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APPEASEMENT: GROßBRITANNIEN IN DEN 1930ERJAHREN

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Appeasement: Großbritannien in den 1930er-Jahren
 
Aus der Sicht der Zeitgenossen verlief die Politik der einzelnen Aggressorstaaten ebenso unkoordiniert und zum Teil sogar gegenläufig wie die Politik der an Friedenswahrung interessierten Mächte. Es war noch nicht jene Linie erkennbar, die letztendlich 1941 zum Überfall der Japaner auf Pearl Harbor führte. Binnen kurzem wurden aber die Auswirkungen des japanischen Erfolgs sichtbar, denn er leitete die Umorientierung der italienischen Fernostpolitik zugunsten Japans ein und führte 1937, als Japan den Krieg gegen China fortsetzte, zur Beendigung der bis dahin gepflegten italienisch-chinesischen Kooperation. Dasselbe traf auch auf Deutschland zu, zu dem die japanische Armee engere Beziehungen wünschte. Sie blieben aber ungeachtet des schon Ende 1935 konzipierten und ein Jahr später verkündeten Antikominternpakts, dem 1937 auch Italien beitrat, recht lose und führten zu keinem Zeitpunkt zu einer aufeinander abgestimmten Weltpolitik der beteiligten Staaten.
 
 Deutschland — Feind oder Handelspartner?
 
Besonders für Großbritannien, das aufgrund der Ausdehnung seines Weltreichs in alle internationalen Krisen verwickelt und damit zunehmend überfordert war, bestand Anlass zur Sorge, als Italien und Deutschland auch als kriegsbereite Aggressorstaaten auf der Bildfläche erschienen.Die britische Grundannahme der Zwanzigerjahre, in den nächsten zehn Jahren sei nicht mit einem Krieg mit einer Großmacht zu rechnen, musste Ende 1932 aufgegeben werden. Als Reaktion auf die nationalsozialistisch geführte Regierung in Deutschland, die im Oktober 1933 aus dem Völkerbund austrat, ließ die britische Regierung im November 1933 eine Kommission zur Untersuchung der britischen Verteidigungsfähigkeit und Sicherheitspolitik zusammentreten. Sie kam im Februar 1934 zu dem Ergebnis, dass Deutschland als potenzieller Feind anzusehen sei. Eine akute Gefahr werde von Deutschland allerdings frühestens in fünf Jahren ausgehen. Für den damaligen britischen Schatzkanzler Arthur Neville Chamberlain war Deutschland im Herbst 1934 zur Quelle aller Unsicherheit in Europa geworden. Premierminister Stanley Baldwin meinte 1935, Deutschland führe die Liste der Länder an, von denen eine Bedrohung ausgehe, gefolgt von Italien, der Sowjetunion und Japan. Britische Außenpolitik war nicht blind gegenüber den Gefahren, die vom nationalsozialistischen Deutschland drohten. Gleichzeitig blieb Deutschland aber ein wichtiges Mitglied des europäischen Staatensystems. Vorerst war die britische Deutschlandpolitik noch nicht von dem negativer werdenden Image Deutschlands und seiner Rolle als antiwestlich ausgerichteter Diktatur und als Militärstaat bestimmt, sondern von den Interessenlagen Großbritanniens und der Wahrnehmung Deutschlands als Wirtschaftsmacht und Handelspartner. Das ökonomische Interesse am Frieden und ein Sicherheitsdenken in den Kategorien des Handelsstaats hatte noch einige Zeit Vorrang vor militärischen Machtmaßstäben. Auch in den Dreißigerjahren hielt man entgegen der Tatsache, dass die Welt sich militarisierte und verschiedene Staaten sich durch Rüstung und Krieg dem Verbund des liberalen Systems entzogen, an der Grundannahme fest, Wirtschaftsmacht und Weltmachtstatus seien für Großbritannien unauflöslich gekoppelt. Dazu gehörte es, eine ausgeglichene Zahlungsbilanz und die Stabilität des Pfunds sicherzustellen. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erschien als »vierte Teilstreitkraft«. Sie aber drohte zu versagen, wenn der Staatshaushalt übermäßig durch Rüstungsausgaben belastet werden musste. Besonders schwierig wurde die Lage, als in den Dreißigerjahren erstmals seit knapp hundert Jahren ein Zahlungsbilanzdefizit auftrat. Britische Minister fürchteten, der Kollaps — nämlich der finanzielle — könnte noch vor dem militärischen Ernstfall eintreten, wenn durch forcierte Rüstung Kapital und Arbeitskräfte aus der Exportwirtschaft abgezogen würden, wie dies in Deutschland geschah. Nach seiner Ernennung zum Premierminister 1937 unterstrich Chamberlain, Kriege würden nicht nur mit Waffen und Soldaten gewonnen, sondern mit ausreichenden materiellen und finanziellen Reserven und aufgrund der größeren Ressourcen. Krieg als Mittel der Politik schied nicht aus, auch wenn Krieg — anders als dies in Deutschland gesehen wurde — zutiefst interessenwidrig erschien. Sollte es zum Krieg kommen, dann zu einem möglichst späten Zeitpunkt. Er würde aus der Defensive heraus zu führen sein und war als lang dauernder Krieg konzipiert, in dem Deutschland mit seinen begrenzten Ressourcen unterliegen musste.
 
 Hitlers Englandbild
 
Mit dieser Strategie konnte die britische Politik frei entscheiden, wann der Kriegsfall gegeben sein würde. Man war durch automatisch wirkende Bündnisverpflichtungen in keiner Weise festgelegt. Nicht jede territoriale Veränderung musste zum Krieg führen. Welche es sein würde, darüber ließ man jedoch den Gegner im Zweifel. Entschieden war die britische Regierung nur insofern, als sie zu keinem Zeitpunkt bereit war, auf Hitlers Lieblingsvorstel- lung einzugehen: In dessen geopolitisch ausgerichtetem Denken sollte der Kontinent Deutschland und das Weltmeer Großbritannien gehören, das auf diese Weise seinen Besitzstand wahren könne. Deutschland könne hinzugewinnen und expandieren. Noch ein wenig schmackhafter sollte das Angebot eines deutsch-britischen Kondominiums dadurch werden, dass die deutsche Expansion mit dem Ziel neuen Lebensraums nach Osten gegen die Sowjetunion erfolgen sollte. Hitlers Vorstellungen verrieten, dass seine Wahrnehmung Großbritanniens stärker von eigenen Wunschvorstellungen geprägt war als von realitätsnaher Einschätzung der britischen Politik. Er bemerkte völlig zutreffend, dass Großbritannien auf dem Kontinent und erst recht in Ostmittel- und Südosteuropa keinerlei Bündnisverpflichtungen einzugehen bereit war; ferner, dass es in britischen Regierungskreisen einen unübersehbaren antikommunistischen Affekt gab. Daraus durfte aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, die Hitler herbeiwünschte, dass Deutschland auf der Grundlage des Antikommunismus freie Hand im Osten haben könnte. Hitler diagnostizierte auch korrekt das außenpolitische Ruhebedürfnis Großbritanniens. Er übersah aber, dass das britische Friedensbedürfnis nicht auf einen Frieden um jeden Preis hinauslief. Neben dem unbezweifelbaren Machtverfall der alten Weltmacht stand das nach wie vor vorhandene Machtbewusstsein Großbritanniens, das als internationale Ordnungsmacht keineswegs kampflos abdanken wollte. Darauf aber wäre eine Verdrängung Großbritanniens aus den Angelegenheiten der kontinentaleuropäischen Politik hinausgelaufen. Großbritannien wäre in Europa zum Juniorpartner Deutschlands abgesunken, was aus britischer Sicht nicht akzeptabel war und britische Sicherheitsinteressen in Westeuropa verletzt hätte.
 
 Anlehnung an die USA, Zusammenarbeit mit Frankreich
 
Wenn die Rolle des Juniorpartners für Großbritannien nicht zu vermeiden sein sollte, dann kamen als Seniorpartner nur die USA in Betracht. Aber auch dies erschien der britischen Führungsschicht wenig attraktiv. Man konnte ihr nur entgehen, wenn der Frieden erhalten werden konnte. Wenn das attentistische Konfliktverhalten Großbritanniens den Frieden nicht würde retten können, dann gab es allerdings keine Alternative zum Krieg — mit der Hoffnung, die überlegenen Machtmittel der vorerst isolationistischen USA würden letztendlich zur Verfügung stehen, selbst um den Preis der dann unvermeidlichen Abdankung Großbritanniens als gleichberechtigter Weltmacht. Angesichts der weltpolitischen Überbeanspruchung und relativen Schwäche Großbritanniens war die Anlehnung an die USA mit gleichzeitiger Abhängigkeit von ihnen im Kriegsfall unvermeidbar.
 
Mit einiger Sicherheit lässt sich sagen, dass eine zeitigere Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und Frankreich dem nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg nicht die Möglichkeit zur Beherrschung Kontinentaleuropas gegeben hätte, in deren Windschatten dann auch die Ermordung der europäischen Juden geschah. Der Spielraum, den sich Großbritannien und Frankreich bewahren wollten und der zu einem möglichst späten Kriegseintritt führte, zog entsprechenden Spielraum für die Aggressorstaaten nach sich. Solchen Erwägungen, die im Rückblick nahe liegen, gilt es freilich immer wieder die begrenzte Perspektive der Zeitgenossen gegenüberzustellen. Wer die Friedenswahrung zum nationalen Interesse erklärt, betont primär die Kriegsrisiken. Zudem erschien die deutsche Politik nicht zweifelsfrei auf einen Hegemonial- und Vernichtungskrieg hinauszulaufen. Musste man nicht zunächst einmal ausloten, wohin eigentlich die deutsche Aufrüstung und die Infragestellung des Versailler Systems führten? Über Krieg und Frieden zwischen den Großmächten durfte nicht jede Veränderung des territorialen Status quo entscheiden. Diese Lebensfrage stellte sich erst, wenn solche Veränderungen die Sicherheit Westeuropas selbst infrage stellten.
 
Prof. Dr. Gottfried Niedhart
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Großbritannien: Garantiemacht der Zwischenkriegsordnung
 
Literatur:
 
McDonough, Frank: Neville Chamberlain, appeasement and the British road to war. Manchester 1998.
 Peter, Matthias: John Maynard Keynes und die britische Deutschlandpolitik. Machtanspruch und ökonomische Realität im Zeitalter der Weltkriege 1919-1946. München 1997.


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