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CHINA: REFORMANSÄTZE 1860 BIS 1895

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China: Reformansätze 1860 bis 1895
 
Der Taipingaufstand führte zu einer Militarisierung der chinesischen Gesellschaft auf ihrer unteren Ebene, aber nicht zu ihrer radikalen Veränderung. Die alte Ordnung ging gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor. Auch nach 1864 wurde China von einer kleinen Schicht hoher Beamter regiert, die durch anspruchsvolle Staatsprüfungen rekrutiert worden waren. Da keiner der Kaiser mehr das Format der großen Selbstherrscher des 18. Jahrhunderts besaß, fehlte es an Kontrolle über diese differenziert aufgebaute, aber stets für Korruption und Ineffizienz anfällige Bürokratie.
 
 Gesellschaftliche Gruppierungen
 
Die Oberschicht auf dem Lande, von westlichen His-torikern als Gentry bezeichnet, bezog ihr soziales Ansehen aus den Erfolgen ihrer männlichen Mitglieder bei den Staatsprüfungen und ihr Einkommen aus der Verpachtung von Land, daneben aus Geldverleih und aus der Wahrnehmung lokaler Ämter. Mobil waren auch die zahlreichen wandernden Händler und Lastenträger, Bootsschlepper und Gelegenheitsarbeiter.Unter ihnen, die oft in Geheimgesellschaften organisiert waren, fanden Protestbewegungen wie der Taipingaufstand besonders bereitwillige Unterstützung. Das sesshafte Bauerntum hingegen lebte zwar oft am Existenzminimum, befand sich aber, relativ gesehen, in keiner besonders ungünstigen Lage. Die chinesischen Bauern waren rechtlich gesehen freie Leute, von Feudalpflichten unbelastet und meist imstande, Marktchancen unternehmerisch zu nutzen. Nördlich des Jangtsekiang bewirtschafteten die meisten Bauernfamilien ihr eigenes Land. Im fruchtbareren Süden überwogen Pachtbeziehungen, die den Pächtern aber oft langfristige Sicherheit boten. Eine große Bedeutung hatte hier Land im kollektiven Eigentum von Sippen und Tempeln. Während die Bauern im kargen Norden hauptsächlich für den eigenen Bedarf wirtschafteten, waren im Süden ganze Landstriche auf die Produktion von Tee und Seide für den Export und den innerchinesischen Fernhandel spezialisiert. Das Hauptproblem der chinesischen Bauern während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war nicht so sehr eine harte Ausbeutung durch Grundbesitzer der Gentryklasse und einen Steuern einziehenden Staat als vielmehr Übervölkerung bei stagnierender Agrartechnik: Immer mehr Menschen mussten mit immer höherem Arbeitseinsatz von kaum vermehrbarem Boden leben.
 
Dass eine tief greifende gesellschaftliche Umwälzung ausblieb, bedeutete keineswegs, dass die alte Ordnung nach dem Ende der Taipinggefahr in völlige Erstarrung gefallen wäre. Neue gesellschaftliche Formen entwickelten sich nicht nur unter direktem westlichen Einfluss in Schanghai und Hongkong, sondern, viel langsamer und unauffälliger, auch in den großen Städten des Landesinneren. Die allmählich dichter werdende Integration Chinas in den Weltmarkt trieb die Kommerzialisierung weiter voran. Angehörige der Gentry engagierten sich zunehmend auch in Handelsgeschäften, während Kaufleute ihre Reichtümer teilweise in Land investierten, Gentrytitel kauften und ihre Söhne auf die Staatsprüfungen vorbereiten ließen. Der alte Gegensatz zwischen vornehmer agrarischer Oberschicht und gering geschätzten Kaufleuten verminderte sich. Es entstand eine integrierte Schicht von Mitgliedern der alten Gentry und der Gruppe der Kaufleute, die selbstbewusst gegenüber der herrschenden Bürokratie auftrat.
 
 Modernisierungsansätze unter Li Hongzhang
 
Einige hohe Würdenträger des Reiches, darunter Li Hongzhang, erkannten aber, dass die Dynastie die gewaltigen Aufstandsbewegungen der Jahrhundertmitte nicht ignorieren konnte. Nach der chinesischen Niederlage im 2. Opiumkrieg 1860 entwickelten Li Hongzhang und andere eine neue Strategie gegenüber den Westmächten: sie suchten einen friedlichen Ausgleich mit den Westmächten, die ihrerseits wiederum in den folgenden Jahrzehnten ihre Ambitionen in Ostasien zügelten. Das System der ungleichen Verträge wurde ausgebaut, gemischte chinesisch-westliche Behörden wie die einflussreiche Seezollverwaltung wurden eingerichtet; die chinesische Regierung bemühte sich, den Bestimmungen der Verträge Geltung zu verschaffen. Li Hongzhang und einige seiner Kollegen versuchten jedoch zugleich, die weltpolitische Atempause zu nutzen, um den Westen mit dessen eigenen Mitteln abzuwehren. Da sich mehrfach Chinas militärische Schwäche offenbart hatte, wollte man sie nun durch den Aufbau einer eigenen staatlichen Rüstungs- und Werftindustrie überwinden. Dampfschiff, Telegraf und Eisenbahn sollten in China verbreitet, der mechanisierte Bergbau und die Anfänge einer Eisen- und Stahlindustrie gefördert werden. All dies sollte der »Selbststärkung« Chinas und dabei zugleich der Befestigung der bestehenden politischen Ordnung dienen. Mit diesen Reformen begann die bis ins späte 20. Jahrhundert fortgesetzte Geschichte einer chinesischen Modernisierung »von oben«. Von einer tief durchdachten, die ganze Nation planmäßig erfassenden Reformpolitik wie in Japan nach 1868 war man jedoch weit entfernt. Dazu fehlten viele der Voraussetzungen, die Japan dank seiner kompakten Insellage besaß. Es fehlte auch die Bereitschaft der machthabenden Bürokratie, dem Westen mehr als nur seine oberflächlichen technischen Geheimnisse abzulauschen. Niemand in China dachte einstweilen zum Beispiel an die Einführung eines bürgerlichen Rechts oder einer politischen Verfassung. Die Reformanstrengungen blieben regional begrenzt und verliefen häufig im Sande. 1895 wurde das Scheitern der chinesischen Selbststärkungsbemühungen offenkundig.
 
Prof. Dr. Jürgen Osterhammel, Freiburg
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
China: Die Epochenwende 1895
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
China: Die Zeit der »ungleichen Verträge«


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