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FAMILIE UND GESELLSCHAFT IN DER ANTIKE

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Familie und Gesellschaft in der Antike
 
Im 1. Buch seines Werkes »Über die Pflichten«, »De officiis«, gebraucht Cicero eine Wendung, die bis heute in Diskussionen um die Familie zu finden ist. Er bezeichnet dort Eltern und Kinder, die Gemeinschaft des Hauses und des Besitzes als »Grundlage« (principium) und »gleichsam Keimzelle des Staates« (quasi seminarium rei publicae, §54). Unter den verschiedenen Stufen der Gemeinschaftlichkeit nehmen Ehe und Haus die ersten Ränge ein. Die Verpflichtung gegenüber der patria, dem Vaterland, umfasst zwar alle übrigen Bindungen, hebt sie aber nicht auf. In der »Schlussabrechnung« (§58) stellt deshalb Cicero das Vaterland und die Eltern nebeneinander: Sie sind es, denen ein Mensch am meisten verpflichtet ist.
 
Die Gesichtspunkte, unter denen hier verschiedene Formen der Zugehörigkeit behandelt werden, sind »Gemeinschaftlichkeit« (societas) und »Liebe« (caritas), die freilich nicht so sehr ein Gefühl als vielmehr eine auf Dankbarkeit und Zuneigung beruhende soziale Beziehung meint. Ehe und Haus können zwar auch in einem genetischen Sinn »Ursprung« des Staates sein, aber sie bleiben dessen »Grundlage« auch dann, wenn er existiert. Insofern sollten die Aussagen Ciceros in einem systematischen, nicht in einem historischen Sinn gelesen werden.
 
Fast dreihundert Jahre vor Cicero hat sich auch Aristoteles im 1.Buch seiner »Politik« mit verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung beschäftigt. Er zeichnet zunächst den entwicklungsgeschichtlichen Weg vom Haus (der Familie) über die Dorfgemeinschaft bis hin zur polis, das heißt zu dem Stadtstaat, in dem Autarkie und vollkommenes Leben verwirklicht werden können. Eben deshalb sei zwar die polis genetisch später als die Familie, von Natur aus gehe aber der Staat der Familie voraus, weil das Ganze früher sein müsse als der Teil. Der Staat besteht also von Natur aus, er ist der sinngebende Endzweck, das telos (Ziel) aller anderen Gemeinschaften. Deshalb wird auch der Mensch als ein von Natur aus politisches, das heißt auf die polis bezogenes Wesen charakterisiert. Die diese Erörterung des Aristoteles bestimmenden Leitbegriffe sind also nicht societas und caritas wie bei Cicero, sondern Autarkie und Vollkommenheit. Die Familie wird als Teil des Staates begriffen, auf den sie teleologisch hingeordnet ist.
 
Hinter den Äußerungen Ciceros und des Aristoteles, die ja zunächst Konzepte, nicht Beschreibungen von Wirklichkeit sind, verbergen sich dennoch verschiedene Muster kulturellen Verhaltens. Um sie zu erkennen, muss nun näher auf die griechische und die römische Familie eingegangen werden.
 
 Die Struktur der Familie
 
Unser deutsches Wort »Familie« stammt zwar vom lateinischen »familia«; aber dieser Begriff und dessen griechisches Korrelat, nämlich oikos (Haus), bezeichnen nicht nur einen Personenverband, sondern auch die zu diesem Verband gehörenden Sklaven, das Vieh und den ganzen immobilen Besitz, sodass familia oft geradezu mit »Besitz« übersetzt werden kann. Was die das Haus oder die familia konstituierenden Personen betrifft, so haben wir es in Griechenland, wenn wir einmal von den Sklaven absehen, wie in der Moderne mit der aus Eltern und Kindern bestehenden Kernfamilie zu tun, die sich zeitweise, wenn die alten Eltern bei einem ihrer Söhne leben, zur Dreigenerationenfamilie ausweiten kann.
 
In Rom ist die familia eine Abstammungsgemeinschaft, die alle diejenigen umfasst, die unter der Gewalt eines Hausvaters (pater familias) stehen: das sind in jedem Fall die männlichen Nachkommen, also Söhne, Enkel und Urenkel, und ferner unverheiratete weibliche Nachkommen. Was die verheirateten weiblichen Nachkommen und die Ehefrauen von Söhnen und Enkeln angeht, so hat die römische Frau bei ihrer Eheschließung — die Entscheidung fällt in der Regel ihr Hausvater — zwei Möglichkeiten: Sie kann bei der Heirat in die Familie ihres Mannes übergehen — man spricht dann davon, dass sie sich unter die »Hand« (manus) ihres Mannes begibt, oder sie kann in ihrer Herkunftsfamilie bleiben. Setzt man einmal den Fall, dass sowohl die Ehefrau des Hausvaters als auch die Frauen seiner Söhne und Enkel in die neue Familie, das heißt in seine Familie, übergegangen sind, dann erstreckt sich die hausväterliche Gewalt, die patria potestas, in dieser Familie auch auf die eingeheirateten Frauen. Diese werden in ihre neue Abstammungsgemeinschaft so eingeordnet, dass sie den Status einer Tochter ihres Ehemannes erhalten. Das hat nichts mit den konkreten Beziehungen zwischen Ehegatten zu tun, sondern dient der — auch erbrechtlichen — Absicherung einer Frau, die bei der Heirat ihre Herkunftsfamilie verlassen hat.
 
Die römische Abstammungsgemeinschaft ist in der Regel keine Wohngemeinschaft. Erwachsene Söhne, die heiraten, ziehen oft in ein eigenes Haus oder in eine eigene Wohnung, und eine sich so bildende Kleingruppe wird domus (Haus) genannt. Auf dieser Ebene besteht also eine Analogie zu den griechischen Verhältnissen, domus und oikos entsprechen einander. Dennoch bleibt aber die familia als Abstammungsgemeinschaft ein realer Beziehungskreis: Die patria potestas eines Hausvaters endet erst mit dessen Tod, auch wenn die Söhne schon 60 Jahre alt sind und selber Kinder und Enkel haben. Sie umfasst ein ausgedehntes Recht zu strafen, das bei Haussöhnen bis zur Todesstrafe reicht (ius vitae necisque, das Recht über Leben und Tod). Der Hausvater ist Alleineigentümer des Familienvermögens, sodass alle anderen Familienmitglieder nur beschränkt geschäftsfähig sind, selbst wenn ihnen vom Hausvater ein Sondervermögen (peculium) eingeräumt wird. Seit spätestens der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. hat der Hausvater die volle Freiheit, auch testamentarisch über das Hausvermögen zu verfügen, Hausmitglieder zu enterben und Legate, also Anteile an der Erbschaft, auszusetzen. Schließlich vertritt der Hausvater auch alle seiner Gewalt Unterworfenen vor Gericht.
 
Haussöhne, die das Erwachsenenalter erreichen, werden zwar politisch mündig in dem Sinne, dass sie Militärdienst leisten, in den Volksversammlungen abstimmen oder — in den Führungsschichten — Ämter und Priestertümer bekleiden können. Sie bleiben aber unter der patria potestas und sind insofern nicht selbstständig (alieni iuris, fremden Rechtes). Das ist typisch für das römische gesellschaftliche System, in dem jeder Einzelne einen fest umrissenen Platz hat. Entsprechend zielt auch der Personbegriff der Römer nicht auf möglichst große Selbstständigkeit und freie Entfaltung des Einzelnen, sondern auf die Rolle, die jeder zu übernehmen hat, und auf die Relationen, in denen er zu anderen steht.
 
In Griechenland gibt es nichts der römischen patria potestas Vergleichbares. Zwar ist auch hier der Vater oder Ehemann Herr (kyrios) des Hauses, der Ehefrau und seiner Kinder. Aber seine Gewalt enthält nicht die extremen Möglichkeiten, die der römische Hausvater hat; lebenslänglich besteht sie — im Sinne einer Vormundschaft — nur über die Ehefrau und die Töchter; Söhne werden mit 18 bis 20 Jahren mündig, können eigenen Besitz erwerben und übernehmen häufig schon zu Lebzeiten des Vaters den väterlichen Hof oder die Verwaltung des väterlichen Vermögens. Die Testierfreiheit des griechischen Vaters unterliegt erheblich stärkeren Einschränkungen als die des römischen, und das Gleiche gilt für die Verfügungsgewalt über das Hausvermögen.
 
Das griechische Haus kann deshalb im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. kaum Ordnungsfunktionen für die Gesellschaft übernehmen. Es erbringt für die polis Leistungen, vor allem solche finanzieller Art: Wohlhabendere Häuser haben zum Beispiel in Athen Leiturgien (»Dienstleistungen«) zu erbringen, so die Einübung von Chören für Theateraufführungen oder die Führung und Instandhaltung eines Kriegsschiffes für ein Jahr. Ferner ist die Reproduktion der Bürgerschaft und damit zugleich die von Bürgersoldaten nur über die Familien möglich. Im Übrigen aber unterscheiden sich die Häuser im Hinblick auf Besitz, Sozialprestige und den Bildungsstand ihrer Mitglieder; da nun die Devise der Demokratie, die Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. ausgebildet hat, politische Gleichheit ist und das Selbstverständnis der attischen Männer wesentlich auf politischer Teilnahme beruht, können die Häuser nicht Träger der Politik sein, sondern sie müssen politisch möglichst zurückgedrängt werden, was auch Konsequenzen für die Stellung der Frau hat. Vergleichbar ist dieses Phänomen damit, dass im Zuge der Ausbildung der modernen Demokratie im 19. Jahrhundert das »Private« vom »Öffentlichen« ausgegrenzt wird. Die Sozialisation von attischen Jugendlichen findet zwar auch in der Familie statt, aber in Konkurrenz zur Familie stehen Schulen, Wanderlehrer, Gymnasien, Feste und die Möglichkeit, das vielfach im Freien stattfindende politische Geschehen mitzuerleben. So ist es nicht von ungefähr, dass Klagen über das »freche« Verhalten von Jugendlichen in der attischen Komödie des 5. Jahrhunderts v. Chr. häufig zu finden sind.
 
Ganz anders in Rom: Hier fällt schon auf, dass der Begriff, der die väterliche Gewalt bezeichnet, nämlich potestas, identisch ist mit dem Terminus technicus für die Gewalt der Magistrate, deren Befehlssprache sich auch Hausväter bei bestimmten Gelegenheiten (zum Beispiel bei Enterbung) bedienen müssen. Die Römische Republik besitzt keinen Erzwingungsstab, keine Polizei im modernen Sinne. Einen Ersatz dafür bietet die patria potestas. So sind Todes- oder Verbannungsurteile des Hausvaters gegenüber Haussöhnen ausschließlich für den Fall überliefert, dass Haussöhne gegen die militärische oder politische Disziplin verstoßen haben. Darin wird die Ordnungsfunktion der familia besonders greifbar. Es gibt kein Gewaltmonopol des Staates, oder: Die Hausväter sind Teil der staatlichen Exekutivgewalt. Sie sind jedenfalls verantwortlich für die »Korrektheit« (im Sinne der römischen Sozialdisziplin) von Handlungen, die aus ihrer Einflusssphäre hervorgehen. Das gilt primär für die männlichen Nachkommen, bezieht sich in etwas abgeschwächtem Sinn aber auch auf alle diejenigen, die in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zu einem adligen pater familias stehen, also auch auf freigelassene Sklaven oder auf Klienten. Wenn diese schwören, tun sie es beim genius (dem Inbegriff der Manneskraft) ihres Patrons. Die römische Gesellschaft baut sich über vertikal und hierarchisch strukturierte Gruppen auf, die sowohl durch Nahbeziehungen als auch durch die Funktion der Ordnungssicherung gekennzeichnet sind.
 
Ein schönes Beispiel für die häusliche und politische Funktion der adligen Hausväter bietet eine Geschichte, die sich im Jahre 140 v. Chr. zugetragen hat. Die Provinz Makedonien beklagte sich beim Senat in Rom über die Verwaltung eines Decimus Silanus. Dessen Vater erbat vom Senat, ihm selbst die Untersuchung zu überlassen. Dies wurde eingeräumt — schon in sich ein erstaunliches Faktum; nach genauer Beweisaufnahme verkündete der Vater das Urteil: »Da für mich erwiesen ist, dass mein Sohn Silanus von den Bundesgenossen Geld angenommen hat, verkünde ich, dass er sowohl das Staates als auch meines Hauses unwürdig ist, und befehle ihm, sich sofort aus meinem Gesichtskreis zu entfernen« (Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia/Denkwürdige Taten und Aussprüche 5,8,3). Haus (domus) und Staat (res publica) werden hier parallel gesetzt, wie das auch in der häufig gebrauchten Formel »Respekt vor dem Vater und dem Vaterland« (pietas in patrem patriamque) geschieht.
 
Nun kann man mit Recht fragen, ob ein solches System wie das dargestellte überhaupt funktionieren konnte. Musste es nicht zu dauernden Generationenkonflikten, zu Rivalitäten zwischen Vätern und Söhnen kommen? Leider wissen wir viel zu wenig darüber, wie das Leben in einer römischen familia tatsächlich vonstatten ging. Die oft geäußerte Vermutung, römische Haussöhne hätten in der Hoffnung, selber einmal Hausväter zu werden, ihre untergeordnete Stellung ertragen, scheint wenig plausibel zu sein; denn viele Söhne wurden nie Hausväter, weil sie — zum Beispiel in den vielen Kriegen Roms — vor ihrem pater familias starben. Die griechischen Söhnen offen stehende und von ihnen auch genutzte Möglichkeit, ihre Väter gerichtlich zu belangen, gibt es für römische Haussöhne nicht. Mangels Quellen können wir die Differenz zwischen Norm und Wirklichkeit nicht überwinden, aber wir können noch etwas weiter kommen, wenn wir Verhaltensdispositionen nicht nur im Kreis der familia, sondern in dem der Verwandtschaft betrachten.
 
 Familie und Verwandtschaft
 
In Griechenland ist die Heirat von nahen Verwandten nicht nur erlaubt, sondern in bestimmten Fällen sogar vorgeschrieben. In Athen muss zum Beispiel eine Tochter, wenn ihr Vater stirbt und sie keine Brüder hat — man nennt sie dann »Erbtochter« — ihren Onkel väterlicherseits heiraten. Ebenso ist die Heirat von Stiefgeschwistern, die den gleichen Vater haben, nach attischem Recht gestattet. Dagegen hat Rom die ausgedehntesten Heiratsverbote, die wir in der antiken Welt überhaupt kennen. Bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. sind Heiraten von Verwandten bis zum sechsten Grad einschließlich — also zum Beispiel zwischen Cousins und Cousinen zweiten Grades — verboten, und zwar in der mütterlichen und in der väterlichen Linie, das heißt im Rahmen der kognatischen Verwandtschaft. Der durch Heiratsverbot gekennzeichnete Kreis bildet zugleich eine Gruppe, innerhalb derer besondere Beziehungen herrschen: Die römische Frau muss einen Verwandten aus diesem Kreis küssen, wenn sie ihn an einem Tag zum ersten Mal sieht. Dieser Kuss hat nichts mit Erotik zu tun; er ist Ausdruck der Verwandtschaft und geschieht in aller Öffentlichkeit, während sich zum Beispiel Ehegatten nicht vor den Augen anderer küssen dürfen. Wahrscheinlich nennt die Frau ihre Cousins bis zum zweiten Grad »Bruder«. Den Tanten und Onkeln mütterlicher- wie auch väterlicherseits, die auch alle terminologisch genau unterschieden werden, kommen im Verhältnis zu ihren Nichten und Neffen feste Rollen zu: Die Geschwister des Vaters unterstützen dessen Disziplinierungsfunktionen, sind also »streng« — der Onkel väterlicherseits wird oft als »Nörgler« bezeichnet —, während die Geschwister der Mutter einen Status haben, wie er in anderen Kulturen und zum Teil auch heute noch den Großeltern zugeschrieben wird: Sie müssen ihren Neffen und Nichten in jedem Fall beistehen, selbst zum Beispiel dann, wenn sie mit deren politischen Positionen nicht übereinstimmen. Die Tante mütterlicherseits hat zudem wichtige Aufgaben bei der Verheiratung ihrer Nichten. Dieses ganze Beziehungsgeflecht ist nicht von Emotionen abhängig; derselbe Mann muss ja ein »guter« Onkel gegenüber den Kindern seiner Schwester und ein »strenger« gegenüber denen seines Bruder sein. Vielmehr handelt es sich um kulturelle Verhaltensmuster, die einerseits die Funktionen der familia stärken, andererseits eine Art Entlastung für deren strikte Ordnung bieten. Letzterem und zugleich einer gewissen Kontrolle des pater familias dient es auch, dass dieser bei schweren Sanktionen gegen ein Hauskind vorher ein aus Verwandten und Freunden zusammengesetztes Hausgericht konsultieren muss, zu dem bei Sanktionen gegen die Ehefrau immer auch Verwandte aus deren familia, also aus deren Herkunftsfamilie, gehören müssen. Schließlich erstreckt sich die Aufsichtsfunktion der Zensur, eines für die römische politische Kultur eigentümlichen Amtes, auch auf die binnenfamilialen Beziehungen.
 
Der Zwang, aus dem Kreis der Verwandten bis zum sechsten Grad herauszuheiraten, muss dazu führen, Verwandtschaftsbeziehungen unter relativ vielen Familien herzustellen, die dann, wie Cicero sich ausdrückt, durch »Wohlwollen« und »Liebe« (benevolentia, caritate) verbunden sind. Augustinus schreibt in seinem Werk »Über den Gottesstaat« (De civitate Dei 15,16) dazu: »Dies Verbot (die Heirat naher Verwandter) erging mit Rücksicht auf die Liebe. Denn die Menschen, für die die Eintracht heilsam und gut ist, sollten durch die Bande von mancherlei Verwandtschaften aneinander geknüpft werden. Es sollte nicht einer mit einem anderen in vielen Verwandtschaftsverhältnissen stehen, sondern diese sollten sich einzeln auf Einzelne verteilen und zur Förderung des Gemeinschaftslebens (ad socialem vitam) sich vielfach auf möglichst viele erstecken.« Zumindest die Funktion, wenn nicht die Ursache des ausgedehnten Heiratsverbots ist es also, ein Ferment für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sein. Das kommt sinnfällig in dem Fest der Cara cognatio zum Ausdruck, an dem alle Verwandten miteinander speisen sollen und Streitigkeiten untereinander beilegen sollen.
 
In Griechenland ist das Problem der Integration der Gesellschaft viel prekärer. Weder die Struktur der Familie noch ausgedehnte Verwandtschaftsbeziehungen können den Zusammenhang stützen. An deren Stelle treten politische Mechanismen, Feste der ganzen Bürgerschaft, die Konstitution mythischer Vergangenheiten, das Verbot, an bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zu erinnern — um nur einiges zu nennen. Wenn, wie tendenziell in jeder Demokratie, auch in der heutigen, Rechte wesentlich als Rechte von Einzelnen formuliert werden, dann haben familiäre und verwandtschaftliche Verbände als »Keimzellen des Staates« keine Chance. In Rom hatte umgekehrt die Demokratie keine Chance. Der Preis für die starke Integrationskraft der römisch-republikanischen Gesellschaft war das System von mannigfachen Abhängigkeiten, in denen jede Person stand.
 
Diesen Preis hatten auch die Hausväter selbst zu entrichten. Wenn sich zum Beispiel ein Hausvater und sein Sohn, der Konsul war, zu Pferde begegneten, musste der Hausvater vom Pferd absteigen und dem Sohn seine Reverenz erweisen. Ein wichtiges Symbol des römischen Staates, das Herdfeuer der Vesta, wurde von Vestalinnen gehütet, die beim Eintritt in ihr Priestertum aus der hausväterlichen Gewalt entlassen werden mussten. Die adligen Hausväter mussten immer ihre »Würde« (gravitas) zur Schau stellen, sowohl in ihren Bewegungen als auch in ihrer Kleidung. Die Konkurrenz unter ihnen war strikt auf den politisch-militärischen Bereich beschränkt. Verpflichtungen gegenüber Mündeln oder Klienten standen vor denen gegenüber der kognatischen Verwandtschaft. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Herrschaft der adligen Hausväter ein wichtiges Fundament hatte in Verzichtleistungen, die deutlich machten, dass der Staat mehr war als die Summe der patres.
 
 Familiale Beziehungen und Geschlechterverhältnisse
 
In Griechenland wie in Rom sind Frauen zeitlebens der Gewalt ihres Hausvaters oder Ehemannes oder eines Tutors (meist eines nahen Verwandten) unterworfen. Damit enden aber auch schon die Gleichheiten zwischen den beiden Kulturen. In Athen ist die Frau grundsätzlich nicht erbberechtigt, und wenn sie, beim Fehlen von Brüdern, in die Situation einer Erbtochter kommt, dann ist sie mit ihrem Mann Stellvertreterin für ihre Söhne, die bei Volljährigkeit den großväterlichen Besitz übernehmen. Im Wohnhaus gibt es eigene Räume für die Fauen, die am geselligen Leben der Männer nicht teilnehmen. Dass die athenischen Frauen gleichsam in ihr Haus eingeschlossen sind, ist zwar ein Mythos; sie haben durchaus die Möglichkeit zur Kommunikation untereinander, können auf dem Markt einkaufen und verkaufen, und sie müssen bei der häufigen Abwesenheit der Männer im Krieg das Haus und die häusliche Produktion verwalten. Aber da das Haus im Sinne des oben definierten oikos keine Rolle in der Politik spielen soll, werden sie, als Repräsentantinnen des »Innen«, des Hauses, gleichsam aus dem Bewusstsein verdrängt. Man spricht schlecht über sie oder verkündet, wie Perikles bei Thukydides in der »Geschichte des Peloponnesischen Krieges« (2, 45), die Maxime, dass die Frauen am besten seien, über die nicht gesprochen werde.
 
In Rom erben Frauen in der gesetzlichen Erbfolge in gleicher Weise wie Männer; sie erhalten ebenso viel wie ihre Brüder bzw., wenn sie in die manus ihres Mannes übergegangen sind, wie dessen Kinder. Bei der testamentarischen Erbfolge werden die Möglichkeiten für Frauen zwar im 2.Jahrhundert v. Chr. eingeschränkt, weil »Mann« Angst hat, »Frau seiner Frau« zu sein — mit dieser Horrorvision warnt Roms bedeutendster Epigrammdichter Martial (Epigrammata 8,12) im 1. Jahrhundert n. Chr. die Männer davor, reiche Frauen zu heiraten; aber die männlichen römischen Juristen finden schnell Schlupflöcher gegen die Einschränkung, so zum Beispiel die indirekte Erbschaft über einen Dritten (Fideikommiss). Die Hausmutter, mater familias, hat eine Ehrenstellung in der Gesellschaft. Im Haus gibt es keine abgegrenzten Räume für Frauen, und an den geselligen Veranstaltungen und Gastmählern nehmen die Frauen selbstverständlich teil. Da Politik vielfach über Häuser gemacht wird, können Frauen, obwohl sie wie in Griechenland von allen Ämtern und der Politik ausgeschlossen sind, doch politischen Einfluss erlangen, zu politischen Vertrauten ihrer Männer werden. Manchmal, wenn auch selten, kann es sogar zu Demonstrationscharakter tragenden Aktionen von Matronen kommen.
 
Ruft man sich in Erinnerung, was oben über das römische Verwandtschaftssystem gesagt wurde, dann wird deutlich, dass Frauen gleichsam die Scharnierstellen in diesem Verwandtschaftssystem bilden. Sie vermitteln die Verwandtschaft zu anderen agnatischen Einheiten; zusammen mit ihren Brüdern und Schwestern sowie deren Töchtern und Söhnen bilden sie einen positiv konnotierten Beziehungskreis.
 
Was wir sonst über die binnenfamilialen Beziehungen erfahren, ist äußerst wenig. Das Verhältnis zwischen Vätern und jugendlichen Söhnen ist in Griechenland und Rom prekär, wenn auch jeweils aus anderen Gründen. In Griechenland haben die Söhne Interesse daran, möglichst schnell die Verwaltung des Hausbesitzes zu übernehmen und den Vater am »Verschleudern« dieses Besitzes zu hindern. Konflikte können sich auch daraus ergeben, dass die Söhne zur Versorgung der alten Eltern verpflichtet sind. In Rom ist der Vater seinen Söhnen gegenüber Agent der Gesellschaft im Hinblick auf die Durchsetzung gesellschaftlich-politischer Normvorstellungen. Deshalb wird auf Distanz zwischen beiden geachtet, was sich sogar in Tabuvorschriften niederschlägt; so sollen Väter und jugendliche Söhne nicht zusammen baden.
 
Das Verhältnis zwischen Vätern und Töchtern wird in beiden Kulturen als ein freundliches, enges und gering belastetes dargestellt, obwohl die Väter jeweils verantwortlich dafür sind, dass die Töchter vor der Ehe keinen Geschlechtsverkehr haben. Da das Heiratsalter für Frauen in der Antike sehr niedrig ist — ab dem 12. Lebensjahr konnten sie eine Ehe eingehen, das tatsächliche Heiratsalter lag aber wohl höher —, sind Konflikte in diesem Bereich eher unwahrscheinlich. Anders steht es mit dem Verhältnis zwischen Ehegatten und mit dem Ehebruch. Der Mann ist nicht zur ehelichen Treue verpflichtet, während eine Ehefrau, die Ehebruch begeht, in Athen von ihrem Mann entlassen werden muss, sonst verliert der Mann das Bürgerrecht. Im republikanischen Rom gibt es keine Gesetzesvorschrift (eine der attischen entsprechende wird erst von Kaiser Augustus erlassen); es hat aber den Anschein, als ob zumindest in der späten Römischen Republik die Scheidung nicht mehr die regelmäßige Folge eines Ehebruchs ist (in Griechenland wie in Rom ist übrigens die Scheidung auch für die Frau ohne große Formalitäten möglich).
 
Grundlage für die Sanktionen bei Ehebruch ist nicht verletzte Liebe oder Treue. Die griechischen Männer haben eine geradezu panische Angst davor, dass ihnen Kinder untergeschoben werden, die nicht ihre eigenen sind und die nach griechischer Auffassung auch die Haus-, Begräbnis- und Totenriten nicht angemessen vollziehen können. Für den römischen Mann geht es dagegen eher darum, dass kein Fremder in seinen Herrschaftsbereich eindringen kann, ohne seine Ehre und damit seinen Status zu verletzen. Status und Ehre der Ehefrau sind immer über den Mann vermittelt.
 
Wie die »normalen« Beziehungen zwischen Eheleuten in der Antike aussahen, wissen wir nicht. Liebesbeziehungen im modernen Sinn hat es sicher auch gegeben, aber sie bildeten nicht die Grundlage der Ehe. In Griechenland war schon das unterschiedliche Heiratsalter von Frauen und Männern — Männer heirateten nicht selten erst mit knapp 30 — ein Hindernis dafür, ganz abgesehen davon, dass Ehefrauen, nicht aber Hetären vom geselligen Umgang ausgeschlossen waren. In Rom ist Grundlage der Ehe der consensus, die »Übereinstimmung« zwischen den Eheleuten (und deren Hausvätern); er gilt als vorhanden, wenn ein Paar zusammenlebt. In literarischen und juristischen Texten und in Grabinschriften ist häufig von amor (Liebe) und affectio maritalis (eheliche Zuneigung) die Rede. Aber man darf den Texten keine romantische Bedeutung unterlegen. In der frühen und mittleren Republik war die Ehe eine Angelegenheit von Gruppen, nicht von Einzelnen. Obwohl das später anders wurde und die römische Frau bessere Ausgangsbedingungen als die griechische hatte, blieb die Beziehung zwischen Ehegatten eine asymmetrische. Die dominante Position der römischen Männer in der familia und in der Gesellschaft sollte auch in anderen Bereichen — also zum Beispiel auch im Sexualverhalten — gewahrt werden. So lautete jedenfalls die Forderung; an die soziale Wirklichkeit, geschweige denn an den »Blick« von Frauen, kommen wir nicht heran.
 
Prof. Dr. Jochen Martin
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Gesellschaftsordnung des Mittelalters: Die geistigen Grundlagen mittelalterlicher Ordnung
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
römisches Alltagsleben
 
Literatur:
 
Aristoteles: Politik. Übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes. Hamburg 41990.
 
Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann, herausgegeben von Jochen Martin u. a.2 Bände Freiburg im Breisgau u. a. 1989.
 Augustinus, Aurelius: De Civitate Dei. Der Gottesstaat. Übersetzt von Carl Johann Perl. 2 Bände Paderborn u. a. 1979.
 Bettini, Maurizio: Familie und Verwandtschaft im antiken Rom. Aus dem Italienischen. Frankfurt am Main u. a. 1992.
 Cicero, Marcus Tullius: De officiis. Vom rechten Handeln. Lateinisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Karl Büchner. Lizenzausgabe Darmstadt 1994.
 Dixon, Suzanne: The Roman family. Baltimore, Md., u. a. 1992.
 
Geschichte des privaten Lebens, herausgegeben von Philippe Ariès und Georges Duby. Band 1: Vom Römischen Imperium zum Byzantinischen Reich, herausgegeben von Paul Veyne. Aus dem Französischen. Neudruck Frankfurt am Main 1995.
 
Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung, herausgegeben von Ernst Wilhelm Müller. Freiburg im Breisgau u. a. 1985.
 Lacey, Walter K.: Die Familie im antiken Griechenland. Übersetzt von Ute Winter. Mainz 1983.
 Martialis, Marcus Valerius: Epigrammaton libri. Mit erklärenden Anmerkungen von Ludwig Friedländer. 2 Bände. Leipzig 1886. Nachdruck in 1 Band Amsterdam 1967.
 Siurla-Theodoridou, Vasiliki: Die Familie in der griechischen Kunst und Literatur des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. München 1989.
 Thukydides: De bello Peloponnesiaco. Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Griechisch-deutsch. Übersetzung, Einführung und Erläuterungen von Georg Peter Landmann. 2 Bände München u. a. 1993.
 
Zur Sozialgeschichte der Kindheit, herausgegeben von Jochen Martin u. a. Freiburg im Breisgau u. a. 1986.
 Plinius Caecilius Secundus, Gaius: Briefe. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben von Helmut Kasten. München u. a. 61990.
 
Die römische Literatur in Text und Darstellung, herausgegeben von Michael von Albrecht. 5 Bände Stuttgart 1985-91.
 Rostovtzeff, Michael: Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich. Deutsch von Lothar Wickert. Leipzig 1931. Nachdruck Aalen 1985.
 Schuller, Wolfgang: Frauen in der römischen Geschichte. Taschenbuchausgabe München u. a. 1992.


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