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EVOLUTION: LEBENDE FOSSILIEN

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Evolution: Lebende Fossilien
 
Wir Zeitgenossen des 20. und 21. Jahrhunderts sind ständigen Veränderungen der Technik, die uns umgibt, der Politik, der Kunst und auch der Mode ausgeliefert, und so entstand zuerst ein Gefühl und dann die Ansicht, dass sich alles ständig verändert, fortentwickelt — zum Guten oder zum Schlechten. Demgegenüber erscheinen Dinge, die sich seit langen Zeiten überhaupt nicht geändert haben, wie eine Rarität. Auch tierische und pflanzliche Entwicklungslinien, die irgendwann einmal zum Stillstand kamen und seitdem immer noch existieren — Darwin nannte sie »lebende Fossilien« —, erscheinen uns als etwas Besonderes oder als große Ausnahme.
 
Eigentlich sollte es uns nachdenklich stimmen, wenn uns jemand darauf aufmerksam macht, dass der Salzgehalt unseres Blutes uns an die Herkunft unserer devonzeitlichen Wirbeltiervorfahren aus dem Meerwasser erinnert. Auch die linsenförmigen Chloroplasten in den Pflanzenzellen sind schätzungsweise seit mehr als 500 Millionen Jahren in ihrer Form und vermutlich auch ihrer Effektivität unverändert und erfüllen so ohne ständig verändert zu werden ihre Aufgabe.Unter den Grünalgen gibt es Entwicklungslinien mit bandförmigen, plattenförmigen und sogar hohlspiegelförmigen Chloroplasten. Es wäre demnach denkbar, dass höhere Pflanzen bei ihrer so vielseitigen Entwicklung in viele Richtungen auch dieses Merkmal in ihre Veränderung einbezogen hätten; aber sie haben es nicht.
 
Die so eindeutige Konstanz wichtiger Strukturen, neben einer ebenso eindeutigen Veränderung, also Entwicklung anderer Strukturen führten im Fall des Urvogels Archaeopteryx die Forscher dazu, von einem Mosaikmodus der Evolution zu sprechen: Wenige Mosaiksteinchen verändern und entwickeln sich, alle andern bleiben, wie sie immer waren. Wahrscheinlich verwirklicht sich eine Veränderung immer nur auf der Grundlage der Konstanz vieler anderer effektiver Strukturen.
 
 Ginkgobaum
 
Der Ginkgobaum ist ein Beispiel seit 200 Millionen Jahren stehen gebliebener Entwicklung. Vor wenigen Jahren fand man in China in jurazeitlichen kohlenführenden Sedimenten neben den typischen Blättern auch die aufrecht stehenden Samenanlagen. Damit ist sichergestellt, dass die Gattung Ginkgo seit der Jurazeit existiert. Entsprechende Blattfunde lassen sich bis ins Perm zurückverfolgen und sind im Kupferschiefer relativ häufig zu finden. Bis zur Zeit der pleistozänen Vereisung waren Ginkgobäume in relativ wenig voneinander abweichenden Arten in Europa, Nordamerika und vor allem Asien verbreitet. Nach den Eiszeiten blieb nur eine einzige Ginkgoart in Japan und China übrig, ein Rest aus dem wärmeren Tertiär.
 
Auch die Nadelbäume (Koniferen) sind ein ähnliches Beispiel langsamer und geringfügiger Evolutionsintensität. Noch heute ist die Zahl ihrer Arten, Gattungen, Familien gering, verglichen mit der Artenfülle und Entwicklungsvielfalt der modernen Bedecktsamer (Angiospermen). Aber große Gebiete zum Beispiel in Kanada und Sibirien werden durch Nadelwälder eingenommen, das heißt ihr Anteil an der Biosphäre ist nach wie vor beträchtlich. Sie entstanden an der Wende der Karbon- zur Permzeit als entwicklungsgeschichtliche Alternative zur Farn- und Samenfarnflora der Steinkohlenzeit. So wie diese Bäume damals vor 200 bis 300 Millionen Jahren aussahen, so sehen sie auch noch heute aus. Es sind keine Wasserpflanzen, Epiphyten, Kräuter oder Sträucher aus ihnen entstanden. Mit geringen Abweichungen blieben sie immer viele Jahre alt werdende Bäume mit Nadel- oder verkürzt nadelförmigen Blättern.
 
Noch eindrucksvoller, aber weniger bekannt ist das Vorkommen des kleinblättrigen Bärlappgewächses Selaginella in der Zwickauer Steinkohle. Ähnlich überrascht war die Fachwelt, als russische Forscher in Sibirien die Moosgattung Sphagnum fossil in permzeitlichen Kohlen fanden. Vorsichtig benennen die Spezialisten dieses fossile Torfmoos als Protosphagnum und den oberkarbonzeitlichen Moosfarn als Selaginellites, aber die Tatsache ist unübersehbar, dass diese Entwicklungen schon vor Hunderten von Millionen Jahren fertig waren und sich seitdem nur wenig als Arten, allenfalls als Gattungen veränderten. Eine Evolutionsmüdigkeit steht somit der sonst so üblichen Evolutionsfreudigkeit anderer Entwicklungslinien gegenüber.
 
 Perlboot
 
In der Tierwelt gilt Nautilus, das Perlboot, als Beispiel einer extrem langlebigen Entwicklungslinie der Mollusken. Heute leben die sechs Arten von Nautilus in einem Gebiet des westlichen Pazifischen Ozeans zwischen den Molukken, Philippinen und den Fidschi-Inseln. Man nimmt an, dass die am Ende der Kreide ausgestorbenen Ammoniten ebenso wie Nautilus Vierkiemer, somit Alt-Tintenfische waren. Die schneckenförmig aufgerollte Schale bei Nautilus ebenso wie bei den Ammoniten versteht man als eine sehr komplizierte Anpassung an das Bedürfnis der freien Ortsveränderung im Meerwasser. Dieses mit körpereigenem Gas gefüllte Gehäuse funktioniert nun seit 500 Millionen Jahren als hydrostatischer Apparat, in dem der in der Mitte gelegene Sipho dem Pumpvorgang dienen, und die braunen Membranen in den vorderen Kammern nach einem die Kammerflüssigkeit aufsaugenden Löschpapierprinzip funktionieren. Zum horizontalen Schwimmen nach dem Rückstoßprinzip benutzt Nautilus seinen Trichter, der aus zwei Lappen unterhalb des Kopfs besteht, die sich nach außen, zur Schale hin übereinander legen. Es ist damit nicht so wirksam wie bei andern Kopffüßern (Cephalopoden), den Zweikiemern oder Neu-Tintenfischen. Aber im Gegensatz zu den Geradhörnern (Orthoceren) des Ordoviziums und den so viele Leitfossilien liefernden Ammoniten haben die Nautiloideen durch langsame Evolution ihrer Gattungen und Arten bis heute überlebt.
 
Ähnlich liegen die Verhältnisse beim heute im Flachmeer der nord- und mittelamerikanischen Ostküste lebenden Pfeilschwanzkrebs Limulus. Fast identische Reste der Gattung fand man im Solnhofener Plattenkalk (Oberjura). Die Entwicklung dieser »Schwertschwänze« (Xiphosuren) geht bis ins Unterkambrium zurück.
 
Zu den niederen Krebsen (Phyllopoden) zählt der Blattfußkrebs Triops cancriformis, heute (rezent) weit verbreitet im Süßwasser der ganzen Nordhemisphäre. Die hartschaligen Eier können jahrelang trocken liegen, dann aber wachsen die Krebse innerhalb weniger Sommerwochen bis zehn Zentimeter Größe heran. Triops cancriformis tritt nur sehr lokal, dann aber stets häufig auf. Diese Art existiert unverändert seit der Obertrias, also seit über 200 Millionen Jahren. Einige Forscher bewerteten den fossilen Triops cancriformis als Unterart der rezenten Art und fügten dem Artnamen ein »minor« zu. Wir haben in diesem Beispiel eine bis heute lebenstüchtige und zugleich nahezu stagnierende Entwicklung vor uns.
 
Wie die bisher genannten Beispiele belegen, erweisen sich nicht allein die Tiefen ferner Ozeane als Refugium »zählebiger Konservativstämme«, sondern auch das Flachmeer der Ostküste Nordamerikas. Sogar Süßwasseransammlungen können noch lebende Fossilien enthalten.
 
 Quastenflosser
 
Besonders interessant für uns sind lebende Fossilien, die später getrennt verlaufende Entwicklungen verbinden, Zeugen für den Ausgangspunkt einer Entwicklung. Ein heute noch lebender Zeuge für die Herkunft der Landwirbeltiere aus dem Reich der im Meer lebenden Fische wurde die 1952 zum ersten Mal für die Wissenschaft gefischte Latimeria chalumnae. Den Fischern an der Küste der Komoren in der Straße von Moçambique war dieser eigenartige Fisch schon länger bekannt, und bereits 1938 hatte ein Kapitän eines Fischdampfers einen solchen Fisch erworben und in Südafrika Museumsleuten und Fischspezialisten zur Verfügung gestellt. Leider war dieses erste Exemplar durch die beginnende Verwesung schon stark beschädigt, aber die bearbeitenden Spezialisten erkannten in ihm den Quastenflosser und damit die ausgestorben geglaubte Ordnung der Crossopterygier. Das waren diejenigen Fische des Devons vor 370 Millionen Jahren, die sich mit gliedmaßenähnlichen Paarflossen anschickten, am Küstenboden laufen zu lernen — Ur-Vorfahren aller Tetrapoden. Derartige Quastenflosser wurden fossil zuerst im Unterdevon, dann häufig im Mitteldevon gefunden und dann, wenn auch seltener, in den folgenden Zeiten, beispielsweise im Solnhofener Plattenkalk (Oberjura) und zuletzt in der Oberkreide. Aus dem Tertiär kennt man bisher keine Funde und so schien diese interessante Fischordnung, die als Zwischenglied zwischen den Fischen und den Amphibien gilt, ausgestorben. Das wissenschaftliche Interesse stimuliert seit den ersten Funden den Fang weiterer, sogar noch kurze Zeit lebender Exemplare. 1998 wurde ein Vertreter dieser Art auch nördlich der indonesischen Insel Celebes gefangen.
 
Die bis 1,60 m langen Tiere zeigten ganz erstaunliche Bewegungsmöglichkeiten der gliedmaßenähnlichen Paarflossen nach allen Richtungen. Mit diesen Quastenflossen stützt sich die Latimeria auf dem felsigen Boden in 150 bis 800 m Tiefe und kann sich auch schreitend fortbewegen. Quastenähnlich gestaltet sind auch die zweite Rückenflosse und die Afterflosse. Die mächtige Schwanzflosse ist dreiteilig und gestattet ein kraftvolles Zustoßen auf die Beute. Es besteht ein Rudiment einer Lunge. Der in sich durch ein Gelenk zwischen Vorder- und Hinterhaupt bewegliche Hirnschädel zeigt eine große Schädelhöhle und ein winziges Gehirn von nur drei Gramm Gewicht. Schließlich wurde auch ein weibliches Exemplar von 1,60 m Länge gefangen, das fünf fast ausgewachsene Embryonen in sich trug. Latimeria war demnach lebend gebärend. So scheint sogar heute Latimeria den Fischen systematisch ferner zu stehen als den Festlandtieren (Tetrapoden) und hat doch in den Tiefen des Meers eine erstaunlich lange geologische Zeit überlebt.
 
Weniger aufregend mag uns ein winziges, flachkegeliges Gehäuse aus der tiefsten Biozone des baltischen Kambriums erscheinen, phosphatische runde Schälchen, die zu den ältesten Schalenfossilien Europas gehören: Urgestalt eines Mollusken. Man erfand für sie 1940 den systematischen Begriff Monoplacophoren, einschalige Mollusken, die gegliederte Haftmuskeleindrücke zeigen. Diese deutet man als eine ursprüngliche Körpergliederung (Metamerie) und damit als Herkunft oder Konvergenz zu den Gliedertieren (Ringelwürmer, Stummelfüßer, Zungenwürmer, Gliederfüßer und andere).
 
Diese Monoplacophoren galten bis vor wenigen Jahrzehnten als eine ausgestorbene, fossile systematische Klasse, bis im Jahr 1952 Mitarbeiter einer dänischen Tiefsee-Expedition im Stillen Ozean in ihrem Schleppnetz aus 3 570 m Tiefe vor Costa Rica Exemplare eines kleinen, unscheinbaren Tieres mit im embryonalen Teil spiralig (schneckenartig) gestalteter Schale bargen. Die wissenschaftliche Bearbeitung ergab, dass dieses lebend gefundene Tier das rezente Gegenstück zur kambrischen Monoplacophore Pilina war. Man nannte dieses lebende Fossil nun Neopilina galathea. Neopilina lebt auf Schlammböden der Tiefsee. Die Segmentierung der Organe (Muskeln, Nervenstränge, Kiemen, Nieren) bereitet den Spezialisten nach wie vor Kopfzerbrechen, ist diese doch bei den Muscheln, Schnecken und Nautilus rückgebildet, bei den Käferschnecken aber noch vorhanden. Ist Neopilina damit den Urmollusken nahe oder nur konvergent?
 
Was wir noch bewundern sollten, ist die Tatsache, dass im großen Evolutionsgeschehen der Biosphäre derart alte und offenbar nicht nur zu ihrer Zeit bewährte Arten (genetische Codes) als Populationen in ökologischen Nischen, in Refugialgebieten oder sogar mitten in unserer Umwelt erhalten geblieben sind — von der Natur nicht weggeworfen wie ein überflüssiges technisches Gerät. Das liegt daran, dass derartige persistente Formen oft auch sehr ursprüngliche Strukturen in sich tragen, von denen einmal spezialisierte Entwicklungslinien ausgegangen sind. Bewahrt die Biosphäre derartige Lebensformen für zukünftige Entwicklungen?
 
Prof. Dr. Rudolf Daber, Berlin
 
Literatur:
 
Thenius, Erich: Lebende Fossilien. Stuttgart 1965.
 Ward, Peter Douglas: Der lange Atem des Nautilus oder warum lebende Fossilien noch leben. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1993.


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