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ANATOMIE: ERKENNTNIS AUS DEM KÖRPER

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Anatomie: Erkenntnis aus dem Körper
 
»In Löwen habe ich seziert und über den Bau des ganzen menschlichen Körpers gelehrt. Infolgedessen scheinen die jüngeren Professoren nun ernsthaft bestrebt zu sein, Kenntnisse der Teile des menschlichen Körpers zu gewinnen, denn sie wissen, welch wertvolles philosophisches Material aus solcher Kenntnis gewonnen werden kann.«
 
Diese beiden Sätze schrieb 1543 der 28-jährige Andries van Wesel, der sich latinisierend Andreas Vesalius nannte, in der an Kaiser Karl V. gerichteten Widmung seiner berühmten »De humani corporis fabrica libri septem« (Sieben Bücher über den Bau des menschlichen Körpers). Wer war dieser Mann, der in der medizinhistorischen Tradition als der neuzeitliche Begründer der wissenschaftlichen Anatomie dargestellt wird?
 
Zu Silvester 1514 als Spross einer ursprünglich aus Wesel stammenden deutschen Familie namens Witing in Brüssel geboren, verlebte er seine Jugend dort als Sohn des Leibapothekers von Karl V. Mit 14 Jahren begann Vesal ein Studium der klassischen Sprachen Latein und Griechisch in Löwen, 1531 wechselte er als Medizinstudent nach Paris. Bei seinen akademischen Lehrern Johann Guenther von Andernach und Jacques Dubois lernte Vesal vor allem traditionelle »galenische« Medizin und Anatomie. Sein Mentor Jacques Dubois sezierte als einer der ersten Anatomen tote Menschen anstelle von Schweinen, benannte Muskeln mit Namen statt mit Zahlen, erfand die Injektion von Farblösungen in Blutgefäße, entdeckte einige Venenklappen und beschrieb das Bauchfell anatomisch korrekt. Dubois blieb aber intellektuell zeitlebens der Tradition verhaftet und erklärte seine eigenen, von den Lehrtexten abweichenden Entdeckungen zu anatomischen Anomalien, um nicht in einen für ihn unerträglichen Widerspruch mit der Überlieferung zu geraten.
 
 Eigene Anschauung gegen gelehrte Tradition
 
Vesal ging eben diesen einen Schritt weiter: Auf Friedhöfen und Hinrichtungsstätten organisierte er sich Leichen zur eigenen Präparation, deren Resultate oft gar nicht mit den Texten der Bücher in Übereinstimmung zu bringen waren. So geriet der junge Arzt immer deutlicher in dasselbe Dilemma wie seine Lehrer: Der Versuch, die antiken Autoritäten zu bestätigen, mündete in deren allmähliche Demontage. Nach Löwen zurückgekehrt, führte Vesal 1536 eine öffentliche Sektion durch, was damals eine Rarität war. Im Dezember 1537 promovierte Vesal an der Universität Padua, worauf er in Padua vom Venezianischen Senat einen fünfjährigen Zeitvertrag als Professor für Chirurgie mit Lehrverpflichtung zur Anatomie erhielt.
 
In diesen fünf Jahren zwischen seinem 23. und 28. Lebensjahr schuf Vesal sein anatomisches Lebenswerk. 1538 veröffentlichte er in Venedig sechs anatomische Tafeln mit drei von ihm selbst entworfenen Arterien- und Eingeweidedarstellungen sowie drei Skelettfiguren des Tizianschülers Jan Steven van Kalkar. In diesen Tafeln wurden manche »Unstimmigkeiten« der galenischen Anatomie wie die fünflappige Leber oder das sechsteilige Brustbein korrigiert. Zwischen 1539 und 1541 beteiligte sich Vesal an einer lateinischen Galenausgabe nach den besten griechischen Handschriften, wobei er vor allem die Übersetzungen seines Lehrers Johann Guenther von Andernach bearbeitete. Philologische Akribie, eigene anatomische Forschungsbegabung und ein hoch entwickelter Sinn für die adäquate optisch-künstlerische Präsentation seiner Leistungen bildeten so ein spezifisches Ensemble von Fähigkeiten, die Vesal für jenes epochale Werk benötigen sollte, das er nun bis zum Herbst 1542 vorantrieb.
 
Die Aufgaben des forschenden Professors und des handwerklich tätigen Prosektors in einer Person vereinigend, sezierte Vesal 1539 die Leichen aller in Padua zum Tode verurteilten Delinquenten. 1540 folgten anatomische Demonstrationen in Bologna. Dabei wurde ihm von Tag zu Tag klarer, dass Galen von Pergamon im 2. Jahrhundert n. Chr. offenbar keine Menschen, sondern überwiegend Rhesusaffen präpariert hatte. So hatte der antike Forscher einen Lendenwirbelfortsatz beschrieben, den Vesal nur am Affenskelett finden konnte. Vesal erkannte aber zugleich, dass Galen auch gar nicht behauptet hatte, eine Anatomie des Menschen darzustellen. Dies war offenbar vielmehr eine irrtümliche Annahme der mittelalterlichen Galentradition.
 
 Die Wiedergeburt der Zergliederungskunst
 
Nach dreijähriger Forschungsarbeit erschien im August 1543 in Basel »De humani corporis fabrica libri septem«, ein 663 Seiten starker Foliant, mit dem der Autor berühmt und zum viel gerühmten Begründer der wissenschaftlichen Anatomie der Neuzeit wurde. Mehr als 250 Illustrationen, 14 ganzseitige »Muskelmänner« und drei Skelette, gezeichnet von Tizian oder einem seiner Schüler, vor Landschaftsmotiven des von Tizian beeinflussten Malers Domenico Campagnola, mit einem Vesalporträt von Jan Steven van Kalkar vor dem eigentlichen Text, machten das in ciceronianischem Neulatein gehaltene Werk nicht nur in anatomischer und stilistischer, sondern auch in ästhetischer Hinsicht zu einem einzigartigen Buchprojekt.
 
Die »Fabrica« zeigt keineswegs nur eine statische Anatomie der Körpermechanik, sondern sie bietet eine Rekonstruktion von Gestalt und Funktion. Das Studium der Funktion gelang Vesal mithilfe von Sektionen an lebenden Hunden und sogar an trächtigen Schweinen. Dass es sich bei diesen aus heutiger Sicht grausamen Tierexperimenten nicht um nebensächliche Randerscheinungen handelte, wird auch aus der Komposition des Gesamtwerks deutlich: Da sich der Text am Schluss des siebenten Buchs, also ganz am Ende der »Fabrica«, mit der Vivisektion beschäftigte, wurde der Holzschnitt mit einem auf ein Brett fixierten Tier in das Initial Q des Wortes »Quantumvis« übernommen, mit dem die einleitende Widmung beginnt.
 
Die »Fabrica« als Dokument einer »Renata dissectionis ars«, einer Wiedergeburt der Zergliederungskunst, bestimmte im folgenden Jahrhundert den Forschungsprozess in Anatomie und Chirurgie, während die Holzschnitte aus dem Umfeld Tizians ebenso auf die Darstellung des Menschen in der bildenden Kunst zurückwirkten. Auch in der Medizin wirkte das Werk des Vesal zum einen über seine Illustrationen, zum anderen durch seinen Text.
 
Vesal beendete bald nach der Veröffentlichung der »Fabrica« seine akademische Laufbahn und folgte als Leibarzt Kaiser Karl V. auf dessen Eroberungszügen, sofern er nicht in Brüssel als Arzt und Chirurg praktizierte. 1544 heiratete er Anna van Hamme, die ihm eine Tochter gebar. Mit König Philipp II., dem Nachfolger Karls auf dem spanischen Thron, ging Vesal 1559 in die neue Residenz nach Madrid, wo er seine letzten Lebensjahre als Leibarzt und Fachautor verbrachte. Im Frühjahr 1564 begab er sich auf eine angebliche Pilgerreise nach Jerusalem, die er in Venedig unterbrach, um wegen der Übernahme des freien Lehrstuhls für Anatomie an der Universität Padua zu verhandeln. Auf dem Rückweg von Jerusalem soll Vesal am 5. Oktober 1564 auf der Insel Zakynthos im Ionischen Meer plötzlich gestorben sein. Die Spekulationen um seine Todesursache reichen von Ertrinken über Krankheit bis Mord, aber diese Frage wird wohl für immer ungeklärt bleiben.
 
Prof. Dr. Axel W. Bauer


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