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ARIOSTO: »ORLANDO FURIOSO« UND DAS RENAISSANCEEPOS IN ITALIEN

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Ariosto: »Orlando furioso« und das Renaissanceepos in Italien
 
Seit dem 13. Jahrhundert wurden in Oberitalien Episoden aus der altfranzösischen Heldenepik in einer frankoitalienischen Mischsprache vorgetragen. Hatte man dabei zunächst noch die aristokratische Ideologie der französischen Modelle respektiert, so führte die Erstarkung des städtischen Bürgertums von etwa 1260 an zu einer Umwandlung der Vorlagen: Karl der Große wird aus seiner alten, alles beherrschenden mythischen Position verdrängt, und sein Paladin Roland, der tragische Held von Roncesvalles, gewinnt als Kämpfer und Liebender ein literarisches Profil, das das des Kaisers weit überragt. Dabei kam ihm zugute, dass man sich nun nicht mehr mit den herkömmlichen Berichten von Schlachten und Einzelkämpfen aus den Chansons de geste zufrieden gibt, sondern die Handlungsmuster der Umarbeitungen mit den fantastischen und wunderbaren Geschicken anreichert, denen die Ritter der arthurischen Tafelrunde im höfischen Roman unterworfen sind. Dadurch spielen Frauen eine immer bedeutendere Rolle im Handlungsgeflecht des Erzählten, und die Liebe wird zum zentralen Thema aller geschilderten Verwicklungen. Wie begeistert man diesen neuen Produkten der Spielmannszunft lauschte, zeigt eine Anordnung des Stadtrates von Bologna aus dem Jahr 1288, die den Spielleuten untersagte, auf öffentlichen Plätzen aufzutreten, da sie den Verkehr behinderten.
 
Die im 14.Jahrhundert entstandene anonyme »Entrée d'Espagne«, die wie eine Einleitung zum »Rolandslied« wirkt, zeigt diese neuen Entwicklungen bereits deutlich: Während Karl der Große gegen die Mauren kämpft, entfernt sich Roland eigenmächtig von dessen Heer und erobert eine Stadt. Bei seiner Rückkehr gibt Karl ihm eine Ohrfeige, woraufhin ihn Roland erneut verlässt, um im Orient eine Reihe wunderbarer Abenteuer zu bestehen, unter anderem verliebt er sich in ein schönes und sinnliches Heidenmädchen, das er in siegreichem Kampf verteidigt hat. Am Schluss der Geschichte - Ende gut, alles gut - nimmt Karl ihn versöhnt wieder auf. Schon aus dieser Inhaltsangabe wird deutlich, wie sich die Elemente von heldischem und höfischem Epos miteinander verbinden.
 
Eine Reihe weiterer Texte nehmen die hier erkennbaren Handlungsstränge auf - Konflikte zwischen Herrscher und Vasallen, Abenteuersuche und besonders die Verliebtheit des Helden. Selbst Karl der Große bleibt von ihr nicht verschont, wie wir dem »Innamoramento di Carlo Magno« von 1481 entnehmen.
 
Derweilen fand Roland - sein italienischer Name ist Orlando - die Autoren, die seine literarische Weltkarriere vorbereiteten: Luigi Pulci und den Grafen Matteo Maria Boiardo. Wohl 1461 begann Pulci in Florenz mit dem Entwurf eines Epos aus dem karolingischen Sagenkreis, das die Auseinandersetzung zwischen Heidentum und Christentum zum Inhalt hat. In einer Zeit zunehmender Bedrohung durch die Türken dürfte diese Themenwahl auch durchaus aktuelle Gründe gehabt haben. Die bunte und bewegte Handlung setzt am Hof Karls des Großen mit einer gegen Orlando gerichteten Verleumdung des Verräters Ganelon ein, die hier wie in der »Entrée d'Espagne« dazu führt, dass Orlando fortzieht. Schon rasch hat er sich einer ersten Herausforderung zu stellen - drei grässliche Riesen bewerfen ein Kloster mit Steinen. Zwei von ihnen tötet er. Der dritte jedoch tritt zum Christentum über und wird fortan Orlandos Knappe. Seinen Namen trägt das ganze Epos: »Morgante«. Diese beiden und weitere Paladine Karls bestehen nun militärische und magische Abenteuer, Liebesverwicklungen und immer neue Intrigen, vor denen sie ein schwächlicher und leichtgläubiger Kaiser nicht bewahren kann. Das sprachlich an den »Cantari« der Spielleute orientierte Werk verweist mit seinen komischen und ironischen Abschnitten auf Entwicklungen, die das heroisch-komische Epos im 17. Jahrhundert in Italien wieder aufnahm.
 
Auch Boiardos »Orlando innamorato« (»Der verliebte Roland«), dessen 1. Fassung 1483 entstand, beginnt am Hof Karls des Großen. Der Kaiser hat aus allen Teilen seines Reiches eine »unendliche Menschenmenge« zusammengerufen, um ein großes Turnier zu feiern. In diese festliche Veranstaltung kommt die wunderschöne, mit magischen Fähigkeiten ausgestattete Angelica, um die besten christlichen Ritter zu einem Zweikampf mit ihrem Bruder zu überreden. Wer den Bruder besiegt, soll Angelica als Preis erhalten. Der Bruder aber wird getötet, und Angelica flieht vor den Rittern, die sie von Anfang an durch ihre Schönheit verzaubert hat. Besonders Roland ist betroffen. Sein Herz bebt, an seinem Gesichtsausdruck kann man den Widerstreit seiner Empfindungen erkennen. Amor hat ihm seine Zügel angelegt und kann ihn beliebig lenken. Wie Petrarca ist er seiner Leidenschaft schutzlos ausgeliefert. So kommt es, dass er und sein Vetter Rinaldo die fliehende Angelica am intensivsten verfolgen und dabei bewegende und merkwürdige Abenteuer erleben. So stoßen Rinaldo und Angelica auf die Quellen des Zauberers Merlin, doch während Angelica aus der der Liebe trinkt, trinkt Rinaldo aus der des Hasses; diese Szene wird sich genau umgekehrt noch einmal wiederholen: Bild der Sinnaufhebung der ursprünglichen höfischen Vorstellung von der läuternden Kraft der Liebe zugunsten der Regellosigkeit vernunftferner Instinkte. Boiardo vollendete sein Werk nicht. 1494, in dem Augenblick, in dem er die Schlacht zwischen. Christen und Heiden um Paris beschrieb, brach Karl VIII. in Italien ein. Der Dichter sieht sein Land »ganz in Feuer und Flammen durch diese Franzosen« - die Wirklichkeit macht die Fiktion unmöglich.
 
Aber es dauerte nur etwa zehn Jahre, bis ein anderer am Hof der Este Boiardos Erzählfaden an dieser Stelle wieder aufnahm, die Christen die Schlacht zunächst verlieren und Angelica erneut aus Paris fliehen lässt: Ludovico Ariosto. Sein Orlando ist aber nicht mehr nur verliebt, er ist »furioso«, rasend, und wird »pazzo«, verrückt. Er sprengt alle Maße vernünftiger Menschlichkeit, als er bemerkt, dass Angelicas Liebe zu dem einfachen Soldaten Medoro Erfüllung findet. Vor dem Hintergrund des Glaubenskrieges hält Ariosto Personen und Handlung in ständiger Bewegung. Christen und Heiden suchen Angelica zu erlangen, werden mit magischen Gegenständen, wunderbaren Ereignissen und immer neuen Intrigen konfrontiert; geschrieben in einer Sprache, die die Leichtigkeit des Alltäglichen mit dem literarischen Toskanisch des 14. Jahrhunderts zu einer wohl nie wieder erreichten Harmonie und Klangschönheit verbindet. In die vielen Handlungsstränge und Episoden eingebettet ist auch die Geschichte von Ruggiero und Bradamante, die Ariosto zum mythischen Gründerpaar der estensischen Sippe macht. Das Epos endet mit einem gewaltigen Sieg der Christen und mit Orlandos Genesung: Auf einem geflügelten Pferd hat der englische Herzog Astolfo die Ampulle vom Mond geholt, die Orlandos Verstand enthält. Er lässt Orlando an ihr riechen, und die Welt hat den Paladin wieder. Die Vernunft und das Maß haben gesiegt. Der Optimismus einer Epoche, die auf die Würde und die Individualität des Einzelnen vertraut, auf die Kraft des Geistes und die Lieblichkeit des Sinnlich-Schönen, hat im »Orlando furioso« unverwechselbar und einzigartig Gestalt gewonnen. So ist dieser »Romanzo« kein melancholisch-nostalgischer Abgesang auf den Untergang der Ritterwelt, sondern ein Preislied auf Menschlichkeit, Freiheit und Fantasie. Kein Wunder, dass bildende Künstler, Komponisten und Schriftsteller sich immer wieder Anregungen aus Ariostos Werk geholt haben.
 
Auch Torquato Tassos »Gerusalemme liberata« (1581) hat in dieser Weise weitergewirkt, jenes hohe Lied auf Gottfried von Bouillon und seine Eroberung Jerusalems, das geprägt ist vom Geist eines Epochenumbruchs. Es ist der Weg vom Optimismus der Renaissance in die Melancholie und die Spielarten der Täuschung des Barock, von individueller Entfaltungsmöglichkeit in gegenreformatorische Knebelung, ins Helldunkel von Sünde und Erlösung, von den widerstreitenden Prinzipien der Engel und Teufel. Erfüllt ist auch dieses Werk von vielen Nebenhandlungen, in denen sich der ganze Reichtum der Sprache Tassos, ihr Spektrum von epischer Erhabenheit bis zu feinster lyrischer Zartheit, aber auch seine sublime Charakterisierungskunst entfalten kann.
 
Prof. Dr. Wolf-Dieter Lange
 
Literatur:
 
Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen u. a. 111993.
 Hardt, Manfred: Geschichte der italienischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Düsseldorf u. a. 1996.


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