Значение слова "ARTENSTERBEN: GRÜNDE" найдено в 1 источнике

ARTENSTERBEN: GRÜNDE

найдено в "Universal-Lexicon"

Artensterben: Gründe
 
Die These vom anhaltenden Bevölkerungswachstum als Hauptursache des Artensterbens ist ins Wanken geraten. Zwar hat die Menschheit längst die Sechs-Milliarden-Marke überschritten, doch gibt es zahlreiche Beispiele für eine friedliche Koexistenz von Mensch und Natur. Die geringe Größe bestehender Schutzgebiete verhindert aber oft die Umsetzung ökologischer Erkenntnisse in die Praxis: Dem Platzbedarf der Arten wird zu wenig Rechnung getragen.
 
Bedroht wird die biologische Vielfalt heute vor allem durch die industrialisierte Landwirtschaft. Nur noch in der Welt der Werbung hat die bäuerliche Idylle ihren festen Platz. In der Realität dominieren Massentierhaltung und Monokulturen, das Steigern der Produktivität um jeden Preis und die Ausweitung der Nutzflächen, um Futtermittel für die rasant wachsende Fleischproduktion zu erzeugen. Nicht die pure Existenz von immer mehr Menschen bedroht den Artenschatz, vielmehr die Art der Nahrung, die diese Menschen verzehren, und die Art, wie sie diese Nahrung erzeugen.
 
 Friedliche Koexistenz
 
Gegen die allermeisten Lebewesen haben die Menschen nichts einzuwenden.Eine Ausnahme bilden nur diejenigen, welche als Überträger von Krankheiten die Gesundheit gefährden oder Nutztiere und -pflanzen schädigen. Wen stört schon der kleine Käfer am Baum oder der bunte Falter, der über die Lichtung gaukelt. Sie sind für die meisten Menschen Ausdruck des Reichtums der Natur. Wenn wir ihre Anwesenheit nicht schätzten, würden wir die Parkanlagen nicht so naturnah gestalten, nicht in schöne, reichhaltige Landschaften reisen oder die Vielfalt der Tiere und Pflanzen in Zoos und botanischen Gärten bewundern.
 
Viele Religionen lehren den Respekt vor der Schöpfung, und für rund ein Fünftel der Menschheit gelten Tiere so sehr als Mitlebewesen, dass man sie nicht ohne zwingende Not töten oder verfolgen darf. Sind das nicht beste Voraussetzungen, den Artenschwund zu bremsen? Wo Menschen, Tiere und Wildpflanzen zusammen leben und gut miteinander auskommen können, ist in der Tat kein Grund zur Besorgnis gegeben.
 
So verzeichnen wir in mitteleuropäischen Großstädten einen höchst bemerkenswerten Artenreichtum, der meistens sogar über dem Landesdurchschnitt liegt. Menschen- sowie Tier- und Pflanzenwelt sind kein naturgegebener Gegensatz, sondern eigentlich die Fortsetzung einer äonenlangen Partnerschaft.
 
Die Problematik lässt sich am besten an der Situation mitteleuropäischer Naturschutzgebiete erörtern. Naturschutzgebiete sollen, das besagt ihr Name, die Natur schützen und bewahren. In den meisten der mehr als 3000 deutschen Naturschutzgebiete verbieten deshalb strenge Regeln vieles, was ansonsten in freier Natur erlaubt ist. Hier darf man weder Blumen pflücken noch zelten, lagern oder Lärm machen und muss sich mit vielen weiteren Einschränkungen abfinden. Dies allein ist jedoch nicht ausreichend, um die biologische Vielfalt zu bewahren.
 
 Natur braucht Platz
 
Eine kritische Sichtung von Zustand und Funktion der Naturschutzgebiete macht klar, dass die meisten die ihnen zugedachten Aufgaben gar nicht erfüllen können. Sie sind nämlich viel zu klein und von anderen Schutzgebieten, die hinsichtlich ihrer Naturausstattung ähnlich sind, zu weit entfernt. Die umliegende Landnutzung hat sie zu ökologischen Inseln gemacht.
 
Dabei sollten für kleine bis mittelgroße Vögel wenigstens 80 bis 100 Hektar Fläche zur Verfügung stehen, damit sich ein kleiner Bestand der verschiedenen Vogelarten ansiedeln kann und nicht bloß ein einzelnes Paar, das sich dann zu verloren vorkommt und wieder abwandert. Größere Vögel benötigen schon Schutzgebietsgrößen von 10 bis 50 Quadratkilometern Fläche und bei Großsäugern können es mehrere Tausend Quadratkilometer sein, die der geschützte Bestand zum Überleben braucht.
 
Nur wenige Großschutzgebiete in den Alpen, an der Küste (Wattenmeer) und in Ostdeutschland erfüllen diese Grundanforderung. Am besten schneiden noch die großen, gesperrten militärischen Übungsflächen ab, die sich in den letzten Jahren als außerordentlich artenreich erwiesen haben. Das »Tafelsilber des (deutschen) Naturschutzes« hat man sie genannt — und das zu Recht. Könnten viele der bei uns in Mitteleuropa vorkommenden Tier- und Pflanzenarten nicht auch in der von Menschen geprägten Welt leben, wäre es längst sehr schlecht bestellt um die hiesige Artenvielfalt.
 
In den besonders artenreichen Tropen hat die Problematik jedoch weitaus größere Dimensionen. Denn dort sind die meisten Arten nicht nur sehr kleinräumig bis lokal verbreitet, sondern zumeist auch noch viel seltener als bei uns. Kleine Bestände aber sind naturgemäß schneller und stärker gefährdet als große, produktive Populationen, die Verluste rasch wieder ausgleichen können. So reichten ein paar Hunderttausend in Amazonien abgeschossene Spieß- und Sumpfhirsche aus, um die Bestände weithin zu vernichten, während eine weit größere Menge Rehe, die Jahr für Jahr in Deutschland geschossen wird, die Übervermehrung dieser Tiere nicht stoppen kann. Bei uns konnten weder scharfe Bejagung noch Baubegasung den Fuchsbestand ernstlich in Gefahr bringen, während weit weniger erbeutete Ozelots in Südamerika die Art zu vernichten drohten.
 
Der kürzlich verstorbene deutsche Geograph Wolfgang Weischet nannte diese Gegebenheit die »ökologische Benachteiligung der Tropen«. Wir müssen sie berücksichtigen, wenn Erfahrungen und Befunde aus unseren gemäßigten Breiten auf die Tropen übertragen werden sollen. Denn die dortige Artenvielfalt ist die Antwort der Natur auf den Mangel, der weithin herrscht. Im Überfluss vorhanden sind nur Licht und Wärme, stellen- oder zeitweise auch Wasser, aber nur in seltenen Ausnahmen die Grundnährstoffe für die Pflanzenwelt. Der Mangel daran zwingt zur Spezialisierung und diese fördert die Artbildung. Die Artenvielfalt vermittelt uns somit in mancher Hinsicht Erkenntnisse darüber, wie das Leben zurechtkommt, wenn aus Überfluss Mangel wird. Das ist auch für den Menschen und seine Zukunft kein ganz unbedeutender Aspekt, hatte die Menschheit doch bis ins 20. Jahrhundert hinein beständig mit dem Mangel zu kämpfen und sie muss das in weiten Teilen auch immer noch.
 
 Zu viele Menschen?
 
Die rasche Zunahme der Erdbevölkerung auf nun schon mehr als sechs Milliarden Menschen gilt zumeist als Hauptursache für den Artenschwund und die Vernichtung naturnaher Lebensräume. Das ist nur zum Teil richtig. In Teilen Schwarzafrikas, in manchen Regionen Südasiens und Mittelamerikas wächst die Bevölkerung geradezu explosionsartig. Katastrophale Armut und Unterversorgung mit dem Lebensnotwendigsten, darunter auch Brennholz, lassen keine nennenswerte Rücksichtnahme auf die Natur mehr zu. Das bloße Überleben ist wichtiger. Doch diesen Kerngebieten des Weltbevölkerungswachstums stehen riesige Regionen mit nur sehr dünner Besiedelung oder sogar tendenziell abnehmender Bevölkerung gegenüber. So ist in Europa und dem größten Teil Nordasiens bis nach Japan die Zeit starken Anwachsens der Bevölkerungen seit langem vorüber.
 
Zu schnell schrumpfende Völker mit Überalterung sind in diesem Raum bereits ein ernstes Zukunftsproblem. Südamerika mit seiner insgesamt kräftig zunehmenden Menschenzahl wird nicht von Überbevölkerung bedroht, weil die einzelnen Staaten, vor allem Brasilien und Argentinien, bei schon europäisierten Verhältnissen keinerlei Mangel an Land haben. Das gilt noch mehr für Australien und Kanada. Die größten Flächenstaaten der Erde haben weit unterdurchschnittliche Siedlungsdichten. Und selbst in Indien, das mit nun einer Milliarde Menschen die zweitgrößte Bevölkerung aller Nationen aufweist, haben Tiere und Pflanzen Platz — und zwar in immer noch beachtlicher Vielfalt. Schwierigkeiten mit gefährlichen oder besonders großen Raum benötigenden Großtieren wie mit Tiger und Elefant gibt es dort vor allem wegen der Wilderei.
 
Tigerprodukte erzielen auf dem ostasiatischen Schwarzmarkt so hohe Preise, dass sich für die Wilderer nicht selten auch der Einsatz ihres Lebens lohnt. Gäbe es diesen Absatzmarkt nicht, müsste Indien nicht darum bangen, dass eine der großartigen Leistungen des Artenschutzes zunichte gemacht wird: die Erhaltung des Tigers in einem Subkontinent, der vor Menschen überquillt.
 
 Refugium im Ballungsraum
 
Gehen wir von den Verhältnissen bei uns selbst aus, so müssen wir feststellen, dass die Großtiere, die ausgerottet oder weithin verdrängt worden sind, ihr Schicksal bereits im Mittelalter oder davor ereilte, als in ganz Europa noch nicht mehr Menschen lebten als gegenwärtig allein in Deutschland. Hier, im Herzen Europas und in einer der am dichtest besiedelten Regionen der Erde überhaupt, leben jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts wenigstens zehnmal mehr Rehe und Hirsche als vor 150 oder 200 Jahren. Hier gibt es mehr als 300 Brutpaare des Seeadlers, einer weltweiten Rarität unter den Großvögeln, und in den Nachbarländern leben Bären, Wölfe und Elche in freier Wildbahn.
 
Die bloße Zahl der Menschen kann daher nicht die Ursache für den Artenschwund sein. Die Vogelwelt bestätigt dies am deutlichsten. Die Zahl ihrer Mitglieder nimmt an Häufigkeit mit der Größe der Städte zu. So kommt auf jeden Münchner oder Berliner statistisch gesehen wenigstens ein Vogel; das macht für Berlin zwischen dreieinhalb und vier Millionen im Stadtgebiet. Sogar Riesenstädte wie London und New York sind überraschend reich an frei lebenden Tierarten. Sie bieten für nicht wenige Arten eine sichere Zuflucht, die diese jährlich zu den Zugzeiten von weit her aufsuchen.
 
Ganz ähnlich verhält es sich mit Industrieanlagen oder großen Verkehrsbauwerken. Im Bahnhofsbereich von Zürich kommen neben ursprünglich heimischen Pflanzenarten auch so viele aus dem Mittelmeerraum vor, dass man ein entsprechendes Pflanzenbestimmungsbuch benötigt, um alle dort wild wachsenden Arten richtig bestimmen zu können. Nicht die Großeingriffe der Industrie, die Siedlungstätigkeit der Menschen oder ihre Verkehrssysteme bedrohen und vernichten die Artenvielfalt, sondern an vorderster Stelle die Landwirtschaft. Forscht man genauer nach den Ursachen für den Rückgang oder das Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten, so ist sie in fast allen hinreichend genau dokumentierten Fällen die Ursache. Der Rückgang bei Säugetieren, Vögeln, Kriechtieren und Lurchen in Mitteleuropa geht beispielsweise zu mehr als 70 Prozent auf das Konto der Landwirtschaft.
 
 Ohne Jäger keine Angst
 
Etwa zehn bis zwölf Prozent der Arten sind gefährdet, weil sie sehr störungsanfällig sind. Sie wurden oder werden immer noch gejagt und sind daher recht scheu. Scheuheit ist nur gegenüber natürlichen Feinden natürlich, nicht aber gegenüber dem Menschen. Wo frei lebende Tiere nicht verfolgt werden und den Menschen nicht als Feind kennen, verhalten sie sich ihm gegenüber vertraut oder indifferent. Sie zeigen ähnliche Verhaltensweisen wie auch gegenüber harmlosen Großtieren, etwa Rindern oder Pferden. Reiter kennen den Effekt, dass viele sonst scheue Arten nicht zwischen Pferd und Mensch unterscheiden und daher Reiter weit näher herankommen lassen als Fußgänger. Noch viel deutlicher ist der Unterschied zwischen Stadt und Land. Die in der Stadt lebenden Tiere sind selbst größeren Menschenmengen gegenüber zutraulich, weichen aber Hunden auf sichere Entfernungen aus. Mit Futterzahmheit hat das nur bei wenigen Arten zu tun, denn die große Mehrzahl der stadtbewohnenden Tiere lässt sich gar nicht füttern, sondern bewohnt lediglich den gleichen Lebensraum wie wir.
 
Weltweit ist dieses Phänomen des »Nationalparkeffekts« bekannt. Da in solchen Schutzgebieten die Tiere nicht bejagt werden, wurden sie nach und nach immer weniger scheu und lassen sich nun oft aus nächster Nähe beobachten und fotografieren. Es ist schon merkwürdig, dass dieser Nationalparkeffekt in vergleichbarer Weise auch in den Städten aufgetreten ist und auf fernen ozeanischen Inseln, die vorher nie von Menschen erreicht worden waren, von Anfang an vorhanden war. Beobachtet wird dieser Effekt allerdings nur bei größeren Säugetieren und Vögeln, nicht jedoch bei kleineren Tierarten.
 
 Gift auf den Feldern
 
Käfer und Schmetterlinge sind zu kurzlebig, um genügend über den Menschen lernen zu können. Sie folgen weitestgehend ihren inneren, angeborenen Verhaltensprogrammen. Und die Pflanzen wachsen da, wo sie können und wo man sie lässt. Also muss von der Landwirtschaft etwas ausgehen, das ganz anderer Natur ist. Sie verfolgt unter den Vögeln und Säugetieren nur jene vergleichsweise wenigen Arten, die Schäden an Feldfrüchten oder an Nutztieren anrichten können. Da verscheuchen auch den Tieren zugewandte Hindus in Indien körnerfressende Vögel von ihren Reisfeldern oder vertreiben Elefanten mit Lärm, bevor diese die Ernte vernichtet haben. Solche Maßnahmen verursachen weder eine tiefsitzende Scheu vor dem Menschen, noch betreffen sie Arten, die deshalb in ihrem Fortbestand gefährdet würden.
 
Gefahr droht der natürlichen Vielfalt durch eine Praxis, die geradezu untrennbar mit der modernen Landwirtschaft verbunden ist: dem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Manche dieser Substanzen, vor allem Substanzen aus der Frühzeit des Pflanzenschutzes, waren sehr giftig und lang anhaltend wirksam. Zudem konnten sie in der Natur nur schwer abgebaut werden. Traurige Berühmtheit erlangte das »Wundermittel« Dichlordiphenyltrichloräthan, besser bekannt als DDT. Das hochwirksame Kontakt- und Fraßgift war lange Zeit als universelles Schädlingsbekämpfungsmittel im Einsatz.
 
Vor allem im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts wurde DDT weit über den unmittelbaren Bereich der Landwirtschaft hinaus eingesetzt. Man versprühte das Mittel beispielsweise vom Flugzeug aus zur Bekämpfung der Malaria und anderer, durch Stechmücken übertragener Krankheiten. Rückstände reicherten sich über die Nahrungskette im Fettgewebe an und erreichten gefährliche, ja lebensbedrohliche Konzentrationen in den Endverbrauchern. Zu ihnen gehörten große Greifvögel wie Fisch- und Seeadler, aber auch Robben, die von Fischen lebten, die wiederum DDT-Rückstände mit der Nahrung aufgenommen hatten. DDT ist inzwischen in der Bundesrepublik wie in den meisten anderen westlichen Industrienationen verboten.
 
Neben dem DDT sind allerdings auch andere Umweltgifte mit ähnlicher Wirkung benutzt worden, die vergleichbare Nach- und Folgewirkungen hervorriefen. So rieten die schwedischen Behörden in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts Müttern davon ab, ihre Kleinkinder mit Muttermilch zu stillen, weil diese zu viele Schadstoffe enthalte. Manche davon gelangen, allen Kontrollen zum Trotz, auch gegenwärtig immer wieder in unsere Nahrungsmittel, wie der Skandal um mit Dioxinen verseuchten Hähnchen in Belgien im Frühsommer 1999 belegt. Ob bestehende Gesetze vorsätzlich gebrochen wurden, oder die Verseuchung von Futtermitteln im Gegenzug für niedrige Einkaufspreise billigend in Kauf genommen wurde, lässt sich im Einzelfall nur schwer beweisen.
 
Fest steht jedoch, dass einige der in der Nahrungskette kursierenden Gifte Nebenwirkungen haben, die bei einer Reihe von Arten zu starken Rückgängen der Bestände geführt haben. Ein nachgewiesener Mechanismus, wie solche Schäden zustande kommen, ließ sich an Vogeleiern beobachten, die häufig zerbrachen, weil die Schale zu dünn geworden war. Allerdings sind viele der heute eingesetzten Pflanzenschutzmittel weit weniger bedenklich und außerdem auch vor der Zulassung daraufhin überprüft worden, ob sie sich in der Nahrungskette anreichern können. Unter den zerstörenden Wirkungen der Landwirtschaft auf die Artenvielfalt stehen Pflanzenschutzmittel und andere Biozide insgesamt nur an dritter Stelle. Die beiden wichtigsten Effekte sind dagegen die Umwandlung vorher artenreicher Biotope in einförmige Produktionsflächen und die übermäßige Düngung, vor allem mit Stickstoff.
 
 Rollenwechsel für die Landwirtschaft
 
In Mitteleuropa liegen die Zeiten der großräumigen Rodungen schon so weit zurück, dass sie Geschichte sind. Der Zustand der Natur im Mittelalter oder gar noch um die Zeitenwende lässt sich nur noch indirekt erschließen. Aus alten Überlieferungen und Grabbeilagen, aber auch durch die Analyse der in den Mooren quasi archivierten Pollen damals verbreiteter Pflanzen, haben Wissenschaftler dennoch ein ziemlich zuverlässiges Bild der ökologischen Verhältnisse gewonnen. Der allgemeine Trend ist klar und unzweifelhaft. Vor dem Siegeszug der Landwirtschaft dominierten einförmige Wälder, die von unverbauten Flüssen durchzogen und von den Ahnen späterer Haustiere bewohnt wurden: Ur- oder Auerochsen statt Rinder, Waldwildpferde statt Hauspferde, die den amerikanischen Bisons ähnelnden Wisente sowie die heute noch vorkommenden Arten Hirsch, Elch und Wildschwein.
 
Dieses Waldland wurde durch die großen Rodungen stark und nachhaltig verändert. Über 80 Prozent der Flächen wurden zu Äckern und Weideland — Lebensräume, die es vorher genauso wenig gab wie die heute so artenreichen Städte. Und wie in die Städte nach und nach Arten aus den unterschiedlichsten natürlichen Lebensräumen, aus Gebirge und Wald, aus Heideflächen und Feuchtgebieten, einwanderten, so sind in den neuen Großlebensraum der Kulturlandschaft jahrhundertelang unablässig Arten eingedrungen.
 
Die meisten von ihnen kamen aus dem Südosten und Süden, aus dem Schwarzmeergebiet mit seinen Natursteppen und aus dem Mittelmeerraum mit seinem viel älteren Kulturland. Die Zuwanderer ersetzten vielerorts die ursprünglichen Waldarten und erfüllten Mitteleuropa zusammen mit den verbliebenen Resten der ursprünglichen Landschaft mit einer Artenvielfalt, die weit über das vorherige Maß hinausging. Wohlvertraute Tiere und Pflanzen, die wir für urheimisch halten, gehörten zu diesen Neuankömmlingen: Der Feldhase und das Rebhuhn, die Feldlerche und die Kornblume, ja die ganze Palette der Ackerwildkräuter, von denen heute die meisten in ihrem Fortbestand bedroht sind.
 
Die Zuwanderung dauerte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und in wenigen Fällen noch bis zu dessen Mitte. So kam die Türkentaube wahrscheinlich mit der Ausbreitung des Maisanbaus erst nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Südosten in unsere Dörfer und die angrenzenden Fluren. Vielfach waren es nämlich die Nutzpflanzen, in der Mehrzahl aber die neuen, von der Landwirtschaft geschaffenen Strukturen, denen die Arten folgten.
 
Die vielfältige, kleinteilig und bäuerlich genutzte Agrarlandschaft des 19. Jahrhunderts dürfte dann wohl den Höhepunkt der Artenvielfalt beherbergt haben. Sie lieferte auch das Vorbild für unsere Vorstellung vom Landleben und ist in zahllosen Gemälden festgehalten worden. Doch diese Landwirtschaft war sehr ertragsarm und konnte oftmals die bäuerliche Bevölkerung kaum selbst ernähren, geschweige denn Überschüsse für die Stadtbevölkerung erwirtschaften. Die Böden waren im Verlauf der jahrhundertelangen Nutzung ausgelaugt und an Nährstoffen verarmt.
 
Das, was der Landwirt mit seinem Tun und Wirken dem Boden zurückgab, reichte nicht aus, um die Verluste durch Ernte und Auswaschung ins Grundwasser auszugleichen. Der enorme Artenreichtum der Fluren, die Vielfalt an bunten Blumen und gaukelnden Schmetterlingen, Lerchengesang und Scharen von Rebhühnern waren nicht Zeichen des Überflusses, sondern des Mangels, der diese Landschaft kennzeichnete.
 
Der Rollenwandel für die Landwirtschaft kam mit dem Einsatz des Mineraldüngers. Er gibt seit Ende des 19. Jahrhunderts, verstärkt seit Mitte des 20. Jahrhunderts den Äckern mehr Nährstoffe zurück als die Ernte nimmt. Allmählich veränderten sich die Böden, bis sie schließlich mehr liefern konnten als die damalige Landwirtschaft ihnen abverlangte. Die nächste Stufe der Leistungssteigerung setzte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den Flurbereinigungen ein. Aus kleinteilig strukturierten Flächen wurden große, einheitliche und vor allem maschinengerechte Felder. Dieser gewaltigen Aufräumaktion fielen nicht nur Tausende von Kilometern Hecken zum Opfer, sondern auch das enge Netzwerk der Ackerraine, die kleinen Feucht- oder Trockenstellen, Bäume, Steinmauern und andere Strukturen, die das Auge erfreut hatten und die Lebensraum für Pflanzen und Tiere gewesen waren.
 
 Erstickt im Stickstoff
 
Was die Flurbereinigung mit ihren strukturellen Veränderungen angestoßen hatte, vollendete die rasch einsetzende Überdüngung. Anfang bis Mitte der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts hatte sie in Deutschland einen Gesamtdurchschnitt von 104 Kilogramm Stickstoffüberschuss pro Hektar und Jahr erreicht, stellenweise sogar das Doppelte. Diese Entwicklung aber beeinträchtigte die biologische Vielfalt am stärksten, denn sie förderte das Wachstum einiger weniger Pflanzenarten, die hohe Stickstoffmengen vertragen und verwerten können. Diese verdrängten nach und nach all die anderen. Mit den Pflanzen verschwanden die Kleintiere und diese zogen weitere Arten mit sich. Der Stickstoff war buchstäblich zum »Erstickstoff» für die Artenvielfalt geworden.
 
Wo zu viel davon auf die Fluren kam, erdrückte das zu schnelle und zu dichte Aufwachsen der Pflanzen die empfindlichen, die seltenen Pflanzenarten. Auffälliges Kennzeichnen dieser Entwicklung ist die Massenblüte des Löwenzahns auf den Fettwiesen, deren Zeitpunkt im Frühjahr sich immer weiter vorverlagerte.
 
Rebhuhn- oder Brachvogelküken, die auf solch einer Wiese aus den Eiern schlüpfen, finden sich in einer viel zu dichten Pflanzenmasse wieder. Auch bei schönem Frühsommerwetter bleibt es am Boden nass und kalt. Die Kleininsekten, von denen die Jungvögel leben, krabbeln in unerreichbarer Höhe an den Halmen. Solche indirekten Auswirkungen wurden lange nicht erkannt, weil sich die Flur unter dem Einfluss der Überdüngung nur allmählich veränderte. Deutlicher zeigten sich die viel zu hohen Düngergaben der Landwirtschaft im Grundwasser. Das Trinkwasser wurde immer teurer, weil sich der Nitratgehalt nur durch aufwendige Klärmaßnahmen auf gesundheitlich unbedenkliche Werte senken ließ.
 
Die Landwirtschaft musste diesen Weg in die Massenproduktion gehen, weil die allgemeine wirtschaftspolitische Entwicklung sie dazu gezwungen hatte. Und um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben oder zu werden, musste dieses System der Überproduktion mit Steuermitteln hoch subventioniert werden. Der Verlust an landschaftlicher Schönheit und an Artenvielfalt ist der Preis dafür. Die Landwirtschaft wurde in jüngster Zeit zum Hauptvernichter der biologischen Vielfalt, nachdem sie jahrhundertelang die Kulturlandschaft und ihre Vielfalt aufgebaut und bereichert hatte. In weiten Teilen der Europäischen Union ist man dazu übergegangen, mit immer mehr Dünger und immer besseren Pflanzenschutzmitteln sowie durch Kraftfutter aus fernen Ländern die Produktionskapazitäten zu steigern. Die EU türmte Butter- oder Fleischberge auf, löste Getreideschwemmen aus und ließ Milchseen entstehen, welche die Behörden verwalten und mit viel Geld wieder abbauen mussten.
 
Mit umgekehrten Vorzeichen verlief die Nutzung der Meere und großer Binnengewässer durch die immer größeren Fischfangflotten. Hier setzte man auf die möglichst umfangreiche Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten im freien Meer oder in den Hoheitsgewässern der Küstenstaaten. Allein die deutschen Fischer landeten 1995 mehr als eine Viertelmillion Tonnen Fisch an. Weltweit stiegen die Fangmengen von rund 20 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf 113 Millionen Tonnen im Jahr 1995.
 
Das entspricht bereits mehr als einem Zehntel der gesamten tierischen Biomasse der Ozeane, die etwa eine Milliarde Tonnen beträgt. Zahlreiche Fischarten wurden oder sind überfischt. Fangquoten mussten festgelegt werden, um diese Entwicklung zu stoppen. Die Überfischung gilt neben der Verschmutzung der Meere nach wie vor als die Hauptbedrohung für den größten Lebensraum der Erde.
 
 Mehr Rinder, weniger Vielfalt
 
Raubbau ist auch weithin die bevorzugte Art der Landnutzung in den tropischen und subtropischen Regionen. Wälder und Savannen werden großflächig gerodet und abgebrannt, um sie in Weideland oder Plantagen umzuwandeln. Von den 11000 bis fast 30000 Quadratkilometern tropischen Regenwalds, der zwischen 1988 und 1997 alljährlich in Brasilien verschwand, entfällt weniger als ein Prozent auf industrielle Projekte und die Verkehrserschließung. Weit mehr als die Hälfte wurde zu Weideland für Rinder oder Anbauflächen für Futtermittel. Diese exportiert man dann nach Europa, um die dortigen Rinder und andere Nutztiere mit Nahrung zu versorgen. Im ausgehenden 20. Jahrhundert lebte rund ein Drittel der deutschen Kühe von überseeischen, vornehmlich südamerikanischen Weiden. Derartige großflächige Waldvernichtungen schmälern die Biodiversität und verursachen Artenverluste bislang unbekannten Ausmaßes. Da wir über die Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere die Futtermittelimporte, direkt an dieser Entwicklung beteiligt sind, trifft uns ein Großteil der Verantwortung an den globalen Verlusten der biologischen Vielfalt.
 
Die Zahl der weltweit lebenden Rinder nimmt unverändert zu und wuchs 1997 auf 1,32 Milliarden. Dazu kommen noch 153 Millionen Hausbüffel. Das Lebendgewicht dieser Nutztierarten übersteigt das der gesamten Menschheit um ein Mehrfaches. Zudem brauchen sie für ihre Ernährung wesentlich mehr Platz als Menschen. Und an vielen Orten entstehen Rinderweiden auf Flächen, die bestens für den Anbau von Getreide oder anderen, unmittelbar der menschlichen Ernährung dienlichen Feldfrüchten geeignet wären. Schafe dagegen, von denen es am Ende des 20. Jahrhunderts auf der Erde auch eine gute Milliarde gab, beweiden marginales, für Getreideanbau kaum oder gar nicht geeignetes Land. Für Schafe und Ziegen wird auch in nur geringem, weltweit unbedeutendem Umfang Wald gerodet; wohl aber, um Rinderweiden zu schaffen oder Flächen für die Futtermittelerzeugung zu gewinnen.
 
 Wiederkäuer als Klimawandler
 
Neben dem Landverbrauch tragen Wiederkäuer — also Rinder, Schafe und Ziegen — auch noch zur globalen Erwärmung bei, denn sie produzieren große Mengen des Treibhausgases Methan. Es wird im Verdauungstrakt der Tiere durch Mikroorganismen gebildet, ohne deren Hilfe die Weidegänger das nährstoffarme, meist dürre Futter gar nicht verwerten könnten. Molekül für Molekül ist Methan mehr als zwanzigmal wirksamer als das wichtigste Treibhausgas Kohlendioxid. In der Gesamtbilanz klimarelevanter Emissionen steht Methan an zweiter Stelle. Derzeit wächst die Freisetzungsrate des Methans mit rund einem Prozent pro Jahr mehr als doppelt so schnell wie die des Kohlendioxids. Letzteres wird zudem von den Pflanzen wieder aufgenommen und verwertet, was beim Methan nicht der Fall ist.
 
Auch Termiten sind für die Verdauung von Pflanzenresten auf Methan bildende Mikroorganismen angewiesen. Weil die Umwandlung von Tropenwäldern in Weideland die Vermehrung und Ausbreitung bestimmter Termitenarten fördert, vermehrt die Rinderzucht somit auch indirekt die Methanproduktion. Eine weitere wichtige Emissionsquelle von Methan ist der Nassreisanbau, sodass die Landwirtschaft gleich dreifach zur Zunahme des Treibhausgases beiträgt.
 
»Die Beiträge der Rinderhaltung zum Treibhauseffekt sind ähnlich groß wie die des gesamten Autoverkehrs«, schreibt Ernst Ulrich von Weizsäcker. Für die Bedrohung der weltweiten Artenvielfalt kommt dieser Tatsache die größte Bedeutung zu, lässt sich hinzufügen. Die Energiekosten pro Rind belaufen sich in den Vereinigten Staaten schon auf einen Wert, der dem Halbjahresbetrieb eines Mittelklasseautos entspricht. Bei der in Deutschland überwiegenden Intensivrinderhaltung dürfte der Energieverbrauch noch wesentlich höher sein.
 
Aber auch für Schweine und Hühner werden Futtermittel in großem Umfang nach Europa importiert, die folglich erst in anderen Teilen der Welt produziert werden müssen. Deutschland hatte 1996 mit 23,7 Millionen Schweinen über eine Million mehr Borstenviecher als Russland, dem größten Flächenstaat mit einer doppelt so großen Bevölkerung.
 
In der gesamten Europäischen Union hat sich die Landwirtschaft zu einer quasi-industriellen Fleischproduktion gewandelt. Dabei verringerte sich die Zahl der Landwirte gegenüber der Mitte des 20. Jahrhunderts auf ein Zehntel. Die weltweite Fortentwicklung der Landwirtschaft auf dieser Basis, wie sie in Europa und den Vereinigten Staaten aufgebaut worden ist, stellt eine weitaus größere Bedrohung der Artenvielfalt dar als das Bevölkerungswachstum. Lösungen zu finden, die das verhindern, dienen daher gleichermaßen Mensch und Natur.
 
Prof. Dr. Josef H. Reichholf, München
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Artensterben: Gegenmaßnahmen
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Artenreichtum und Biodiversität: Wie viele Arten gibt es?
 
biologische Vielfalt und die Verantwortung des Menschen
 
Literatur:
 
Dobson, Andrew P.: Biologische Vielfalt und Naturschutz. Der riskierte Reichtum. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1997.
 Eldredge, Niles: Wendezeiten des Lebens. Katastrophen in Erdgeschichte und Evolution. Aus dem Englischen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main u. a. 1997.
 
Ende der biologischen Vielfalt? Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr, herausgegeben von Edward O. Wilson. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1992.
 Wilson, Edward O.: Der Wert der Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe München u. a. 1997.


T: 38