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BEETHOVENREZEPTION UND DAS ROMANTISCHE KÜNSTLERBILD

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Beethoven-Rezeption und das romantische Künstlerbild
 
Beethoven, der musikgeschichtlich als der Vollender der Wiener Klassik gilt, wurde zuerst in der literarischen Romantik als der überragende Komponist seiner Zeit gewürdigt. Am Beginn dieser hymnisch romantischen Werkauslegung, die Beethovens Kompositionen, zumindest im instrumentalen Bereich, sogar als Gipfelpunkt der ganzen bisherigen Musikentwicklung ansieht, steht E. T. A. Hoffmanns Rezension der fünften Sinfonie in der »Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung« von 1810. Etwa gleichzeitig setzt eine Darstellung der Persönlichkeit Beethovens als Prototyp des romantischen Künstlers ein, die nicht selten ins Fantastische abgleitet, vor allem bei Bettina von Brentano. Ihre recht eigenwilligen Briefe und Mitteilungen schildern ihn als kindliches Genie und trotzigen Fürstenverächter, der sich der bürgerlichen Welt menschenscheu entzieht, in seiner Kunst aber als Priester mit »göttlichem Zauber« waltet.
 
Auf die Komposition und Rezeption der Musik im 19. Jahrhundert übte das Werk Beethovens einen außerordentlich tief greifenden und kaum zu überschätzenden Einfluss aus. Die beiden wichtigsten musikalischen Richtungen im deutschsprachigen Raum, die nicht ganz zurecht als konservativ geltende Gruppe der Komponisten um Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Johannes Brahms und die als progressiv auftretende Neudeutsche Schule um Franz Liszt, sind ohne das Vorbild Beethovens, auf das beide sich berufen, nicht denkbar.Auch Anton Bruckner, der keiner dieser Gruppierungen zuzuzählen ist, knüpfte in seinen Sinfonien an den orchestralen Gestus der neunten Sinfonie von Beethoven unmittelbar an. Und von deren Finale mit Solo- und Chorgesang empfing auch Richard WagnersMusikdrama entscheidende Impulse. In Frankreich wurden Hector Berlioz' Instrumentalkompositionen von Beethoven stark beeinflusst, während sich die französische und italienische Oper sowie das leichtere Bühnengenre in Deutschland weitgehend unabhängig davon entwickelten.
 
Beethovens Musik gewann aus der Sicht des späteren 19. Jahrhunderts mehr und mehr den Charakter des geschichtlich Einmaligen. Sie wurde zur verpflichtenden Tradition, die zu ignorieren nicht mehr möglich schien - auch und gerade dort, wo man, anstatt Beethoven zu folgen, bewusst andere Wege einschlug. Die Tendenz der sich entwickelnden Kompositionslehre, einst lebendige klassische Formen zu zeitlos vorbildlichen Mustern zu erklären, wurde vielen Komponisten zum Problem, allerdings auch zum Anlass schöpferischer Umgestaltung. Liszts sinfonische Dichtungen etwa gehen auf neue Weise mit den vorgefundenen Formkonzeptionen um, und in Schumanns und Mendelssohns Klaviermusik dominiert statt der Sonate das kurze Charakterstück, wobei Schumann durch inhaltliche und thematische Bezüge mit anderen Mitteln wieder zu größeren zyklischen Strukturen fand. Aus der ehrfürchtigen Scheu vor dem Vorbild Beethoven wird auch verständlich, dass Brahms und Bruckner sich erst spät, nach langen Anläufen und mit durchaus verändertem Gestaltungwillen, den großen sinfonischen Formen zuwandte.
 
Schließlich ist Beethovens Werk auch für die Reproduktion von Musik bestimmend geworden. Der Interpret als Sachwalter vergangener und Ausleger neuerer Musik, der sich, dem Werk dienend, um dessen gültige Wiedergabe bemüht und es dem Hörer erschließt, entspricht einem Idealbild, das sich an den immer erneuten Beethoven-Interpretationen formte. Damit vollzog sich in bestimmten Hörerschichten eine deutliche Veränderung der Rezeptionshaltung. Die Erwartung, dass ein musikalisches Kunstwerk nicht nur satztechnisch stimmig ist, sondern dass es den Hörer im Innersten ergreife, ist eng mit der Aufnahme Beethovenscher Werke verknüpft. An ihnen zuerst wuchs die Erfahrung oder der Anspruch, dass Musik Tiefe und Bedeutsamkeit ausstrahlen und zu einem Kunsterlebnis führen kann, das der Weihe einer kultisch religiösen Handlung nahe kommt. Dementsprechend ist das Beethoven-Schrifttum des 19. Jahrhunderts von Vokabeln geprägt, die auf eine letzte und höchste Sinngebung des Musikalischen zielen. »Kampf« und »Sieg«, »Heldentum« und »Ergebung«, »Leiden« und »Überwindung«, »Läuterung«, »Erlösung« und »Offenbarung« sind nur einige der Begriffe, die das Außerordentliche Beethovenscher Kunst widerspiegeln und in das Musikschrifttum Eingang fanden.
 
Zuschreibungen dieser Art sind im 20. Jahrhundert seltener geworden und haben vielfach einer klaren, zielgerichteten Werk- oder Wirkungsanlyse Platz gemacht. Dennoch kann man den romantisch vermittelten Zugang zu Beethovens Werk nicht einfach als unsachliche, zeitbedingte Übersteigerung abtun. Die Fülle und prinzipielle Ernsthaftigkeit solcher Äußerungen, auch wenn sie zu kritischer Distanz Anlass geben, verweisen vielmehr auf die Herausforderung, die das Neue in Beethovens Kunst für den Hörer des 19. Jahrhunderts darstellte. Sie bewirkte beim Hörer genauso wie beim Komponisten eine veränderte Einstellung zur Musik, nicht nur zu Beethovens Werken, sondern auch zu denen älterer und zeitgenössischer Komponisten. Sogar im selbstgefälligen Auftreten reisender Instrumentalisten mit Kompositionen, die nur für die Wirkung des Augenblicks geschrieben wurden, in der Virtuosenverehrung und in der sentimentalen Begeisterung für Salonmusik ist noch ein Element des emphatischen Anspruchs wirksam, den Beethovens Werke dem Musikleben aufgeprägt haben.
 
Prof. Dr. Peter Schnaus
 
Literatur:
 
Bauer, Elisabeth Eleonore: Wie Beethoven auf den Sockel kam. Die Entstehung eines musikalischen Mythos. Stuttgart u. a. 1992.
 Dahlhaus, Carl: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988.
 Dahlhaus, Carl: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Sonderausgabe Laaber 1996.
 Geck, Martin: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik des deutschen Idealismus. Stuttgart u. a. 1993.
 
Geschichte der Musik, herausgegeben von Michael Raeburn und Alan Kendall. Band 2: Beethoven und das Zeitalter der Romantik. Band 3: Die Hochromantik. München u. a. 1993.
 Rummenhöller, Peter: Romantik in der Musik. Analysen, Portraits, Reflexionen. Kassel u. a. 1995.


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