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BAUERN: DAS LEBEN DER LANDBEVÖLKERUNG IM MITTELALTER

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Bauern: Das Leben der Landbevölkerung im Mittelalter
 
Das frühe Mittelalter kennt zunächst keine Bezeichnung für die »Bauern«. Das mag überraschen in einer Gesellschaft, die ganz agrarisch geprägt ist. Doch gerade weil alle unmittelbar von der Scholle leben, ist der funktionale Begriff zu unspezifisch und daher entbehrlich. Denn wer sollte mit »Bauer« gemeint sein: der Hörige, der auf dem grundherrlichen Hof das geliehene Land bebaut? Oder der Grundherr, der vielleicht nicht selbst hinter dem Pflug geht, dem aber das Land gehört und der es von abhängigen Leuten bearbeiten lässt? Dann wäre auch noch der König, auch er Grundherr und agrarischer Großunternehmer, ein »Bauer«? Die Quellen unterscheiden bis ins 11. Jahrhundert nicht nach Funktion, sondern nach Recht, wenn sie Freie, Hörige und Leibeigene benennen.
 
 Freiheit und Unfreiheit
 
Versteht man unter »Bauer« den körperlich arbeitenden, Ackerbau treibenden Landmann, dann gab es seit der Karolingerzeit kaum noch freie Bauern, die frei von grundherrschaftlichen Bindungen den eigenen Erbbesitz bewirtschafteten. Die großen Grundherrschaften hatten die ehemals freien Bauern nach und nach aufgesogen. Dabei war durchaus nicht immer Gewalt im Spiel. Mancher kleine Grundbesitzer verzichtete in freier Entscheidung und zu seinem Vorteil auf Besitz und Freiheit, indem er sich einem größeren Grundherrn »übergab« (kommendierte).Er gehörte jetzt zur familia dieses Herrn, lebte und wirtschaftete als unfreier Hufenbauer auf demselben Hof, den er zuvor zu freiem Eigen besessen hatte, und leistete Dienst für seinen Herrn. Durch den Verzicht auf seine Freiheit entzog er sich aber der Pflicht eines Freien zum Kriegsdienst. Je stärker das expandierende Frankenreich in langwierige Kriege verstrickt und auf verfügbare Truppen angewiesen war, dadurch aber besonders die kleinbäuerlichen Freien bedrückte, umso mehr häuften sich die Kommendationen. Verbote des Königs blieben wirkungslos.
 
Der in existenzielle Bedrängnis geratene Freie kann also seine soziale Lage verbessern, indem er auf seine Freiheit verzichtet. Der Hörige im Dienst eines mächtigen Herrn, der womöglich das Vertrauen des Herrn genießt und an dessen Hof besondere Aufgaben wahrnimmt, ist sozial besser gestellt als der freie Bauer, der auf der eigenen Scholle ein kümmerliches Dasein fristet. Freiheit und Unfreiheit sind im Mittelalter Rechtsqualitäten; sie entscheiden über die Fähigkeit, Grundbesitz zu erwerben und zu vererben, über den Grad der persönlichen Freizügigkeit und rechtlichen Selbstbestimmung (etwa bei Eheschließung). Freiheit und Unfreiheit markieren indessen kaum, jedenfalls nicht zwingend und unverrückbar, soziale Positionen.
 
Es ist wichtig, sich die Ausgangslage des frühen Mittelalters bewusst zu machen, will man die Umbrüche begreifen, die seit dem 11. Jahrhundert allmählich, im 12. Jahrhundert dramatisch die Gesellschaft Europas umgestalteten. In den drei Jahrhunderten von 1000 bis 1300 verdoppelte sich die Bevölkerung Europas; sie wuchs in manchen Teilen geradezu explosionsartig, in Mittel- und Westeuropa (Frankreich, England, Deutschland) auf fast das Dreifache, von 12 Millionen auf knapp 36 Millionen. Damals wurden die bisher kaum erschlossenen Landstriche systematisch besiedelt und kultiviert, die See- und Flussmarschen, die Mittelgebirgsregionen, der Alpenrand, und dadurch die landwirtschaftliche Nutzfläche erheblich erweitert. Die vereinzelten Siedlungsinseln in den Wäldern und Sümpfen des frühen Mittelalters öffneten sich im 12. Jahrhundert allmählich zu ausgedehnten Kulturlandschaften. Gleichzeitig griff der Landesausbau in die Gebiete östlich von Elbe und Saale.
 
Die Folgen für die Lebensbedingungen der Menschen können nicht hoch genug eingeschätzt werden. In welchem Maße die »bäuerliche« Bevölkerung Anteil an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hatte, mag man daran ermessen, dass jetzt eigentlich der »Bauer« und das »Dorf« in der bis heute gültigen Bedeutung in das Licht der Geschichte traten.
 
 Der Hörige wird »Bauer«
 
Die Anfänge sind in den Quellen wiederum nur undeutlich zu greifen. Um 1070 kam es zum Streit zwischen dem Bischof Benno von Osnabrück und den Bauern von Iburg im Teutoburger Wald. Die »Bauern« — hier mit rustici tatsächlich so bezeichnet — hatten ihre Schweine zur Mast in die bischöflichen Wälder getrieben und in großen Mengen Eicheln aus den Wäldern geholt. Als der Verwalter des Bischofs versuchte, dagegen einzuschreiten, zwangen sie ihn unter Gewalt zum Rückzug. Dem Bischof erklärten sie, dass sie ihren Rechtsanspruch durch Eid verteidigen wollten. Gegen den Rat seiner Ritter verzichtete Benno auf eine Bestrafung mit Waffengewalt. Stattdessen berief er sich auf altes Gewohnheitsrecht und ließ das strittige Waldstück seinerseits durch die eidliche Aussage seines Vogtes zu seinem Sonderrechtsbezirk erklären. Interessant ist nicht so sehr der Inhalt des Konfliktes — Reibereien um Rechtsansprüche waren in einer Grundherrschaft wohl an der Tagesordnung —, auch dass die Bauern schließlich unterlagen, war kaum anders zu erwarten. Bemerkenswert ist, wie die Beteiligten den Konflikt austrugen: Die Bauern traten nicht wie Abhängige, sondern als genossenschaftliche Gruppe selbstbewusst und — nach einer besonders reichen Ernte, wie der Chronist betont — in wirtschaftlich gestärkter Position ihrem Herrn gegenüber. Und der Bischof berief sich nicht kurzerhand auf seine grundherrliche Gewalt, die er nur durchzusetzen hätte; er anerkannte das Recht der Bauern zur eidlichen Verteidigung, die sonst nur Freien möglich ist, und ließ sich darauf ein, seinen Anspruch mit Rechtsmitteln zu beweisen.
 
Der hier geschilderte Konflikt ist kein Einzelfall. »Nicht nur die Großen und Adligen bekamen Lust, die Ruhe zu stören und Streit und Aufruhr zu entfesseln, auch das nichtadlige Volk und die Bauern bewaffneten sich gegen ihre Herren und wurden, wie es ihre Art ist, begierig nach Neuem«, schreibt der Biograph Bennos von Osnabrück, und man spürt, wie schwer es ihm fällt, das Neue einzuordnen. Die Bauern beginnen, sich wie Herren aufzuführen, und die Herren reagieren vorsichtig ohne grundherrliche Zwangsmaßnahmen. Denn anders als in früheren Konflikten zwischen Grundherrn und Hörigen eröffnen sich jetzt den aufbegehrenden Bauern Ausweichräume in den eben entstehenden Städten oder in den Rodungsgebieten, wo menschliche Arbeitskraft benötigt und mit besserem Recht als im Altsiedelland belohnt wird.
 
»Weil das Land verlassen war, schickte Graf Adolf Boten in alle Länder, nämlich nach Flandern und Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland, dass alle, die durch den Mangel an Land eingeschränkt seien, mit ihren Familien kämen, um bestes und weites Land, reich an Früchten, überfließend an Fisch und Fleisch und Weidegründen, zu empfangen.« Was bei dem geistlichen Chronisten Helmold von Bosau wie der biblische Ruf in das Gelobte Land erklingt, hat Graf Adolf II. von Holstein gewiss prosaischer formuliert, als er 1143 um Siedler für seine slawischen Gebiete warb. Die blumigen Worte geben aber doch ganz handfeste soziale und wirtschaftliche Motive zu erkennen: Für die Flamen und Holländer in ihrer dicht besiedelten Heimat musste das Land jenseits der Elbe in der Tat wie ein Eldorado, ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten erscheinen. Freilich musste das Land erst trockengelegt, gerodet und kultiviert werden; die Niederländer verfügten wie niemand sonst über das nötige technische Know-how. Der Graf bot ihnen dafür eine materielle Existenz und Freiheiten, von denen sie zu Hause nur träumen konnten. Einige Tausend Familien werden dem Ruf in das unbekannte Land gefolgt sein. Es war der Beginn der deutschen Ostsiedlung.
 
 Grundherrschaften öffnen sich — Dörfer entstehen
 
Bäuerliche Gemeinden ohne grundherrliche Bindungen begegnen nicht zufällig zuerst in den hochmittelalterlichen Rodungsgebieten. Sie wirken aber zurück auf die Grundherrschaften im Altsiedelland, indem sie den Bauern dort bessere Lebenschancen und höhere Rechtsqualitäten als auf der heimischen Scholle greifbar vor Augen stellen. Sofern sie massenhafte Abwanderungen verhindern wollen, müssen die Grundherren zu rechtlichen Konzessionen bereit sein, zumal die alten Grundherrschaften, auf Selbstversorgung und Subsistenzwirtschaft angelegt, in der entstehenden Marktwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Umwandlung der Grundherrschaften in rechtlich attraktivere und wirtschaftlich effizientere Organisationsformen vollzieht sich so verschiedenartig und uneinheitlich wie die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt, mit vielen Rückschlägen und erheblichen regionalen Unterschieden. Nicht überall werden Herrenhöfe sofort und vollständig aufgelöst. Überall aber geraten die starren grundherrschaftlichen Strukturen in Bewegung und laufen in der langfristigen Tendenz vom 12. zum 13. Jahrhundert auf eine Minderung der bäuerlichen Unfreiheit und der grundherrlichen Eigenwirtschaft und auf Verselbstständigung der bäuerlichen Wirtschaft zu. Die villa, jetzt mit »Dorf« zu übersetzen, löst sich von der Grundherrschaft ab und wird zur bäuerlichen Siedlungsgemeinschaft mit örtlich unterschiedlich entwickelten Merkmalen einer Rechtsgemeinde. An ihrer Spitze steht der Schultheiß, Schulze oder burmester (Bauernmeister), meist vom Dorfherrn eingesetzt oder zumindest bestätigt; er repräsentiert die Dorfgemeinde nach außen, auch gegenüber dem Dorfherrn, und hat den Vorsitz in der Gemeindeversammlung und im Dorfgericht.
 
Die Dorfformen, die jetzt entstehen, spiegeln die gesellschaftlichen und siedlungsgeschichtlichen Prozesse. Die ehemals grundherrlichen Gehöfte bilden die typischen unregelmäßigen Haufendörfer des Altsiedellandes. Wo Siedelland durch Rodung oder Trockenlegung neu gewonnen wird, werden Dörfer planmäßig angelegt: lang gezogene Straßendörfer oder Angerdörfer um einen zentralen Platz, um den die Straße sich gabelt. Die Felder der einzelnen Bauern liegen hier abseits der Gehöfte im Gemenge. In den Marschhufen- und Waldhufendörfern der nord- und ostdeutschen Kolonisationsgebiete schließen die Felder streifenförmig an die Gehöfte an; zum Wald bzw. zum Marschland hin offen, werden die Hufen von jedem Kolonisten weiter in die unkultivierte Landschaft getrieben. Solche Reihendörfer entstehen vereinzelt auch in den schmalen Tälern des Schwarzwaldes, wo sonst wie im Allgäu und im Alpenraum Einzelhöfe vorherrschen.
 
 Bauernhäuser — Dorfgesellschaft
 
Landschaftliche Bedingungen bestimmen Form und Bauweise der Bauernhäuser. Das eingeschossige Holzpfostenhaus mit Strohbedachung und ohne Fenster ist schon in der Karolingerzeit bekannt und bleibt noch lange der vorherrschende Haustyp in Mitteleuropa. Die Wände bestehen aus Flechtwerk, das mit Lehm abgedichtet ist, oder — im slawischen Nordosten schon im 11. Jahrhundert — aus soliden Holzbohlen (Blockbauweise). Eine wesentliche technische Erweiterung bringt im 12. und 13. Jahrhundert der Übergang vom Pfosten- zum Ständerbau. Die tragenden Holzteile sind nun nicht mehr in die Erde eingegraben (und damit rascher Verrottung ausgesetzt), sondern ruhen auf Fundamentsteinen und Schwellen. Der stabilere Ständerbau ermöglicht den Aufbau eines zweiten Geschosses, eine bessere Aufgliederung der Innenräume und des Dachbodens und kann Jahrhunderte überdauern, erfordert aber das professionelle Können von Zimmerleuten. In Landschaften, wo das Vieh über lange Winter vor Kälte und Nässe geschützt und häufig feuchtes Getreide eingefahren und nachgetrocknet werden muss, entsteht im hohen Mittelalter das Wohnstallhaus: Das niederdeutsche Hallenhaus oder im Süden das Schwarzwaldhaus vereint Wohnbereich, Stall und Tenne unter einem Dach. Wohnstallhäuser in Holz-Lehm-Bauweise (Fachwerk) sind auch in England, Nordfrankreich, Mitteldeutschland und im Zuge der Ostsiedlung bis nach Osteuropa verbreitet, während in Nordeuropa und in den Alpen kleinere Holzblockbauten, in den waldarmen südeuropäischen Ländern Steinhäuser überwiegen. Waren im Frühmittelalter um das Haupthaus regellos die Nebengebäude gruppiert, Scheune, Speicher, Stall, Backhaus, so bilden sich seit dem 13. Jahrhundert regelmäßige drei- oder vierseitige Gehöftanlagen aus. Jedes Gehöft ist mit einem Zaun umgeben (»umfriedet«), der den Friedensraum des Hauses begrenzt. 40 oder 50 Häuser mit vielleicht 200 Bewohnern mögen zu einem Dorf gehört haben; die meisten dörflichen Siedlungen waren eher kleiner, umfassten zehn oder fünfzehn Höfe, auf denen weniger als 100 Menschen lebten. Die dicht bewohnten Dörfer, die für das Spätmittelalter vereinzelt bezeugt sind, mit bis zu 100 Bauernstellen und 500 oder 600 Einwohnern, dürfen nicht als Regel genommen werden.
 
Eine homogene Gesellschaft bilden die Bewohner eines Dorfes freilich nicht. Hier gibt es Hoch und Niedrig, Arm und Reich, angesehene Familien und Randständige wie überall, freie Großbauern, kleine Häusler, Leibeigene, Gesinde, Tagelöhner. Das Alter der Familie, Umfang und Qualität des Landbesitzes, die rechtlichen Abhängigkeiten entscheiden über soziale Positionen auch im Dorf, und die Unterschiede sind für jedermann sichtbar. Neben dem stolzen Meierhof duckt sich die armselige Kate, die bunte Tracht hebt sich ab von den Lumpen des ländlichen Proletariats. Von einer Sozialidylle ist das Dorf so weit entfernt wie jeder Lebensraum im Mittelalter.
 
 Bedrohte Existenz
 
So gewiss die Landbevölkerung an der allgemeinen wirtschaftlichen Expansion des 12. und 13. Jahrhunderts partizipierte und die rechtliche Besserstellung erstmals ein spezifisch »bäuerliches« Selbstbewusstsein zutage treten ließ, so richtig ist doch auch, dass der rechtliche Fortschritt nicht automatisch und in jedem Falle bessere Lebensbedingungen und mehr Lebensqualität bedeutete. Die bäuerliche Arbeit war eingebettet in den natürlichen Rhythmus des Jahreslaufs, wie ihn die Monatsbilder in den Handschriften illustrieren. Im Juni wurde gepflügt, im Juli das Heu geerntet, im August das Getreide, im September erfolgte bereits die Winteraussaat, im Oktober war die Weinlese, im November und Dezember Schlachtzeit. Die stereotype Abfolge kennt nur gute Jahre; sie verschweigt die ständige Bedrohung durch Naturkatastrophen und Unglücksfälle, Missernten und Hunger. Die insgesamt stabilere Ernährungslage im 12. und 13. Jahrhundert darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bäuerliche Wirtschaft doch störanfällig und extremen Gefährdungen ausgesetzt blieb. Vorräte für Notzeiten gab es so gut wie keine. Fiel die Ernte eines Jahres aus, durch natürliche Unbill oder weil die Horden eines Fehdeherrn die Felder vernichtet hatten, stand das Überleben ganzer Dörfer auf dem Spiel.
 
Die Chronisten, sofern bäuerliches Leben überhaupt ihr Interesse findet, berichten meist nur summarisch; Einzelschicksale werden fast nie plastisch greifbar. Eine Ausnahme bildet der holsteinische Bauer Gottschalk. Im Frühjahr 1190 versetzte er seine Dorfgenossen in helle Aufregung, als er nach einer Vision von seiner Reise durch das Jenseits erzählte. Auch zwei Geistliche der Gegend wurden aufmerksam und schrieben seinen Bericht auf: Gottschalk ist Kolonist in der zweiten Generation, vielleicht fünfzig Jahre alt, ein freier Bauer im nordelbischen Rodungsland. Die Feldarbeit verrichtet er sommers wie winters mit bloßen Füßen oder nur mit dürftiger Fußbekleidung, denn Schuhe besitzt er nicht. Seine Frau, altersschwach und halb erblindet, und sein schwachsinniger Sohn sind ihm kaum eine Hilfe. Als auch noch sein altes Pferd stirbt, ist er ganz auf seine eigene Arbeitskraft angewiesen, und die ist fast aufgezehrt; denn sein Leben lang leidet er immer wieder an schweren Krankheiten. Trotzdem »ist er unermüdlich tätig, Buchen, Eichen und die anderen Bäume nicht nur kurz zu halten, sondern mitsamt den Stubben zu roden, und so erweitert er seine Felder, die Saat zu streuen. Indem er diese Felder bestellt, isst er sein Brot im Schweiße seines Angesichts«. Dies ist kein Land, wo Milch und Honig fließen; Leben im Rodungsland heißt Plackerei wie zu Adams Zeiten. Vielleicht waren die Lebensbedingungen hier noch extremer, die Knochenarbeit noch härter als in den schon länger kultivierten westlichen Siedlungsräumen. Aber überall war bäuerliches Leben zuallererst Angst und Kampf um die Existenz. »Dieser geschlagene Stand hat nichts ohne Mühsal«, befand Adalbero von Laon zu Beginn des 11. Jahrhunderts; der Satz hat noch Jahrhunderte später nichts an Gültigkeit verloren.
 
 Wahrnehmung des Wandels
 
Haben die Zeitgenossen die Veränderungen ihrer Umwelt überhaupt wahrgenommen, die sozialen Erschütterungen, den Wandel der Rechtsverhältnisse, das Verschwinden der Wälder, die Umgestaltung ganzer Landschaften? Dies alles waren ja Prozesse von langer Dauer, die sich über mehrere Menschenalter hinzogen. War das Neue dem Einzelnen erfahrbar?
 
Wohin sind meine Jahre entschwunden, fragt Walther von der Vogelweide am Ende seines Lebens (um 1230), vielleicht habe ich geschlafen und weiß es nur nicht? Nun bin ich aufgewacht und kenne mich nicht mehr aus: liut unde lant, dar inn ich von kinde bin erzogen, die sint mir worden fremde. .. bereitet ist daz velt, verhouwen ist der walt, wan daz daz wazzer fliuzet als ez wilent floz. Das Feld ist bestellt, der Wald ist gerodet, nur das Wasser fließt noch wie immer. Der Dichter blickt voller Wehmut auf den Wandel der Zeiten; neue Horizonte in einer weiter und lichter gewordenen Welt vermag er nicht zu erkennen.
 
Andere registrieren genauer die neuen sozialen Kräfte. Die Literatur des 13. Jahrhunderts entdeckt den Bauern, zuerst als grobschlächtigen Dorftölpel, bald aber auch schon als standesbewussten Landmann. Seitdem bestimmen Dichter, Sänger und Spielleute immer wieder, mal scherzhaft, mal belehrend, seinen Standort in der sich wandelnden Gesellschaft. Ein Volkslied aus dem 15. Jahrhundert lässt einen Bauern zum Streitgespräch mit einem Ritter antreten. Der Ritter prahlt mit seiner edlen Herkunft, seinem Erfolg bei den Frauen, seinen Heldentaten in fernen Ländern. Doch der Bauer hält dagegen: »Was hilft dein Stechen und dein Tanz?« Daran könne er nichts Besonderes finden. Seine harte Arbeit sei es schließlich, die die Welt voranbringe. Wäre der Bauer nicht, wäre es mit dem Ritterleben bald vorbei. Und was den Krieg für die Christenheit angehe, auf den der Ritter so stolz sei: Er habe es doch nur ihm, dem Bauern, zu verdanken, dass er in den Kampf ziehen könne: ich Pauman tu dich senden / mit meinem Gut, das ich dir gib, / mein Silber und mein Gold, / darumb so lass mich haben tail / der deinen Eren Sold! — Wenigstens hier, in der volkstümlichen Dichtung des späten Mittelalters, steht der Bauer selbstbewusst neben dem Edelmann. Eine Fiktion ganz gewiss, doch indem sie dem Bauern unübersehbar literarische Gestalt verleiht, ist sie auch ein Reflex des realen Wandels, durch den die Gesellschaft den Bauern ernst zu nehmen lernte.
 
Dr. Arnold Bühler, Frankfurt
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Gesellschaftsordnung des Mittelalters: Die geistigen Grundlagen mittelalterlicher Ordnung
 
Feudalismus: Familie, Haus, Grundherrschaft im Mittelalter


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