Значение слова "CHINESISCHE SCHRIFT UND KALLIGRAPHIE" найдено в 1 источнике

CHINESISCHE SCHRIFT UND KALLIGRAPHIE

найдено в "Universal-Lexicon"

chinesische Schrift und Kalligraphie
 
Die chinesische Schrift gehört zu den seltenen Schriftsystemen, die sich völlig ohne äußere Einflüsse entwickelt haben. Sie entspricht bis heute dem Bau der chinesischen Sprache in der Zeit der Schriftentwicklung im zweiten und in der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends. Als Bilderschrift mit einfachen und zusammengesetzten Komponenten entstanden, ging sie nie - wie die Schriften in anderen Hochkulturen - zu einer Lautschrift über, trotz der Einführung phonetischer Elemente in den Zeichen, sondern verharrte auf dem Stadium einer Begriffsschrift. Der Grund dafür liegt in der Sprache des alten Chinas. Diese schloss einerseits wegen ihres grundsätzlich »monosyllabischen« (nur über einsilbige Wörter verfügenden) und »isolierenden« (vereinfacht gesagt: grammatiklosen) Zustandes die Begegnung mit reinen, für sich allein bedeutungslosen Lautkörpern aus, die bei anderen Sprachen den entscheidenden Ansatzpunkt für eine fortschreitende Phonetisierung der Schrift darstellte. Andererseits stand die schon damals riesige, mit der späteren Abschleifung der Sprache sich vervielfachende Zahl von Homonymen - das sind Wörter gleicher Aussprache, aber verschiedener Bedeutung -, die oft nur in geschriebener Form unterschieden werden konnten, einer Phonetisierung entgegen.
 
Die chinesische Schrift wurde (oder blieb) so die einzige Schrift der Welt, in der theoretisch für jedes Wort ein eigenes Schriftzeichen existiert. Bis heute umfasst sie etwa 70 000 bis 80 000 Zeichen. Für die Lektüre von einfachen Texten reicht allerdings die Kenntnis von nur 3 500 bis 4 000 Zeichen. Neben dem unleugbaren Nachteil, dass die chinesische Schrift nur mühsam erlernt werden kann, hat sie den entscheidenden Vorteil, die chinesische Kultur über Zeit und Raum hinweg zu einer Einheit zusammengeschlossen zu haben, gerade weil sie grundsätzlich von historischen Lautveränderungen und dialektischen Verschiedenheiten unabhängig ist. Ein im 6. Jahrhundert v. Chr. geschriebener Text, der, in zeitgenössischer Aussprache vorgelesen, heute absolut unverständlich wäre, ist als Schriftbild auch heute noch ohne weiteres eingängig. Das gleiche gilt von einem Text, der, mündlich in seiner nördlichen Sprachversion vorgetragen, in südlichen Dialektgebieten nicht verstanden werden könnte.
 
Die chinesische Schrift entstand, wie die chinesische Kultur überhaupt, verglichen mit den Kulturen des Vorderen Orients, relativ spät. Die Töpfermarken auf Tongefäßen, die sich bis ins 6. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen lassen, können - trotz der gegenteiligen, sehr kühnen Meinung einzelner, hier wohl nicht ganz objektiver chinesischer Forscher - noch nicht als Schrift, auch nicht als ihre direkten Vorläufer, angesehen werden. Dafür sind die ältesten Schriftdokumente aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend selbst noch viel zu ursprünglich: Tierknochen und Schildkrötenschalen, auf denen die Fragen und Antworten der Orakel notiert wurden, und die Priester bei Hofe zu Wahrsagezwecken benutzten. Die Assoziationen, die bei der Konzipierung der Schriftzeichen Pate standen, verweisen eindeutig auf den Gedankenhorizont jener zeitgenössischen Orakelpriester: So steht beispielsweise die Zeichnung einer knienden Person vor einem Altar für das Wort »gegenüberstehen«, »antworten«. Die etwas späteren, vom Ende des zweiten bis zur ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends stammenden Schriften, weisen bereits eine rundere, ausgeschriebenere Form auf. Sie finden sich häufig auf Bronzegefäßen und dienten als Dokumente des Handels und der Wirtschaft. Bis in die die Gegenwart hinein wurde diese Schrift häufig unter dem Namen »Zhuanshu« (= Siegelschrift) als Modell für stilisierte Zierschriften zum Beispiel für Siegel, für Buchtitel und Markenzeichen verwendet.
 
Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. bildete sich die »Lishu«, die Kanzleischrift, heraus, die die Grundlage der noch heute gebräuchlichen Schrift darstellt. Lokale Sonderentwicklungen, die sich vom 6. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. vor allem im Süden herausgebildet hatten, wurden durch die staatlich verfügte Schriftvereinheitlichung unter der Qin-Dynastie im 3. vorchristlichen Jahrhundert unterdrückt. Außer den absolut fest gelegten Stilarten gab es auch Regeln für die Halbkursiven, wie die »Xingshu« (= Laufschrift), und die Vollkursiven, wie die »Caoshu« (= Grasschrift), Formen, die in der Kalligraphie wichtig waren. Als Schreibmaterial müssen für die Einritzungen auf Knochen und Schildkrötenschalen noch Messer oder Griffel gedient haben. Entscheidend war indessen die Erfindung des Pinsels und der Tusche, die angeblich auf den Qin-General Meng Tian zurückgeht, in Wirklichkeit aber sicherlich älter ist, denn das unverkennbare Schriftzeichen für »Pinsel« taucht schon auf Knochentexten auf. Beschreibstoff für hochrangige Texte war Seide, für einfachere Bambusstäbchen, die zu langen Reihen zusammengefädelt und in Packen gerollt werden konnten. Seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. trat dann das neu entdeckte und rasch zu hoher Qualität gebrachte Papier seinen Siegeszug an, das auch die Voraussetzung für die Entwicklung des Buchdrucks im 8. Jahrhundert bildete.
 
Schriftrichtung und Zeilenanordnung waren bei den Knochenschriften noch nicht klar festgelegt; außer von unten nach oben wurden alle möglichen Versionen benutzt. Die vertikale Schreibrichtung mit den von rechts nach links laufenden Kolumnen setzte sich aber schon in den Bronzeinschriften durch und blieb bis zu Beginn der Fünfzigerjahre maßgebend, als die Volksrepublik China (im Gegensatz zu Taiwan und den Auslandschinesen im weitesten Sinn) die westliche Richtungsanordnung übernahm. Die chinesische Schrift war in dieser Hinsicht allerdings von jeher anpassungsbereit. So richtete sie sich bei mehrsprachigen, parallel angeordneten Texten wie bei Wörterbüchern, Erlassen und ähnlichem gern nach den fremden (in der Regel phonetischen) Schriften, die schwieriger auf eine andere Richtung umzustellen sind. Andererseits bildete die chinesische Schrift, trotz ihrer eigentlich bloß für das Chinesische geeigneten Struktur, das Modell für andere Schriftsysteme im politisch-kulturellen Einflussgebiet Chinas. Unter ihnen ist das höchst komplizierte, stark mit phonetischen Elementen durchsetzte Schriftsystem des Tangutenreiches Xixia im Nordosten Chinas (990 bis 1227) zweifellos das interessanteste Beispiel. Dagegen können die beiden rein phonetischen Schriftsysteme Japans, Katakana und Hiragana, die einzelne chinesische Zeichen unverändert übernahmen sowie aus Bruchstücken und Kursiven der chinesischen Schrift ihre eigenen Formen entwickelten, wegen ihrer bis heute andauernden Verwendung als die fraglos wichtigsten bezeichnet werden.
 
Kulturell lässt sich die Bedeutung der Schrift für das traditionelle China nicht hoch genug einschätzen. Zwar gab es in China kein Bilderverbot wie etwa im Islam, das dort die Schriftkunst erblühen ließ. Die höhere chinesische Literatur, vor allem die der Konfuzianer, blieb aber im Gegensatz zur Volksliteratur distanziert gegenüber jedweder Illustration. Dafür spielte die Kalligraphie in der chinesischen Malerei eine tragende Rolle, vor allem während der Vorherrschaft des »Neokonfuzianismus« zwischen dem 10. und 19. Jahrhundert, in den außer buddhistischen auch daoistische Elemente eingeflossen waren. Vor allem in der Tuschmalerei, die das Ideal des scheinbar amateurhaften »Literaten-Malers« pflegte, verfließen die Grenzen zwischen Malerei und Kalligraphie, wobei unausgesprochen der Kalligraphie der höhere Stellenwert zuerkannt wird. Unter den bildenden Künsten nimmt sie bis heute in China, wie übrigens nicht weniger in Japan, unangefochten den ersten Rang ein. Die Anerkennung der Schrift als hohe Kunst begann etwa im 4. Jahrhundert. Sie knüpft sich an den Namen des Dichters und Kalligraphen Wang Xizhi, dessen Schriftzüge auf Stelen verewigt und durch davon abgenommene Papierabreibungen weithin verbreitet wurden. Seither gibt es auch Schriftsammlungen und theoretische Untersuchungen zur Kalligraphie, deren Terminologie charakteristischerweise großenteils der Poetik entlehnt ist. Bei der Beurteilung einer Schrift mussten bestimmte, die Bildung des Künstlers überhaupt erst beweisende philosophische und künstlerische Grundsätze ebenso berücksichtigt werden wie seine Originalität. Die Kalligraphie war somit unmittelbarster Ausdruck einer kultivierten Persönlichkeit; sie nahm aber in ihren verschiedenen, oft bis hart an die Grenze des noch Lesbaren gehenden Kursivformen auch den Platz einer rein der Ästhetik und dem grafischen Spiel verpflichteten, abstrakten künstlerischen Disziplin ein.
 
Vom Anbruch der Moderne seit der Jahrhundertwende blieb die chinesische Schrift nicht unberührt. Ihre schwierige Erlernbarkeit ließ seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ganze Scharen fortschrittsgläubiger Wissenschaftler über Veränderungen nachsinnen. Die Überlegungen reichten von einer einfachen Alphabetisierung nach westlichem Muster über die Einführung einer aus Bruchstücken von chinesischen Zeichen entwickelten Lautschrift, ähnlich dem japanischen Katakana, bis hin zu einer maßvollen Vereinfachung der Schrift unter Einbeziehung älterer, vor allem in volkssprachlichen Texten verwendeter Kurzformen. 1957/58 wurde das Pinyin, eine Umschrift in lateinischen Buchstaben, verbindlich für den Verkehr mit dem Ausland festgelegt, 1964 schließlich wurde eine standardisierte Vereinfachung der Schrift in Form von Kurzzeichen eingeführt, die allerdings weder in Taiwan noch im südöstlichen Einzugsbereich des Auslandschinesentums (einschließlich Hongkong und Macao) übernommen wurden und heute wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtungen dieser Regionen mit Südchina auch im Süden nur Seite an Seite mit den alten Vollzeichen verwendet wird. Trotz der relativ geringfügigen Veränderungen bedeutete diese Zeichenvereinfachung einen harten Bruch mit der Schrifttradition, weil die jüngere Generation die alten Zeichen oft nur noch mit Mühe lesen kann.
 
Prof. Dr. Wolfgang Bauer (✝)
 
Literatur:
 
Schmidt-Glintzer, Helwig: Geschichte der chinesischen Literatur. Die 3000jährige Entwicklung der poetischen, erzählenden und philosophisch-religiösen Literatur Chinas von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bern u. a. 1990.
 Watson, William: China. Kunst und Kultur. Ins Deutsche übertragen von Ruth Herold u. a. Farbphotographien von Jean Mazenod u. a. Freiburg im Breisgau u. a. 21982.


T: 41