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FELLINI: DER ZAUBERKÜNSTLER DES KINOS

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Fellini: Der Zauberkünstler des Kinos
 
»In meinen Augen ist Fellini das Kino«, definierte Georges Simenon kurz und bündig. »Das Kino eines Mannes, der uns mit allen ihm verfügbaren Mitteln, mit gänzlich unerwarteten manchmal, die Menschlichkeit und die Albträume mitteilt, die in ihm brodeln.« Fellini gehört zu den großen Regisseuren, die den Film als Kunst des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Er hat keine Schule und keinen Inszenierungsstil begründet, sondern sein eigenes Universum auf Zelluloid gebannt. Fellini-Filme leben weniger von Handlung und Aussage denn von Fantasie und Imagination. Der Zuschauer wird in das verschlungene Labyrinth der Erinnerungen und Träume geführt: Fellini ist ein Zauberkünstler des Kinos, ein Magier, dessen Filme immer auch grandiose Spektakel sind. In früheren Zeiten, bekannte er einmal, wäre er Zirkusdirektor geworden. »Alles und nichts in meinem Werk ist autobiografisch«: Fellini erzählt in seinen Filmen von der Kindheit in der Provinz, dem durch Katholizismus und Faschismus geprägten Milieu Italiens, von der Doppelmoral, von Obsessionen und Projektionen. Der Filmschöpfer Fellini hat — auf seinem Gebiet nur vergleichbar mit Ingmar Bergman — bewusst von der Psychoanalyse gelernt, vermochte jedoch die verborgenen Seiten des Lebens, das Unbewusste, anders als der grüblerische Kollege aus dem Norden, mit mediterraner Leichtigkeit ins Bild zu setzen. Die grotesken und skurrilen Züge seiner Figuren, die pompöse Inszenierung und suggestive Bildkraft wurden rasch mit dem Ausdruck »fellinesk« belegt. Themen und Motive werden häufig wieder aufgenommen und neu durchgespielt, alles gehört zusammen und ergibt ein Gesamtwerk: Das ganze Leben ist ein Film. Fellinis Filme fügen sich zu einer imaginären Autobiografie, in der sich Fiktion und Fakten untrennbar vermischen: »Ich habe mir alles selbst erfunden: eine Kindheit, eine Persönlichkeit, Sehnsüchte, Träume, Erinnerungen, um sie erzählen zu können«, bekannte er einmal.
 
 Lehrjahre — Roberto Rossellini
 
Rimini, wo er am 20. Januar 1920 geboren wurde, verließ Fellini gleich nach dem Schulabschluss 1938. In Rom schlug er sich mit journalistischen Gelegenheitsarbeiten durch und zeichnete für das Witzblatt Marc' Aurelio Comics: Die Bildergeschichten — bevölkert von skurrilen Typen — verraten bereits Sinn für Szenen und groteske Verwicklungen. Zum Umkreis der Zeitschrift gehörten Literaten und Publizisten, Schauspieler und Filmleute, die Fellini lukrative Jobs bei der wenige Jahre zuvor eingeweihten italienischen Traumfabrik Cinecittà vermittelten. Er begann als Gagschreiber, hatte Dialoge zu polieren, wurde als Koautor hinzugezogen — Fellini besuchte nie eine Filmhochschule, er war Autodidakt. In diesen Jahren absolvierte er einen unsystematischen, gleichwohl ergiebigen Schnellkurs: Er lernte die Dramaturgie des Kinos kennen, filmische Erzählweisen und die Sprache der Bilder, den Aufbau einer Sequenz und die Beachtung von Szenenanschlüssen, dazu alle technischen Aspekte des Filmhandwerks und den Studiobetrieb. Seine Erfolg versprechende Karriere als Drehbuchautor wurde vom Krieg unterbrochen: Im Sommer 1943 musste Cinecittà den Betrieb einstellen. Aus der Not machte man eine Tugend; ein neuer Filmstil, der sich schon im Faschismus angekündigt hatte, wurde mitten in der Endphase des Krieges kreiert: der Neorealismus. Am 17. Januar 1945 — Rom war von den Amerikanern bereits befreit, im Norden Italiens wurde noch gekämpft — begann Roberto Rossellini mit den Dreharbeiten zu Rom — offene Stadt. Die Begegnung mit Rossellini, der ihn als Regieassistenten verpflichtete, wurde zu Fellinis zweiter Lehrzeit: In Cinecittà hatte er den routinierten Betrieb der Filmindustrie kennen gelernt; nun erlebte er eine andere Arbeitsweise, die auch unter schwierigsten Bedingungen zu künstlerisch überzeugenden Resultaten führte. Nicht im Studio, sondern auf der Straße entstanden Rom — offene Stadt und, im Jahr darauf, Paisa. Inmitten der Trümmer drehte man Szenen, die vor wenigen Wochen noch Wirklichkeit gewesen waren. Von den Hauptrollen abgesehen, engagierte Rossellini Laiendarsteller, um authentische Ausdrucksweise und sozialen Gestus zu erfassen. Die technische Ausstattung war äußerst primitiv; doch die Unzulänglichkeiten steigerten eher noch die suggestive Wirkung der Filme. Arbeitsweise und Persönlichkeit Rossellinis beeindruckten Fellini, der fasziniert beobachtete, »dass es möglich ist, einen Film mit der gleichen Privatheit, Direktheit und Unmittelbarkeit zu machen, mit der ein Schriftsteller schreibt«. Rossellini verkörperte bereits den Autorenfilm. Der Regisseur arbeitete zwar nach einem Drehbuch, war aber jederzeit offen, es während der Aufnahme den Bedingungen anzupassen. Improvisation und Spontaneität bedeuten jedoch keineswegs Verzicht auf bewusste Gestaltung. Fellini lernte von seinem Vorbild Rossellini, sich während der Dreharbeiten auf seine Kreativität und Inspiration zu verlassen.
 
 Die ersten Filme
 
Der Welterfolg von Rossellinis Rom — offene Stadt und Paisa verhalfen dem italienischen Neorealismus zum Durchbruch. Filme wie Fahrraddiebe von De Sica, Bitterer Reis von Guiseppe De Santis oder Die Erde bebt von Luchino Visconti markierten weitere Höhepunkte dieser neuen Bewegung. Fellinis erste eigene Filme — Lichter des Varieté (1950, gemeinsam mit Alberto Lattuada) und Der weiße Scheich (1952) — sind dagegen konventionelles Unterhaltungskino. Erst mit I vitelloni (1953) gelang ihm ein persönlicher Film, das Porträt einer Gruppe von jungen Leuten in einem Badeort während des Winters. Moraldo, Fausto, Riccardo (Fellinis Bruder spielte sich selbst) und die anderen Mitglieder der Clique sind Vitelloni, wörtlich übersetzt: große Kälber. (Das Wort in seiner übertragenen Bedeutung Müßiggänger ging, wie so manche Wortschöpfung Fellinis, in die italienische Alltagssprache ein.) Der Film wirft einen wehmütigen Blick zurück auf jene Zeit, da man sich entscheiden musste: in der Lethargie und Tristesse der Provinz zu verharren oder aber aufzubrechen und sich dem Leben zu stellen. Bei den Filmfestspielen in Venedig 1953 erhielt Fellini für I vitelloni den Silbernen Löwen, und die Tageszeitung La Stampa verkündete: »Der italienische Film hat einen neuen Regisseur. Einen, der seine eigenen, persönlichen Vorstellungen verwirklicht, ohne auf die üblichen Traditionen der Branche zurückzugreifen.«
 
 Das Lied der Straße
 
La Strada (1954) ist ein poetisches Märchen, angesiedelt in der Wirklichkeit der italienischen Landstraßen. Der Schausteller Zampanò zieht übers Land, begleitet von dem Mädchen Gelsomina, das er für ein paar Tausend Lire seiner Mutter abgekauft hat. Sie ist linkisch und leicht zurückgeblieben, der ungehobelte Zampanò brüllt sie an und betrachtet das Mädchen als sein Eigentum. Der Seiltänzer Matto dagegen ist freundlich und sanftmütig, er gewinnt ihre schüchterne Liebe. Es kommt zum Streit zwischen Matto und Zampanò; der brutale Gewaltmensch, der mit seinen Kräften nicht umgehen kann, erschlägt den Seiltänzer. Zampanò überlässt die tief verstörte Gelsomina ihrem Schicksal. Viele Jahre später erfährt er, dass sie an ihrem Leid gestorben ist: Zum ersten Mal rührt sich bei dem dumpfen Kraftprotz ein Gefühl, er wütet und betrinkt sich, sucht den einsamen Strand auf — und weint.
 
Für Fellini, dessen Ruhm bislang auf Italien begrenzt war, bedeutete La Strada der internationale Durchbruch: Er erhielt für diesen Film seinen ersten Oscar. La Strada ist, in dieser Hinsicht eher eine Ausnahme im Schaffen dieses Regisseurs, ein Schauspielerfilm. Anthony Quinn machte aus der Figur Zampanò keinen bloßen Widerling: Unrasiert, im grob gestrickten Pullover, die Wollmütze auf dem Kopf, wirkt er wie ein kaum zivilisierter Wilder, der sich nimmt, was er braucht. Reine Emotionen bestimmen auch die Darstellung der Gelsomina: Was sie denkt und fühlt, lässt sich unmittelbar an ihren Augen ablesen. Giulietta Masinas sinnliche Präsenz, die ausdrucksstarke Mimik und Gestik, das weiß geschminkte Gesicht, auf dem sich Trauer und Schalk spiegeln, ist ein schauspielerisches Bravourstück. Gelsomina ist gleichermaßen eine Schöpfung Fellinis wie Giulietta Masinas, seit 1943 mit dem Regisseur verheiratet. Selbst der große alte Charlie Chaplin zollte ihr Lob und Anerkennung.
 
Im eigenen Land dagegen war La Strada heftig umstritten. Bei der Uraufführung auf der Biennale in Venedig 1954 wurde der Film mit einem Silbernen Löwen ausgezeichnet, während Senso von Luchino Visconti leer ausging. Während der Preisverleihung kam es zu heftigen Protesten. Der Konflikt begann als ästhetische Debatte und wurde zu einer politischen Auseinandersetzung. Cesare Zavattini, der theoretische Kopf der Neorealisten, warf Fellini Flucht aus der Wirklichkeit vor. Visconti ergänzte: Von den tatsächlichen Problemen der Armut im Lande werde im Film nichts sichtbar. Der marxistische Kritiker Guido Aristarco meinte, der Film beschwöre lediglich private Stimmungen und Erinnerungen: eine Legende, die nichts mit der Realität zu tun habe. Fellini warf seinen Kritikern Eindimensionalität vor: »Der Mensch ist nicht nur ein soziales Wesen, sondern auch ein göttliches.« Seine gleichnishafte Fabel lässt religiöse Deutungen zu: Gelsominas Weg ist eine Passionsgeschichte, Zampanòs späte Selbsterkenntnis ein Prozess der Läuterung. Ist Matto (wörtlich übersetzt bedeutet der Name: verrückt) ein Narr Gottes? Der Seiltänzer tritt hoch über der Erde mit Engelsflügeln auf; der erschlagene Artist wird mit ausgebreiteten Armen von Zampanò über den Boden ins Gebüsch gestreift: ein Gekreuzigter. Doch bleibt die Inszenierung immer konkret; Fragen nach einer christlichen Interpretation wich Fellini aus: Er sei ein »Straßensänger«, kein Wanderprediger.
 
 Ein katholischer Rebell
 
Bei der Uraufführung von La dolce vita (1960) kam es zum Skandal. Konservative Abgeordnete forderten ein Verbot des Films; die Vatikanzeitung Osservatore Romano warnte alle Gläubigen vor dem Besuch des Kinos. Das Filmbild von Anita Ekbergs Bad in der Fontana di Trevi ging durch die Weltpresse, und der Titel La dolce vita galt bald als Synonym für das süße Leben der High Society. Der Skandalerfolg beruhte jedoch auf einem Missverständnis: Im Grunde habe er einen katholischen Film gedreht, erklärte Fellini. »Es ist der Film eines Verzweifelten, und es ist eine Autobiografie. Marcello bin ich, vom Scheitel bis zur Sohle.« Marcello Mastroianni — in diesem Film erstmals als Alter Ego des Regisseurs eingesetzt - spielte einen Klatschreporter, der in Begleitung einer amerikanischen Filmdiva durch das Nachtleben streift. Der Arbeitstitel des knapp dreistündigen Films lautete Babylon im Jahre 2000 nach Christi Geburt. Die erste Einstellung: der Blick zum Himmel. Ein Helikopter fliegt über die Aquäduktreste des alten Roms und die Hochhäuser der neuen Vorstädte. Er transportiert eine riesige Statue: Christus, der seine Arme segnend über der Stadt ausbreitet. An zentraler Stelle im Film vermischen sich Heilserwartung und Sensationsgier zu einem grotesken Spektakel: Zwei Kindern soll die Mutter Gottes erschienen sein; Presse, Funk und Fernsehen berichten live.
 
Fellini war religiös. Gefragt nach seinem Verhältnis zum Katholizismus, gab er die Auskunft, als Italiener könne er »nicht nichtkatholisch« sein. Ordnet man seine Äußerungen zum Thema Religion und Kirche chronologisch, kann man von einem Säkularisierungsprozess sprechen. In den 50er-Jahren findet man Glaubensbekenntnisse, Übungen in franziskanischer Bescheidenheit. »Im Zentrum der verschiedenen Schichten der Wirklichkeit steht für mich Gott, der Schlüssel der Mysterien«, bekannte er 1955 in einem Interview. Später ist ein blasphemischer Zungenschlag unverkennbar. Er halte nichts von den Dogmen der Kirche, mache von den Sakramenten keinen Gebrauch, sei »jedoch der Meinung, dass das Gebet als eine Gymnastik betrachtet werden könne, durch die wir dem Übernatürlichen näher kommen«. Das katholische Erbe erschien ihm lange Jahre als Fessel, von der er sich befreien müsse. Zugleich war er dankbar für »all die Beschädigungen, Obskuritäten und Tabus«, denn sie bildeten die notwendige Voraussetzung für »belebende Rebellionen«. Obwohl er sich als Ketzer gab, in Interviews gern lästerte und in Filmen Prozessionsszenen oder gar eine klerikale Modenschau zu grotesken Höhepunkten ausbaute, haben ihn nicht bloß die Schauwerte religiöser Zeremonien fasziniert: Fellini unterhielt stets Kontakte zum Klerus und suchte in Krisenzeiten den Rat der Kirche; darüber schwieg er jedoch in der Öffentlichkeit.
 
 La Bella Confusione
 
Die Biografie Fellinis ist identisch mit der Geschichte seiner Filme. Sein Leben fiel zusammen mit der Arbeit im Studio, der Vorbereitung neuer Projekte oder der Auswertung des letzten Films. Eine Karriere ohne große Einbrüche: Ein Jahr nach dem Welterfolg von La Strada konnte er 1957 seinen zweiten Oscar für Die Nächte der Cabiria in Empfang nehmen. La dolce vita löste zwar heftige Kontroversen aus, doch an dem künstlerischen Erfolg war nicht zu zweifeln: Erwartungsgemäß ging bei den Filmfestspielen in Cannes 1960 die Goldene Palme an Fellini. Hinter den Kulissen gab es Auseinandersetzungen mit den Produzenten: Fellini hatte stets seine eigenen Vorstellungen und war zu keinen Kompromissen bereit. Seine Arbeitsweise sprengte jedes Budget und war zudem nicht kontrollierbar. Die Produzenten Dino De Laurentiis und Carlo Ponti, die italienischen Filmgewaltigen, verzweifelten an dem Starregisseur, der für ihre kommerziellen Monumentalprojekte wie Die Bibel keinerlei Interesse hatte und sich nie in die Karten gucken ließ. Fellini gründete deshalb mit dem Verleger Angelo Rizzoli 1960 eine eigene Produktionsfirma, die Federiz.
 
In einer Mappe hatte er Einfälle und Notizen, Zeichnungen und Skizzen zu dem neuen Film gesammelt, doch noch fehlte eine Fabel, um der Stoffsammlung eine Struktur zu verleihen. Die Vorbereitungen liefen an, das Team wurde engagiert, ein Studio angemietet. Rizzoli wurde nervös: Die Verträge waren unterzeichnet, doch der Regisseur hatte kaum mehr als eine vage Idee: Von Woche zu Woche wurde der Drehbeginn verschoben. Mit einem genialen Kunstgriff rettete sich Fellini aus dem Dilemma: Er machte seine Krise zum Thema des Films.
 
Der Regisseur Guido, gespielt von Fellinis Alter Ego Marcello Mastroianni, hat für seinen Film auf dem Studiogelände eine bombastische Dekoration bauen lassen, die Abschussrampe für ein Raumschiff. Doch er selbst leidet unter Ladehemmung. Auf die Fragen der Schauspieler weiß er keine Antwort. »Ich wollte einen einfachen, ehrlichen Film, und jetzt herrscht in meinem Kopf die größte Vewirrung«, bekennt Guido. Der eigentliche Schauplatz von 8 ½ (1963)— der Filmtitel ist die Opusnummer in Fellinis Oeuvre — ist Guidos Kopf: Seine Wirklichkeit ist die Realität des Films. Bruchlos geht die äußere Handlung über in assoziative Bildsequenzen, ausgelöst von Wunschfantasien und Schuldkomplexen. Träume sind nach C. G. Jung, dessen Schriften Fellini beeinflusst haben, metaphorische Selbstdarstellungen: die aktuelle Lage des Unbewussten in symbolischer Ausdrucksform. Wenn Guido bedrängt wird, flüchtet er in aggressive Tagträume. Den Intellektuellen, der scharfzüngig das Drehbuch kritisiert, lässt er abführen und aufhängen; an der Schwägerin, die ihn einen Schaumschläger nennt, rächt er sich, indem er sie in seine erotischen Träume einreiht. Am Schluss von 8 ½ steht eine Apotheose. Der Film ist abgesagt, die Dekorationen werden abgebaut. Weiß gekleidete Gestalten erscheinen, Clowns und Zirkusleute, Eltern, Frau und Geliebte, Menschen, die in Guidos Leben eine Rolle gespielt haben. Eine suggestive Melodie erklingt, ein Kind führt den Reigen an. Guido reiht sich ein. Zwar ist es ihm nicht gelungen, seiner Verwirrung Herr zu werden, aber dies ist keine Katastrophe. Man muss »mit seiner gesamten Vitalität in diesem fantastischen Ballett aufgehen und nur darauf bedacht sein, den Rhythmus richtig zu erfassen«, so hat Fellini das optimistische Finale kommentiert. Ein komödiantischer Gestus prägt diesen Film, der von Verzweiflung handelt, aber frei von Larmoyanz ist.
 
Als ein »Mittelding zwischen einer unzusammenhängenden psychoanalytischen Sitzung und einer etwas planlosen Gewissenserforschung« charakterisierte Fellini 8 ½, und dies gilt auch für seinen ersten Farbfilm Julia und die Geister (1965). Zwei Jahre später wurde das fiktive Katastrophenszenario Wirklichkeit: Das Projekt Die Reise des G. Mastorna musste Fellini 1967 endgültig abbrechen; der Produzent De Laurentiis, der bereits mehrere Millionen investiert hatte, verklagte den Regisseur auf Schadenersatz. Streitigkeiten mit Produzenten, zermürbende Konflikte um Budget- und Besetzungsfragen, juristische Querelen und Prozesse, all dies blieb Fellini auch später nicht erspart. Derlei Ärger gehörte geradezu zum Ritual der Vorbereitungen und wirkte auf ihn offenbar animierend. Immer wieder suchte er solche Reibungsflächen und setzte sich Zwängen aus. »Ich bin Künstler, das heißt, meine Psychologie ist die eines Kindes, das nur arbeitet, wenn man es dazu zwingt.« Als sein eigener Auftraggeber war Fellini denkbar ungeeignet, und Federiz produzierte auch nur einen einzigen Film. Das Kind brauchte einen strengen Vater — um dann die Gebote zu überschreiten.
 
 Rimini, Rom, Cinecittà
 
Während einer krankheitsbedingten Zwangspause 1967 schrieb Fellini den Essay Mein Rimini. Er hatte stets ein gebrochenes Verhältnis zu seinem Heimatort: Er kehrte nicht gern dorthin zurück, denn an den Stätten der Kindheit würde er »von Gespenstern angefallen, die eigentlich schon archiviert, eingeordnet sind«. Rimini war für ihn ein Ort der Erinnerung, die er keinesfalls mit der Realität konfrontieren wollte: Für seinen Film Amarcord (1973) ließ er den Badeort in den Ateliers von Cinecittà nach seiner Vorstellung nachbauen.
 
Amarcord — der Titel zitiert einen Dialektausdruck (A m'acord »Ich erinnere mich«) — ist ein in der Vergangenheit spielender Tagtraum: Situationen und Erlebnisse, verzerrt und verzeichnet von der Erinnerung. Statt einer durchgehenden Handlung entfaltet der Film ein Kleinstadtpanorama als pittoresken Bilderbogen: der Provinzgigolo, die mondäne Schönheit und der klatschsüchtige Friseur, die italienische Familie, in der laut und temperamentvoll gestritten wird, Lehrer, Geistliche und Carabinieri, allesamt etwas groteske Gestalten, liebevoll gezeichnete Karikaturen. Die Provinz als Welttheater: Man spielt große Oper, doch das Ergebnis ist Operette. Der Arbeitstitel lautete Il borgo, »Das Städtchen«; Rimini steht modellhaft für die italienische Provinz der Vergangenheit. Fellini sprach äußerst kritisch über dieses Milieu: »Es war eine verfehlte, klägliche, schäbige, grausame Welt.« Von dieser Verbitterung ist nichts im Film zu spüren, wohl aber von Distanz: Erzählduktus und optischer Stil arbeiten mit dem Mittel der Reduktion. Die gedämpften Farben, der Verzicht auf interessante Kameraperspektiven und die Bevorzugung flächiger Bildarrangements lassen die filmische Vergegenwärtigung immer wieder erstarren: ein Fotoalbum, dessen Bilder poetische Chiffren sind. Zuvor hatte Fellini seiner zweiten Heimat einen Film gewidmet: Roma (1971) ist ein buntes Kaleidoskop, ein »Karussell von Erinnerungen, wirklichen Ereignissen und Träumen«. Das alltägliche Chaos auf den Straßen, Reportagen und Interviews, anekdotische Erinnerungen an die erste Zeit in der Metropole, satirische Einlagen und mittendrin ein Filmteam. Roma ist jedoch kein neorealistischer Nachzügler, kein Stück Cinéma-vérité, sondern das Ergebnis sorgfältiger Inszenierung und Montage. Viele Szenen wurden im Studio nachgebaut. Spielte Amarcord in einem »geträumten Rimini«, machte Fellini auch aus Rom einen imaginären Schauplatz. Die Impressionen aus dem Leben der Stadt verwandeln sich zur Vision, zum Menetekel. Nicht nur der reale Ort wird zu einer Projektionsfläche, auch der Filmschöpfer selbst löst sich auf in eine Fiktion. Später hat er diese Methode in Intervista (1987) weiterperfektioniert: Fellini spielt Fellini oder: Fellini, eine Erfindung von Fellini. Nicht Rimini oder Rom waren seine wahre Heimat, sondern Cinecittà. Das 600 000 Quadratmeter große Areal mit den zwölf Ateliers, Tonstudios, Bassins, Versatzstücken und Fassadenfluchten nannte er seine »ideale Stadt«, die berühmte Halle 5, wo alle Filme entstanden, sein Zuhause.
 
 Der Puppenspieler
 
Fellini, dessen Lieblingsbuch der Kinderklassiker Pinocchios Abenteuer von Carlo Collodi war, bekannte einmal, er liebe seine Schauspieler, »so wie ein Puppenspieler sich in seine Puppen verliebt«. Marcello Mastroianni, seit La dolce vita in allen wichtigen Fellini-Filmen mit einer Hauptrolle bedacht, und Ehefrau Giulietta Masina, nach zwanzigjähriger Pause erst in Ginger und Fred wieder zu sehen, waren die Ausnahmen: Fellini suchte seine Darsteller sonst nach Typen aus und weihte sie selten ein. Schauspieler waren bloße Erfüllungsgehilfen, Marionetten in seinem Arrangement. Wichtiger im kreativen Prozess waren ihm andere Mitarbeiter: der Komponist Nino Rota, die Drehbuch-Koautoren Ennio Flaiano und Tonino Guerra, die Kameraleute Giuseppe Rotunno und Tonino Delli Colli.
 
Vor Drehbeginn zu Satyricon (1969) sagte Fellini dem Maskenbildner: »Meine Menschen sollen nur Symbole sein. Sie sollen ausgegrabenen Tieren gleichen, deren Gesichter linear und brutal auf das Wesentlichste stilisiert sind.« Leblose Stilisierung und extreme Künstlichkeit bestimmen auch den Film Casanova (1976): Vorgeführt wird kein Virtuose der Liebeskunst, sondern ein sexueller Akkordarbeiter ohne eine Spur von Leidenschaft. Nur einmal wird er zärtlich, offenbar hat er eine Idealfrau gefunden: eine lebensgroße mechanische Puppe. Sie ist die perfekte Partnerin für die gefühllose Liebesmaschine namens Casanova.
 
Fellinis Casanova verschlang — für damalige Zeiten gigantisch — Herstellungskosten von rund 20 Millionen Mark. Die Abstände zwischen den Filmproduktionen vergrößerten sich, Fellini musste zwischendurch Arbeiten fürs Fernsehen drehen. Die Stadt der Frauen (1980) provozierte Proteste von feministischen Gruppen und offenbarte, dass die Zeit an Fellini vorübergegangen war. Für den Monomanen gab es angesichts des desolaten Zustands der italienischen Filmindustrie kaum noch Arbeitsmöglichkeiten. E la nave va (1983), Ginger und Fred (1985), Die Stimme des Mondes (1990) tragen deutliche Züge eines Alterswerks, das zwischen Melancholie und Zorn schwankt. Fellini, der Schöpfer poetischer Bilderwelten, wollte sich nicht abfinden mit dem Niedergang des Kinos und der Kommerzialisierung des Fernsehens. Er klagte — wegen Zerstörung des Filmkunstwerks durch Unterbrecherwerbung — erfolgreich gegen Berlusconi, konnte aber letztlich die Entwicklung der Medienlandschaft nicht aufhalten. Verschiedene Projekte platzten, Fellini drehte Werbespots für Teigwaren und Aperitifs, gab ausführliche Interviews, die mehrere Bücher füllen, und bekam Preise für sein Gesamtwerk (1985 noch einen Goldenen Löwen in Vendig, 1993 noch einen Oscar). »Der einzig wahre Realist ist der Visionär«, lautete sein ästhetisches Postulat, dem sich so unterschiedliche Autorenfilmer wie Lina Wertmüller, Andrej Tarkowskij, Rainer Werner Fassbinder oder — ein großer Fellini- Verehrer — Woddy Allen anschlossen. Nach seinem Tod am 31. Oktober 1993 in Rom, der nicht nur in Italien als Ende einer Filmkunstära verstanden wurde, rief ihm Wim Wenders nach: »»Cinema, dein Vorname ist Federico«.
 
Michael Töteberg
 
Literatur:
 
Charlotte Chandler: Ich, Fellini. Aus dem Amerikanischen. Lizenzausgabe Reinbek 1996.
 Bernadino Zapponi: Mein Freund Fellini. Aus dem Italienischen. München 1997.
 Michael Töteberg: Federico Fellini. Reinbek 1998.


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