Значение слова "EREK UND PARZIVAL: INDIVIDUUM UND GESELLSCHAFT IM HÖFISCHEN ROMAN" найдено в 1 источнике

EREK UND PARZIVAL: INDIVIDUUM UND GESELLSCHAFT IM HÖFISCHEN ROMAN

найдено в "Universal-Lexicon"

Erek und Parzival: Individuum und Gesellschaft im höfischen Roman
 
In den Achtzigerjahren des 12. Jahrhunderts eröffnete der Alemanne Hartmann von Aue mit seinem Artusroman »Erek« dem deutschsprachigen Publikum einen Stoffkreis, der über mehrere Jahrhunderte eine ungebrochene Faszination ausüben sollte. Neu war nicht nur, dass erstmals ein Laie dichterisch hervortrat, sondern auch die märchenhafte »Matière de Bretagne« (keltische Sagenstoffe), die durchChrétien de Troyes eine charakteristische Handlungs- und Sinnstruktur erhalten hatte. Erek, ein Ritter der Tafelrunde, wird in Gegenwart der Königin Ginover beleidigt und verlässt den Artushof, um seine »Êre« wiederherzustellen. Er gewinnt die schöne Enite zur Frau und kehrt mit ihr in sein eigenes Reich zurück, wo er sich aber »verligt«, das heißt sich zu intensiv seiner Gattin widmet und darüber seine Ritterpflichten vernachlässigt. Die Kritik der Hofgesellschaft veranlasst Erek zu einer neuerlichen Ausfahrt, bei der ihn Enite wie ein Knappe begleiten muss; die zahlreichen »Aventiuren« besteht er aber nur, weil seine Gattin trotz des ihr auferlegten Schweigegebotes ihn immer wieder vor den drohenden Gefahren warnt. Erek erkennt Enites aufrichtige Liebe und besiegt im Zaubergarten »Joie de la court« den Ritter Mabonagrin, der mit seiner Freundin eine ähnlich isolierte Liebesbeziehung unterhält wie zuvor er selbst.Anschließend führt er die beiden sowie die Witwen der 80 von Mabonagrin getöteten Ritter wieder in die Gesellschaft zurück.
 
Zwar kannte schon die »Spielmannsepik« exotisch-märchenhafte Schauplätze und die Wiederholung einzelner Handlungsteile zum Zweck der Spannungssteigerung und inhaltlichen Ausgestaltung. Auch war im mittellateinischen Hexameterepos »Ruodlieb« aus dem 11. Jahrhundert eine musterhafte ritterliche Karriere vorgeführt und in Heinrichs von Veldeke Bearbeitung des Aeneas-Stoffes (»Eneit«, vollendet nach 1184) erstmals das neue höfische Minnethema behandelt worden. Nun aber wurde die explizit »geschichtslose« und fiktionale Artuswelt mit ihrem festen Inventar an Figuren, Schauplätzen und Handlungsmustern zum Rahmen für eine exemplarische Erzählung, in der der Protagonist einen ideell gestuften Bewährungsweg durchlaufen muss, um sein gesellschaftliches Ansehen zu bestätigen beziehungsweise neu zu erringen. Für das Publikum an den Fürstenhöfen, das unterschiedliche soziale Gruppen repräsentierte, innerlich jedoch durch das Erziehungs- und Bildungsideal des »Ritters« geeint wurde, war die arthurische Welt nicht nur eine Verkörperung eigener Wunschvorstellungen in Bezug auf Lebensweise und Selbstverständnis. Sie war auch ein Modell für Konfliktlösungen, für die Integration des Einzelnen in die Gemeinschaft und für die Erlangung höfischer Tugenden wie »Mâze«, »Zuht«, »Êre« und »Minne«. Die Labilität und Brüchigkeit der auf einer rein diesseitigen Ethik beruhenden höfischen Ideologie war offensichtlich schon Hartmann von Aue bewusst, als er - vor Vollendung seines zweiten Artusromans »Iwein« (um 1205) - in seinen Legendenromanen »Gregorius« und »Der arme Heinrich« die ritterliche Lebensweise problematisierte und die Protagonisten allein durch Buße und die Gnade Gottes aus ihrer Krise finden ließ.
 
Für den Artusroman selbst hatte diese Überhöhung geistlicher Inhalte mit Chrétiens letztem, unvollendet gebliebenen Werk »Perceval ou le Conte du Graal« (entstanden um 1180) begonnen, das dann im »Parzival« des Wolfram von Eschenbach (entstanden 1200 bis 1210) erweitert, modifiziert und zu einem großartigen Abschluss geführt wurde. Der Jüngling Parzival verlässt seine Mutter, um Ritter zu werden. Er gelangt an den Artushof, erhält bei Gurnemanz eine höfische Erziehung, befreit und heiratet die schöne Condwiramurs und kommt auf die Gralsburg Munsalvaesche, wo er aber die Frage nach dem Leiden des Gralskönigs Anfortas aus falsch verstandener Zurückhaltung unterlässt. Die Handlung, die bis zur Wiederkehr Parzivals an den Artushof und der Verfluchung durch die Gralsbotin Kundrie exakt dem ersten Aventiurenzyklus der Hartmannschen Artusromane entspricht, geht in der Folge auf einen zweiten Helden über. Gawan wird durch eine Fehdeansage zu einer Abenteuerfahrt veranlasst, die schließlich in der Befreiung des Zauberschlosses Schastelmarveile kulminiert. In der Mitte der Gawan-Aventiuren und auch des Gesamtwerks taucht aber Parzival wieder auf. Die Begegnung mit seinem Onkel Trevrizent an einem Karfreitag führt den herumirrenden und mit Gott hadernden Helden Parzival auf seinen rechten Weg zurück. Er trifft auf Gawan, lernt seinen Halbbruder Feirefiz kennen und erfährt schließlich seine Berufung zum Gralskönig. Die Erlösung des Anfortas, die Taufe Feirefiz' und seine Vermählung mit der Gralsträgerin Repanse de Schoye sowie die Wiederbegegnung Parzivals mit Condwiramurs bilden den Höhe- und Endpunkt des Romans und bieten außerdem einen Ausblick auf die kommende Generation. Feirefiz' Sohn wird als Priesterkönig Johannes Indien missionieren, Parzivals Sohn Loherangrin wird als Gralsritter nach Brabant geschickt, wo er die Landesherrin heiratet und mit ihr glücklich lebt, bis ihn die verbotene Frage nach seiner Herkunft zur Gralsburg zurückkehren lässt.
 
Wolframs Leistung war nicht nur die Weiterführung des unvollendet gebliebenen Werkes Chrétiens, sondern auch eine neue Konzeption des Grals, bei der er sich auf einen bis heute nicht identifizierten, wahrscheinlich fiktiven Gewährsmann »Kyot« beruft. War der Gral bei Chrétien ein schüsselartiges Gefäß beziehungsweise in einer anderen französischen Überlieferung der Kelch, in dem Joseph von Arimathia das Blut Christi aufgefangen hatte, so ist er bei Wolfram ein Stein, der als wunderbarer Speisenspender fungiert, ewige Jugend schenkt, den todkranken Anfortas am Leben erhält und von Zeit zu Zeit geheimnisvolle Inschriften zeigt. Als Symbol aber steht der Gral für ein das arthurische Ideal weit überragendes, religiös legitimiertes Rittertum, zu dem - wie die Erzählung zeigt - auch ein sündiger Mensch wie Parzival berufen sein kann. Verkörpert wird dieses Rittertum durch die Geistliches und Weltliches, Orient und Okzident verbindende Gralsgemeinschaft, deren Name »Templeisen« sicher nicht nicht zufällig an den Templerorden erinnert. Mit dem »Parzival« begann die Reintegration des Artusstoffes in die Heils- und Weltgeschichte, die in weiterer Folge - neben der Aneinanderreihung von immer fantastischeren Aventiuren eines krisenlosen Helden - zur Haupttendenz dieses Genres werden sollte.
 
Dr. Bernd Steinbauer
 
Literatur:
 
Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, bearbeitet von Wolfgang Beutin u. a. Stuttgart u. a. 51994.
 Wehrli, Max: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 21984.


T: 44