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EUROPÄISCHE STAATENWELT IN SPÄTMITTELALTER UND FRÜHER NEUZEIT: NEUE ZENTREN

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europäische Staatenwelt in Spätmittelalter und früher Neuzeit: Neue Zentren
 
Im Spätmittelalter veränderte sich die politische Landkarte West- und Mitteleuropas ganz erheblich, ohne dass man sich die Entwicklung zu den neuzeitlichen Staaten als linear verlaufend vorstellen darf. Das französische Königtum konnte, von der Île-de-France ausgehend, sein direktes Herrschaftsgebiet zunächst erheblich ausweiten. Im Hundertjährigen Krieg gingen aber große Teile des Territoriums an die Herrscher Englands verloren, zu Beginn des 15. Jahrhunderts war das Reich faktisch dreigeteilt. Der am Ende für die Krone Frankreichs doch noch glückliche Ausgang der Kämpfe schuf dann die Voraussetzung zur weiteren Expansion der Königsmacht, zunächst im Süden. Umgekehrt wirkte der Verlust der Festlandsposition destabilisierend auf die inneren Verhältnisse Englands. Die Schwächung der Zentralgewalt mündete in die Thronstreitigkeiten der Rosenkriege.
 
Zusätzlich begünstigt wurde die französische Position durch den Tod Karls des Kühnen und den damit gescheiterten Versuch, ein souveränes Burgund zu etablieren. Burgund, ein anschauliches Beispiel für Entwicklungsbrüche, stieg in kurzer Zeit zu einer der führenden europäischen Mächte mit großem Wirtschaftspotenzial auf, jedoch nur durch die Person des Herzogs zusammengehalten.Nach dem Tod Karls des Kühnen fiel der überwiegende Teil des Erbes in die Hände der Habsburger. Die französischen Herrscher profitierten nur in geringerem Maße, und ein neues Konfliktpotenzial war entstanden, verstärkt durch die konträren Ansprüche beider Mächte auf Oberitalien. Auf der Iberischen Halbinsel war die Teilung in Portugal und Spanien erst ein Ergebnis des späten 15. Jahrhunderts, wobei die Herrscher nur mit der Inquisition über eine das gesamte Land umfassende Zentralbehörde verfügten.
 
Spätestens seit dem Tod Friedrichs II. 1250 konnten die römisch-deutschen Herrscher ihre Ansprüche auf Oberitalien nicht mehr durchsetzen. Innere Probleme, Dynastiewechsel oder die räumliche Ausdehnung des Reiches bei den infrastrukturellen Gegebenheiten der Zeit ließen die tatsächliche oder auch nur behauptete Vorrangstellung obsolet werden. Dennoch blieb die Kaiserkrone noch jahrhundertelang Ziel nicht nur der deutschen Könige. Auch die französischen Herrscher bemühten sich mehrfach um ihren Erwerb. Dazu hätten sie aber zuerst die Wahl zum römisch-deutschen König durchsetzen müssen. Man sieht, welche Bedeutung die Verbindung von deutschem Königtum und Kaiserkrone weiterhin besaß. Besonders England und Frankreich mit der zeitweise, jedoch nie vollständig abhängigen Kurie in Avignon — überhaupt blieb die Kirche ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor — gewannen weiter an politischer Bedeutung. Ein weitgehend selbstständiges politisches Gewicht gewann die Schweizer Eidgenossenschaft.
 
 Wirtschaft und Bevölkerung
 
Trotz des zu Beginn des 14. Jahrhunderts einsetzenden, von einem Temperaturrückgang begleiteten sowie durch die Pest und andere Epidemien verstärkten demographischen Rückgangs intensivierten sich die Handelsbeziehungen in Europa weiter. Das Messe- und Märktesystem wurde mit Schwerpunktverlagerungen ausgebaut und vonseiten der Territorien intensivierte man »wirtschaftspolitische« Maßnahmen. So wuchs beispielsweise Lyon unter dem Schutz und der Förderung des französischen Königs auf Kosten von Genf zu einer der zentralen Messestädte heran. Allerdings sollten die im Fernhandel umgesetzten Warenmengen nicht überschätzt werden, auch wenn er zweifellos die Chancen zu bedeutenden Vermögensakkumulationen bot.
 
 Verstaatlichung und Verrechtlichung
 
Neben den territorialen Veränderungen kam es zu deutlichen Wandlungen der inneren »Staats«- Strukturen bei allerdings unterschiedlicher Intensität der Modernisierungstendenzen. Überall verdichtete sich Herrschaft, erkennbar u. a. am unmittelbaren Zugriff von Herrschern auf die Bewohner und insbesondere auf deren Steuerkraft unter Umgehung von Mediatgewalten, am Aufbau eines zentralen, den lokalen und regionalen Gewalten übergeordneten obersten Gerichts- und Justizwesens, an der Errichtung zentraler Finanzbehörden oder an der Verfügungsgewalt über die militärischen Aufgebote bis hin zum Aufbau eines stehenden Heeres. Dazu kamen die »Nationalisierung« kirchlicher Strukturen, die Zurückdrängung des unmittelbaren kurialen Einflusses und die Einbeziehung des Klerus in das Steuer- und Abgabensystem. Stark unterschiedlich blieb die Position der Stände in den einzelnen Reichen. Parallel zu diesen Entwicklungen lassen sich im 15. Jahrhundert zunehmend Belege für »Nationalgefühl« im Sinne des Bewusstseins einer überregionalen Identität in der sich neu formierenden Staatenwelt finden.
 
Eine Etappe auf dem Weg zur Zentralisierung bildete die Einrichtung von übergeordneten Behörden gerade im Finanz- und Justizwesen an möglichst wenigen Orten oder in nur einer Stadt eines Königreiches. Diese Behörden folgten den Herrschern nicht mehr bei der ansonsten weiterhin mobilen Herrschaftsausübung und sorgten so für kontinuierlicheres administratives Handeln. Das wachsende Gewicht dieser »Hauptstädte« zeigt sich z. B. an der Bedeutung von Paris oder London während der Konflikte des 15. Jahrhunderts. Auch das englische parliament als Vertretung bestimmter Bevölkerungsschichten und das französische parlement, zunehmend als oberster Gerichtshof anerkannt, entwickelten sich zu zentralen Institutionen von Staatlichkeit. Dagegen verloren die französischen Stände ihren Einfluss auf die Steuererhebung. Nach 1439 wurden die Generalstände des Nordens weder bei der Erhebung direkter noch indirekter Steuern konsultiert, die des Südens waren letztlich einflusslos. Eng verbunden mit diesen regelmäßigen Einkünften waren erste Ansätze stehender Heere. 1445 schuf man in Frankreich 15 »Ordonnanzkompanien«. In Burgund setzten sich diese Truppen anfangs überwiegend aus italienischen Söldnern zusammen. Überhaupt ging während des Spätmittelalters die Bedeutung des Lehnswesens im Krieg gegenüber Söldneraufgeboten beträchtlich zurück, wobei das Problem der regelmäßigen Soldzahlungen und der Auflösung der Verbände nach Beendigung der Kampfhandlungen nicht gelöst werden konnte und marodierende Söldnertruppen eine Plage der Einwohner blieben. Zu den gefragtesten und teuersten Söldnern stiegen im 15. Jahrhundert die eidgenössischen Reisläufer auf.
 
Wenn über die Entwicklung von Staatlichkeit gesprochen wird, kann das Sizilianische Königreich Friedrichs II. nicht unerwähnt bleiben. Er entwickelte die Reformen seiner normannischen Vorgänger weiter zu einer klar gegliederten Verwaltung mit breitem Regelungsanspruch. Dazu zählten beispielsweise auch wirtschaftspolitische Maßnahmen und hygienische Vorschriften. Außerdem sollte das öffentliche Inquisitionsverfahren ältere Verfahrensformen ablösen. Allerdings dürften viele Bestimmungen nicht durchgesetzt worden sein.
 
Der Einsatz von am römischen Recht geschulten Juristen führte zwar zu weiteren Vereinheitlichungstendenzen in den »Staaten«, dennoch regelten die nun häufiger schriftlich fixierten sowie modifizierten Lokal- und Regionalrechte noch bis in die frühe Neuzeit hinein viele Lebensbereiche; in Frankreich existierten weit über 200 derartiger Rechte, während in England starke Traditionen des common law bestanden. Zentrale Bedeutung erlangte das römische Recht wohl im bisher nur ungenügend geregelten Vertrags- und Handelsrecht. Es eröffnete den Herrschern aber theoretisch die Möglichkeit, Gesetze für alle Bereiche zu erlassen. Die Verschriftlichung der Verwaltung war eine weit verbreitete Erscheinung, die sich zunehmend auch auf die unteren Ebenen erstreckte. Ein sehr frühes Beispiel bildet das unter normannischer Herrschaft erstellte Domesday Book, aus späterer Zeit sind in West- und Mitteleuropa unzählige Aufzeichnungen über Grundbesitz, Einkünfte, Rechte und Ähnliches der lokalen und regionalen, zum Teil auch der zentralen Behörden oder von Privatpersonen überliefert.
 
Gerade Justiz und Verwaltung eröffneten Nichtadligen Aufstiegsmöglichkeiten. Mit Guillaume de Nogaret gelangte bereits 1310 ein Bürgerlicher unter Philipp IV. nach Absolvieren einer Ämterkarriere als Großsiegelbewahrer in das höchste Verwaltungsamt Frankreichs. Bedeutung und Zahl der Universitäten als Ausbildungsstätten auch für »Staatsbeamte« stiegen erkennbar an. Dennoch blieben Vorrechte des Adels bestehen und prestigeträchtige Titularämter blieben ihm vorbehalten. Allerdings reichte diese Qualifikation jetzt nicht mehr generell für eine Tätigkeit an der Verwaltungsspitze aus; für die meisten Adligen dürfte ohnehin die Kriegführung auch im Rahmen von Solddiensten die standesgemäße Beschäftigung geblieben sein.
 
Anders als in fast allen westeuropäischen Staaten, wo die Modernisierungstendenzen schließlich zu einer Stärkung der Zentralgewalt führten, blieben diese im Heiligen Römischen Reich weitgehend auf die Territorien beschränkt. Die vielfach geforderten Reformen führten nicht zu weiterer Zentralisierung, wie auch die Umsetzung der Beschlüsse des Wormser Reichstags von 1495, eventuell als eine Art staatlichen Überbaus zu bezeichnen, noch Jahrzehnte dauern sollte. Der Dualismus von Reichsständen und Krone entwickelte sich weiter. Bereits mit der Goldenen Bulle von 1356 waren die Rechte von Herrscher und Kurfürsten abgegrenzt worden. Dennoch ist eine derartige Machtverteilung auf mehrere Zentren nicht nur negativ zu beurteilen: Die kulturelle Vielfalt in den zahlreichen Residenzstädten hat hier ihre Wurzel.
 
Prof. Dr. Ulf Dirlmeier/Dr. Bernd Fuhrmann
 
Literatur:
 
Miethke, Jürgen: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie. Berlin 1969.
 Moraw, Peter: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490. Berlin 1985.
 Schubert, Ernst: Einführung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spätmittelalter. Darmstadt 1992.
 Thomas, Heinz: Deutsche Geschichte des Spätmittelalters 1250-1500. Stuttgart u. a. 1983.


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