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EUROPA IM VORMÄRZ: UM VERFASSUNG UND NATION

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Europa im Vormärz: Um Verfassung und Nation
 
Nationalbewegungen und Nationalstaatsgründungen
 
Als politische Ideologie und soziale Bewegung gewann der moderne Nationalismus seit der Französischen Revolution durch die Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbestimmung und Volkssouveränität überragende Bedeutung. Im Rahmen einer umfassenden Entwicklung, die die ständisch und räumlich geschiedenen Lebenswelten allmählich aufbrechen ließ, avancierte der nationale Staat zum neuen Fixpunkt des politischen Lebens. Die Völker Europas, die noch nicht über einen Nationalstaat verfügten, entwickelten in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Nationalismus, der sich vorrangig an sprachlichen, kulturellen und historischen Gemeinsamkeiten orientierte. Es gärte unter den burschenschaftlich organisierten Studenten in Deutschland, es gab Tumulte in Manchester, Aufstände in Neapel, Piemont und Spanien.Sizilien forderte die Unabhängigkeit, und in Portugal meldeten sich Verfassungswünsche zu Wort. Das nationale Erwachen der Völker, von Klemens Wenzel Fürst von Metternich als »Hydra der Revolution« abqualifiziert, ließ vielerorts das kulturelle und politische Bewusstsein, verbunden mit der Suche nach der eigenen Identität, in den Vordergrund treten, was wiederum vor allem die alten übernationalen Staaten wie Russland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich bedrohte. Die Idee der Nation galt am Anfang des 19. Jahrhunderts als revolutionär und gefährlich für die alte Ordnung.
 
Die nationalen Bewegungen bildeten die Grundlage für den Prozess der nation building (Nationsbildung), der nach 1815 vor allem die südliche und östliche Hälfte Europas erfasste. Allerdings erfolgten die Nationalstaatsgründungen nicht aus eigener Kraft, sondern stets mit Unterstützung der rivalisierenden europäischen Großmächte. Kriegerische oder revolutionäre Ereignisse begünstigten dabei die entstehenden Nationalbewegungen. Sie verliehen dem politischen Liberalismus und dem Nationalitätenprinzip gewaltigen Aufschwung. Neue Nationalstaaten entstanden nach langjährigen Freiheitskämpfen in Griechenland 1829 und Serbien 1830 sowie durch Revolution in Belgien 1830. Die belgische Verfassung von 1831 führte die parlamentarische Monarchie ein, in der die Rechte des auf den belgischen Thron berufenen Leopold I. aus dem Hause Sachsen-Coburg stärker als in anderen europäischen Staaten eingeschränkt waren. Sie galt als Vorbild einer liberalen Verfassung. Schließlich gelang 1848 in der Schweiz die Bildung eines Bundesstaates, nachdem der vormals lose Staatenbund durch Integration zu einem einheitlichen Staat mit fester Zentralgewalt umstrukturiert worden war. Die Durchset- zung des Schweizer Bundesstaates wurde nicht allein durch die europäischen Revolutionen begünstigt, sondern in erster Linie durch die innere Einstellung des Volkes, denn einzigartig war vor allem, dass die Bundesverfassung durch Volksabstimmung angenommen wurde.
 
 Liberalismus und Freiheit
 
Die liberalen Traditionen haben in Europa tiefe und vielschichtige Wurzeln wie die dem reformatorischen Gedankengut entsprungene deutsche Gewissensfreiheit oder das religiöse Toleranzprinzip bei den Niederländern sowie der Freiheitsgeist der Engländer und Franzosen. In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde um andere Freiheiten gerungen, um die Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in England vor allem um das Wahlrecht und schließlich im Rahmen von fortschreitender Industrialisierung und entstehender Arbeiterschaft um das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluss und um das Streikrecht. Die wirkungsmächtigen Veränderungen der politischen Herrschaftsordnungen, die unter dem Einfluss der Französischen Revolution den allgemeinen Prozess der Modernisierung von Staat und Gesellschaft eingeleitet hatten, wurden im Wesentlichen durch Auseinandersetzungen um die verfassungsmäßige Verankerung und die Nationalisierung ehemals lokaler und regionaler Herrschaftsräume bestimmt. Es war ein komplizierter Prozess, der die europäischen Staaten zwischen dem Wiener Kongress und den europäischen Revolutionen der Jahrhundertmitte unterschiedlich stark formte und der auch innerhalb einzelner Staaten nicht einheitlich verlief. Er wurde begleitet von einer Fundamentalpolitisierung großer Teile der Bevölkerung, die wie zuvor die relativ kleine Gruppe bürgerlicher Intellektueller nach Formen politischer Mitwirkung strebte. Liberalismus und Freiheit waren keineswegs, wie Napoleon auf Sankt Helena behauptete, auf dem Schlachtfeld von Waterloo tödlich getroffen worden. 1830 brach die Revolution dort wieder aus, von wo sie ihren Ausgang genommen hatte, in Frankreich.
 
 Die Julirevolution in Frankreich
 
Karl X. tritt die Flucht nach vorn an — und verliert
 
Der überraschende Sturz der bourbonischen Dynastie in Frankreich binnen dreier Tage (29.—31. Juli 1830), von den Aufständischen lakonisch les trois glorieuses (die drei ruhmreichen) genannt, löste revolutionäre Wellen aus, die sich über weite Gebiete Europas erstreckten. Vorausgegangen waren starke innenpolitische Spannungen, die sich aufgrund unversöhnlicher Auffassungen über den einzuschlagenden politischen Kurs gegen Ende der Restaurationszeit aufgebaut hatten. Während das ultraroyalistische Ministerium unter Leitung von Jules Auguste Armand Marie von Polignac im Einklang mit Karl X. die politische Macht dem Monarchen in Form von Prärogativen (Vorrechten) überlassen wollte, forderte die Opposition zunehmend eine stärkere Berücksichtigung der Parlamentsmehrheit bei der Verteilung der Regierungsverantwortung. Zwar bildete die Opposition keinen einheitlichen Block, in ihr waren Republikaner ebenso vertreten wie Bonapartisten und als wirkungsvollste Gruppierung die Liberalen, aber insgeheim nutzte sie die latente Untätigkeit der Regierung publikumswirksam aus und wappnete sich auf unterschiedlichen Ebenen zum Widerstand. Der populäre, ehemalige Revolutionsheld Marie Joseph Motier de La Fayette organisierte Wahlkomitees wie die Gesellschaft mit dem bezeichnenden Namen Aide-toi, le ciel t'aidera (Hilf dir selbst, dann wird der Himmel dir helfen), und die Pariser Studenten gründeten eine republikanische Gesellschaft, die sich La Jeune France (Das Junge Frankreich) nannte. Die Partei der bourbonischen Seitenlinie, die Orléanisten, besaß in Charles Maurice de Talleyrand ihren geistigen Mentor und erhielt finanzielle Zuwendungen vom einflussreichen Bankier Jacques Laffitte. Sie alle trafen außerparlamentarische Vorbereitungen, und mit der Zeitung »National«, die von Adolphe Thiers und Auguste Mignet redigiert wurde, verfügten die liberalen Oppositionellen über ein schlagkräftiges Presseorgan, das meinungsbildende Lenkungsabsichten mit programmatischen politischen Zielen zu verbinden verstand.
 
Anstatt mit der liberalen Opposition zu einem Ausgleich zu kommen, hielt die Regierung im Frühjahr 1830 durch Zurückweisung der Adresse der Kammermehrheit, die dem Sinn nach ein Misstrauensvotum in Form einer Bittschrift war, an ihrem strikten Konfrontationskurs fest und suchte zu alledem ihr Heil in der außenpolitischen Offensive. Bevor die Siegesnachricht von der Eroberung Algiers, die den Grundstein für den Erwerb des französischen Kolonialreichs in Afrika legte, in Paris eintraf, löste der König die oppositionelle Kammer auf und behielt gleichzeitig die reaktionäre Regierung im Amt. Die anschließenden Wahlen endeten mit einer für König und Ministerium vernichtenden Niederlage. Trotz Druck und Wahlmanipulation gewann die Opposition 53 Sitze hinzu und wuchs auf 274 gegenüber 143 Abgeordneten der Regierungsseite an. Die nun folgenden Aktionen auf beiden Seiten gleichen in verblüffender Weise dem politischen Szenario der Großen Revolution von 1789. Mit vier Ordonnances, regierungsamtlichen Verfügungen, die die Pressefreiheit abschafften, die Zensur einrichteten, die neue Kammer auflösten und den Wahlzensus drastisch erhöhten, trat der König die Flucht nach vorn an. Die Antwort von Paris auf den royalistischen Staatsstreich war ein erbitterter dreitägiger Straßenkampf. Am 29. Juli war Paris in den Händen der Aufständischen. Diese hatten 1800 gefallene Mitstreiter zu beklagen, die königlichen Soldaten zählten 200 Tote. Paris entschied über das Schicksal Frankreichs, indem es die bourbonische Dynastie von ihrem Thron vertrieb. Die Julirevolution ist insofern bemerkenswert, als sie die Tat einer einzigen Stadt war.
 
Louis Philippe wird »König der Franzosen«
 
Die Pariser Unterschichten, die an der Seite des Generals Louis Eugène Cavaignac besonders stark an den Straßenkämpfen beteiligt waren, hatten die Republik verlangt, die Bonapartisten forderten ein zweites Kaiserreich. Das Ergebnis der Revolution war jedoch weder das eine noch das andere, sondern das Bürgerkönigtum Louis Philippes. Am 30. Juli nahm Karl X. endlich zur Kenntnis, dass etwas geschehen war und dass Zugeständnisse vonnöten waren. Aber schon hing an den Mauern von Paris das von Thiers und Mignet entworfene Plakat, das das Volk aufrief, den Herzog von Orléans auf den Thron zu setzen. Die selbst ernannte provisorische Regierung lud ihn ein, Generalstatthalter des Königreichs zu werden. Louis Philippe von Orléans, in sicherer Entfernung von Paris, zögerte zuerst, nahm aber schließlich dieses Angebot an.
 
Unterdessen hatte Karl X., von der Bevölkerung massiv bedroht, Zuflucht in dem Ort Rambouillet gefunden. Dort ernannte er seinen Enkel Henri Charles de Bourbon, Graf von Chambord, Herzog von Bordeaux, das enfant du miracle (Kind des Wunders), zum Generalstatthalter und dankte ab. Aus Furcht vor dem Einfluss der kleinbürgerlichen Massen, die bereits La Fayette zum neuen Präsidenten auserkoren hatten, bereiteten die gemäßigten, großbürgerlichen Abgeordneten jedoch die »orléanistische Lösung« vor, das heißt die Abdankung Karls X. zugunsten des Herzogs von Orléans, des Sohnes des berühmt-berüchtigten Philippe Égalité, der einst zusammen mit seinem jugendlichen Sprössling die Bänke des Pariser Jakobinerklubs gedrückt hatte. Während der gestürzte König mit der königlichen Familie gemächlich den Weg nach Cherbourg nahm, wo er seine Leibwache entließ und ein Schiff nach England bestieg, erklärte die Kammermehrheit am 7. August 1830 den Thron für vakant und wählte Louis Philippe eiligst zum »König der Franzosen«. Mit diesem Bruch der traditionellen Einsetzungsformalitäten endete die althergebrachte Legitimation monarchischer Herrschaft, die Idee vom Gottesgnadentum.
 
Die Restauration hatte politisch versagt, was aber nicht bedeuten muss, dass sie von Anfang an unausweichlich zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Im Gegenteil: Die Ziele der Revolution von 1830 waren nicht eigentlich gegen die Restauration gerichtet. Vielmehr trat sie an gegen das anachronistische Auftreten eines wieder erstarkten Adels, der an eine Fortsetzung seiner Privilegien aus dem 18. Jahrhundert glaubte, und einer ultramontanen — papsttreuen, an Rom orientierten — Geistlichkeit, die noch stärker vergangenheitsorientiert zurückschaute. Die gebildeten, besitzbürgerlichen Schichten jedoch mochten zwar davon überzeugt sein, dass die Religion gut fürs Volk sei, aber sie wollten nicht, dass ihre Söhne von eifernden Priestern erzogen wurden. Sie opponierten gegen ein Regime, in dem der Einfluss der Kirche in zunehmendem Maße die Oberhand gewann.
 
 Die Julimonarchie (1830—48)
 
Louis Philippe als »Bürgerkönig«
 
Mit der neuen Erbfolgeregelung war der Trend zur Parlamentarisierung bei der Einsetzung der Julimonarchie verstärkt worden, wenngleich die verhängnisvolle Kluft zwischen den aus der Macht verdrängten Legitimisten (Bourbonen), der stärker werdenden Bonapartisten und den überspielten Republikanern größer wurde. Außenpolitisch war die Beibehaltung der Monarchie angesichts des Argwohns der Heiligen Allianz für Frankreich sicherlich die bessere Lösung, zumal die »parlamentarisch« geringfügig revidierte Charte von 1830 in Großbritannien auf große Sympathien stieß. Außerdem waren die übrigen Großmächte entweder im eigenen Land beschäftigt oder mit dem Problem des gerade entstehenden Belgien viel zu sehr befasst, um in Frankreich intervenieren zu können. Geschickterweise zeigte der neue Roi citoyen (Bürgerkönig) gegenüber den Niederlanden keinerlei Expansionsgelüste und zog die Kandidatur seines Sohnes Louis, des Herzogs von Nemours, für die belgische Königskrone nach britischen Protesten zurück.
 
Verfassungspolitisch setzte die Julimonarchie die Praxis der Restaurationszeit fort. Der ominöse Notstandsartikel 14 wurde gestrichen, und König und Kammer teilten sich jetzt die Gesetzesinitiative. Außerdem wurde die revidierte Verfassung nicht mehr oktroyiert, sondern betonte den Vertragscharakter zwischen Volk und Monarch. Das Parlament beseitigte 1831 die Erblichkeit der Pairswürde und entzog dem Katholizismus den Status der Staatsreligion. Dennoch blieb die Stellung des Königs stark. Die Julimonarchie war eine konstitutionelle, aber keine parlamentarische Monarchie. Da die vom König ernannten Minister nicht um das Vertrauen der Kammer nachsuchen mussten, waren die Konflikte vorprogrammiert. Das Wahlrecht blieb auch weiterhin an das Steueraufkommen gebunden. Die Zahl der Wahlberechtigten stieg von etwa 94000 im Jahre 1830 auf circa 241000 in den Wahlen von 1846.
 
In seiner Person und durch seinen öffentlichen Habitus verkörperte der Bürgerkönig die neue Herrschaftsordnung der Julimonarchie. Er präsentierte sich durch seine relativ bescheidene Lebensführung mit seiner kinderreichen Familie als Mitglied des Bürgertums, als Garant für Wohlstand, Ruhe und Ordnung. Zunächst zeigte er sich reformbereit, erst im zunehmenden Alter wurde er starrsinnig und immer reformunwilliger.
 
Das politische Führungspersonal der Julimonarchie unterschied sich von der bourbonischen Restaurationszeit. Nicht mehr Adlige und Emigranten, sondern bürgerliche Aufsteiger besetzten die Schaltstellen der Macht. Die Minister Casimir Périer, Jacques Laffitte, François Guizot und Adolphe Thiers waren allesamt bürgerlicher Herkunft. Die Mittelklasse triumphierte und hatte die Macht in Frankreich übernommen. Allerdings blieb die Führungsrolle der Notabeln in der Abgeordnetenkammer und in den Wahlkörperschaften ungebrochen. Die bürgerliche Absicherung des neuen Regimes war dringend notwendig, denn die politische und soziale Frontstellung nach 1830 hatte sich entscheidend verändert. Während die Gefahr einer adligen Reaktion deutlich an Kraft verloren hatte, mobilisierten die von den Ergebnissen der Revolution Enttäuschten, vor allem die sozialen Unterschichten der wachsenden Fabrikarbeiterstädte, ihren Widerstand gegen die Gesellschaft des Enrichissez-vous (Bereichert euch). Soziale Unruhen, Streiks und Aufstände waren in den 1830er-Jahren an der Tagesordnung. Unter den zahlreichen Erhebungen waren die Revolten der Seidenarbeiter 1831 und 1834 in Lyon das bekannteste Ereignis und erlangten überregionale Bedeutung.
 
Nach dem misslungenen Attentat auf den König am 28. September 1835 setzten sich in der Regierung diejenigen Kräfte durch, die nicht in der Weiterentwicklung der Verfassung, sondern in der offensiven Abwehr des Bedrohungspotenzials durch Volksunruhen, im Notfall unter Einsatz militärischer Mittel, zur Herstellung von Sicherheit und Ordnung das probate Mittel sahen, die bürgerliche Monarchie zu stabilisieren. Die Folge waren eine repressive Pressepolitik sowie Versammlungsverbote, was den Arbeiterorganisationen nur vordergründig schadete, da sie in den Untergrund gingen, die Wehrbereitschaft der Besitzenden aber eher stärkte. Zudem nahm die günstige Wirtschaftskonjunktur den oppositionellen Republikanern den Wind aus den Segeln. Sie setzten nach 1835 auf den legalen Machtwechsel, nicht mehr auf Subversion. Ebenso blieb das Schicksal der arbeitenden Klasse auf der Tagesordnung, doch nicht mehr deren Mobilisierung.
 
Die Regierung der Julimonarchie, ihre Gegner und ihre Reformen
 
Die Zeitspanne von 1838 bis 1848 kennzeichnete eine Phase relativer innenpolitischer Ruhe. Die Regierung setzte ihre politischen Akzente neu; etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik folgte sie liberalen Prinzipien, in der Haltung gegenüber den Unterschichten griff sie auf repressive Maßnahmen zurück. Innerlich gefestigt, konnten ihr selbst Putschversuche nichts anhaben. 1836 und 1840 scheiterte Louis Napoléon, der Neffe des großen Korsen und spätere Napoleon III., zweimal kläglich, ebenso der Aufstandsversuch der Republikaner im Mai 1839. Von allen politischen Gruppierungen entpuppten sich die Bonapartisten zunehmend als Gefahr für die Regierung. Mit der feierlichen Überführung der sterblichen Gebeine Napoleons I. von Sankt Helena nach Paris am 14. Dezember 1840 erlebte die Napoleonlegende in ganz Frankreich einen enormen Aufschwung. Nachdem 1832 der einzige legitime Sohn Napoleons, der Herzog von Reichstadt, in Wien gestorben war, konzentrierten sich die Hoffnungen der Bonapartisten auf Louis Napoléon, das neue Haupt der Familie Bonaparte, der sich zur Wiedererrichtung des napoleonischen Kaisertums berufen fühlte.
 
Konnten dessen Versuche zur Machtübernahme erfolgreich abgewendet werden, so wurde das Krisenjahr 1840 zu einer ernsthaften Herausforderung für das Julikönigtum. Der Ausgangspunkt für den gesamteuropäischen Konflikt war die von Frankreich ausgelöste Orientkrise. Vor dem Hintergrund einer nationalistischen Welle in Parlament und Presse hatte sich das Ministerium Thiers in der »ägyptischen Frage« zugunsten des Paschas Mehmed Ali ausgesprochen und damit die Ächtung seines Landes durch die übrigen Großmächte auf der Londoner Konferenz im Juli 1840 provoziert. Aus Furcht vor einer europäischen Isolation und auf Druck nationalistischer Pressestimmen aus dem eigenen Land lenkte Thiers die Orientkrise in eine Diskussion über die französische Rheingrenze um, was wiederum die preußische Seite auf den Plan rief. Ein »Federkrieg« diesseits und jenseits des Rheins entbrannte, in deren Verlauf Nikolaus Becker sein berühmtes Rheinlied »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein« dichtete, woraufhin Alfred de Musset ihm sein nicht minder populäres Gedicht »Nous l'avons eu votre Rhin allemand« (Wir haben ihn gehabt, euren deutschen Rhein) entgegenhielt. Um dem emotional aufgeladenen Spannungsfeld die Kraft zu nehmen, entließ Louis Philippe kurzerhand den glücklosen Thiers und ersetzte ihn durch den anglophilen François Guizot, der bis zum Sturz des Königs 1848 die Regierungspolitik leitete.
 
Nachdem die Unterdrückung der Aufstände im Innern einen breiten Konsens innerhalb der bürgerlichen Herrschaftselite gestiftet hatte, öffnete die Regierung das sozialpolitische Ventil und gab den Raum für Reformprojekte frei. Neben der Ausweitung des Wahlkörpers — 1847 besaßen 250000 von 35 Millionen das Wahlrecht — erzielte die Julimonarchie vor allem in der Schulgesetzgebung einen großen Erfolg. Das bereits 1833 von Guizot eingebrachte Gesetz über den Volksschulunterricht bestimmte, dass jede Gemeinde über 500 Einwohner eine Schule errichten durfte und der Staat die Besoldung und Ausbildung der Lehrer übernahm, was zu einer deutlichen Verbesserung des Ausbildungsniveaus beitrug und die Analphabetenrate absenkte. Weitere Erfolge wurden im Ausbau des nationalen Eisenbahnnetzes erzielt, wobei Staat und private Kapitalanleger bei der Finanzierung zusammenwirkten.
 
Im Urteil der Kritiker erscheint die Julimonarchie als Inbegriff kleinlicher Interessenrangeleien, als ein Regime mit wuchernder Korruption und geringer Reformfreudigkeit. Als ihr typischer Repräsentant gilt Guizot, der entschieden für die königlichen Rechte eintrat, sich aber zugleich einer Ausweitung des Wahlrechts verschloss und als außenpolitischer Abenteurer — zum Beispiel durch koloniales Konkurrenzverhalten gegenüber Großbritannien und die vollständige Eroberung Algeriens 1847 — hervortat. Dem wachsenden Wunsch großer Teile des Bürgertums nach politischer Mitsprache wurde damit auf nationaler Ebene nicht entsprochen. Als die soziale Unzufriedenheit infolge des strengen Winters 1847/48 zunahm, und das Elend vieler arbeitsloser Arbeiter und Handwerker offen zutage trat, schuf dies eine Situation, in der ein Funke genügte, den Pariser Barrikadensturm vom 22. Februar 1848 auszulösen.
 
 Politischer Vormärz
 
Das politische Leben in Europa kam durch die Julirevolution in Frankreich kräftig in Bewegung. Hinter der trügerischen Fassade äußerer Ruhe gärte es in vielen Ländern. Das französische Beispiel ermunterte zur Nachahmung und gab den liberalen und freiheitlichen Kräften neuen Auftrieb. Bereits im August 1830 griff die Revolution auf Belgien über, im Spätsommer und Herbst auf die Schweiz, im September auf die mitteldeutschen Staaten und im November auf Polen. Die kontinentale Revolutionswelle schwappte selbst nach England über, wo im November das Torykabinett unter dem Herzog von Wellington stürzte und den Weg für eine Wahlrechtsreform frei machte, die von der neuen Whigregierung unter Charles Earl of Grey in Angriff genommen wurde. Die Reform Bill von 1832 hielt zwar am Zensuswahlrecht fest, aber sie weitete insbesondere den Zugang des mittleren Bürgertums zum Parlament durch eine Verdoppelung der Zahl der Wahlberechtigten auf eine Million — bei einer Gesamtbevölkerung von 24 Millionen — aus und leitete eine Reihe weiterer sozialer Reformen wie das Armengesetz und das Gesetz zur Regelung der Kinderarbeit ein.
 
Der polnische Aufstand von 1830/31, von Russland mit preußischer Hilfe militärisch niedergeschlagen, mobilisierte wie kein anderer das liberale Bürgertum in Deutschland. Zur Unterstützung der Freiheitsbewegung wurden landesweit Polenvereine gegründet, womit sich für die innerdeutsche Opposition erstmals seit den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819 auf Bundesebene die Gelegenheit bot, Kontakte mit dem Ausland zu schließen und öffentlich in Erscheinung zu treten. Die Bewegung, die soziale Proteste mit bürgerlich-liberalen Reformforderungen verband, erfasste weite Bereiche der deutschen Staatenwelt. In Braunschweig und im Königreich Sachsen traten unter dem Druck der Volksbewegungen die Landesherren ab und machten ihren Nachfolgern Platz. In Hannover und Kurhessen wechselten gar die Regierungen.
 
Die allgemeine Aufbruchstimmung erfasste schließlich ganz Süddeutschland. Der badische Landtag verabschiedete am 28. Dezember 1831 ein »Pressgesetz«, das im Widerspruch zum geltenden Bundesrecht die Zensur aufhob. Die Einheits- und Freiheitsbewegung fand ihren Höhepunkt in der Pfalz. Auf Einladung der beiden liberalen Publizisten Johann Georg August Wirth und Philipp Jacob Siebenpfeiffer trafen sich auf der Ruine des Hambacher Schlosses vom 27. bis 30. Mai 1832 mehr als 30000 Teilnehmer und beschworen die Parole »Vaterland, Volkshoheit, Völkerbund«. Das Hambacher Fest rief in der deutschen Öffentlichkeit ein großes Echo hervor. Als aber der Versuch einiger Burschenschaftler und Bürger, die Hauptwache und die Konstablerwache in Frankfurt zu stürmen, am 3. April 1833 scheiterte, wurde eine zentrale Untersuchungskommission eingesetzt, die mit Verhaftungen, Verurteilungen und Verboten der Oppositionsbewegung des Vormärz ein Ende setzte.
 
Prof. Dr. Erich Pelzer
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Europa im Revolutionsjahr 1848/49: Bürger auf den Barrikaden
 
Deutschland: Die deutsche Einigung im 19. Jahrhundert
 
Österreich-Ungarn: Nationale Fragen in der Donaumonarchie
 
Italien: Zwischen Cavour und Garibaldi
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Restauration: Das alte Europa als Phönix aus der Asche?
 
Literatur:
 
Fischer-Weltgeschichte, Band 26: Das Zeitalter der europäischen Revolution. 1780-1848, herausgegeben von Louis Bergeron u. a. Teilweise aus dem Französischen. Frankfurt am Main 1994.
 Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849. München 31993.
 
Marianne und Germania 1789-1889. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten - eine Revue. Beiträge von Heidemarie Anderlik u. a. Herausgegeben von Marie-Louise von Plessen. Ausstellungskatalog Martin-Gropius-Bau, Berlin. Berlin 1996.
 Mommsen, Wolfgang J.: 1848, die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa, 1830-1849. Frankfurt am Main 1998.
 Weis, Eberhard: Der Durchbruch des Bürgertums. 1776-1847. Frankfurt am Main u. a. 21981. Nachdruck Frankfurt am Main u. a. 1992.


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