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ALLGEMEINE BILDUNG: PÄDAGOGEN ERNEUERN DIE SCHULE

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allgemeine Bildung: Pädagogen erneuern die Schule
 
Schulische Einrichtungen, das heißt professionell betreute Formen des Lernens, sind so alt wie die menschlichen Hochkulturen, allgemeine Bildung dagegen ist ein sehr junges Phänomen. In Westeuropa seit dem frühen 17. Jahrhundert programmatisch entwickelt, wurde diese Idee in unterschiedlichen Etappen realisiert: rascher und relativ früh im Westen und Norden Europas, etwa in protestantisch-kalvinistischen Regionen wie Schottland und Schweden oder in Handelsstädten mit internationalen Beziehungen wie Amsterdam, im Süden, in ländlichen Regionen oder in katholischen Gebieten eher verzögert. Erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ist allgemeine Bildung in Europa und Nordamerika, dann auch in Asien, etwa in Japan, Wirklichkeit geworden.
 
»Allgemeine Bildung« löst nicht etwa die älteren Formen der Erziehung ab, die in den Familien das Aufwachsen der Kinder begleiten oder, ergänzend, als Ausbildung zu Beruf oder gelehrter Existenz schon länger verselbstständigt waren, sondern tritt als historisch neuartiges Phänomen hinzu.Sie umfasst den Anspruch, »alle alles zu lehren«, wie es Johann Amos Comenius 1657 formulierte, das heißt alle Heranwachsenden einer Generation unabhängig von Herkunft und Stand zu bilden und sie als Lernende in öffentlichen Schulen mit den Grundlagen der Kultur vertraut zu machen, und zwar so weit, dass die Schüler selbstständig in der Gesellschaft lern- und handlungsfähig werden und zur Zivilisierung der Kultur beitragen können. Es geht nicht allein um den Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern um übertragbare Kompetenzen und das »Lernen des Lernens«. Wilhelm von Humboldts Formel aus seinem Königsberger Schulplan von 1809 zeigt die Funktion, die allgemeiner Bildung bis heute zukommt. Zugleich wird damit verständlich, dass es sich wirklich um einen Bildungsprozess handelt; denn der Weg durch die moderne Schule setzt die Selbsttätigkeit der Lernenden voraus, und ihr Ziel ist erst erreicht, wenn diese selbst handlungsfähig geworden sind.
 
Dieser Anspruch bezeichnet zugleich die schwierige Aufgabe, mit der sich die Pädagogen in der modernen Welt auseinander setzen. Sie haben nicht nur die Methode zu erfinden, mit der alle Lernenden wirklich alles lernen können, sondern müssen auch in der Konstruktion eines Lehrplans festlegen, was den Inhalt »allgemeiner Bildung« ausmacht, »Grundlagen, Ursachen und Zwecke der wichtigsten Sachverhalte und Ereignisse« (Comenius) darstellt und also wert ist, gelernt zu werden. Für die Methode sind die Prinzipien der Anschauung, der Elementarisierung und der Selbsttätigkeit, die dem Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi zugeschrieben, aber erst nach 1800 kontinuierlich entwickelt wurden, zum Symbol der Erneuerung der Schule geworden. Der Lehrplan zeigte zunächst eine Zweiteilung von Elementarbildung und »Gelehrter Bildung«. Einerseits repräsentierte er die Tradition der Vorbildung für die akademischen Berufe, andererseits enthielt er Kulturtechniken, Religion und Realienkunde, die für die Volksbildung typisch waren. Erst im 20. Jahrhundert näherten sich höhere und Elementarbildung im gemeinsamen wissenschaftlichen Anspruch einander an.
 
 Theorie und Praxis: Dimensionen der Realisierung
 
Hochgespannte Erwartungen, wie sie die Idee der »allgemeinen Bildung« formuliert, sind also nicht ohne Schwierigkeiten und Brechungen realisierbar. Auch wenn es Zweifel gibt, ob man Bildungsprozesse überhaupt messen kann - für die Frage, welche Realität allgemeine Bildung heute hat, sind relativ einfache Indikatoren durchaus aussagekräftig.
 
Nimmt man die Versorgung der Heranwachsenden mit Schulbildung zum Gradmesser, sind die Verhältnisse weltweit sehr unterschiedlich: In den Industriestaaten Westeuropas, Asiens oder Nordamerikas besuchen nahezu alle Kinder eines Jahrgangs Schulen und verweilen dort auch immer länger, etwa neun bis zwölf Jahre. In den Ländern der Dritten Welt dagegen liegt die Schulbesuchsrate deutlich niedriger, auch die Schuldauer ist mit rund drei bis fünf Jahren wesentlich geringer. Die Wirkungen des Schulbesuchs, gemessen am Grad der Alphabetisierung, lassen sich ebenfalls präzise darstellen. Eine hohe Schulbesuchsrate geht selbstverständlich mit einem hohen Maß an Alphabetisierung parallel und umgekehrt. Im 20. Jahrhundert ist der Anteil der Analphabeten an der Weltbevölkerung deutlich zurückgegangen; 1990 betrug er 27 %. Man kann aber auch nicht übersehen, dass in den Ländern der Dritten Welt der Erfolg bei etwa 40 % Analphabeten stagniert und sogar in den Industriestaaten der Anteil der funktionalen Analphabeten stetig wächst; er betrug 1990 rund 4,5 %. Die Beherrschung der Kulturtechniken ist nicht selbstverständlich und selbstbestimmtes Handeln und die kompetente Teilhabe an der Kultur nicht von jedem zu erwarten.
 
Blickt man auf die Inhalte, das Kerncurriculum der grundlegenden Bildung, so gibt es trotz aller Begründungsprobleme doch eine relativ hohe Übereinstimmung. Zum Kernlehrplan zählen die Kulturtechniken, also Lesen und Schreiben, die Muttersprache, zunehmend auch eine Fremdsprache, Mathematik und Naturwissenschaften sowie politisch-soziale Bildung. Der Standard der Durchsetzung ist kulturell verschieden, die Leistungsfähigkeit, gemessen am Können der Schulabsolventen, ebenfalls. Das hängt von der Qualität der Schulen ab, aber auch von dem Gewicht, das jeweils zum Beispiel auf die Wissensvermittlung oder die Fähigkeit zur Problematisierung oder das selbstständige Lernen gelegt wird. Und schließlich bestimmt nach wie vor die Zugehörigkeit zu Nationen und Kulturen und auch die soziale Herkunft, zusammen mit dem Geschlecht, den Zugang zu Bildungschancen.
 
Dennoch, es bleibt eine erstaunliche Tatsache, dass wir in Kulturen leben, in denen wir die Fähigkeit zu schriftsprachlicher Kommunikation, die Vertrautheit mit den Standards und Werten der Kultur und die Bereitschaft zum Lernen nahezu universell voraussetzen können. Man kann wirklich von einer »Bildungsrevolution« in modernen Gesellschaften sprechen und die Bedeutung von Bildung gleichrangig neben die einer demokratischen Staatsverfassung und der Marktwirtschaft stellen.
 
 Die Zukunft der Schulen: Lernen für die Welt von morgen
 
Die Bedeutung von Bildungsprozessen wird in der absehbaren Zukunft auch nicht geringer, sondern eher größer. Wir leben bereits jetzt in einer Wissensgesellschaft, und Wissen wird noch stärker zur entscheidenden Produktivkraft werden. Es gibt daher keine Alternative zu dem Programm, allgemeine Bildung für alle Heranwachsenden zu sichern, damit sie für die Zukunft handlungsfähig werden. Die Idee der »allgemeinen Bildung« ist dafür auch hervorragend geeignet. Angesichts der offenen Zukunft unserer Weltgesellschaft wird ihre Leitlinie bestätigt, dass es auf das Lernen des Lernens ankommt. Nicht schnell veraltende Fertigkeiten müssen gelernt werden, sondern die Kompetenz, neues Wissen zu erwerben, mit neuen Problemen kreativ und lernbereit umzugehen und die eigenen Möglichkeiten in neuen Situationen produktiv zu nutzen. Bildung ist notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung gesellschaftlicher Entwicklung.
 
Auf Schulen und ihre Lehrer warten dabei schwierige Aufgaben, denn die Festlegung der Inhalte für solches Lernen ist so wenig selbstverständlich wie die Gestaltung der Lernformen. Niemand wird bestreiten, dass der kompetente Umgang mit neuen Technologien in den Kanon der Schule gehört, schon weil der Erwerb und die Erneuerung des Wissens zunehmend von diesen Medien abhängig wird. Gleichzeitig verlangt der rasche soziale Wandel, dass auch klassische Erwartungen weiterhin kultiviert werden: Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Solidarität, die Achtung vor dem Fremden. So neu manche aktuellen Schlüsselprobleme aussehen, allgemeine Bildung wird für die individuelle und kollektive Gestaltung der Welt nicht bedeutsam sein können ohne die universalen Prinzipien der Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität, die gemeinsam mit der Idee der Bildung selbst seit dem Ursprung der Moderne gelten.
 
Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth


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