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BULGARIEN: MÜHSAMER AUFBRUCH IN DIE DEMOKRATIE

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Bulgarien: Mühsamer Aufbruch in die Demokratie
 
In den vierzig Jahren kommunistischer Nachkriegsgeschichte verhielt sich Bulgarien stets loyal zum Bündnispartner in Moskau — kein Aufbegehren gegen die allmächtige sowjetische Vormacht ist zu verzeichnen wie 1953 in der DDR oder 1956 in Polen und Ungarn. Man hat dieses Merkmal eines fehlenden »Antisowjetismus« aus der bulgarischen Geschichte abgeleitet, aus der Rolle nämlich, die Russland im 19. Jahrhundert bei der Befreiung des Landes vom türkischen Joch gespielt hatte. In der kollektiven historischen Erinnerung der Bulgaren stand der »Feind« im Südosten am Bosporus. Überflüssig zu sagen ist, dass das bulgarische Nationalbewusstsein sich darum stets schwer tat mit der türkischen Minderheit im eigenen Land, die als Träger der »fremden« Kultur des Islam galt. Loyalität zum Bündnispartner in Moskau zeigte die kommunistische Führung des Landes um den inzwischen greisen Staatschef und Generalsekretär der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) Todor Schiwkow auch nach der Wahl Gorbatschows zum Parteichef der KPdSU im Jahre 1985.Wiederholt kündigte die Führungsspitze der BKP danach, in Anlehnung an Gorbatschows Politik der Perestroika, »Erneuerungen« des Systems an. Bulgariens Wirtschaft befand sich aber inzwischen in einem desolaten Zustand: Missernten, ausbleibende sowjetische Kredite, die Kürzung sowjetischer Öllieferungen und eine Verschuldung bei westlichen Banken in Höhe von zwölf Milliarden Dollar hatten das Land Ende der 80er-Jahre vor schier unlösbare Probleme gestellt. Fachleute im Außenhandelsministerium plädierten deshalb inzwischen für eine Öffnung gegenüber dem Westen, um an die dringend benötigten Devisen zu kommen.
 
 Verzweifelte Rettungsversuche des Regimes
 
Auf der Nationalen Parteikonferenz im Januar 1988 empfahl Schiwkow, die Perestroika auch auf die Partei selbst anzuwenden. Ihm schien damals sogar die Gründung von unabhängigen politischen Gruppen denkbar, um so mehr Wettbewerb zu entfachen. Mit seiner Bereitschaft zur Öffnung wollte Schiwkow das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung wieder herstellen. Seine Unbefangenheit in dieser Hinsicht erklärt sich daraus, dass es in Bulgarien in vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft, anders als in Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und der DDR, keine von der Intelligenz und den Massen getragenen Ausbruchsversuche aus dem System gegeben hatte. Nicht einmal das Dissidententum verfügte in Bulgarien über eine nennenswerte Tradition. So fehlte der Partei und den Behörden die Erfahrung, dass Regimekritiker zu einer Bedrohung des Systems werden können.
 
Schiwkows Reformrhetorik setzte in Bulgarien eine schnelle Politisierung in Gang: Binnen kürzester Zeit wurde das Land von einer Liberalisierungswelle erfasst, was den »Betonköpfen« in der Partei offenbar alsbald zu weit ging. Bis zum Jahresende 1988 hatte sich der machtbewusste Partei- und Staatschef wieder eines anderen besonnen und die Kader der Partei einer Säuberung unterzogen. Einflussreiche Reformer der jüngeren Generation wurden so ihrer Ämter enthoben. Schiwkow war nicht entgangen, dass viele Kommunisten offen ihre Sympathie für die zahllosen Diskussionsforen und unabhängigen Vereinigungen bekundeten, von denen sich besonders das Komitee für Russe hervortat, das 1988 mehrere Protestveranstaltungen gegen die katastrophale Luftverschmutzung in der bulgarischen Stadt Russe am rechten Ufer der Donau (gegenüber der rumänischen Chemiestadt Giurgiu) organisierte. Entgangen war ihm aber offenbar, dass die regierende BKP eine Oppositionsbewegung ausgelöst hatte, die, von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt, zum Zeitpunkt der Säuberung schon über feste Netzwerke, eigene Erfahrungen und eine gehörige Portion kritischen Selbstbewusstseins verfügte. Jedenfalls erwies sich Schiwkows Politik der harten Hand zur Ausschaltung der Opposition nun nicht mehr als erfolgreich. Viele betrachteten seinen Reformwillen als pures Lippenbekenntnis. Das Schlagwort von einer »Scheinreform« ging um und erregte die Gemüter.
 
Auch in Moskau mangelte es zunehmend an Sympathie für Schiwkows Kurs. Dazu trug nicht unerheblich die etwa Mitte der 80er-Jahre eingeleitete zwangsweise »Bulgarisierung« der türkischen Minderheit bei, die damals 11 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die Bulgarotürken sollten ihre angestammten Vor- und Nachnamen ablegen und bulgarisch-slawische Namen annehmen. Mit allerlei Schikanen, Druckmitteln und Überredungskünsten, aber auch mit Methoden offener Gewalt bekämpften Behörden und Parteiorgane auch die anderen Kennzeichen kultureller Eigenständigkeit und Identität der türkischen Volksgruppe, so die türkische Sprache, den Ritus der Beschneidung, die Pluderhose und die islamische Religion. Diese breit angelegten Kampagnen zielten darauf, das bulgarische Nationalbewusstsein zu schüren, womit die Partei von den tatsächlichen Miseren der 80er-Jahre ablenken wollte. Offenbar schwebte den Machthabern eine Art Schulterschluss vor, der das Vertrauen zwischen Volk und Regierung manifestieren sollte. Doch die populistischen Aktionen liefen dem Regime aus dem Ruder. Es kam zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Angehörigen der türkischen Volksgruppe und den Sicherheitskräften. Schließlich eskalierte die von oben lancierte Terrorkampagne in einem Massenexodus: Im Frühjahr 1989 flohen weit über 320000 Bulgarotürken in die benachbarte Türkei. Durch diese Massenvertreibung hatte sich Bulgarien international fast vollständig isoliert und wurde von der Weltöffentlichkeit an den Pranger gestellt.
 
 Eine »Palastrevolte«
 
Gegen die Menschen verachtende Assimilierungspolitik der Regierung hatten kritische Liberale zusammen mit Vertretern der türkischen Volksgruppe schon zu Anfang des Jahres 1988 die Demokratische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte gegründet. Aber weder diese Gruppierung, gegen die die Behörden hart einschritten, noch die vielen anderen Foren und Zusammenschlüsse wollten Ende der 80er-Jahre das System als Ganzes grundlegend infrage stellen. Das verband die dort auftretenden Literaten, Wissenschaftler und Journalisten, die meisten von ihnen früher einmal der Parteiintelligenz zugehörig, mit der Verschwörergruppe innerhalb der BKP um Außenminister Petar Mladenow, Außenhandelsminister Andrej Lukanow und Verteidigungsminister Dobri Dschurow, die schließlich die Absetzung Schiwkows betrieb. Am 10. November 1989 musste dieser sein Amt als Parteivorsitzender an Mladenow abtreten. Vier Wochen später verlor Schiwkow auch seine Staatsämter und wurde bald darauf aus der BKP ausgeschlossen. Seine Kritiker hatten ihm unter anderem Vetternwirtschaft, verschwenderische Lebensführung und Reformverweigerung vorgeworfen. Die »Palastrevolte« erschien den Verschwörern im Interesse des Machterhalts für die BKP mehr als überfällig — nach dem Desaster der »Bulgarisierung« der türkischen Minderheit mit ihren verheerenden Folgen für das Ansehen Bulgariens im Ausland, dem drohenden wirtschaftlichen Verfall, einer zunehmenden Entfremdung von Moskau sowie einer von Monat zu Monat anwachsenden Oppositionsbewegung.
 
Nach dem Willen der neuen Machthaber sollte aber der Führungsanspruch der Partei erhalten bleiben. »Ich will es noch einmal betonen«, hatte Mladenow, der Schiwkow auch als Staatschef beerbte, am 10. November vor dem Zentralkomitee erklärt, »wir sehen die Umgestaltung in Bulgarien einzig und ausschließlich im Rahmen des Sozialismus, im Namen des Sozialismus und auf dem Wege des Sozialismus«. Aber die Umgestaltung Bulgariens gewann nun an Dynamik: Schon am 18. November 1989 demonstrierten in Sofia etwa 100000 Menschen für Demokratie und wetterten gegen die »parasitäre Herrschaft der Bonzen«. Am 7. Dezember schlossen sich oppositionelle Gruppen und Parteien in der Union der Demokratischen Kräfte (SDS) zusammen. Sprecher dieses Dachverbands versicherten alsbald auf Massenveranstaltungen ihren Anhängern, auch in Bulgarien werde die Perestroika stattfinden. Doch das waren flüchtige Tageserklärungen, die noch nicht zu erkennen gaben, welchen Weg die Entwicklung in Zukunft nehmen werde. Durch die Gründung zahlreicher weiterer nichtkommunistischer Einzelorganisationen verstärkte sich der Druck der Oppositionskräfte noch im Dezember. Auf Massenveranstaltungen wurden Forderungen nach freien Wahlen, Rücktritt der Regierung und Verzicht der BKP auf ihre Führungsrolle laut. Ein Hauch von Bürgerkrieg lag über dem Land, als sich die bulgarische Führung und die Opposition schließlich nach polnischem Vorbild auf Gespräche am »Runden Tisch« einigten.
 
 Der Neubeginn
 
Im Januar 1990 nahm der Runde Tisch seine Arbeit auf. Nach mehreren Sitzungen einigten sich die Vertreter von Regierung und Opposition am 12. März auf den friedlichen Übergang zu einem demokratischen System. Wesentliche Punkte des ausgehandelten Vertrages waren unter anderem die Trennung von Partei und Staat sowie die Einführung eines Mehrparteiensystems. Zuvor hatte die Sammlungsbewegung der »Union«, die stärkste bulgarische Oppositionskraft, ein Angebot der Kommunisten abgelehnt, bis zu den freien Wahlen im Sommer gemeinsam zu regieren. So vertat sie die Chance, sich gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung zu profilieren und ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Unerwarteter Wahlsieger bei den Parlamentswahlen mit 53 Prozent aller Mandate waren die »gewendeten« Kommunisten, die sich nun »Sozialisten« nannten (Bulgarische Sozialistische Partei, BSP). Die Union erzielte 36 Prozent, der Bulgarische Bauernverband (BZNS) 8 Prozent und die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) der türkischen Minderheit 6 Prozent der Stimmen. Mit ihrem »Präventivschlag« vom 10. November 1989 hatte die Staatspartei für die Mehrheit des Wahlvolks offenbar ihre Befähigung zur Erneuerung aus eigener Kraft unter Beweis gestellt.
 
Tief enttäuscht vom Ausgang der Wahlen überließ die Union den Sozialisten die Regierungsverantwortung, betrieb im Parlament eine pure Obstruktionspolitik und wählte die »Straße« als Forum ihrer von allerlei Ressentiments beherrschten Politik. Diese seltsame »Doppelherrschaft« aus BSP (in der Verantwortung) und SDS (in machtvoller Opposition) neigte sich zuungunsten der Sozialisten, als mit Schelju Schelew im August 1990 der Vorsitzende der Union zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde. Mladenow war nicht mehr tragbar, nachdem die Meldung gestreut worden war, er habe im Dezember 1989 ein gewaltsames Einschreiten gegen Demonstranten erwogen. In diesen Sommermonaten leitete der sozialistische Ministerpräsident Lukanow zwar radikale Reformen zur Einführung der Marktwirtschaft ein, aber das Land befand sich ökonomisch inzwischen auf einer dramatischen Talfahrt. Für die Bevölkerung wirkte sich dies als katastrophale Versorgungskrise mit leeren Regalen in den Geschäften aus. In dieser akuten Krisensituation entschieden sich die politischen Hauptkräfte des Landes Ende des Jahres zur Bildung einer »nationalen Übergangsregierung« unter Führung des parteilosen Dimitar Popow. Doch dieses Regierungsbündnis auf Zeit aus parteilosen Experten, Vertretern der BSP, SDS und des BZNS verdiente seinen Namen kaum, da die Polarisierung der politischen Landschaft in Bulgarien nun entschieden radikalere Züge annahm und auch am Kabinettstisch nicht Halt machte. Für diese Entwicklung war vor allem die Union verantwortlich, die sich inzwischen aus fast 20 Gruppierungen zusammensetzte und einen scharfen antikommunistischen Kurs einschlug. Obwohl von Abspaltungen geschwächt, ging sie aus den Parlamentswahlen am 13. Oktober 1991 mit 34 Prozent der Stimmen knapp als Sieger hervor (BSP: 33 Prozent) und bildete im Bündnis mit der DPS, der Partei der Bulgarotürken, eine Minderheitsregierung unter Filip Dimitrow.
 
 »Bulgarische Zustände«
 
Die Anhänger der Union feierten diesen überraschenden Sieg der Sammlungsbewegung überschwänglich als historischen Endsieg über den Kommunismus. Aber Bulgarien kam auch in den folgenden Jahren nicht zur Ruhe. Nahezu aus dem Stand heraus war das Land in Bewegung geraten. Nun fehlten ihm noch über viele Jahre wesentliche Merkmale einer intakten demokratischen Streitkultur. Postenjägerei, allerlei politische Ränkespiele, die Bereitschaft zur Blockadepolitik aus purer Machtorientierung sowie die Attitüde zum ideologischen Bekennertum auch in Bagatellfragen begleiteten ausgeprägter als anderswo im Ostblock die weitere Entwicklung. Mit dem Ende des Kommunismus waren die vielen Probleme des Landes eben noch keineswegs gelöst, wie von Wahl zu Wahl durch die Jahre hindurch eine jubelnde Parteiklientel jeweils glauben machen wollte. Zur Verstärkung des politischen Drucks oppositioneller Kräfte waren fortan antikommunistische, nationalistische und von anderen Ressentiments getragene Massenkundgebungen und Straßenaktionen an der Tagesordnung, die die Arbeit von Parlament und Regierung beständig zur Disposition stellten und somit entwerteten. Das »Muskelspiel« von der Straße aus hielt das Land über Jahre in Atem und erschwerte die Gesetzesarbeit zur Ebnung der Marktwirtschaft und zur Stabilisierung demokratischer Strukturen.
 
Erfolgreicher erwies sich die Außenpolitik: Seit der Wende von 1989/90 versuchte man intensive Beziehungen zu den Demokratien des Westens aufzubauen. Darin bewiesen die vielen Regierungen von Anbeginn an eine erstaunliche Kontinuität und auch den beharrlichen Willen, die einmal gesetzte Zielorientierung nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Im März 1993 wurde ein Assoziierungsabkommen mit der EG abgeschlossen. Ein Jahr später trat das Land dem NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« bei. Diese Verankerung im Westen sowie die endgültige Überwindung der Erblasten aus vier Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft werden dazu beitragen, dass das Land guten Mutes das 21. Jahrhundert beginnen kann.
 
Dr. habil. Jochen Gaile
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Sowjetunion: Die UdSSR und der Ostblock
 
Literatur:
 
Bandoly, Werner: Das bulgarische Bildungswesen zwischen Umbruch und demokratischer Neugestaltung. Köln u. a. 1997.
 
Bulgarien vom Ende des Parteikommunismus zu den Anfängen der Regierung Widenow (1989-1995), herausgegeben von Michael Coenen. St. Augustin 1995.
 
Länderbericht Bulgarien, herausgegeben von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH. Köln 1997.
 
Revolution auf Raten. Bulgariens Weg zur Demokratie, herausgegeben von Wolfgang Höpken. München 1996.
 
Südosteuropa-Handbuch, herausgegeben von Klaus-Detlev Grothusen. Band 6: Bulgarien. Göttingen 1990.


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