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BERNSTEIN: LEBEN UND WIRKEN EINES GROßEN DIRIGENTEN, KOMPONISTEN UND PÄDAGOGEN

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Bernstein: Leben und Wirken eines großen Dirigenten, Komponisten und Pädagogen
 
Musik bedeutete dem Amerikaner Leonard Bernstein vor allem ein Medium der Verständigung unter den Menschen. Diese Auffassung bestimmte nicht nur jeden einzelnen Bereich seines breit gefächerten musikalischen Wirkens, sondern war auch der Grund für diese Vielfältigkeit selbst. Bernstein suchte immer und überall die Begegnung mit dem Menschen; diese herbeizuführen bedurfte es mehr als eines Wirkungskreises. Und so fand er verschiedene Tätigkeitsfelder, von denen jedes einzelne — das künstlerisch nachschaffende, das selbstschöpferische und das erzieherische — ihm eine jeweils besondere Form der Verständigung durch Musik ermöglichte.
 
 Ausbildung
 
Bereits Kindheit und Jugend — er wurde am 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts, als Sohn des jüdischen Kaufmannes Samuel Bernstein und dessen Ehefrau Jennie Resnick geboren — standen im Zeichen der Vielfalt seiner musikalischen Interessen. Seine erste Leidenschaft galt dem Klavierspiel, das er noch im elterlichen Haus in Boston erlernte und zeitlebens professionell ausübte. Daneben fand er aber schon als Jugendlicher im Dirigieren Gelegenheit, das Musikalische mit dem Kommunikativen zu verbinden. Während der sommerlichen Ferienaufenthalte der Familie in Sharon im Süden von Boston arrangierte er gemeinsam mit Freunden Laienaufführungen von Opern, die in dem Ferienort zu kleinen Sensationen gerieten.Als Bernstein sich schließlich 1935 mit dem Hauptfach Musik an der Harvard University einschrieb, erhielt er erstmals musiktheoretischen Unterricht und entdeckte dabei eine weitere Neigung: das Komponieren.
 
Da das Unterrichtskonzept von Harvard auf eine möglichst breite Ausbildung ausgerichtet war, konnte sich Bernstein hier jedem der von ihm gewählten Studienfächer mit gleichem Engagement widmen. So gab er während dieser Zeit nicht nur sein Debüt als Pianist, sondern machte zudem mit eigenen Kompositionen und mit Dirigaten des Stundentenorchesters über die Grenzen von Harvard hinaus auf sich aufmerksam. Damit stand für Bernstein nach Abschluss seiner dortigen Studien zwar endgültig fest, dass er Musiker werden würde, über die einzuschlagende Richtung seiner musikalischen Laufbahn war er sich aber noch im Unklaren. Dass er wenig später ein Dirigierstudium am Curtis Institute in Philadelphia aufnahm (1939), verdankte sich weniger einer eigenen Entschlussfassung als vielmehr dem Einfluss zweier seiner engsten Freunde, des Komponisten Aaron Copland und des Dirigenten Dimitri Mitropoulos, die beide von dem außergewöhnlichen Talent Bernsteins zum Dirigieren überzeugt waren und ihm die erforderliche Empfehlung für die Aufnahme in die Dirigierklasse von Fritz Reiner vermittelten.
 
 Aufstieg und Erfolg
 
Die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigte sich rasch. Bereits im ersten Sommer nach Aufnahme des Studiums am Curtis Institute konnte Bernstein, wiederum auf Empfehlung von Mitropoulos, jetzt aber auch von Fritz Reiner, seine Studien am Berkshire Music Center in Tanglewood bei einem der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, dem Russen Sergej Kussewizkij, vertiefen. Kussewizkij, seit 1924 Leiter des Boston Symphony Orchestra, hatte 1935 die Leitung eines Sommer-Musikfestivals auf dem Landsitz Tanglewood in Massachusetts übernommen, den die Besitzer, eine Familie Tappan, dem Boston Symphony Orchestra eigens zu diesem Zweck überlassen hatten. 1940 schloss Kussewizkij dem Festival ein Übungszentrum an, das nach den dortigen Berkshire-Mountains benannt wurde und bald zu einer der renommiertesten musikalischen Ausbildungsstätten Amerikas wurde. Hier machte Bernstein im selben Jahr, in dem die Kurse erstmals stattfanden, persönlich Bekanntschaft mit dem Zeit seines Lebens verehrten Kussewizkij, der seinerseits Bernsteins spätere Dirigentenlaufbahn entscheidend förderte. 1942 ernannte er ihn zum Assistenten seiner Dirigierkurse in Tanglewood und vermittelte ihm kurz darauf die Stellung des stellvertretenden Dirigenten der New Yorker Philharmoniker, mit der Bernstein schließlich seinen Durchbruch erzielen sollte.
 
So debütierte er am 14. November 1943 mit dem Orchester anlässlich einer Vertretung des erkrankten Gastdirigenten Bruno Walter und wurde, zumal das Konzert in einer Direktübertragung des Rundfunks in ganz Nordamerika zu hören war, buchstäblich über Nacht berühmt. Als sensationell beschrieb die New Yorker Kritik dabei nicht nur die angesichts seiner Jugend ungewöhnliche Leistung des Dirigenten, sondern vor allem die Tatsache, dass es mit ihm erstmals einem Amerikaner gelungen war, das Publikum in einem Maße zu begeistern, wie es bis dahin nur den großen europäischen Dirigenten vorbehalten war. So wurden die amerikanischen Orchester der Zeit fast ausschließlich von Europäern geleitet, denen man größere musikalische Kompetenz zutraute als Künstlern der eigenen, vermeintlich musikarmen Nation, da sie der Tradition der abendländischen Musik noch unmittelbarer entwachsen zu sein schienen. In dieser Situation markierte die Laufbahn Bernsteins einen Wendepunkt. Seit seinem New Yorker Erfolgsdebüt ein gefragter Dirigent, hatte er 1945 bis 1948 die Leitung des New York City Symphony Orchestra inne und wurde in den folgenden zehn Jahren von den namhaftesten amerikanischen und europäischen Orchestern mit Anfragen nach Gastdirigaten überhäuft, bis er schließlich 1958, als Nachfolger Artur Rodzinskis und zugleich als erster Amerikaner überhaupt, zum Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker ernannt wurde.
 
 Zweifel und Krisen
 
Während die Welt also bereits zu dieser Zeit in Bernstein einen ihrer beliebtesten Dirigenten feierte, stellten sich bei ihm selbst immer wieder Zweifel an der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges ein. Die Ausschließlichkeit, mit der das Dirigieren ihn aufgrund steigender Erfolge und Nachfragen immer mehr beanspruchte, konnte Bernstein, dessen Interessen von Beginn an so weit gestreut waren, nicht zusagen. Vor allem die Tatsache, dass die Anstrengungen des Dirigierens kaum Raum für eine intensive Kompositionstätigkeit ließen, war es, unter der er fortwährend litt und die ihn mehrmals kurz vor den Entschluss führte, das Dirigieren ganz aufzugeben. Auch wenn er diesen Entschluss niemals in die Tat umsetzte, ließ die Unzufriedenheit des viel beschäftigten Dirigenten, das Komponieren zu sehr zu vernachlässigen, ihn wiederholt den Versuch machen, zumindest ein annäherndes Gleichgewicht zwischen den beiden Tätigkeiten herzustellen. So schränkte er Anfang der Fünfzigerjahre seine dirigentischen Verpflichtungen verschiedene Male kurzzeitig ein. 1964 ließ er sich schließlich zunächst für ein Jahr vom Amt des Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker beurlauben, bis er 1969, nach elfjähriger erfolgreicher Wirkungszeit, endgültig davon zurücktrat.
 
 Ausgleich und Erfüllung
 
Vielleicht waren es die nun folgenden zwanzig Jahre bis zu seinem Tod (1990), in denen sich der von der frühesten Zeit seines Wirkens an ersehnte Wunsch nach Ausgleich am ehesten erfüllte. Als Dirigent blieb er mit der Ernennung zum »Ehrendirigenten auf Lebenszeit« zunächst den New Yorker Philharmonikern eng verbunden. Zudem konnte er die Beziehungen zu seinen beiden anderen »Lieblingsorchestern«, den Wiener Philharmonikern und dem Israel Philharmonic Orchestra, intensivieren. Vor allem Letzteres hatte seit den späten vierziger Jahren eine über die Musik hinausreichende Rolle in Bernsteins Leben gespielt. Als selbstbewusster Jude und Befürworter der israelischen Staatsgründung bekundete Bernstein, wann immer er konnte, sein Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk. Während des ersten israelisch-arabischen Krieges dirigierte er 1948 das Israel Philharmonic Orchestra unter zum Teil äußerst widrigen Umständen — wie zum Beispiel in der Nähe von Kriegsschauplätzen unter freiem Himmel oder vor verwundeten Soldaten — und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zum Selbstfindungsprozess des jungen israelischen Staates.
 
Die Beziehung zu den Wiener Philharmonikern dagegen war nicht politischer, sondern rein musikalischer Natur. Seit einer gemeinsamen Falstaff-Aufführung im Jahr 1966 war Bernstein dem spezifisch wienerischen Klang des Orchesters verfallen und widmete einen großen Teil seiner späteren Arbeit in Wien der Musik, die mit dem Orchester der Stadt untrennbar verbunden war, den Symphonien Gustav Mahlers. Doch trotz der weiterhin zahlreichen Dirigate dieser Art schaffte sich Bernstein nach seinem Rücktritt als Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker 1969 deutlich mehr Freiräume zum Komponieren und blieb zuletzt von Oktober 1982 bis Juni 1983 noch einmal für eine längere Zeit ohne jegliche dirigentische Verpflichtung.
 
 Der Pädagoge
 
Ein wichtiger Beweggrund dafür, dass sich Bernstein, trotz der zu erwartenden Einbußen für seine kompositorische Arbeit, 1958 überhaupt dazu entschließen konnte, einen so verantwortungsvollen Auftrag wie den der Leitung der New Yorker Philharmoniker zu übernehmen, lag sicherlich in dem Reiz der erzieherischen Aufgabe, die damit verbunden war. Systematische Programmplanung und die Möglichkeit, einen erstklassigen Klangkörper in langjähriger Arbeit nach eigenen Vorstellungen zu formen, eröffneten Bernstein neben dem reinen Dirigieren ein weiteres, für ihn zentrales Wirkungsfeld: das pädagogische. Mit den thematischen Konzertreihen, die er mit seinem Orchester veranstaltete, zeigte er sich als ein missionarischer Kämpfer gegen jede Form der Erstarrung oder Routine im klassischen Repertoirekonzert. Wie er grundsätzlich von der Möglichkeit überzeugt war, dass Musik Probleme existenzieller Dringlichkeit zur Sprache bringen könne, so stellte er in seinen Konzerten Werke ähnlicher Thematik jeweils unter einem Motto zusammen, um damit einen Ausschnitt aus dem Spektrum musikalischer Aussagefähigkeit sichtbar zu machen. Die Themen, die ihn als Mensch am meisten beschäftigten, fanden sich in den Titeln seiner Konzertreihen wieder, wie etwa Das Problem des 20. Jahrhunderts im Spiegel der Musik oder Auf der Suche nach Gott in der Saison 1959/60. Als entscheidende Voraussetzung einer lebendigen, zeitgemäßen Musikpflege galt Bernstein aber auch die Kenntnis der eigenen musikalischen Kultur, und so öffnete er die philharmonischen Programme — bis dahin eine Hochburg europäischer Tradition — mit Aufführungen der Werke von C. Ives, A. Copland, L. Foss, V. Thomson und anderen erstmals in größerem Umfang der Musik amerikanischer Komponisten.
 
Lehrtätigkeiten an der Brandeis University (1951—54) und der Harvard University (1973) gehörten ebenfalls zu den Wirkungskreisen des Pädagogen Bernstein, doch häufiger und intensiver widmete er sich dem Medium Fernsehen, das ihn wegen der Möglichkeit, ein immens großes Publikum anzusprechen, besonders anzog. Hier waren es vor allem zwei Sendereihen, mit denen er eine geradezu sensationelle Popularität erreichte: die Omnibus-Kultursendungen, die anspruchsvolle kulturelle Themen allgemein verständlich aufbereiteten und von denen ihm zwischen 1954 und 1958 sieben übertragen wurden, sowie die 53 Konzerte für junge Leute, eine Musikreihe für Kinder, die er 1958 bis 1972 gemeinsam mit den New Yorker Philharmonikern veranstaltete und aufzeichnen ließ. Mit seiner zugleich leicht verständlichen und dennoch bis ins Detail vordringenden sprachlichen Darstellungsweise musikalischer Phänomene zog er Menschen unterschiedlichster Interessen und Bildung an und setzte sich damit in einem kaum zu überschätzenden Maß für die Annäherung breiter Bevölkerungsschichten an die ernste Musik ein. Sein letztes großes Engagement galt schließlich der pädagogischen Arbeit im Rahmen der Musikfestivals als Stätten besonders intensiver Zusammenarbeit mit jungen Menschen. Hier war es sein erklärter Wunsch, das eigene Jugenderlebnis Tanglewood der jüngeren Generation weiterzugeben, und so kehrte er bis ins hohe Alter regelmäßig an das Berkshire-Übungszentrum zurück, unterrichtete, sprach über Musik und dirigierte Konzerte, im August 1990 schließlich auch sein letztes überhaupt. Zugleich bemühte sich Bernstein aber auch darum, Festspiele ähnlicher Art an anderen Stellen der Welt zu begründen. So unterstützte er 1986 Justus Frantz bei der Einrichtung des Schleswig-Holstein-Musikfestivals und gründete noch im Sommer 1990, kurz vor seinem Tod — er starb am 14. Oktober 1990 in New York an einem Lungenleiden —, das Pacific Music Festival im japanischen Sapporo.
 
 Der Dirigent
 
Was Bernstein für diejenige seiner Tätigkeiten, mit der er bei aller Vielseitigkeit seines musikalischen Engagements den höchsten Bekanntheitsgrad erreicht hat, nämlich das Dirigieren, auf eine beinahe einzigartige Weise prädestinierte, war seine Fähigkeit zur bedingungslosen Hingabe an das menschliche Erlebnis, über das für ihn eine Verständigung unter den Menschen auf dem Wege der Musik erst möglich wurde.
 
Gegenüber dem Klavierspielen, mit dem er als nachschaffender Künstler ebenfalls große Erfolge erzielte, ermöglichte ihm das Dirigieren die Zusammenarbeit mit anderen Musikern und die Einflussnahme auf das Verschmelzen aller am Konzertgeschehen Beteiligten zu einer homogenen gemeinschaftlichen Willenskundgebung. Das Bedürfnis, sich jedem einzelnen Orchestermusiker so eindrücklich mitzuteilen, dass diesem die gemeinsame künstlerische Gestaltung zu einem ebenso wichtigen persönlichen Anliegen werde wie ihm selbst, war auch der vornehmliche Grund für Bernsteins oftmals so vehement kritisierten Dirigierstil der überschwänglichen Affekte. Denn kein noch so großes Mittel der Suggestion scheute er, um »seine Gefühle so auszustrahlen, dass sie auch noch den letzten Mann in der zweiten Geige erreichen« (so Bernstein in der Omnibus-Sendung Die Kunst des Dirigierens vom 4. Dezember 1955). Dass für ihn dabei im Idealfall eine »Gemeinschaft des Fühlens« entstand, »die nicht ihresgleichen hat« und »unter allen menschlichen Beziehungen. .. der Liebe am nächsten kommt« (ebenda), war sicherlich auch die Ursache dafür, dass er trotz der inneren Zerrissenheit die Gelegenheit zum Dirigieren immer wieder suchte. Denn nirgendwo sonst konnte er so unmittelbar zu seinen Mitmenschen in Beziehung treten.
 
Doch war der Dirigent Bernstein nicht nur um einen intensiven Kontakt zu den Musikern, sondern mindestens ebenso um den zu seinem Publikum bemüht. Ein Konzert, das er veranstaltete, bedeutete ihm weit mehr als nur die Darbietung eines großen Kunstwerkes, es war immer auch eine öffentliche Kundgabe seiner eigenen Ideen zu Fragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens. So stellte er einige seiner Konzertreisen unter ein bestimmtes politisches Motto. Während einer Tournee mit den New Yorker Philharmonikern 1959 durch die Sowjetunion setzte er durch die Nebeneinanderstellung neuerer amerikanischer und russischer Werke ein persönliches Zeichen für eine künstlerische Versöhnung inmitten des Kalten Krieges. Und als »Reise für den Frieden« bezeichnete er 1985 dann offiziell eine Tournee mit dem Europäischen Jugendorchester. Das Orchester hatte sich anlässlich des Beitritts Griechenlands in die Europäische Gemeinschaft in Athen formiert und reiste von dort nach Hiroshima, wo es, in Gedenken des vierzigsten Jahrestages des Atombombenabwurfes, mit seinen Konzerten zur internationalen nuklearen Abrüstung mahnte.
 
Den Höhepunkt im Leben des politisch ambitionierten Dirigenten Leonard Bernstein brachten aber die Weihnachtstage 1989, in denen er aus Anlass des erst kurz zurückliegenden Berliner Mauerfalls in beiden Teilen der Stadt Aufführungen der 9. Symphonie von Beethoven leitete und durch die Umgestaltung der schillerschen Ode an die Freude in eine »Ode an die Freiheit« der Euphorie der Tage ein bewegendes Denkmal setzte.
 
 Politische Bekenntnisse
 
Dass Kunst und Leben miteinander verknüpft werden mussten, stand für Bernstein außer Frage. Ebenso selbstverständlich war es für ihn aber auch, sich als Persönlichkeit des öffentlichen Interesses jenseits des rein künstlerischen Ereignisses zu seinen Anschauungen zu bekennen. Denn nicht immer ließ sich eine Botschaft durch die Programmzusammenstellung eines Konzertes oder den Bezug auf eine bestimmte Rahmensituation deutlich genug vermitteln. So stellte er vielen seiner Konzerte einleitende Worte voran, um seine Anschauungen darzulegen. Und aus der Einsicht, dass Veränderungen der Welt nicht alleine durch die Musik möglich werden, äußerte er einmal den bezeichnenden Satz, es sei jederzeit damit zu rechnen, dass er seinen Beruf aufgeben und für ein politisches Amt kandidieren werde. Doch auch ohne sich je wirklich der Politik verschrieben zu haben, war Bernsteins öffentliches Auftreten deutlicher Ausdruck einer linksliberalen Haltung, wie er sie selbst in der Politik John F. Kennedys vertreten sah. Mehrfach hielt er Gedenkreden auf den ermordeten Präsidenten und übte an allen streng konservativen Strömungen amerikanischer Politik vor und nach der Ära Kennedy scharfe Kritik. So war er in den Fünfzigerjahren gegen die nationalistischen Bestrebungen der McCarthy-Behörde zur Verhinderung »unamerikanischer Umtriebe« eingetreten, Mitte der Sechzigerjahre gegen den Vietnamkrieg und in den Achtzigerjahren gegen die Aufrüstungsprogramme Ronald Reagans. Noch 1988 veröffentlichte Bernstein einen Artikel in der New York Times mit der Überschrift Ich bin ein Liberaler und stolz darauf; ein Jahr darauf lehnte er eine hohe künstlerische Auszeichnung, die National Medal of the Arts, die ihm der damalige Präsident George Bush verleihen sollte, aus Protest gegen dessen Kulturpolitik ab.
 
 Der Komponist
 
Ein weiteres Forum, sein weltanschauliches Bekenntnis zu formulieren, bot sich Bernstein nicht zuletzt im Komponieren. Wie er als Dirigent Kunst und Zeitgeschehen zu verbinden suchte, so machte er sich auch als Komponist zum Ankläger der Missstände seiner Zeit. So unterschiedlichen Bestimmungen und musikalischen Idiomen er dabei im Einzelnen auch folgte, das Bedürfnis, etwas zu sagen, was den Menschen des 20. Jahrhunderts im Innersten angehe, ist der gemeinsame Ursprung fast aller seiner Kompositionen. Was Bernstein als die zentralen Krisenmomente des modernen Menschen empfand, den Verlust des Glaubens einerseits sowie Einsamkeit und Leere als Kehrseite der fortschrittsbesessenen Gesellschaft andererseits, findet sich in seinen Stücken für den Broadway ebenso thematisiert wie in den Werken für den Konzertsaal. Die behandelten Stoffe reichen dabei von der Entzweiung des Menschen von seinem Gott (3. Symphony Kaddish, 1963) über die Kritik an den entleerten Formeln christlicher Liturgie (Theaterstück Mass, 1971), die verzweifelte Suche des Menschen nach Sinn in der modernen Großstadt (2. Symphonie The Age of Anxiety, 1949; Musicals On the Town, 1944, und Wonderful Town, 1953) bis hin zum Verlust der Fähigkeit zu echten zwischenmenschlichen Beziehungen (Ballett Facsimile, 1946; Opern Trouble in Tahiti, 1951, und A Quiet Place, 1983). Auch Bernsteins größtes Erfolgsstück, das Musical West Side Story (1957), zeugt mit seiner Anklage gegen eine Gesellschaftsordnung, die die Jugend von ausgegrenzten Minderheiten in der Großstadt New York der Hoffnungslosigkeit und Kriminalität überlässt, von Bernsteins sozialkritischem Engagement.
 
Um seine Kompositionen einem breiten Publikum zugänglich zu machen, war er außer in der Wahl seiner Themen auch in der Wahl der musikalischen Mittel um unmittelbare Verständlichkeit seiner Musik bemüht. Aus diesem Grund komponierte er weitgehend tonal und verarbeitete jegliche Art populärer Musik, vom Jazz über amerikanische Pop- und Filmmusik bis hin zu lateinamerikanischer Folklore. Dabei ging es Bernstein stets darum, der besonderen Botschaft eines Werkes größtmögliche Unmittelbarkeit und Lebensnähe zu verleihen. Kennzeichnend hierfür war sein lebenslängliches Ringen um die große amerikanische Oper, die ein ernstes Thema behandeln, zugleich aber jedermann verständlich sein sollte. Mehr jedoch noch als in seinen beiden eigenen Beiträgen zur Gattung Oper verwirklichte Bernstein sein Ziel mit seinem Musical West Side Story, das mit der Integration von Gesellschaftskritik und einer unmittelbar eingängigen, zugleich aber differenzierten Tonsprache weit jenseits der Unterhaltungsideologie gängiger Broadwaystücke liegt. Seit der Mitte der Sechzigerjahre stellte sich Bernstein schließlich wiederholt auch der Auseinandersetzung mit der Avantgarde, obwohl er diese im Grunde als publikumsfeindlich ablehnte. Mit der gelegentlichen Verwendung von Freitonalität, Aleatorik und Zwölftontechniken in seinen späteren Werken beabsichtigte er daher keineswegs eine wirkliche Übernahme dieser Kompositionsweisen, sondern nutzte vielmehr ihre effektvolle Gegensätzlichkeit zur Tonalität, an deren Fortbestand Bernstein fest glaubte, um inhaltliche Kontraste zu verdeutlichen. 1973 hatte er die Tonalität in seinen Harvard-Vorlesungen über Musik als ein Naturgesetz bezeichnet und ihre Krise mit der Krise des Glaubens in Verbindung gebracht. Eine Prognose über den Ausgang dieser beiden für ihn gewichtigsten Krisen des 20. Jahrhunderts stellte er in seinem 1971 anlässlich der Einweihung des John F. Kennedy Center for The Performing Arts in Washington uraufgeführten Theaterstück Mass. Durch die musikalische Umsetzung der hergebrachten katholischen Liturgie mittels avancierter Kompositionstechniken versuchte Bernstein, die konventionellen kirchlichen Formen als dem Menschen entfremdet zu entlarven, während er die echte und eigenständige Auseinandersetzung des Menschen mit dem Glauben in ein einfach-tonales Pop- und Schlageridiom kleidete.
 
Dass Bernstein sich in dieser Art einem Stilpluralismus verschrieb, der die verschiedensten Elemente sowohl der ernsten als auch der Unterhaltungsmusik zum Teil unmittelbar nebeneinander stellte, hat ihm immer wieder den Vorwurf des Eklektizismus eingebracht. Weil sie in seiner Musik lediglich eine Mischung aus Nachklängen neuerer europäischer Musik, namentlich der B. Bartóks, I. Strawinskys und D. Schostakowitschs, mit Elementen amerikanischer Popmusik erkannten, weigerten sich einige Kritiker zeitlebens, Bernstein als Komponisten wirklich ernst zu nehmen; andere ordneten ihn sogar ausschließlich dem Bereich der Showbusiness-Musik zu. Doch werden die üblichen Kriterien von Originalität, Ernsthaftigkeit oder Einheitlichkeit des Stils der besonderen Art des bernsteinschen Schaffens kaum gerecht. Diese aber ist zweifelsohne in dem Bedürfnis des Komponisten zu suchen, in jedem seiner Werke eine Brücke zu den zentralen Fragen des Lebens zu schlagen. Dass er hierfür alle Register musikalischer Erfahrung des 20. Jahrhunderts zog und miteinander vereinigte, stellt ihn weniger in den Verdacht fehlender kompositorischer Eigenständigkeit als vielmehr in das Licht einer spezifisch amerikanischen Form der Bekenntnismusik im Grenzbereich zwischen E- und U-Musik.
 
 Zwischen Show und Hingabe: Das »Phänomen« Bernstein
 
Das Fernsehen (in den USA schon in den Fünfzigerjahren in fast jedem Haushalt vorhanden) war der Ort, an dem das Phänomen Bernstein, als Dirigent und Komponist amerikanischer Erfolgsmusicals bereits hinlänglich berühmt, einen Grad an Popularität erreichte, der das Maß dessen, was bis dahin im Bereich der ernsten Musik möglich gewesen war, weit überschritt und der zugleich zum eigentlichen Ausgangspunkt einer konstant geübten und immer in die gleiche Richtung zielenden Kritik wurde. Der zentrale Punkt dieser Kritik war der Begriff der »Show«. Unabhängig davon, ob man damit die extrovertierte Gebärde des Dirigenten, die bedenkenlosen Anleihen des Komponisten an Jazz und Pop oder die populistische Tendenz des Medienmannes bezeichnete, ruhte diese Kritik immer auf der Annahme, jede dieser Äußerungen Bernsteins diene in letzter Konsequenz einer oberflächlichen Effekthascherei und Selbstinszenierung.
 
Wenn auch Stimmen dieser Art im Laufe der Zeit leiser wurden, so sind sie doch Symbol eines Restes an Unbehagen geblieben, das manche Liebhaber klassischer Musik angesichts Bernsteins uneingeschränkter Emotionalität und Persönlichkeitspreisgabe noch immer empfinden. In weit größerem Maße aber hat man den Grund für Bernsteins Überschwänglichkeit in jener Hinwendung zur Gesellschaft und in der Sehnsucht nach einer echten Verständigung mit den Menschen erkannt, die ihn immer und überall das Äußerste geben ließ, um sein eigenes künstlerisches Erlebnis in gleicher Intensität und Unmittelbarkeit weiterzugeben. Denn in der Gemeinschaft der musikalisch bewegten Hörer und Musiker gründete für Bernstein die Utopie einer sozialen und humanen Gesellschaft.
 
Vera Baur
 
Literatur:
 
Michael Freedland: Leonard Bernstein. London 1987.
 
Leonard Bernstein. Der Komponist, herausgegeben von Reinhold Dusella und Helmut Loos Bonn 1989.
 Joan Peyser: Leonard Bernstein. Die Biographie eines Musikgenies. Aus dem Amerikanischen. München 21991.
 Schuyler Chapin: Leonard Bernstein. Notes from a friend. New York 1992.
 Humphrey Burton: Leonard Bernstein. Die Biographie. Aus dem Englischen. München 1994.
 Meryle Secrest: Leonard Bernstein. A life. London 1995.


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