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AUFKLÄRUNG: DIE »NATÜRLICHE« RELIGION

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Aufklärung: Die »natürliche« Religion
 
Seit Ausgang des 17. Jahrhunderts leiteten vielfältige Faktoren wie die Veränderungen im wissenschaftlichen Weltbild durch Kopernikus und Newton, der Aufstieg des Bürgertums sowie die Entdeckung und Kolonialisierung der Neuen Welt die Epoche der Aufklärung ein. Ihre Ideen der Autonomie und Emanzipation des Individuums sowie ihr ausgeprägter Glaube an die menschliche Vernunft führten zu einem neuen Verständnis von Religion. Das Wissen um die Vielfalt der Völker und Kulturen hatte dazu beigetragen, Religionen und Gottesvorstellungen als allgemein verbreitete Phänomene zu betrachten und die Geltung des Christentums zu relativieren. Das Christentum, das bisher eine Sonderstellung hatte beanspruchen können, erschien nunmehr als eine Konkretion allgemeinerer, übergeordneter religiöser Vorstellungen. Die ursprüngliche, »natürliche Religion« müsse - so meinte man nun - in späteren Zeiten durch Offenbarungsreligionen wie Islam oder Christentum überformt und abgelöst worden sein und könne durch systematische Erforschung der Gemeinsamkeiten aller Religionen wieder freigelegt werden.
 
Solche Überlegungen wurden besonders von der englischen Aufklärung, speziell den englischen Deisten, aufgegriffen, als deren Begründer Herbert von Cherbury gilt. Er machte mittels der vergleichenden Religionswissenschaft in allen bekannten Religionen fünf charakteristische Elemente als gemeinsamen Bestand aus: den Glauben an ein höheres Wesen, die Verpflichtung, es zu verehren und ihm zu dienen, Tugend und Frömmigkeit, die ursprünglich statt der Riten im Vordergrund standen, Wiedergutmachung und Reue bei Tugendversäumnissen oder Fehlern sowie ein Diesseits oder Jenseits, in dem den Menschen eine Vergeltung seiner Taten erwartet. In seinem 1624 erschienenen Traktat »Über die Wahrheit« und seinem 1663 postum veröffentlichten Hauptwerk »Über die Religion der Völker« sieht er religiöse Wahrheit als eine Form der Vernünftigkeit und als für alle denkenden Subjekte einsehbar: Parallel zur Unteilbarkeit der gottgegebenen Vernunft gebe es auch nur eine, wahre Religion mit einem Bestand allgemein gültiger, ethisch-religiöser Vorstellungen, die jedem Menschen angeboren seien. Diese natürliche Religion zu befolgen, reiche für das menschliche Heil völlig aus; alles Weitere seien Erfindungen von Herrschern oder Priestern, um ihre Macht zu etablieren oder zu festigen.
 
Da die Deisten, die »Natural-Religion-Men«, damit die Legitimation kirchlicher und staatlicher Autorität infrage stellten, wurden sie von beiden Institutionen vehement bekämpft. So verlor einer ihrer Vertreter, weil er die Historizität von Wundern ablehnte und Jungfrauengeburt und Auferstehung Jesu symbolisch verstand, seine Pfründe und wurde lebenslang inhaftiert. Kerker, Pranger, Zwangsarbeit und ein Alter in Armut bescherte ihrem Verfasser eine Schrift, die die mangelnde Übereinstimmung der Osterberichte in den Evangelien aufdeckte. Einem solchen Schicksal konnte sich John Toland nur mit knapper Mühe entziehen, nachdem sein 1696 anonym erschienenes Werk »Christentum ohne Geheimnisse« öffentlich verbrannt worden war. Er hatte darin dafür plädiert, unverständliche Kultformen und Lehrinhalte aus dem Christentum zu tilgen, die im Zuge der Anpassung an die jeweilige kulturgeschichtliche Situation entweder - wie im Falle der Riten - aus dem Heidentum oder - wie bei den Dogmen - aus der Philosophie übernommen worden seien. Dennoch setzte sich die Aufklärung in England schneller durch als auf dem europäischen Festland.
 
Eine deutlich gemäßigtere und differenziertere Ansicht vertrat John Locke, der Herbert von Cherburys angeborenen ethischen Ideen seinen Empirismus entgegenstellte: Religiöse und moralische Vorstellungen erwachsen wie alle anderen Erkenntnisse aus Erfahrung. Locke wollte die Vernünftigkeit des Christentums erweisen, das heißt das biblische Ethos mit den Gesetzen von Natur und Moral in Übereinstimmung bringen. Obwohl keine Offenbarung der Vernunft zuwiderlaufen dürfe, hielt er an der Bibel als dem Wort Gottes ausdrücklich weiter fest. Sein Schüler Anthony Collins ging einen Schritt weiter, indem er Wunder und Weissagungen - besonders die Erfüllung alttestamentlicher Vorausdeutungen im Neuen Testament - gänzlich verwarf. In seinem 1713 veröffentlichten »Diskurs über das freie Denken« machte er den kirchlich-autoritären Druck verantwortlich für Aberglauben und Sektierertum. Die Freiheit der Forschung und Diskussion dagegen diene allein der Wahrheitsfindung. Collinsprägte in dieser Schrift den Begriff des Freidenkers.
 
Zur »Bibel der Deisten« wurde das systematische Alterswerk des Religionsphilosophen und Juristen Matthew Tindal mit dem Titel »Das Christentum so alt wie die Schöpfung oder das Evangelium, eine Wiederbekanntmachung der natürlichen Religion«. Seine Grundthese lautete: Offenbarungsreligion und natürliche Religion unterscheiden sich nicht inhaltlich, sondern in der Art, wie sie publik gemacht werden. Offenbarung verstand Tindal als erneute Bekanntmachung, Erneuerung oder Wiederherstellung der natürlichen Religion. Werde das Christentum seiner konfessionellen Besonderheiten entkleidet, so entdecke man, dass die christlichen Werte und Inhalte dem Wohl des Menschen, seiner Würde und Gemeinschaftsfähigkeit dienen. Die »echte« göttliche Offenbarung müsse sich durch Universalität auszeichnen; denn Gott wäre nicht das allgütige Wesen, wenn er eine bestimmte Kultur bevorzugen, eine andere religiöse Richtung bestrafen würde. Bemerkenswert erscheinen aus heutiger Sicht vor allem die Eliminierung der alttestamentlichen Anthropomorphismen eines zornigen, grausamen oder launenhaften Gottes sowie die scharfsinnige Analyse der neutestamentlichen Naherwartung, die noch von einer Wiederkunft Christi zu Lebzeiten der Apostel ausging.
 
Darüber hinaus hatten Lehraussagen zum Beispiel Erbsünde oder Prädestination beziehungsweise erbauliche oder mythische Erzählungen wie Paradies und Sündenfall in einer solchen gleichermaßen reduzierten wie aufgeklärten Religion längst keinen Platz mehr. An der Existenz Gottes aber hielten die Deisten dabei immer fest, auch wenn sie die Welt als eine Art gut funktionierende Maschine betrachteten, die Gott konstruiert und in Gang gesetzt hat: Sein weiteres Eingreifen ist nicht erforderlich; die Offenbarung erhält eine eher erzieherische Funktion, ohne substanziell neue Wahrheiten zu eröffnen, Wunder sind auf natürliche Weise erklärbar oder werden schlicht eliminiert; Theologie muss vernünftig, einsehbar und vermittelbar werden.
 
Die englische Aufklärung fand ihren Höhepunkt im Werk David Humes, der Religion letztlich als Illusion entlarvte: Da die Urreligion maßgeblich auf Angst vor Naturgewalten beruhte, musste sie notwendig polytheistisch gewesen sein. Und weil die sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung des Menschen die Grenze seiner Erkenntnisfähigkeit markiert, sind Aussagen über Transzendenz, also über das, was die Grenzen des Fassbaren überschreitet, von vornherein unmöglich. Ideengeschichtlich gesehen ist hier der Deismus zu einem Abschluss gekommen. Der Schwerpunkt der Aufklärung verlagerte sich fortan nach Frankreich, wo die Ideen der Deisten von Voltaire popularisiert wurden und in Rousseaus programmatischem »Zurück zur Natur« ihren Niederschlag fanden.
 
Dr. Ulrich Rudnick
 
Literatur:
 
Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. Band 3: Religion, Magie, Aufklärung. 16.—18. Jahrhundert. München 1994.


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