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DEUTSCHLAND: DAS GETEILTE DEUTSCHLAND 1955 BIS 1985

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Deutschland: Das geteilte Deutschland 1955 bis 1985
 
Die staatliche Teilung Deutschlands fand mit der doppelten Blockintegration 1955 ihren nun auch international sichtbaren Ausdruck. Beide deutsche Regierungen hielten zwar daran fest, dass diese Spaltung nicht dauerhaft sein dürfe, und erklärten die Wiedervereinigung zu einem vorrangigen Ziel ihrer Politik. Jede Seite formulierte jedoch Bedingungen, die vom Gegenüber niemals akzeptiert werden konnten. Bonn forderte freie Wahlen, die das Ende der SED-Diktatur bedeutet hätten. Ostberlin propagierte eine »demokratische Umgestaltung« Westdeutschlands im Sinne des kommunistischen Demokratieverständnisses und den Austritt aus der NATO.
 
Die Unvereinbarkeit beider Positionen verbaute unter den Bedingungen des Kalten Kriegs jede Möglichkeit der Annäherung. Die Sowjetunion war angesichts ihrer militärischen Stärke und kurzzeitiger technologischer Erfolge — 1957 starteten sie den ersten Weltraumsatelliten Sputnik — zu keinen Konzessionen an den Westen und Rücksichten auf die Wünsche der deutschen Bevölkerung bereit.Vielmehr forderte der sowjetische Partei- und Regierungschef Chruschtschow 1958 den Abzug westalliierter Truppen aus Berlin, das nach seiner Lesart auf dem Territorium der DDR lag, drohte mit dem Abschluss eines separaten Friedensvertrags mit der DDR und wollte Westberlin zu einer entmilitarisierten »Freien Stadt« erklären.
 
Zusammen mit dem beschleunigten sozialistischen Umbau der DDR-Wirtschaft, insbesondere der Kollektivierung der Landwirtschaft, entstand damit eine neue Krisensituation. Die Fluchtbewegung in die Bundesrepublik nahm dramatische Ausmaße an. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 1961 waren es etwa 155000 Männer, Frauen und Kinder. Nach langem Zögern der Sowjetunion und der übrigen Staaten des Warschauer Pakts konnte Ulbricht im Sommer 1961 schließlich Zustimmung im östlichen Block für den Plan durchsetzen, mit dem er schon seit geraumer Zeit geliebäugelt hatte: die vollständige Abriegelung der Grenze.
 
In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 marschierten in Ostberlin entlang der gesamten innerstädtischen Demarkationslinie Volkspolizei, Nationale Volksarmee und Betriebskampfgruppen auf und sperrten die Grenze zunächst durch Stacheldraht ab, der bald darauf durch Mauern ersetzt wurde. Auch die äußere Stadtgrenze Westberlins und die gesamte innerdeutsche Grenzlinie wurden in der Folgezeit durch Kontrollstreifen, Hundelaufanlagen und Selbstschussapparate perfektioniert. Die Tatsache, dass in Berlin am 13. August zunächst nur ein Stacheldrahtzaun gezogen wurde, lässt darauf schließen, dass sich die Initiatoren des Risikos durchaus bewusst waren. Die Reaktion des Westens auf die Verletzung des Viermächtestatus von Berlin ließ sich nicht genau kalkulieren. Diese Reaktion fiel jedoch überraschend zurückhaltend aus. Es dauerte zwei Tage, bis sich die westlichen Stadtkommandanten auf heftige Vorhaltungen des Berliner Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt zu einem moderat formulierten Protest bewegen ließen. Um die Erregung der Bevölkerung zu besänftigen und wenigstens eine symbolische Geste der Verteidigungsbereitschaft zu zeigen, besuchte am 17. August 1961 General Lucius D. Clay, der legendäre Vater der Luftbrücke von 1948, zusammen mit dem amerikanischen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson Berlin; beide sicherten den Westberlinern die amerikanische Unterstützung zu. Intern machte der amerikanische Präsident jedoch — in einem erst 1985 veröffentlichten Schreiben an Brandt — deutlich, dass die USA in dieser Situation keine wirksamen Handlungsmöglichkeiten hatten.
 
Die Mauer blieb, und Deutschland war auf diese Weise offenbar definitiv gespalten. Mit dem Mauerbau hatte Ulbricht gewissermaßen die Notbremse gezogen, um das wirtschaftliche Ausbluten der DDR durch Massenflucht zu verhindern und so sein sozialistisches Experiment auf deutschem Boden fortführen und vollenden zu können. Insofern wurde der 13. August 1961 in der Tat zum »heimlichen Gründungstag« der DDR (Dietrich Staritz). Aus der Rückschau wird erkennbar, dass 1961 auch die Bonner Politik der konsequenten Isolierung der DDR durch die Hallsteindoktrin und die Einschüchterung der Sowjetunion durch eine Politik der Stärke gescheitert waren, sodass der Schock des Mauerbaus schließlich auch zum Ausgangspunkt einer neuen deutschlandpolitischen Strategie wurde.
 
 Die neue Deutschlandpolitik
 
Zwei Jahre lang war Berlin nach dem Mauerbau eine total geteilte Stadt, in der es bis auf die notwendigsten technischen Kontakte keine Kommunikation und Besuchsmöglichkeiten für die Bevölkerung gab. Auch die Telefonverbindungen waren gekappt worden. Der Kalte Krieg zeigte sich in Berlin von seiner brutalsten Seite. Die Zufahrtswege von der Bundesrepublik nach Westberlin waren zwar prinzipiell gesichert, unterlagen aber der Kontrolle durch DDR-Grenzbehörden, die Reisende nach Belieben schikanieren konnten und dies auch taten. Eine Autofahrt oder Zugreise nach Westberlin wurde so häufig zu einem Abenteuer.
 
»Wandel durch Annäherung« zu erreichen, musste unter diesen Umständen zunächst unvorstellbar erscheinen. Wie sollte man sich einem Staat annähern, der jeden Kontakt nach Westen blockierte? Die zahlreichen Fluchtversuche machten die Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung besonders deutlich. Die Gesamtzahl der Todesopfer bei gescheiterten Fluchtversuchen aus der DDR wird heute mit etwa 900 angegeben. Unter den vielen Opfern in Berlin erregte das Schicksal des jungen Bauarbeiters Peter Fechter im August 1961 besonderes Aufsehen. Fechter wurde bei einem Fluchtversuch von Grenzsoldaten angeschossen und verblutete vor den Augen Westberliner Zuschauer im Grenzstreifen, ohne dass ihm Volkspolizisten zu Hilfe kamen. Allmählich setzte sich die bittere Erkenntnis durch, dass diese Grenze gewaltsam nicht zu verändern war.
 
1963 hielt Egon Bahr, Berater des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt, in Tutzing eine viel beachtete Rede, in der er die Formel vom »Wandel durch Annäherung« prägte. Aus einer längerfristigen Perspektive war dies eine richtige Antwort auf die Herausforderung durch den Mauerbau. Denn sie fußte auf der Überlegung, dass man ein System, das durch konsequente Isolierung und Drohung nicht zu erschüttern war und hinter dem das geballte politische und militärische Potenzial der Sowjetunion stand, nur allmählich von innen heraus verändern könne. Im Kern umschrieb daher die Formel von Egon Bahr eine Politik, die am Ende des Jahrzehnts mit der ostpolitischen Neuorientierung begann, mit dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1972 ein wesentliches Ziel erreichte und in der Schlussakte von Helsinki 1975 ihren Höhepunkt fand.
 
Die große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger hatte schon erste Schritte zu einer neuen Deutschlandpolitik unternommen, indem sie zum ersten Mal überhaupt einen offiziellen politischen Kontakt zwischen Bonn und Ostberlin herstellte. Der 1967 begonnene Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph war ein Novum. Früher gingen offizielle Schreiben der DDR-Regierung nach Bonn stets ungeöffnet wieder zurück. Die protokollarischen Schwierigkeiten politischer Kontakte lassen sich in der Anrede des Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR Willi Stoph ablesen, den Kiesinger als »Herr Vorsitzender« titulierte, um einer Anerkennung von Institutionen aus dem Wege zu gehen.
 
 Der Streit um die Ostverträge
 
Erst die 1969 gebildete sozialliberale Bundesregierung unter Willy Brandt war bereit, die territoriale Nachkriegsordnung in Europa prinzipiell zu akzeptieren. In seiner Regierungserklärung sprach Brandt zum ersten Mal offiziell von »zwei Staaten in Deutschland«, die jedoch füreinander nicht Ausland sein dürften. Hinter den im folgenden Jahr abgeschlossenen Verträgen von Moskau und Warschau stand das Ziel einer verbesserten Berlinregelung und eines Arrangements mit der DDR. Über eine politische, nicht aber völkerrechtliche Anerkennung der DDR hoffte man, konkrete menschliche Erleichterungen und die Sicherung eines elementaren nationalen Zusammenhalts zu erreichen. Parallel zu den westdeutschen Kontakten mit Moskau und Warschau waren daher die Verhandlungen der Botschafter der vier Siegermächte über ein Berlinabkommen angelaufen und auch erste offizielle Kontakte zwischen den Regierungen beider deutscher Staaten in Gang gekommen. Zum ersten Mal seit der doppelten Staatsgründung trafen sich ein westdeutscher Bundeskanzler und ein ostdeutscher Ministerpräsident am 19. März 1970 in Erfurt und zwei Monate später in Kassel. Es waren Besuche mit geringen politischen Erfolgsaussichten, aber starken emotionalen Begleiterscheinungen. Die Besuche sollten Deutschland dem Ziel eines »geregelten Nebeneinanders« näher bringen und machten zugleich deutlich, wie kühl die eine Seite der Annäherung der anderen Seite begegnete.
 
Bei der parlamentarischen Verabschiedung zeigte sich der innere Zusammenhang der einzelnen Verträge: Am 17. Mai 1972 sollte der Bundestag über die heftig umstrittenen Verträge von Moskau und Warschau entscheiden. Fortschritte in den deutsch-deutschen Beziehungen waren jedoch nur zu erreichen, wenn diese Verträge den Bundestag passierten. In der Öffentlichkeit und im Bundestag wurde um die Verträge so heftig wie nie zuvor seit der grundlegenden Weichenstellung für die Westintegration in den frühen Fünfzigerjahren gestritten. Diese Auseinandersetzungen zeigten, wie schwierig und mühsam eine neue außenpolitische Orientierung war. Im Konflikt um die Ostverträge hatten eine Reihe von Abgeordneten aus der sozialliberalen Koalition ihre Fraktion gewechselt, sodass es 1972 keine klare Mehrheit mehr für die Regierung gab. Eine Parlamentsentschließung sollte die Zustimmung von CDU/CSU zu den Verträgen gleichwohl sichern. Ein Schlüsselsatz lautete: »Die Verträge nehmen eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorweg und schaffen keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen.« Auf dieser Basis enthielt sich die Mehrheit der Oppositionsabgeordneten der Stimme, sodass die Verträge den Bundestag passieren konnten. Wenige Wochen zuvor, am 27. April 1972, hatte die Opposition versucht, durch ein konstruktives Misstrauensvotum den Kanzler zu stürzen und Brandt durch den Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) zu ersetzen. Überraschend erhielt dieser jedoch nicht die notwendige absolute Mehrheit. Wir wissen heute, dass zumindest einer der Abweichler aus dem Unionslager von der »Hauptverwaltung Aufklärung« der DDR bestochen worden war. Um der Pattsituation zu entgehen, löste sich der Bundestag im September 1972 in einem komplizierten Verfahren selber auf und ebnete damit den Weg für Neuwahlen, aus denen die sozialliberale Koalition gestärkt hervorging. Die SPD schaffte mit 45,8 Prozent ein zuvor und später nie wieder erreichtes Ergebnis, die FDP konsolidierte sich mit 8,4 Prozent, während die Union mit 44,9 Prozent erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik hinter die SPD zurückfiel. Das Wahlergebnis war insofern auch ein deutliches politisches Plebiszit für die Ostverträge.
 
 Der Grundlagenvertrag mit der DDR
 
Hatte die Opposition den Moskauer und den Warschauer Vertrag schließlich zähneknirschend passieren lassen, so stießen die Fronten in der Auseinandersetzung um den Grundlagenvertrag scharf aufeinander. In diesem Vertrag wurde die DDR staatsrechtlich, aber nicht völkerrechtlich anerkannt. Eine große Zahl von Folgeverträgen und -vereinbarungen sollte den Grundstein für ein neues Verhältnis zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland legen. Die Präambel wies ausdrücklich auf die unterschiedlichen Auffassungen zur nationalen Frage hin. Das Ziel war die Entwicklung »normaler gutnachbarlicher Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung«. Ein wichtiges Element bildete der Brief zur deutschen Einheit, der sich im Wesentlichen mit dem entsprechenden Schriftstück zum Moskauer Vertrag deckte.
 
Die grundsätzlichen Differenzen zwischen Bonn und Ostberlin um die nationale Frage blieben somit ausgeklammert, weil sie unüberbrückbar waren. In den praktischen Regelungen hatte man der DDR aber Konzessionen abhandeln können. Sie waren ein wichtiger Schritt, um die völlige Spaltung der Nation zumindest aufzufangen und die Grenze durchlässiger zu machen. Besuchsmöglichkeiten im kleinen Grenzverkehr, das heißt Tagesaufenthalte von Bewohnern grenznaher Kreise der Bundesrepublik in der DDR, gehörten ebenso dazu wie die Vereinbarung über reguläre Arbeitsmöglichkeiten westdeutscher Journalisten in der DDR. Gerade diese westdeutsche Medienpräsenz und die regelmäßige Berichterstattung sollte sich später als ein sehr wichtiger Faktor des »Wandels durch Annäherung« erweisen.
 
Der innere Zusammenhang zwischen der neuen Ost- und Deutschlandpolitik und der sich 1989/90 überraschend abzeichnenden Wiedervereinigung ist strittig geblieben. Unübersehbar bleibt jedoch, dass sich in der seit 1972 international anerkannten DDR ein langsamer innerer und äußerer Wandel vollzog, wenn auch mühsam, halbherzig und ängstlich. Ulbricht hatte vor der neuen politischen Strategie als »Aggression auf Filzlatschen« gewarnt. Aus der Perspektive der notwendigen Systemerhaltung war diese Warnung konsequent. Für seinen Nachfolger Erich Honecker bildete daher die Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik das unverzichtbare Gegenstück zur begrenzten internationalen Öffnung. Das zeigte sich nicht zuletzt, als sich die SED mit den Konsequenzen der Schlussakte von Helsinki 1975 auseinander zu setzen hatte.
 
 Die Schlussakte von Helsinki
 
Mit der Schlussakte von Helsinki, speziell mit den Vereinbarungen über menschliche Kontakte, Kultur- und Informationsaustausch, erfüllten sich zwar längst nicht alle Blütenträume der Entspannung. Helsinki war jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Bürgerrechts- und Oppositionsbewegungen in Ostmitteleuropa, die zur Vorgeschichte des revolutionären Umbruchs von 1989 gehören. Es ist daher kein Zufall, dass im Gefolge der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) nicht nur die Zahl der Ausreiseanträge von DDR-Bürgern sprunghaft anstieg, sondern auch oppositionelle und widerständige Verhaltensweisen von DDR-Bürgern zunahmen. Dies wiederum führte zu einer drastischen Ausweitung des Personals und der Überwachungsaktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi). »Die derzeitige internationale Klassenkampfsituation«, stellte Stasi-Chef Erich Mielke am 16. Oktober 1978 fest, »die Entwicklung des gegnerischen Vorgehens und der politisch operativen Lage im Innern der DDR bestätigen vollauf die bereits getroffene Einschätzung, dass der Imperialismus seit der Konferenz von Helsinki alle Formen seiner subversiven Tätigkeit gegen die sozialistischen Staaten weiter vervollkommnet und wesentlich intensiviert hat.« In diesem Satz spiegelten sich der typische Blick der SED-Spitze auf innenpolitische Veränderungen und die Unfähigkeit, das erstarrte politische System einer veränderten politischen Weltlage anzupassen. Diese politische Großwetterlage erfuhr einen einschneidenden Wandel, als 1985 in Moskau Michail Sergejewitsch Gorbatschow die Führung der Partei übernahm. Unter den programmatischen Schlagworten »Neues Denken«, »Glasnost« und »Perestroika« strebte er einen radikalen Umbau der Sowjetunion, Abrüstung und Verständigung mit dem Westen an. Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf die DDR bleiben.
 
Die seit 1982 amtierende christlich-liberale Regierung unter Helmut Kohl hatte im Wesentlichen die deutschlandpolitische Linie ihrer Vorgängerinnen unter den sozialdemokratischen Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt übernommen. Insbesondere Außenminister Hans-Dietrich Genscher bemühte sich um Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau und sah in Gorbatschow eine neue Chance auch für die deutsche Politik.
 
Die SED-Führung dagegen sperrte sich gegen Gorbatschows Neues Denken. Der Chefideologe der SED, Kurt Hager, verstieg sich zu dem fatalen Bild, das schnell in der internationalen Presse die Runde machte: »Würden Sie«, fragte er in einer Pressekonferenz am 8. April 1987, »wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?« Es war eine Ironie der Geschichte, dass sich auf diese Weise die pathetische Parole der Gründungsphase der DDR »Von den Sowjetmenschen lernen, heißt siegen lernen« nun in ihr für den SED-Staat verhängnisvolles Gegenteil verkehrte.
 
Prof. Dr. Christoph Klessmann, Potsdam
 
 Handlungsstränge der doppelten deutschen Innenpolitik
 
Die Innenpolitik der beiden deutschen Staaten zwischen Erreichung ihrer Souveränität und der Einbindung in die Blöcke 1955 bis zur Wiedervereinigung 1990 entzieht sich trotz einer Reihe von erkennbaren Parallelen und Verflechtungen weitgehend einer einheitlichen Interpretation. Die diametral unterschiedlichen politischen Ordnungen mit ihren jeweils spezifischen Problemen produzierten nicht nur eine deutliche ideologische Abgrenzung und Verfestigung der Zweistaatlichkeit, sondern auch unterschiedliche Schwerpunkte der Innenpolitik.
 
Die Bundesrepublik Deutschland erwies sich seit ihrer Gründung als ein »stabiles Provisorium«. 1961, im Jahr des Mauerbaus, fiel die Arbeitslosigkeit auf die auch später niemals mehr erreichte Quote von unter einem Prozent. Der Erfolg der sozialen Marktwirtschaft erlaubte 1957 die Einführung der dynamischen Rente, die zum ersten Mal die Zahlungen nicht mehr an Rücklagen des eigenen Erwerbslebens, sondern an die durchschnittlichen Lohnsteigerungen anpasste. Es war nicht zuletzt eine Konsequenz aus der auf dieser Basis bei den Bundestagswahlen 1957 von der CDU errungenen absoluten Mehrheit, dass sich 1959 die SPD im Godesberger Programm von sozialistischer und antikapitalistischer Tradition sowie von ihrer Opposition gegen die politische und militärische Westintegration verabschiedete.
 
Wirtschaftspolitisch erwies sich der Zuzug von hoch qualifizierten Arbeitskräften aus den Vertreibungsgebieten im Osten, aber auch die bis 1961 ungebremste Fluchtbewegung von Hunderttausenden aus der DDR als Glücksfall. Der Bedarf der westdeutschen Industrie war aber trotzdem noch so hoch, dass man bereits Mitte der Fünfzigerjahre mit der gezielten Anwerbung von Ausländern begann und diese erst 1973 stoppte. Die aufgrund der einheitlichen Entwicklung »langen Fünfzigerjahre« endeten wirtschaftspolitisch Mitte der Sechzigerjahre. Die erste Rezession der Bundesrepublik zeichnete sich im Ruhrbergbau besonders deutlich ab. Am 26. September 1966 kam es zur ersten großen Demonstration von 60000 Kumpeln in Bonn. Der von Zeitgenossen auch als »Ende der Nachkriegszeit« empfundene Einbruch der bisherigen Erfolgsgeschichte der sozia- len Marktwirtschaft, der gleichzeitig das politische Ende Ludwig Erhards, des zweiten Kanzlers der Bundesrepublik einläutete, mündete zeitgleich in eine grundsätzliche Hinterfragung der bisherigen innenpolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik durch die Achtundsechzigerbewegung.
 
Es war nicht nur das Unbehagen über die als andauernde politische Stagnation empfundene große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger, das die innenpolitische Kritik in den späten Sechzigerjahren der Bundesrepublik ausmachte und das Klima für die Außerparlamentarische Opposition (APO) schuf. Es war vor allem eine Abrechnung mit der Adenauerära und ihrer als restaurativ empfundenen politischen Kultur, die durch die Kanzlerschaft Erhards nicht wesentlich verändert worden war. Adenauers politisches Ansehen hatte bereits in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft rapide abgenommen, wie sich vor allem im Wahlkampf 1961 zeigte. Die Spiegelaffäre 1962, die Durchsuchung der Redaktionsräume des westdeutschen Nachrichtenmagazins aufgrund der Veröffentlichung eines Berichts über die NATO-Übung Fallex 62, wurde als Lehrstück für die regierungsamtliche Auffassung von Presse- und Meinungsfreiheit wahrgenommen. Die Kritik der ausgehenden Sechzigerjahre setzte aber vor allem beim bisherigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit an. Die »Unfähigkeit zu trauern« hieß bezeichnenderweise der 1967 erschienene Buchtitel des Psychoanalytiker-Ehepaares Mitscherlich, der eine »Verdrängungskultur« thematisierte.
 
Es war neben der Hinterfragung der bisherigen bundesrepublikanischen (Erfolgs-)Geschichte vor allem eine neue Qualität der Auseinandersetzung, die die organisatorisch heterogene Achtundsechzigerbewegung in die politische Kultur mitbrachte. Auch die Adenauerzeit hatte verschiedene Protestbewegungen gesehen; nach 1955 vor allem die Demonstrationen gegen die atomare Bewaffnung der 1956 gegründeten Bundeswehr. Jetzt aber kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Eine wirkliche Gefährdung der inneren Ordnung der Bundesrepublik ging von den Angriffen der protestierenden Jugend auf das »Establishment« sicherlich nicht aus, auch wenn die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze exakt dieses Szenario entwickelten und für den Fall erwarteter innerer Unruhen Eingriffe in die Grundrechte vorsahen. Die gleiche Befürchtung beinhaltete auch der vier Jahre später von der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und den Ministerpräsidenten erlassene Extremistenbeschluss (»Radikalenerlass«) zur einheitlichen Behandlung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst.
 
Ideengeschichtlich wie organisatorisch nahm die Achtundsechzigerbewegung Teile der Protestbewegungen der Fünfzigerjahre auf. Gleichzeitig bildete sie aber auch den Ausgangspunkt für die neuen sozialen Bewegungen der Siebzigerjahre, aus denen unter anderem Die Grünen als Antiatom- und Umweltschutzpartei entstanden. Der radikalste Flügel des Achtundsechzigerprotests mündete in verschiedene terroristische Vereinigungen, zu denen auch die Rote-Armee-Fraktion (RAF) zählte.
 
Der 1969 vollzogene Wechsel zur ersten sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt markierte sowohl außen- als auch innenpolitisch eine deutliche Zäsur. Dies wurde deutlich in der von Brandt programmatisch ausgegebenen Parole »Mehr Demokratie wagen«, die unter anderem in einer Reihe von sozial- und gesellschaftspolitischen Reformen umgesetzt wurde (Ausbildungsförderung, Gesamtschule, Oberstufenreform). Der durch einen Spionagefall im Kanzleramt, die »Affäre Guillaume«, verursachte Rücktritt Brandts 1974 hatte innenpolitisch zwar keine direkten Folgen, zumal die zweite sozialliberale Regierung unter Helmut Schmidt auf Kontinuität setzte. Wirtschaftspolitisch jedoch hatte die erste Ölkrise 1973 dramatisch die Grenzen des ökonomischen Wachstums offenbart. 1979 verzeichnete die Bundesrepublik zum ersten Mal seit Mitte der Sechzigerjahre wieder ein massives Haushaltsdefizit. Innenpolitisch erschütterten die Auseinandersetzungen mit der RAF, die 1977 mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer sowie dem Selbstmord von drei inhaftierten RAF-Führern im eigens für diese Gruppe errichteten Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim ihren einstweiligen Höhepunkt erreichten, die Bundesrepublik weit mehr als die Wirtschaftskrise. Kritik zogen auch vor allem die eiligst verabschiedeten Antiterrorgesetze nach sich, aber ebenso der NATO-Doppelbeschluss. Gleichzeitig wuchs der innenpolitische Widerstand gegen die zivile Atomindustrie. Das Ende der sozialliberalen Regierung Schmidt, verursacht durch die Umorientierung der FDP, wurde am 17. September 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum besiegelt. Nachfolger Schmidts wurde Helmut Kohl in einer christlich-liberalen Koalition, die in den vorgezogenen Neuwahlen im März 1983 und den darauf folgenden Wahlen bis 1998 bestätigt wurde. Erklärtes Ziel der Regierung war eine Wende, die sich vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik vollzog. In der gesellschaftlichen Diskussion blieben neben der Arbeitslosenquote, die sich stabil bei etwa zwei Millionen Menschen einpendelte, die Rüstungs- und Umweltfragen entscheidend. Letztere wurden vor allem durch den schweren Reaktorunfall im sowjetischen Tschernobyl 1986 und die weitgehend ungeklärten Fragen der Atommüllentsorgung verstärkt. Sucht man nach den innenpolitischen Zäsuren in der Geschichte der DDR, so war sicherlich das Jahr 1961 entscheidender als das Jahr 1955. In ihrer Historiographie markierten zwar die Jahre zwischen 1955 und dem Mauerbau den »Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse«, und in der Tat konnte die DDR in den Fünfzigerjahren durchaus beachtliche Wachstumsraten verbuchen. Innenpolitisch jedoch bedeutete der Mauerbau eine Art zweite Gründung der DDR. Bis 1961 hatten — nicht zuletzt durch die im Jahr zuvor abgeschlossene Zwangskollektivierung — immer mehr Menschen das Land gen Westen verlassen. Der weitgehende Wegfall der Möglichkeit, der DDR den Rücken zu kehren, bedeutete nun einerseits objektiv sichere Planungsdaten für den sozialistischen Aufbau der Gesellschaft. Andererseits begannen tatsächlich die meisten Bürger, sich auch psychologisch in der DDR einzurichten und sich in der Regel sogar weitgehend mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Allerdings bedeutete die Mauer auch, dass die meisten jener, die mit dem System nicht einverstanden waren, bleiben mussten. Wirtschaftspolitisch versuchte die SED-Führung vor allem der materiellen Unzufriedenheit entgegenzuwirken. Das ab 1963 begonnene Neue Ökonomische System der Planung und Lenkung (NÖSPL) zielte darauf ab, schneller auf die Konsumbedürfnisse zu reagieren. In der Realität war die DDR-Wirtschaft davon bis zu ihrem Ende weit entfernt.
 
1968 folgte noch unter der Ägide Walter Ulbrichts die erste sozialistische Verfassung, die die DDR als sozialistischen Staat deutscher Nation definierte. Unter seinem Nachfolger Erich Honecker, der im Mai 1971 seinen altstalinistischen Ziehvater mit Genehmigung Moskaus entmachtete und zum Rücktritt zwang, erfuhr diese Definition durch die Verfassungsänderung 1974 noch eine weitere Zuspitzung, indem man jetzt den Hinweis auf eine gemeinsame deutsche Nationalität vollständig strich.
 
Der Versuch der »Durchherrschung« der DDR-Gesellschaft beruhte wie jener anderer Diktaturen auf der Praxis von Lockung und Zwang. Unter Honecker wurde beides deutlicher. Als Hauptaufgabe definierte der VIII. Parteitag der SED 1971 die Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus. Die propagierte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die gleichzeitig etwa Mieten und Grundnahrungsmittel massiv subventionierte, erwies sich jedoch langfristig als unbezahlbar. Auf der anderen Seite verschärfte Honecker den »Kurs auf die entwickelte Diktatur«. 1972 wurden die letzten Privatbetriebe in volkseigene umgewandelt, und auch die Staatssicherheit wurde unter ihm zu jenem Moloch, der schließlich 1989 mit 91015 hauptamtlichen und rund 174000 inoffiziellen Mitarbeitern die DDR bis in ihren letzten Winkel ausspähte. Die innenpolitische Verschärfung zeigte sich auch im Umgang mit Kritikern. 1976 wurde dem missliebigen Liedermacher Wolf Biermann die Wiedereinreise nach einem Konzert in Köln untersagt. Auch die Stasi konnte die sich seit der Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki 1975 verstärkende innenpolitische Opposition, die nicht nur die politische Unterdrückung, sondern immer mehr auch Umweltfragen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken versuchte, letztlich nicht ausschalten. Die Bürgerbewegung der DDR, die sich schließlich vor allem unter dem Schutz der Kirche sammelte, erwies sich trotz massiver Unterdrückung als eine treibende Kraft für den Zerfall des »real existierenden Sozialismus«.
 
Dr. Bernd Stöver
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
deutsche Einheit: Der Fall der Berliner Mauer und der Weg zur Einheit
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Deutschland: Teilung Berlins und Deutschlands bis 1955
 
Literatur:
 
Bender, Peter: Die »Neue Ostpolitik« und ihre Folgen. Vom Mauerbau zur Vereinigung. Neuausgabe München 1995.
 Brandt, Willy: Erinnerungen. Frankfurt am Main 1989.
 
Die deutsche Vereinigung. Dokumente zu Bürgerbewegung, Annäherung und Beitritt, herausgegeben von Volker Gransow und Konrad H. Jarausch. Köln 1991.
 Erhard, Ludwig: Wohlstand für alle, bearbeitet vonWolfram Langer. Neuausgabe Düsseldorf 1997.
 
Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von Wolfgang Benz. 4 Bände Neuausgabe Frankfurt am Main 1989-93.
 Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Bonn 51991.
 Kleßmann, Christoph: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970. Bonn 21997.
 
Reden der deutschen Bundespräsidenten Heuss, Lübke, Heinemann, Scheel, eingeleitet von Dolf Sternberger. Ausgewählt von Heinrich Sprenger. München u. a. 1979.
 Steininger, Rolf: Deutsche Geschichte seit 1945. Darstellung und Dokumente in vier Bänden, Band 1 und Band 2. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 1996.
 
Der Tag X - 17. Juni 1953. Die »Innere Staatsgründung« der DDR als Ergebnis der Krise 1952/54, herausgegeben von Ilko-Sascha Kowalczuk u. a. Berlin 21996.
 Weber, Hermann: Die DDR 1945-1990. München 21993.


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