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AFRIKANISCHE KULTUR: DIE MÜNDLICHE TRADITION

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afrikanische Kultur: Die mündliche Tradition
 
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Schwarzafrika keine Schrift entwickelt, die mit den heute gängigen Schriften verglichen werden könnte. Eine Ausnahme bilden die islamisierten Reiche Ost- und Westafrikas sowie das christliche Äthiopien. Doch auch schriftlose Kulturen benötigen, um funktionsfähig zu sein, besondere Mechanismen, die Aufgaben der Schrift wahrnehmen können. Dies gilt vor allem für Hochkulturen mit differenzierter soziopolitischer Struktur, wie etwa afrikanische Königreiche. Viele afrikanische Kulturen bedienten sich deshalb gewisser Merk- und Erinnerungssysteme, um Botschaften zu übermitteln. Tonsprachen, in denen die Tonhöhe der Silben eines Wortes oder auch längerer Sprecheinheiten, das heißt der musikalische Ton für die Unterscheidung von Wörtern und grammatischen Formen wichtig ist - zahlreiche afrikanische Sprachen zählen hierzu -, eignen sich besonders gut dazu, mithilfe von Trommeln oder mehrtonigen Pfeifen stereotype Sätze von einem Dorf zum anderen zu »morsen«. In manchen afrikanischen Reichen konnten auf diese Weise wichtige Nachrichten sehr schnell verbreitet werden. Allerdings können nur Eingeweihte die Trommelsprache senden und verstehen.
 
Spezielle Informationsträger und -vermittler sind in schriftlosen Kulturen die Barden und Geschichtenerzähler, die Griots.Zu ihren Aufgaben gehört es, Riten, Genealogien von Herrscherhäusern, Lobeshymnen, Mythen und ähnliches mehr auswendig vorzutragen. Gewöhnlich hat jeder König und jeder Häuptling in Afrika einige dieser Griots um sich, die seine und seiner Ahnen noble Herkunft und ihre Heldentaten in Gesangsform bei Festlichkeiten vortragen. Solche Vorträge können tagelang dauern. Der Inhalt füllt in der Regel mehrere Bücher.
 
Zur Berufsausbildung der professionellen Barden gehört das Auswendiglernen aller in der jeweiligen Kultur wichtigen mythologischen und zeremoniellen Texte. Die Abiiru im Königreich Ruanda beispielsweise mussten unter anderem alle Riten, Mythen und Kultanweisungen für Inthronisationszeremonien, Ahnenkult und Begräbnisse auswendig lernen. Bei gegebenem Anlass mussten die Passagen fehlerlos hergesagt werden. Auf Versagen stand die Todesstrafe. Die Aufgabe teilten sich mehrere Mitglieder des Klans. Als bei einer Epidemie (vermutlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) einige Abiirus starben, ging fast ein ganzes Kapitel des esoterischen Kodes verloren. Heute ist der gesamte Text dieses Kodes niedergeschrieben. Das Buch umfasst mehr als 250 Seiten.
 
Der Ethnologe und Sprachwissenschaftler Patrice Mufuta aus der Republik Kongo hat in den Sechzigerjahren den Kasala-Gesang seiner eigenen Ethnie, der Luba, aufgenommen und analysiert. Die Vortragenden (Männer oder Frauen), die Barden des Volkes, werden »Mwena Kasala« genannt. Sie distanzieren sich allerdings von gewöhnlichen Sängern, obwohl auch sie zur Untermalung ihres Vortrags manchmal eine Trommel verwenden. Der »Mwena Kasala« sagt, er sei die Sonne, ein gewöhnlicher Sänger jedoch der Mond; beide zieren allerdings den Himmel. Der »Mwena Kasala« weiß sich von einer höheren Macht zu seinem Vortrag berufen. Deutlich zeigen dies die Verse des Barden Cidibi Moosa:
 
»Als Gott mich hörte, schwieg er.
 
Er nahm diese Trommel und gab sie mir.
 
Als er mir die Trommel gab,
 
befestigte er mich an einem Faden;
 
er spannte den Faden zu meinem Herzen.
 
Wenn Gott diesen Faden bewegt,
 
erhebe ich mich sofort
 
und höre mittels des Fadens
 
und verstehe, was Gott sagt.«
 
Mufuta sagt vom Kasala, der Gesang wende sich nicht an den Verstand, sondern er muss gelebt und tief im Inneren gespürt werden. Die Poesie des Kasala zeige sich im Wesentlichen im rezitierten beziehungsweise gesungenen Wort. Der Inhalt habe an erster Stelle eine soziale Funktion. Weitere Aspekte, wie etwa der Wahrheitsgehalt der geschichtlichen Fakten könnten sich immer erst im Vergleich mit anderen Quellen erschließen. Seinem Ursprung nach soll der Kasala ein Klagelied gewesen sein. Er will aber bei den Zuschauern nicht nur Trauer hervorrufen, sondern sie auch zu neuen Anstrengungen anregen. Dazu diente auch früher der Kriegs-Kasala, der auch als erster Kasala bezeichnet wird. Der Barde zog dabei mit in den Kampf, sang die Totenklage für die Gefallenen und ermunterte die Kämpfer zu weiteren Taten. Heute wird der Kasala vorgetragen, wenn eine berühmte Persönlichkeit gefeiert wird, etwa bei einem Fest oder bei einem Begräbnis. Auch bei der Aufhebung der Trauer, ungefähr ein Jahr nach einem Todesfall, kommen die »Mwena Kasala«, singen zu Ehren des Verstorbenen und machen den Hinterbliebenen Mut. Auch wenn der Kasala-Gesang aus weniger feierlichem Anlass vorgetragen wird, fließen die alten Mythen und Geschichten der Ethnie mit ein. Eine weibliche »Mwena Kasala« kommt zum Beispiel zu einer Mutter, deren kleiner Sohn gestorben ist, und beginnt zu singen:
 
»O yo iwee yoo o yee yo yee o yo.
 
Ntumba, Sohn der Kalombaayi
 
von den Gewässern des Mwamba Kabooka [ein Usurpator der politischen Macht zur Kolonialzeit].
 
Ich preise dich, warum fluchst du mir [der Tote bewegt sich nicht, obwohl sie ihn anredet)?
 
Sohn der Ngandu vom Dorf des Mulumba Makanda,
 
ich lobpreise dich, Sohn der Ntanda,
 
Sohn der Kalomba, dessen Körper gewaschen und geölt ist [für das Begräbnis]. ..«
 
Danach geht die »Mwena Kasala« auf die Geschichte des Klans mit seinen Aufspaltungen in verschiedene Untergruppen ein, auf die Machtverteilung zu Beginn der Kolonialzeit und auf ähnliches mehr. Der Kasala erschließt sich nur Eingeweihten ganz.
 
In den oralen Kulturen kommt dem gesprochenen Wort eine weit größere Bedeutung zu als dem Text in Kulturen mit Schriftsprache. Das Wort ist hier nicht nur eine Folge von Lauten, sondern es besitzt Kraft. Ein Wort, das von einer Person mit Autorität ausgesprochen wird, bewirkt, was es beinhaltet. Einem Fluch- und Segensspruch folgt immer auch das damit Gewünschte. Erzeugnisse oraler Kulturen sind nicht nur nicht aufgeschriebene Texte. Orale »Literatur« unterscheidet sich ganz grundsätzlich von der schriftlich festgehaltenen: Der Dichter, Redner oder Erzähler der oralen Tradition muss immer bestrebt sein, seine Denkerzeugnisse wiederholen zu können. Gelingt ihm dies nicht, war seine Mühe umsonst. Ein Hilfsmittel für ihn ist oft die Rhythmisierung, vielleicht sogar mit Reimen. Erfahrungsgemäß erleichtert dies das Auswendiglernen. Untergeordnete Sätze sind auch aus diesem Grund in oraler »Literatur« kaum vorhanden. Der Barde oder Erzähler setzt auch sehr häufig festgefügte Formeln ein, die immer wiederkehren. Sie erlauben ein gewisses Ausruhen und Vorausdenken. Ein Griot, der stecken bleibt, verliert sein Amt. Ähnliche »Techniken« finden sich auch in Literaturtraditionen außerhalb Afrikas. Auch zum Beispiel die Texte Homers, die »Ilias« und die »Odyssee«, waren ursprünglich orale »Literatur«. Immer wieder wird auch hier in festgefügten Formeln etwa vom »Wolkenverschieber Zeus«, dem »listigen Odysseus«, dem »geflügelten Wort, das dem Gehege der Zähne entflieht«, gesprochen
 
Für ungeübte Zuhörer kann ein solcher Vortrag oft ermüdend wirken, weil er sehr viele Wiederholungen enthält. Zudem leben in der oft schwer verständlichen, rhythmisierten Sprache meist alte Wendungen weiter. Doch können geübte Barden ihren Vortrag sehr rasch einer neuen Situation anpassen. Sie machen Anspielungen auf Ereignisse in der Gegenwart, die nur Eingeweihte kennen. Trotz aller moderner Medien, mit deren Hilfe ein Forscher die Erzeugnisse eines Griots vollständig und korrekt registriert und übersetzt haben mag, muss er doch oft feststellen, dass er viele Nuancen nicht versteht.
 
Weitere Informationsträger und Nachrichtenübermittler sind die Sprecher der regionalen Herrscher. Sie übermitteln Wünsche und Anordnungen des Herrschers an seine Fürsten und an seine Untergebenen. Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts wurden in Westafrika, in Anlehnung an die Spazierstöcke, die europäische Händler mitgebracht hatten, Sprecherstäbe geschaffen. Die Sprecherstäbe symbolisieren zum Beispiel bei den Ewe, Baule und Ashanti die Autorität des Herrschers und stehen für den Wahrheitsgehalt der übermittelten Nachrichten. Bis heute stellen vor allem die Akan in Ghana ganz prächtige goldene, mit figuralen Aufsätzen versehene Sprecherstäbe her. Die Aufsätze dieser Stäbe spielen jeweils auf bekannte Sprichworte an, die in einem engen Zusammenhang mit der Beziehung des Herrschers zu seinen Fürsten und Untergebenen stehen. Zu Beginn hielten die Könige der Akan bei den Vorträgen den Stab noch selbst in der Hand. Später überließen sie dies ihren Sprechern, sodass die Stäbe zu deren Amtszeichen wurden. Sie spielen bis heute bei den Akan und ihren Nachbarvölkern eine wichtige Rolle bei verschiedenen Zeremonien.
 
Prof. Dr. Josef Franz Thiel
 
Literatur:
 
Broszinsky-Schwabe, Edith: Kultur in Schwarzafrika. Geschichte — Tradition — Umbruch — Identität. Köln 1988.


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