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CHINESISCHE NOVELLE UND CHINESISCHER ROMAN: VON WAHREN UND ÜBERNATÜRLICHEN BEGEBENHEITEN

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chinesische Novelle und chinesischer Roman: Von wahren und übernatürlichen Begebenheiten
 
Der besondere Reiz der chinesischen Erzählliteratur besteht in dem Wechselspiel der gegenläufigen Traditionen, die sie in der klassischen Schriftsprache und in der populären Umgangssprache besaß. Die Erzählliteratur wurde natürlich größtenteils primär mündlich konzipiert und zunächst auch so vorgetragen; »Erzähler« lassen sich als Unterhalter von Volk und Adel sowohl archäologisch in Gestalt von entsprechenden Figuren als Grabbeigaben als auch durch schriftliche Berichte in Geschichtswerken bis mindestens ins frühe erste Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen. Trotzdem wurde die Erzählliteratur bis etwa ins 12. Jahrhundert hinein, von einigen Ausnahmen abgesehen, in Schriftsprache notiert, die allerdings erst in einem langen Prozess, der in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. immer offenkundiger wurde, hinter der Umgangssprache zurückblieb. Inhaltlich klafften die zwei Erzähltraditionen anfangs allerdings weniger weit auseinander: Sie behandelten beide historische Motive, darunter Anekdoten und Biographien, Abenteuer von Rittern, Geister- und Spukberichte, etwas später Liebesgeschichten und zuletzt auch Detektiv- und Gerichtsfälle.Im Bereich des sich seit dem frühen 16. Jahrhundert herausbildenden umgangssprachlichen Romans wurde das Repertoire dann allerdings entscheidend erweitert, besonders in Richtung auf die Familien- und Sittenthematik, innerhalb derer dann auch autobiographische Motive auftauchten, während seit der gleichen Zeit die schriftsprachliche Erzählliteratur stagnierte und sich allmählich zurückbildete. Die einzige, allerdings glanzvolle Ausnahme stellte die Sammlung »Liaozhai zhiyi« (»Berichte von Merkwürdigkeiten aus dem Studio der Muße«) von Pu Songling (* 1640, ✝ 1715) dar, die fast 500 Geschichten und Novellen in brillantem Stil enthielt, von denen sich die Mehrzahl mit übernatürlichen Begebenheiten befassten.
 
Die frühesten Ansätze zu einer Erzählliteratur finden sich seit etwa dem 6. Jahrhundert v. Chr. eingebettet in historischen Werken wie dem »Zuozhuan«, dem »Kommentar des Zuo« zu der kanonischen Schrift »Chunqiu« (»Frühlings- und Herbstannalen«), sowie in politisch-philosophischen Anekdotensammlungen wie dem »Guoyu« (»Reden aus den Staaten«) und dem »Zhanguo ce« (»Pläne aus den kämpfenden Staaten«). Die Tradition der halb historischen, halb fiktionalen Anekdotensammlungen, die bisweilen zu ganzen Biographien zusammenwuchsen, setzte sich während der gesamten Han-Dynastie fort. In den anschließenden Jahrhunderten kamen Sammlungen hinzu, in denen - wie vor allem in dem »Shishuo xinyu« (»Neue Berichte von zeitgenössischen Gesprächen«) des Liu Yiqing (* 403, ✝ 444) - das geistreiche Aperçu und die humorvolle Unterhaltung (bis hin zu reinen Kompendien von Witzen) als Thema entdeckt wurden. Seit dem Anfang des 4. Jahrhunderts führte der stark religiöse Zeitgeist zu verschiedenen Sammlungen von Gespenstergeschichten, zum Beispiel dem »Soushen ji« (»Bericht von der Suche nach Gespenstern«) von Gan Bao (etwa um 300). An sie schlossen sich seit dem machtvollen Eindringen des Buddhismus in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts buddhistische Geschichten an, die teils Importe aus Indien, teils eigene Weiterentwicklungen darstellten und inhaltlich vorwiegend das Wirken des Karmas (das die Form der Wiedergeburt eines Menschen bestimmende Handeln oder das durch früheres Handeln bedingte gegenwärtige Schicksal) über eine Reihe von Inkarnationen hin thematisierten. Ihren literarischen Höhepunkt erlebte die schriftsprachliche Erzählung aber erst während der Tang-Dynastie in Gestalt des Genres der Chuanqi (= Geschichten über Merkwürdigkeiten), die sich eines eleganten, geschliffenen Stils bedienten, von hervorragenden Gelehrten stammten und augenscheinlich die künstlerisch anspruchsvolle Umsetzung von Erzählungen darstellten, die analog im Volk in einfacherer Komposition und Sprache existierten. Außer Ritter- und Geistergeschichten griffen sie erstmals ernsthaft das Motiv der romantischen Liebe auf (zum Beispiel in der Novelle »Yingying zhuan«, »Erzählung von Yingying«).
 
Die Anfänge einer umgangssprachlichen Erzählliteratur finden sich ebenfalls noch in der Tang-Dynastie, und zwar in Gestalt von buddhistischen Wiedergeburtsgeschichten (Sanskrit = Jataka), die fast durchweg von den früheren Inkarnationen des historischen Buddha Shakyamuni handelten. Sie ähnelten zwar inhaltlich den gerade erwähnten schriftsprachlichen buddhistischen Geschichten, sollten aber, als Einfügungen in Predigttexte gedacht, auch mündlich vorgetragen verständlich sein. Diese sich hier bereits abzeichnende, entscheidende Schwerpunktverlagerung bei der fiktionalen Literatur von der Schrift- zur Umgangssprache vollzog sich in größerem Umfang aber erst in der Song-Zeit mit verschiedenen Zwischenschritten. Zu ihnen gehörten die in Umgangssprache abgefassten »Huaben« (= Erzählgrundlagenbücher). Ohne Kapiteleinteilung, aber regelmäßig unterbrochen von lyrischen Einlagen, wuchsen in ihnen die Einzelgeschichten schon allmählich zu größeren Einheiten zusammen. Diese Entwicklung trat noch deutlicher zutage in den »Pinghua« (= einfachen oder kommentierten Erzählungen) des frühen 14. Jahrhunderts, die teilweise bereits eine Kapiteleinteilung aufweisen, die sich dann im Roman generell durchsetzte und - ganz wie es die Geschichtenerzähler gewohnt waren - den Schnitt immer gerade an die spannendste Stelle legten, um zum Weiterlesen (wie ehemals zum Wiederkommen des Publikums) zu animieren. Die Pinghua waren die unmittelbaren Vorläufer des umgangssprachlichen Romans, der sich dann um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert fest etablierte. Weder Pinghua noch Huaben starben deshalb jedoch aus: Die Geschichtensammlungen im Stil der Huaben erlebten vielmehr im 17. Jahrhundert eine bedeutende Wiederbelebung in Gestalt der Kompilationen von Feng Menglong und Ling Mengchu. Auch die Geschichtenzyklen von der Art der Pinghua, in denen zum Beispiel die Abenteuer von Rittergruppen oder die verschiedenen von einem Detektiv-Richter gelösten Fälle geschildert wurden, blieben erhalten.
 
Die ältesten erhaltenen umgangssprachlichen Romane sind das »Sanguozhi yanyi« (»Erweiterte Geschichte der Drei Reiche«) und das »Shuihuzhuan« (»Bericht über die [Bewohner der] Flüsse und Seen«), die Autoren aus dem 14. Jahrhundert zugeschrieben werden, wahrscheinlich aber viel jünger sind; die frühesten Textfragmente stammen aus dem 16. Jahrhundert. Beide besitzen historische Vorbilder - der erstere gibt eine reich ausgeschmückte Darstellung der von Helden und Rittern bevölkerten Zeit der »Drei Reiche« (221 bis 265), der letztere schildert die Geschichte einer riesigen Räuberbande, die sich am Ende während der Xuanhe-Periode (1119 bis 1125) der Song-Dynastie für einen patriotischen Kampf gegen die einfallenden Nordvölker zur Verfügung stellte und dabei aufgerieben wurde. Ebenfalls praktisch anonym (trotz verschiedener Spekulationen) ist der Ende des 15. Jahrhunderts entstandene, wahrscheinlich 1610 erstmals publizierte Sittenroman Jinpingmei (der Titel spielt auf die Namen der drei weiblichen Hauptfiguren an), dessen Handlung in die Zeit 1112 bis 1127 verlegt ist, in der die blühende Nord-Song-Dynastie am Ende durch die Eroberung der Dschurdschen unterging. Etwas leichter definierbar ist der dem Wu Cheng'en zugeschriebene Roman »Xiyou ji« (»Die Reise nach dem Westen«) aus dem 16. Jahrhundert, in dem die fantastisch ausgeschmückte Reise des historischen Buddhistenpriesters Xuanzang (* 602, ✝ 664) mit seinen vier Begleitern nach Indien geschildert wird, unter denen der respektlose, voller Streiche steckende Affe Sun Wukong zu einer zu einer der populärsten Figuren der chinesischen Legende überhaupt geworden ist.
 
Die Tradition der großen Romane setzte sich in der Mandschu-Zeit (Qing-Dynastie) fort, jetzt jedoch auch mit der Tendenz, sich bei der Darstellung nicht mehr so sehr in die Vergangenheit zurückzuziehen, sondern die Gegenwart direkt und durchaus kritisch abzubilden, wobei mehr oder weniger verdeckt zugleich autobiographische Züge zutage traten. Eine nüchtern-satirische Schilderung des Lebens der Oberschicht brachte beispielsweise Wu Jingzi (* 1701, ✝ 1754) in seinem »Rulin waishi« (»Inoffizielle Geschichte der Literaten«), in das er eigene Erfahrungen mit einbrachte. Den absoluten Höhepunkt erreichte die umgangssprachliche Romankunst aber im »Hongloumeng« (»Traum der Roten Kammer«) seines Zeitgenossen Cao Xueqin, der mit Sicherheit nur die ersten 80 Kapitel verfasste, während die restlichen 40 mit dem wichtigen Schluss von zwei anderen Autoren hinzugefügt wurden, die sich dabei angeblich eines Manuskriptes von Cao Xueqin bedienten.
 
Die letzten traditionellen Romane in stilisierter Umgangssprache tauchten in einer Art Massenliteratur von niedrigerem Niveau um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert auf. Sie standen bereits teilweise unter westlichen Einfluss. Ihre Themen waren einerseits vehement kritische Schilderungen des Sittenverfalls der Oberschicht, andererseits blumig-süße Liebesgeschichten. Nach der »Literarischen Revolution« von 1916/17 und der anschließenden »Vierten-Mai-Bewegung« von 1919, die die neue Intelligenz auf die Umgangssprache verpflichtete, entstand eine vielfältige, stark am Westen orientierte Erzähl- und Romanliteratur von teilweise hohem Niveau. Nach der Zwischenphase einer durch die Direktiven Mao Zedongs beim »Yan'an Forum« 1942 ausschließlich politisch und »proletarisch« ausgerichteten Literatur kam es seit Ende der Siebzigerjahre zu einem Neuanfang in der gesamten fiktionalen Literatur mit Betonung auf Kurzgeschichte und Roman, deren Entwicklungsrichtung und Qualität bisher noch schwer abzuschätzen ist.
 
Prof. Dr. Wolfgang Bauer (✝)
 
Literatur:
 
Schmidt-Glintzer, Helwig: Geschichte der chinesischen Literatur. Die 3000jährige Entwicklung der poetischen, erzählenden und philosophisch-religiösen Literatur Chinas von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bern u. a. 1990.


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