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FERMI: DER VATER DES NEUTRINOS

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Fermi: Der Vater des Neutrinos
 
Herkunft, Ausbildung und frühe Karriere
 
Enrico Fermi, der bedeutendste italienische Physiker des 20. Jahrhunderts, entstammte relativ einfachen sozialen Verhältnissen. Die Familie kam väterlicherseits aus Piacenza im ländlichen Potal, das ehemals zum Herzogtum Parma gehörte. Der Vater, Alberto Fermi, hatte es bis zum Verwaltungsangestellten bei der Staatlichen Italienischen Eisenbahn gebracht, die Mutter, Ida de Gattis, war vor ihrer Ehe Lehrerin. Enrico wurde am 29. September 1901 in Rom als drittes ihrer drei Kinder geboren; die Schwester Maria hatte 1899, der Bruder Giulio 1900 das Licht der Welt erblickt. Giulio starb 1916, womit Enrico zum männlichen Erben der Familie avancierte. Er erhielt eine traditionelle Ausbildung an den öffentlichen Schulen Roms. Seine frühe wissenschaftliche Bildung verdankte er weniger persönlichen Kontakten als der privaten Lektüre wissenschaftlicher Texte, wie wir aus einem erhaltenen Notizbuch wissen, in das er seine Exzerpte eintrug.
 
Im November 1918, also mit siebzehn Jahren, bezog Fermi mithilfe eines Stipendiums die Reale Scuola Normale Superiore, eine technische Hochschule in Pisa, um Physik zu studieren. Das Studium schloss er im Juli 1922 mit der Promotion ab. Fermi machte anschließend eine akademische Karriere, was primär seinen exzellenten wissenschaftlichen Qualitäten geschuldet war; die aktuellen politischen Verhältnisse Italiens sowie ein Quäntchen Protektion waren aber auch mit im Spiel. Ende Oktober 1922 übernahm die faschistische Bewegung unter Benito Mussolini die Macht in Italien. Der im Kabinett Mussolini für die Hochschulen zuständige Minister, der Senator Orso Mario Corbino, — kein Faschist, sondern eher Technokrat und von der Ausbildung her selbst Physiker —, strebte eine Reform der Hochschulen an. Sein besonderes Interesse galt dabei einem »rinascimento«, einem Wiederaufleben der italienischen Physik, für das er begabte Nachwuchskräfte zu rekrutieren suchte. Corbino förderte Fermi wo er eben konnte. Dieser erhielt zunächst ein Stipendium des Ministero della Pubblica Istruzione, mit dessen Hilfe er ein halbes Jahr bei Max Born in Göttingen studierte. 1924 folgte ein Lehrauftrag an der Universität Florenz. Im Februar 1926 belegte Fermi in einem Wettbewerb (»concorso«) um den Lehrstuhl für Physik an der Universität Cagliari in Sardinien den zweiten Platz, womit er eine Anwartschaft auf Berücksichtigung bei weiteren »concorsi« begründete. Auf hartnäckiges Betreiben Corbinos wurde für Fermi in Rom eine Professur für theoretische Physik errichtet; es war die erste ihrer Art in Italien. Franco Rasetti, Fermis Freund aus Studientagen, erhielt eine außerordentliche Professur.
 
Corbino hätte kaum eine bessere Wahl treffen können: Von Rasetti unterstützt sammelte Fermi begabte Studenten um sich und begründete damit die erste »scuola di Fermi«, zu deren Mitgliedern u. a. Edoardo Amaldi, Bruno Pontecorvo, Bruno Rossi, Emilio Segrè und Gian Carlo Wick gehörten. Einen Ruf an die Universität Zürich, die ihm anbot, Nachfolger Erwin Schrödingers zu werden, lehnte Fermi 1928 ab. Im selben Jahr heiratete er die Physikerin Laura Capon, die Tochter eines Admirals der italienischen Marine. Mit ihrer Hilfe verfasste Fermi ein zweibändiges Lehrbuch der Physik für die italienischen Gymnasien. Weitere Möglichkeiten, das schmale Professorengehalt aufzubessern, boten eine Herausgeberschaft der »Encyclopedia Italia« sowie eine Funktion im Rahmen der Accademia Reale d'Italia, in die er bereits 1929 aufgenommen worden war: die dortigen Sitzungsgelder betrugen das Anderthalbfache seines Universitätsgehalts.
 
In den 1930er-Jahren hielt sich Fermi während der Sommermonate regelmäßig zu Studien- und Arbeitsaufenthalten in den USA auf. Politisch gänzlich inaktiv und insbesondere dem Faschismus gegenüber eher indifferent, sah Fermi anfänglich keinen Grund, Italien auf Dauer zu verlassen; jedoch sollte die Tatsache, dass seine Frau Laura Jüdin war, ihren gemeinsamen Lebensweg schließlich stark beeinflussen. Nach dem Anschluss Österreichs und unter dem Druck Hitlers schlossen sich die italienischen Faschisten der rassistischen Gesetzgebung Deutschlands schrittweise an. Dies machte für Juden das Leben in Italien immer weniger erträglich, sodass die Fermis beschlossen, in die USA zu emigrieren. Die Gelegenheit zur Flucht bot Ende 1938 eine Reise nach Schweden, die Fermi mit seiner Frau und seinen beiden Kindern antrat, um in Stockholm den Nobelpreis für Physik entgegenzunehmen, der ihm für seine Arbeiten mit Neutronen verliehen worden war.
 
 Frühe theoretische Arbeiten
 
Fermis frühe Arbeiten waren hauptsächlich theoretischer Natur, das heißt, sie bestanden in der Anwendung mathematischer Methoden auf einzelne theoretische Probleme der Physik, etwa zur Relativitäts- und Quantentheorie. Fermi lieferte 1925 einen bedeutenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Quantentheorie, indem er das Ausschließungsprinzip von Wolfgang Pauli auf die Theorie idealer Gase anwandte. In dem von Niels Bohr 1913 postulierten Atommodell besetzen die Elektronen des Atoms diskrete Bahnen, von denen jede stets nur eine genau definierte Zahl von Elektronen beherbergen kann. Pauli war es 1924 gelungen, die bohrsche »Zahlenmystik« aufzuklären, indem er nachwies, dass neben der Energie, dem Drehimpuls und dem magnetischen Moment auch noch der Eigendrehimpuls oder Spin der Elektronen berücksichtigt werden muss, um die Besetzungszahlen der Bahnen zu erklären; jeder Energiezustand kann dabei nur von einem einzigen Elektron besetzt werden. Fermi zeigte, dass Entsprechendes für alle Teilchen mit halbzahligem Spin gelten muss. Konsequenz dieser Überlegung ist, dass der Energieinhalt eines idealen Gases solcher Teilchen selbst am absoluten Nullpunkt nicht null wird, sondern endlich bleibt, weil der energetisch tiefste Zustand nur von einem einzigen Teilchen besetzt werden kann; alle weiteren Teilchen müssen zwangsläufig die nächsthöheren Zustände besetzen. Da fast gleichzeitig mit Fermi der Brite Paul Dirac zu einem äquivalenten Resultat gelangt war, heißt der Formalismus heute Fermi-Dirac-Statistik.
 
Auch der Betazerfall radioaktiver Atomkerne durch spontane Aussendung von Elektronen — Betastrahlung genannt — stellte die Physiker zu Beginn der 1930er-Jahre vor erhebliche theoretische Probleme. Die Geschwindigkeiten der Elektronen, die von Atomkernen desselben Isotops ausgesandt werden, sind kontinuierlich über einen großen Bereich verteilt (Betaspektrum), obwohl nach den Gesetzen der klassischen Physik alle Elektronen die gleiche Geschwindigkeit aufweisen müssten. Um die Gültigkeit der Erhaltungssätze der Physik (Energie, Impuls, Drehimpuls) zu »retten«, postulierte Pauli 1930 die Existenz eines neuen, elektrisch neutralen Teilchens, das bei jedem Betazerfall erzeugt werden soll und mit dem sich das kontinuierliche Betaspektrum erklären ließe.
 
Fermi griff diese Hypothese 1933 auf und entwickelte eine in sich konsistente Theorie des Betazerfalls, die die genannten Schwierigkeiten vermeidet und eine quantitative Ableitung der Fakten, insbesondere des Betaspektrums, erlaubt. Fermi führte dazu eine neue Wechselwirkung, die »schwache Kraft« ein, die zu den bereits bekannten drei Wechselwirkungen — Gravitation, elektromagnetische und starke (Kern-)Kraft — hinzutritt. Dem spekulativen Teilchen, auf dessen Existenz die ganze Theorie aufbaute, gab Fermi den Namen Neutrino (italienisch »das kleine Neutrale«), seine Masse bestimmte Fermi als annähernd null. Der experimentelle Nachweis des Neutrinos gelang erst in den 1950er-Jahren, womit Fermis Theorie des Betazerfalls ihre glänzende Bestätigung erfuhr. Sie gilt als seine bedeutendste theoretische Leistung und lieferte wichtige Anstöße für die Kern- und Elementarteilchenphysik.
 
 Experimentelle Physik mit Neutronen
 
Im Winter 1930/31 hatte sich Fermi erstmals auch für das Feld der experimentellen Kernphysik zu interessieren begonnen. Die dazu notwendigen Apparaturen waren in Rom allerdings nicht vorhanden. Das Physikalische Institut der Universität war materiell und personell sehr schlecht ausgestattet, in der Werkstatt konnten nur einfachste Arbeiten ausgeführt werden. Fermi beschloss, gemeinsam mit seinen Mitarbeitern so weit wie möglich auf »do it yourself« zu setzen. Mithilfe von Amaldi entstand eine erste Nebelkammer zur Sichtbarmachung der Spuren radioaktiver Teilchenstrahlen. Darüber hinaus schickte Fermi seine Mitarbeiter ins Ausland, um sie experimentelles Know-how lernen zu lassen. Im Herbst 1931 ging Rasetti für ein Jahr zu Lise Meitner ans Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem, um sich dort in der Herstellung von radiochemischen Strahlungsquellen und Nachweistechniken ausbilden zu lassen. Während seines Aufenthaltes in Berlin erschienen in der Fachpresse verschiedene Arbeiten, die von einer merkwürdig durchdringenden Strahlung berichteten, die immer dann entstand, wenn das Element Beryllium mit Alphateilchen beschossen wurde. James Chadwick war 1932 der Erste, der diese Strahlung als jene Neutronen identifizierte, deren Existenz Ernest Rutherford bereits 1920 vermutet hatte. Der Umgang mit der neuen Neutronenstrahlung, ihre Herstellung durch strahlenchemische Quellen sowie ihr Nachweis waren der Schlüssel zur experimentellen Kernphysik.
 
Nachdem Rasetti nach Rom zurückgekehrt war, startete Fermi ein experimentelles Forschungsprogramm, das auf die Anwendung der Neutronenstrahlung setzte. Experimentelle Hilfsmittel wie Nebelkammer und Zähler ließ Fermi nach Berliner Vorbild in einer privaten Werkstatt fertigen. Ende 1933 hatte man im Hinblick auf die apparative Ausstattung des Labors das Niveau der Zeit erreicht. Eine Neutronenquelle aus den Elementen Polonium und Beryllium stand auch zur Verfügung. Wenig später erhielt die Gruppe in Rom aufregende Nachrichten aus dem Ausland: Im März 1934 hatten Irène und Frédéric Joliot-Curie in Paris entdeckt, dass sich leichte Elemente durch Beschuss mit Alphastrahlen künstlich radioaktiv machen lassen.
 
Fermi und Rasetti beschlossen, anstelle der Alphateilchen erstmals Neutronen zu verwenden, um die künstliche Aktivierung herbeizuführen. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass Neutronen wegen ihrer fehlenden elektrischen Ladung wesentlich leichter als die doppelt positiv geladenen Alphateilchen in den Kern bestrahlter Elemente eindringen und dort die für Radioaktivität notwendige Instabilität verursachen müssten. Systematisch wurden danach alle verfügbaren Elemente in aufsteigender Reihe ihrer Ordnungszahlen dem Experiment unterworfen; bei Fluor (Ordnungszahl Z = 9) konnte erstmals Aktivierung beobachtet werden.
 
Besonders interessante Ergebnisse erhoffte sich Fermi von der Bestrahlung schwerer Elemente. Wird ein eindringendes Neutron von dem schweren Kern absorbiert, müsste dieses Neutron, so Fermis Überlegung, durch anschließenden Betazerfall in ein Proton übergehen. Die Ordnungszahl des getroffenen Kerns stiege damit um eine Einheit, wodurch das Element im Periodensystem eine Stelle nach oben rückte: ein neues, schwereres Element wäre entstanden. Bis hinauf zum Uran (Z = 92), dem schwersten der zu diesem Zeitpunkt bekannten Elemente, wurden alle verfügbaren chemischen Elemente mit Neutronen beschossen. Beim Uran wies Fermis Gruppe nach, dass die Ordnungszahl der Folgeprodukte nicht zwischen derjenigen von Blei (Z = 82) und Uran lag; folglich, so glaubte man, müsse sie größer als 92, mithin ein »Transuran« entstanden sein.
 
Fermis »Transuran-Hypothese« sollte die Kernphysik für die kommenden Jahre beherrschen. Die Möglichkeit, dass das Uran durch den Neutronenbeschuss in zwei nahezu gleich große Bruchstücke zerplatzt, wurde von Fermi und Mitarbeitern nie ernsthaft diskutiert, obwohl sie durch eine Arbeit der deutschen Chemikerin Ida Noddack auf diese prinzipiell denkbare Möglichkeit hingewiesen worden waren. Die Entdeckung der Kernspaltung wurde so verfehlt. Den Physikern erschien die Abspaltung von Kernbruchstücken, die größer als Alphateilchen sind, aus theoretischen Überlegungen heraus extrem unwahrscheinlich. Die gamowsche Theorie des Alphazerfalls, die hierfür verantwortlich war, galt als Stand moderner Wissenschaft und war so quasi unantastbar. Chemiker wie Ida Noddack waren unbefangener, weil sie sich physikalischen Theorien nicht verpflichtet fühlten.
 
Fermi und seine Gruppe glaubten bis dahin immer noch, dass Neutronen für die Herbeiführung von Kernreaktionen umso geeigneter seien, je höher ihre Energie und damit auch Geschwindigkeit ist; ebenfalls ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Mehr durch Zufall als durch Systematik fanden sie heraus, dass die künstliche Aktivierung besonders intensiv ausfiel, wenn die Neutronen vor ihrem Auftreffen auf die zu aktivierenden Elemente wasserstoffhaltige Substanzen wie Paraffin passieren mussten. Wie Fermi erkannte, verlieren Neutronen bei Stößen mit Wasserstoffkernen jeweils etwa die Hälfte ihrer aktuellen Energie. Dieser Prozess kann sich vielfach wiederholen, bis Geschwindigkeiten erreicht werden, die im Bereich der Wärmebewegung der Moleküle liegen. Derartig »moderierte« Neutronen sind bei der Aktivierung effektiver, weil sie aufgrund ihrer geringeren Geschwindigkeit besser mit ihrem Zielkern in Wechselwirkung treten können. Mit diesen »thermischen Neutronen« schufen Fermi und seine Mitarbeiter eine Voraussetzung für die spätere technische Nutzung der Kernenergie in Reaktoren.
 
 Kernspaltung
 
Von Fermis Erkenntnis der Bedeutung thermischer Neutronen bis zur tatsächlichen Entdeckung der Kernspaltung durch das Team Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann im Jahre 1938 war es noch ein weiter Weg, für dessen Länge u. a. die genannten Überzeugungen der Physiker verantwortlich waren. Hinzu kamen technische Probleme bei der chemischen Bestimmung der Elemente, die beim Beschuss des Urans mit Neutronen entstehen. Bei diesem keineswegs einfachen Unterfangen hat man es mit unwägbar geringen Mengen von Stoffen zu tun, die chemisch miteinander verwandt sind und sich daher nur sehr schwer trennen lassen. Neben den Gruppen um Fermi in Rom und um Hahn in Berlin waren es das Ehepaar Joliot-Curie und ihr Mitarbeiter Pavle Saviè in Paris, die mit diesen Problemen zu kämpfen hatten.
 
Die Pariser Gruppe erhielt bei der Bestrahlung des Urans mit Neutronen einen Stoff, der die chemischen Eigenschaften des Lanthans (Z = 57) aufwies. Da die Entstehung eines in der Mitte des Periodensystems stehenden Elements für unmöglich gehalten wurde, glaubten sie, dass es sich bei ihrem Fund um Actinium, einen chemischen Verwandten des Lanthans mit der Ordnungszahl 89, handeln müsse. Wie Hahn und Straßmann schließlich herausfanden, waren sie einem Trugschluss aufgesessen, denn bei dem gefundenen Element hatte es sich in der Tat um Lanthan gehandelt. Hahn und Straßmann, die ebenso wie Fermi und die Joliot-Curies zunächst ganz auf der Seite etablierter wissenschaftlicher Überzeugungen standen, hatten bei ihren eigenen Bestrahlungsversuchen zunächst geglaubt, Radium (Z = 88) gefunden zu haben, was sich — gegen ihren geistigen Widerstand, jedoch mit erdrückenden experimentellen Belegen — als das dem Radium verwandte Barium (Z = 56) erwies. Damit war klar, dass Uran bei der Bestrahlung mit Neutronen in zwei nahezu gleich große Bruchstücke zerplatzen kann; Fermis vermeintliche »Transurane« waren vor allem Spaltprodukte gewesen. Die Entdeckung von Hahn und Straßmann löste eine wahre Lawine aus. Noch im Dezember 1938 hatte Hahn per Brief seiner Kollegin Lise Meitner, die im Juli des Jahres vor drohender Naziverfolgung nach Schweden emigriert war, von den »merkwürdigen« Resultaten berichtet. Gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch entwickelte Meitner sofort eine physikalische Deutung des Spaltprozesses. Nahezu zeitgleich hatte auch Niels Bohr anlässlich einer in den USA stattfindenden Physikertagung im Januar 1939 von der Neuigkeit berichtet; die amerikanischen Physiker stürzten in ihre Labore, um die Resultate von Hahn, Meitner und Straßmann mit physikalischen Methoden nachzuprüfen, was eindrucksvoll gelang.
 
 Die erste selbsterhaltende Kettenreaktion
 
Am 2. Januar 1939 war Fermi, von der Nobelpreisverleihung in Schweden kommend, in Begleitung von Frau und Kindern in der neuen gemeinsamen Heimat USA eingetroffen. Zwei Wochen später setzte ihn dort Bohr über die sensationelle Neuigkeit der Kernspaltung aus Europa in Kenntnis. An der Columbia University, seiner neuen Wirkungsstätte in New York, begann Fermi daraufhin mit theoretischen Studien. Meitner und Frisch hatten errechnet, dass bei jeder Spaltung eines Urankerns die Bruchstücke mit einer Energie von rund 200 Megaelektronvolt (MeV) auseinander fliegen. Dies war ein gewaltiger Betrag, der das bei chemischen Reaktionen umgesetzte Quantum um das Zehnmillionenfache überstieg. Den Physikern war klar, dass sie hier über eine Energiequelle bisher ungeahnter Dimension verfügten, falls es gelang, den Spaltungsprozess selbsterhaltend, das heißt ohne Hinzufügung zusätzlicher Neutronen von außen, in einer größeren Menge Uran ablaufen zu lassen. Das Interesse richtete sich damit auf die Frage, wie viele Neutronen beim Spaltungsprozess frei werden. Wären es — im statistischen Mittel genommen — mehr als ein Neutron pro Spaltung, so bestünde die Möglichkeit, dass die überzähligen Neutronen weitere Uranatome spalten, wodurch eine selbsterhaltende Kettenreaktion in Gang käme.
 
Gemeinsam mit Herbert Anderson von der Columbia University und in Kooperation mit Leo Szilard und Walter Zinn von der New York University wurde das Problem von Fermi theoretisch und experimentell untersucht. Im Durchschnitt erhielt man zwei bis drei Neutronen pro Spaltung, womit die Frage nach der Möglichkeit der Kettenreaktion im Prinzip positiv beantwortet war. Die Möglichkeit, die Kernspaltung friedlich, aber auch militärisch zu nutzen, wurde damit im März 1939 zu einer konkreten Vision, die angesichts der politischen Ereignisse in Europa an Bedrohlichkeit gewann.
 
Die Physiker, besonders jene, die wegen Hitlers Politik aus Europa in die USA emigriert waren, drängten die amerikanische Regierung dazu, auf dem Gebiet der Atomforschung aktiv zu werden, weil sie fürchteten, dass andernfalls den Deutschen ein entscheidender militärischer Vorteil zufallen könnte. Die aus Ungarn stammenden Physiker Szilard, Eugene Wigner und Edward Teller wandten sich am 2. August 1939 an Albert Einstein mit der Bitte, einen entsprechenden Brief an die amerikanische Regierung zu unterzeichnen. Einstein tat dies bereitwillig, jedoch bedurfte es 1941 einer weiteren Initiative, bis am 6. Dezember 1941, einen Tag vor dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour, Vannevar Bush, der Leiter des Office of Scientific Research and Development, erklären konnte, dass die USA ihre Kräfte auf die Entwicklung einer Atombombe konzentrieren würden. Der Start des »Manhattan-Projekts« fiel damit praktisch mit dem Kriegseintritt der USA zusammen. Die Folge war, dass Fermi und andere mit Spaltungsproblemen befasste Physiker ihre Arbeiten geheim fortsetzen mussten.
 
Für Fermi ergab sich die besondere Situation, fortan für die Regierung der USA kriegswichtige Arbeit zu leisten, gleichzeitig aber — wegen seiner immer noch gültigen italienischen Staatsbürgerschaft — mit dem Status eines »feindlichen Ausländers« versehen zu sein. Die Leitung der Uranarbeiten wurde daher auch nicht ihm, sondern dem amerikanischen Physiker Arthur Compton übertragen, der entschied, dass diese in Chicago fortgesetzt werden sollten. Am streng geheimen Metallurgical Laboratory arbeitete Fermi an der Konstruktion des »Chicago pile«, eines »Meilers« zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer geregelten Kettenreaktion. Als Moderatorsubstanz wählte Fermi dabei hochreines Graphit. Gewöhnliches Wasser hatte sich als ungeeignet erwiesen, da es zu viele Neutronen absorbiert, schweres Wasser schien in der Herstellung viel zu aufwendig. Mit der Anordnung, die auf einem Squashplatz unter der Tribüne des Stagg-Field-Stadions der Universität Chicago errichtet wurde, gelang es Fermi und seinen Mitarbeitern am 2. Dezember 1942 zum ersten Mal, eine kontrollierte, sich selbst erhaltende Kettenreaktion einzuleiten.
 
Ziel dieser Arbeiten in Chicago war jedoch nicht etwa die Produktion elektrischer Energie, sondern die Gewinnung von Plutonium. Dieses Element, ein echtes Transuran (Z = 94), war erst 1941 von Glenn Seaborg und seinen Mitarbeitern am Zyklotron in Berkeley gefunden worden. Plutonium 239, das wie Uran 235 von thermischen Neutronen gespalten wird, schien als der Königsweg zur Bombe, da es im Reaktor aus natürlichem Uran durch Neutroneneinfang »erbrütet« und anschließend vom Uran chemisch abgetrennt werden kann, wogegen die Anreicherung von Uran 235 aus natürlichem Uran ein technisch äußerst diffizieles Unterfangen darstellte. Eine Tafel am Stagg-Field-Stadion erinnert heute an den Standort dieses ersten Kernreaktors, mit dem 1942 der »alternative« Weg zur Bombe beschritten wurde.
 
Der Auftrag, die von Fermi und seiner Gruppe angewandte Technologie zur Gewinnung von Plutonium im Industriemaßstab einzusetzen, erging an das Unternehmen DuPont, das mehrere große Reaktoren in Hanford (Washington) errichtete. Zusammen mit den Ingenieuren von DuPont arbeitete Fermi unterdessen in Argonne bei Chicago an der Optimierung der Reaktorkonstruktion. Von September 1944 bis Dezember 1945 verbrachte er dann die meiste Zeit in Los Alamos in New Mexico, wo in einem streng geheimen Labor der amerikanischen Regierung unter der Leitung von Robert Oppenheimer die Montage der Atombomben erfolgte. Am ersten Test einer Bombe, der am 16. Juli 1945 bei Alamogordo in der Wüste von New Mexico stattfand, war auch Fermi beteiligt. Im Anschluss daran wurde er in das Komitee berufen, das Präsident Truman hinsichtlich des Kriegseinsatzes der Atombomben gegen Japan zu beraten hatte. Die Bombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki hat er dort weder verhindern können noch wollen.
 
 Nachkriegszeit und späte Karriere
 
Seit Juli 1944 war Fermi amerikanischer Staatsbürger. 1946 ging er nach Chicago zurück, wo er am Institute for Nuclear Studies der Universität Chicago eine Professur übernahm. Finanziell und personell exzellent ausgestattet und von administrativen Verpflichtungen befreit, konnte Fermi hier ganz seinen Interessen nachgehen. Zu den Mitgliedern des Instituts gehörten zahlreiche prominente Mitarbeiter des »Manhattan-Projekts«, darunter Herbert Anderson, Maria Goeppert-Mayer, Edward Teller und Harold Urey. Die exzellenten Arbeitsbedingungen sowie seinen Ruhm nutzte Fermi zur Bildung einer zweiten, jetzt amerikanischen »scuola di Fermi«, aus der so bedeutende Physiker wie Murray Gell-Mann, Owen Chamberlain, Tsung Dao Lee und Chen Ning Yang hervorgingen. Fermi trug so dazu bei, Chicago zu einem der bedeutendsten Zentren der Kernphysik in den USA zu machen.
 
Fermi selbst wandte sich nach dem Krieg vor allem der Elementarteilchenphysik zu. Neben theoretischen Studien galt sein besonderes Interesse der Weiterentwicklung hochenergetischer Teilchenbeschleuniger. Unter Einsatz des neuen Zyklotrons der Universität Chicago studierte er gemeinsam mit Anderson und anderen Mitarbeitern die Wechselwirkungen von Pionen (Pi-Mesonen) mit Nukleonen (Protonen und Neutronen). Neben diesen experimentellen Aktivitäten widmete sich Fermi theoretischen Arbeiten über den Ursprung der kosmischen Strahlung sowie der Entwicklung statistischer Methoden zur Beschreibung von Vielteilchenprozessen. Den Fortschritt auf dem Gebiet elektronischer Rechenanlagen verfolgte er mit größtem Interesse, da erst Computer es erlaubten, viele statistische bzw. numerische Probleme zu lösen, mit denen er sich konfrontiert sah. Die Sommermonate verwandte Fermi zu Vortragsreisen in den USA und im Ausland, darunter in seiner alten Heimat Italien, wo er 1949 sehr freundlich aufgenommen wurde. Nach der Rückkehr von einer ähnlichen Europareise im Sommer 1954 wurde bei ihm ein Magenkarzinom festgestellt, an dem er nur kurz darauf, im Herbst des Jahres, in Chicago verstarb.
 
Fermi war Mitglied in einer Vielzahl wissenschaftlicher Akademien und Gesellschaften, darunter der italienischen Accademia dei Lincei, der U. S. National Academy of Sciences sowie der Royal Society of London. Außer dem Nobelpreis erhielt er 1954 den Enrico-Fermi-Preis, der zu seinen Ehren gestiftet worden war. Seine prominente Rolle bei der Entwicklung der Atomenergie brachte es mit sich, dass er auch Verpflichtungen im außerwissenschaftlichen Bereich übernehmen musste, denen er zwar jeweils pflichtbewusst, aber ohne Begeisterung nachkam. Aus heutiger Sicht war Enrico Fermi wohl der letzte Physiker, der es noch verstand, in der theoretischen und der experimentellen Physik gleichermaßen brillante Leistungen zu erbringen.
 
Burghard Weiss
 
Literatur:
 
Laura Fermi: Atoms in the family. My life with Enrico Fermi. Chicago, Ill., 1954, Nachdruck Los Angeles, Calif., 1987.
 Emilio Segrè: Enrico Fermi, physicist. Chicago, Ill., 1970.


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