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ANTIKE ALS VORBILD: WELCHE WIRKUNG HAT DIE DICHTUNG?

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Antike als Vorbild: Welche Wirkung hat die Dichtung?
 
Das Denken, die Kulturen Griechenlands und Roms prägen das abendländische Mittelalter. Bleiben dabei die Wege von Athen und Alexandria nach Byzanz eher verbunden, so kennzeichnen diejenigen von Rom aus in die verstreuten geistigen Brennpunkte Nord-, Süd- und Westeuropas, nach Montecassino, Sankt Gallen und Bobbio, nach Sevilla, Toledo und Aachen, nach Cluny und Paris, eher Brüche und Annäherungen sowie die Suche nach Autoritäten und Identitäten.
 
Im romanisch-germanischen Kulturkreis waren Cassiodor im 6., Isidor von Sevilla im 7. und die Gelehrten um Karl den Großen im 8. und beginnenden 9. Jahrhundert für die Aufnahme entsprechender Einflüsse im Wesentlichen mitverantwortlich. Cassiodor, der hohe Staatsbeamte und enge Berater Theoderichs des Großen verknüpfte die antike mit der christlichen Bildung; der Bischof von Sevilla sammelte die gesamte antike Gelehrsamkeit in einer Art Enzyklopädie, die jahrhundertelang den Rang eines unersetzlichen Nachschlagewerkes besaß; am karolingischen Hof schließlich bemühten sich die bedeutendsten Gelehrten der damaligen Zeit um ein intensives Verständnis der römischen Kultur.Klösterliche Kopisten sorgten durch ihre Schreibtätigkeit für die handschriftliche Weitergabe von Texten, Kloster- und Kathedralschulen trugen durch die Lehre dazu bei, die Kenntnisse der antiken Kultur zumindest fragmentarisch zu erhalten. Die in diesem Zusammenhang ausgewählten Werke, die der Kirche genehm sein mussten, wurden nachgeahmt, nach der theologischen Lehre vom vierfachen Schriftsinn interpretiert oder durch ein Netzwerk von Erklärungen dem zeiteigenen geistlichen und philosophischen Wissen und Denken eingefügt. Dies führte auch zur Ausbildung der Vorstellung von der Weitergabe allen antiken Wissens in ein jeweils neues kulturelles Zentrum, von der »Translatio studii«, zum ersten Mal von Alkuin am Hof Karls des Großen formuliert und im 12. Jahrhundert von. Chrétien de Troyes in der Einleitung zu seinem Versroman »Cligès« in dieser Weise festgehalten: »Dies haben uns unsere Bücher gelehrt, dass Ritterschaft und Bildung zuerst in Griechenland herrschten. Darauf gelangten Ritterschaft und die Summe allen Wissens nach Rom. Diese ist jetzt in Frankreich angekommen.«
 
Vor diesem Hintergrund sahen sich die mittelalterlichen Autoren im Verhältnis zu den antiken nach den Worten, die Petrus von Blois, einer der glanzvollsten Stilisten der mittellateinischen Literatur des 12. Jahrhunderts, an Bischof Reginald von Bath richtete, als »...Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen...«, und er fährt fort: »(Ihnen) verdanken (wir es), dass wir weiter sehen als sie selbst; dies aber tun wir, indem wir die wohlgeformten Sätze aus den Schriften der antiken Autoren, die vom Alter erschlafft und von sorglosen Menschen vernachlässigt worden sind, als gleichsam tote Sätze zu neuem Leben erwecken.«
 
Diese Einstellung gegenüber den Autoren der römischen Antike änderte sich etwa anderthalb Jahrhunderte später mit Francesco Petrarca radikal. Aus Autoritäten und Lieferanten enzyklopädischer Bildung wurden »Freunde«, »Gesprächspartner«, »Vertraute«. Petrarca und seine humanistischen Nachfolger gewannen aus den Texten des klassischen Altertums Einsichten in Moral und Gesellschaft, in Kunst und Geschichte, die die einzigartige innerweltliche Sonderstellung des Individuums begründeten. Der Anschauung des Mittelalters, der Einzelne sei Glied in einer auf Gott hin ausgerichteten Ordnung und daher als Person nur aus diesem Grund von Bedeutung, wird damit programmatisch widersprochen: Damit stehen wir am Beginn jenes neuzeitlichen Denkens, das sich über Reformation und die Französische Revolution von 1789 als Basis der von uns erlebten Moderne entfalten wird.
 
Diese Umwälzung ging in spezifischer Weise auch in das theoretische Nachdenken über die Literatur, ihre Poetik also, ein. Formale und inhaltliche Kriterien bestimmten die antiken Überlegungen über Entstehung und Wirkung von Dichtung. Sie kann von den Musen oder vom Liebesgott inspiriert sein, sie muss auf vollendete Technik achten, und sie soll, wie Horaz in seiner »Ars poetica« (»Von der Dichtkunst«) sagte, nützen und erfreuen. Für die volkssprachlichen Literaturen des Mittelalters gewann aus dieser Vielfalt der von den Lehrfächern Grammatik und Rhetorik bestimmte formale Aspekt einen hohen Vorrang.
 
Besonders im Zusammenhang mit den verschiedenen Formen der Troubadourlyrik in Südfrankreich, Katalonien, Spanien und Portugal bildete sich daher seit dem 13. Jahrhundert das Genre der Dichtungsgrammatiken aus, das - im Laufe der Zeit mit literarischen Gattungsbeispielen angereichert - noch im 16. Jahrhundert anzutreffen ist. Die antiken Inspirationstheorien fanden dort unterschiedliche Aufnahme: Amor wurde in körperfeindlicher Zeit zu einem Abstraktum, das seine Wirkkraft allein in spiritueller Überhöhung - wie bei Dante und seinen stilnovistischen Freunden - demonstrieren darf, und aus den Musen wurde der Gott der Christen, der gnadenhaft die poetische Schöpfergabe gewährt. Aus dieser Überlegung leitete der Paduaner Albertino Mussato Anfang des 14. Jahrhunderts den Vorrang der Dichtung vor der Theologie ab und wendete sich damit gegen Thomas von Aquino. Er formulierte die humanistische Grundansicht von der alles überragenden Bedeutung des Dichters, die nach außen hin deutlich wurde, als man ihn 1315 in seiner Geburtsstadt als ersten nachantiken Autor mit dem Dichterlorbeer krönte.Petrarca, der 1341 zum Dichter gekrönt wurde, und Boccaccio kannten seine Anschauung und führten sie fort.
 
Boccaccios zentrale Argumentation in seinen »Göttergenealogien« richtet sich zunächst gegen den schon von Platon erhobenen Vorwurf, dass die Dichter Lügner seien. Dies sei nicht zutreffend, da Lüge mit dem bewussten Vorsatz, etwas zu verfälschen, verbunden ist, die Dichter aber nicht verfälschen, sondern aufgrund ihrer Imagination in erhaben geformter Rede neue Wirklichkeiten stiften. Argumente für ihre Auffassung von der besonderen Qualität literarischer Studien und von der hervorragenden gesellschaftlichen Rolle des Dichters fanden Petrarca und Boccaccio in Ciceros »Rede für den Dichter A. Licinius Archias«, die Petrarca im Sommer 1333 in Lüttich entdeckt und bereits in seiner dichtungstheoretischen Grundsatzrede auf dem Kapitol zitiert hatte. Die literarischen Studien nämlich, sagt Cicero, »sind eine Anleitung für die Jugend, eine Freude des Alters, eine Zier im Glück, Zufluchtsstätte und Trost im Unglück, ein Genuss in der Heimat und in der Fremde keine Last; sie sind bei uns des Nachts und begleiten uns auf Reisen und aufs Land«.
 
Nach humanistischer Auffassung hatte der Dichter die Aufgabe, von Ruhm und Ehre großer Männer und Frauen, von ihren Taten, zu berichten. Er musste dazu nicht nur begabt und gebildet, sondern auch von großer sittlicher Integrität sein, um so Leitbilder für Zeitgenossen und Nachfahren zu entwerfen. Die hohen politischen Funktionen, die eine Reihe von Humanisten innehatte, finden in diesen Darlegungen ebenso ihren Grund wie die humanistische Überzeugung von der öffentlichen Wirkung des Dichters.
 
Prof. Dr. Wolf-Dieter Lange
 
Literatur:
 
Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Tübingen u. a. 111993.


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