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BEDROHTE VÖLKER

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bedrohte Völker: übersetzung

bedrohte Völker,
 
von Menschenrechtsorganisationen in die politische Diskussion eingeführter Oberbegriff für meist kleine, benachteiligte oder in ihrer Existenz gefährdete Sprach- und Kulturgemeinschaften. Diese werden von der Mehrheitsbevölkerung der Staaten, in denen sie leben, oder von Umwohnern meistens ausgegrenzt beziehungsweise grenzen sich selbst gegen diese ab. Durch Akkulturation und Assimilierungen riskieren sie den Verlust ihrer Eigenart, manche werden aus rassischen oder religiösen Gründen verfolgt. Als bedroht gelten aber auch Völker, deren Wohngebiete als Zielräume von Umsiedlungsprogrammen vorgesehen sind oder deren wirtschaftliche, politische und soziokulturelle Entwicklung fremdbestimmt ist. Die Mehrzahl der bedrohten Völker befindet sich in binnenkolonialer Abhängigkeit, d. h., wesentliche Bereiche der Verwaltung, Wirtschaftsplanung und Kulturpolitik werden nicht von ihnen, sondern von den Organen des jeweiligen Nationalstaates diktiert. Typ. Vertreter binnenkolonisierter Ethnien stellen nationale Minderheiten in West- und Osteuropa sowie Kaukasien dar, die zum Teil einen bestimmten Grad politischer Autonomie oder gewisse Rechte erhalten haben und daher als institutionalisierte, wenn auch nicht immer integrierte Glieder eines politischen Systems betrachtet werden können.Außerhalb Europas bestehen binnenkoloniale Verhältnisse an der Peripherie von Staatswesen mit imperialer Tradition (China) oder rezenter Ausdehnung (Indonesien) sowie in den durch Europäer kolonisierten Gebieten (Amerika, Sibirien, Australien).
 
Überwiegend geben ökonomische Gründe den Ausschlag für das Weiterbestehen des internen Kolonialismus. So betreiben bei den Navajo US-amerikanisches Unternehmen den Abbau von Bodenschätzen auf Reservationsland ohne partnerschaftliche Beteiligung der Landeigner an Ausbeutung und Gewinn. Wirtschaftliche Motive waren auch bei der Öffnung des Amazonastieflands maßgebend. Mehrere Modernisierungswellen (u. a. der Kautschukboom um die Wende des 20. Jahrhunderts) haben das größte tropische Waldgebiet der Erde seit der europäischen Landnahme erfasst, wo ab Mitte der 1960er-Jahre eine forcierte Vermarktung der Regenwälder erfolgte, die zur Zerstörung der Kultur und Lebensgrundlage vieler indianischen Völker führte. Ähnlich wie den Amazonasindianern ergeht es Papuagruppen in Irian Jaya, wohin der indonesische Staat Übersiedler aus den übervölkerten Teilen der Inselrepublik lenkt. Dort, zudem auf Borneo und Sumatra, schwelen Landkonflikte mit Alteingesessenen, die Umwelt wird durch Erschließungsmaßnahmen empfindlich belastet. Besonders der Raubbau an der Natur und deren Umgestaltung gefährden in vielen Gebieten die Reproduktionsgrundlage zahlreicher dort ansässiger Gemeinschaften und stellen ihre überkommene Wirtschaftsweise, die mit Kultur und Tradition auf das Engste verknüpft sind, im Extremfall ihr Überleben infrage. Der Erhalt der Unversehrtheit der Biosphäre und die Lösung von Landrechtsstreitigkeiten stellen demzufolge gegenwärtig zentrale Anliegen binnenkolonisierter Ethnien dar.
 
Die Bedrohung einer spezifischen Ethnizität kann auch aus der beinahe unmerklichen Auslöschung einer Sprache, dann wieder, wie im Falle der Kurden, aus der militanten Reaktion bei der Überwindung der Folgen historischer Grenzziehung oder bei der Beseitigung der Diaspora durch Sammlung versprengter Volksteile erwachsen. Auch Populationen, deren Kulturbild traditionell von dem der Nachbarn absticht (Hirtennomaden und Wildbeuter inmitten agrarisch ausgerichteter Gesellschaften, religiöse Minderheiten oder Sinti und Roma) können betroffen sein. Vielfach paart sich zudem der Vorwurf kultureller Unterlegenheit und Minderwertigkeit mit Rassismus. Auch dort, wo körperliche Merkmale weit aus der regionalen Norm fallen, etwa in der Überschneidungszone schwarz- und weißafrikanischer Bevölkerung (Sahel, Südsudan), bei den Buschleuten im Südwesten von Afrika, den Wedda in Sri Lanka, den Ainu in Japan, den Australiern und im Siedlungsgebiet indianischer Gemeinschaften kommt es aus rassistischen Gründen zur Verfolgung von Mitmenschen oder Vorenthaltung gleicher Rechte. Anfeindungen sehen sich fast ausnahmslos auch jene Volksgruppen ausgesetzt, deren Form der Religionsausübung mit allgemeinen Gepflogenheiten kollidiert. Gewöhnlich versucht die herrschende Auffassung, spirituelle Eigenständigkeit durch Missionierung aufzulösen, schlimmstenfalls drohen religiösen Minderheiten Repressalien (z. B. den Falascha) bis hin zum Völkermord (Judenverfolgung).
 
Den Anstrengungen unterdrückter, unterprivilegierter und verfemter ethnischer Minderheiten um Bewahrung und Entwicklung ihrer Identität, um regionale Autonomie oder nationale Unabhängigkeit steht beinahe überall staatliche Abwehr entgegen. Dem versuchen seit den 1960er-Jahren Menschenrechtsorganisationen entgegenzuwirken (z. B. die Minority Rights Group in London und die Gesellschaft für bedrohte Völker, deutscher Zweig der Survival International). Dank internationaler Rückendeckung machte zuletzt auch die Organisierung eigener Gemeinschaften der bedrohten Völker Fortschritte. So existiert seit 1984 eine »Koordinationsgruppe der Indianerorganisationen des Amazonasbeckens« (COICA), unter deren Dach Mitglieder aus fünf Staaten versammelt sind; außerdem werden »Konferenzen der Arktischen Völker« veranstaltet. Diese Interessenvertretungen wurden inzwischen zu wichtigen Gesprächspartnern von nationalen und internationalen Institutionen.
 
Literatur:
 
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Nat. Minderheiten in Europa. Eine Darst. der Problematik mit Dokumenten u. Materialien zur Situation der europ. Volksgruppen u. Sprachminderheiten, hg. v. R. Grulich u. P. Pulte (1975);
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 J. H. Bodley: Der Weg der Zerstörung. Stammesvölker u. die industrielle Zivilisation (a. d. Amerikan., 1983);
 
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Indian. Realität. Nordamerikan. Indianer in der Gegenwart, hg. v. W. Lindig (1994).


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