Stimmen den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschlossen. Wegen dieser verfassungsrechtlichen Prozedur nach Artikel 23 des Grundgesetzes war es im Frühjahr des Jahres in der deutschen Öffentlichkeit zu einem breit und leidenschaftlich geführten Streit gekommen. Denn die Wiedervereinigung wäre staatsrechtlich auch anders zu haben gewesen — über die Neugründung Gesamtdeutschlands auf dem Wege einer Verfassunggebenden Nationalversammlung (Artikel 146 des Grundgesetzes). Besorgt wurde während der Verfassungsdebatte des Frühjahrs darum auch gefragt: Wo bleibt die DDR in ihren positiven Merkmalen sichtbar, wenn ein schneller Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes keinen Raum lässt, ein besseres Drittes an seine Stelle treten zu lassen? Was solche Frager bewegte, hinterließ Spuren im Einigungsvertrag: In Artikel 5 wurde der Gesetzgeber aufgefordert, sich innerhalb von zwei Jahren mit allen einigungsbedingten Fragen zur Änderung des Grundgesetzes zu befassen.
 
Auszuführen und umzusetzen gab es nun vieles: zum Beispiel die Neugründung der ostdeutschen Länder oder die endgültige Lösung der Hauptstadtfrage. Das Wichtigste von allem aber war, die Anschubfinanzierung für den deutschen Osten sowie eine faire Aufarbeitung der Vergangenheit nach 40 Jahren Diktatur ins Werk zu setzen, um Zug um Zug ökonomisch und mental die Wiederherstellung der inneren Einheit zu gewährleisten. Auch was die internationalen Aspekte der deutschen Einheit anbelangte, war noch vieles zu tun. In einer Serie von Vereinbarungen versuchte die Bundesregierung im Herbst 1990, die Beziehungen zu Polen und zur Sowjetunion zu normalisieren. Das entsprach dem Geist und Buchstaben des Zwei-plus-Vier-Vertrages und sollte einen weiteren Schlussstrich unter die Nachkriegsgeschichte ziehen.
 
Als überaus erfolgreich erwiesen sich die Deutschen in diesem »Wendejahr«. Doch bald kehrte der Alltag wieder ein, und der Gestaltungsauftrag, die innere Einheit sowie die außenpolitsche Aussöhnung mit dem Osten anzupacken, erwies sich schnell als ein vielschichtiges Problem, für dessen Lösung ein langer Atem erforderlich ist.
 
Dr. habil. Jochen Gaile
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Deutschland: Das geteilte Deutschland 1955 bis 1985
 
Literatur:
 
Andert, Reinhold / Herzberg, Wolfgang: Der Sturz. Erich Honecker im Kreuzverhör. Berlin u. a. 41991.
 Bahrmann, Hannes / Links, Christoph: Chronik der Wende, 2 Teile. Berlin 1994-95, teilweise Neudruck.
 
Das war die DDR. Eine Geschichte des anderen Deutschland, herausgegeben von Wolfgang Kenntemich u. a. Berlin 1994.
 Gill, David / Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums. Taschenbuchausgabe Reinbek 1993.
 Hertle, Hans-Hermann: Chronik des Mauerfalls. Berlin 61997.
 
Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS Januar -November 1989, herausgegeben von Berlin 31990.
 Neubert, Ehrhart: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989. Berlin 21998.
 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. München 21993.
 
Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, herausgegeben von Ulrike Poppe u. a. Berlin 1995.


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