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ÄGYPTISCHE LITERATUR: WEISHEIT UND ERBAUUNG

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ägyptische Literatur: Weisheit und Erbauung
 
Ursprung und Ziel der zentralen Texte der ägyptischen Literatur war die Ausbildung. Diese sollte auf den Dienst in der Verwaltung und im Kult vorbereiten, darüber hinaus aber und vor allem zum Ideal des gebildeten Ägypters erziehen. Die Ausbildung oder »Schule« bildete den institutionellen Rahmen für das Verfassen, die Verbreitung und Überlieferung der literarischen Texte, die das kulturelle Wissen des ägyptischen Menschen in eine gültige Form brachten.
 
Diese Texte waren nicht zum Lesen, sondern zum Lernen bestimmt. Sie waren auswendig zu lernen und abschnittweise aus dem Gedächtnis niederzuschreiben. So wurde zugleich mit der Schreibkompetenz auch ein Grundbestand auswendig gelernten Wissens vermittelt. Diese Schulweisheit war kein spezialisiertes Fachwissen, sie befähigte nicht zur korrekten Lösung von Verwaltungs- oder Kultaufgaben, sondern sie bezog sich auf die normativen und formativen (erzieherischen) Grundeinstellungen der ägyptischen Kultur; sie war also kulturelles Grundwissen, das aus dem Schreiberlehrling einen gebildeten, wohlerzogenen und rechtdenkenden Ägypter machte. Daher dürfen die Texte der Schreibererziehung als kulturelle Texte im vollen Sinne gelten. Schreibenlernen war mehr als die bloße Aneignung einer, wenn auch entscheidenden, Fertigkeit; es war die Einführung in die ägyptische Kultur und in die elitäre Klasse ihrer Träger.Den Kern der ägyptischen Literatur bildet die »Weisheitsliteratur«. Ihr ägyptischer Name bedeutet so viel wie Lehre, Unterweisung, aber auch Zucht und Strafe. Zur Weisheitsliteratur gehören im weiteren Sinne aber nicht nur die als »Lehre« überschriebenen Lebenslehren (edukative Literatur), sondern auch die Klagen und Dialoge stark lehrhaften Charakters und sogar einige Erzählungen, deren normative und vor allem formative Ansprüche ebenfalls unverkennbar sind.
 
Daneben gibt es noch Texte ganz anderer Art. Wir müssen die edukative Literatur, die zum Auswendiglernen bestimmt war, unterscheiden von den Nachschlagewerken der Wissensliteratur («Sachwissen«: Hierzu gehören vor allem medizinische, mathematische, astronomische und administrative Handbücher und Listen) und von der zur Verwendung im Kult vorgesehenen Rezitationsliteratur (»heilige Texte«). Nur die edukative Literatur besaß allgemeine Verbindlichkeit. Die Wissens- und die Rezitationsliteratur dagegen verbinden sich mit dem Begriff des Geheimnisses; sie sind nur für die Spezialisten gedacht.
 
In der Welt der mündlichen Überlieferung halten sich Texte nur dann im kulturellen Gedächtnis, wenn sie weitgehend Bekanntes zur Sprache bringen. In der Schriftkultur ist es umgekehrt. Ein Text wird nur dann in den Traditionsstrom aufgenommen und hat eine Chance, über die Jahrhunderte hinweg darin mitgeführt zu werden, wenn er die bestehenden Texte in entscheidender Weise bereichert und etwas Neues darstellt. Für diesen Tatbestand gibt es ein beredtes Zeugnis aus dem Ägypten des Mittleren Reichs, die Klagen des Chacheperreseneb:
 
»O dass ich unbekannte Sätze hätte, seltsame Aussprüche,
 
neue Rede, die noch nicht vorgekommen ist,
 
frei von Wiederholungen,
 
keine überlieferten Sprüche, die die Vorfahren gesagt haben.
 
. ..
 
Man kann sich nicht mit den Worten der Vorfahren schmücken,
 
denn die Nachkommen werden sie herausfinden.
 
. ..
 
O wüsste ich, was die anderen nicht wissen,
 
was keine Wiederholung darstellt.«
 
Durch die Schriftlichkeit gewinnt die Überlieferung eine Gestalt, die von den Kulturträgern kritisch aufgenommen und innovativ umgeformt werden kann. Erst durch die Schrift gewinnt auch wiederum der Träger die Freiheit, seinen eigenen Beitrag als etwas Neues, Fremdes, Unerhörtes gegenüber der altvertrauten Tradition zur Geltung zu bringen.
 
Durch diese Unterscheidung von Alt und Neu ändert sich mit dem Neuen Reich, vor allem in der Ramessidenzeit, das Bild grundlegend. Jetzt tritt innerhalb des Traditionsstroms eine deutliche Zweiteilung hervor. Auf der einen Seite stehen die Schulklassiker, Texte meist des Mittleren Reichs, die in vielen Ostraka, Papyri und Holztafeln existieren, auf der anderen Seite eine Gruppe von Texten, die jeweils nur in einer einzigen Handschrift erhalten sind und in der Regel nicht auf ein wesentlich älteres Vorbild zurückgehen, sondern aus dem Neuen Reich stammen. Hier scheinen wir es mit Texten zu tun zu haben, die nicht zum Auswendiglernen bestimmt waren, sondern eher dem »Vergnügen« dienen: mythologische und historische Erzählungen, Märchen, Fabeln, der satirische Reisebericht des Wenamun, die literarische Streitschrift des Papyrus Anastasi I, Liebeslieder, Schwänke und anderes mehr.
 
Damit tritt Unterhaltung als eine vierte Funktion neben die traditionellen drei Funktionen der Schulliteratur: Nachschlagen (Wissensliteratur), Auswendiglernen (kulturelle Texte) und Rezitieren (magische und kultische Texte). Wir dürfen uns aber wohl nicht vorstellen, dass es sich hier um eine Neuerung der Ramessidenzeit handelt und dass es vorher keine Unterhaltungsliteratur gegeben habe. Zwei Überlegungen stehen dem entgegen: Erstens gab es ja neben der Schriftkultur immer die mündliche Überlieferung, und hier wird die Unterhaltung ihren Ort gehabt haben; in der Ramessidenzeit verschieben sich also nur die Aufzeichnungsformen, und es gelangen jetzt Stoffe der mündlichen Überlieferung und Kommunikation in die Papyrushandschriften. Zweitens geben uns auch die älteren Texte deutliche Hinweise auf die Existenz und Funktion einer Unterhaltungskultur.
 
Was in Ägypten Unterhaltung bedeutet, erfahren wir aus den Texten selbst am deutlichsten. Einige enthalten Szenen, in denen davon die Rede ist, andere inszenieren sich selbst in Form einer Rahmenhandlung als Unterhaltung, wobei es meist um die Zerstreuung, Erbauung und »Besänftigung« des Königs geht. Ein spätes, aber typisches Beispiel ist der in demotischer Schrift, das heißt in der »Volksschrift« verfasste Mythos vom Sonnenauge. Hier ist es nicht der König, sondern die Göttin Tefnut, die besänftigt und unterhalten werden muss. Aber es ist völlig klar, dass es sich bei Tefnut um die göttliche Personifizierung heftiger Gemütsbewegungen des Königs handelt, die es durch Ablenkung zu bändigen gilt. Tefnut nimmt in dieser Geschichte teils die Zornesgestalt der Löwin und teils die Huldgestalt der Katze an, und die Aufgabe des Affen Thoth ist es, sie mit Liedern, Fabeln und Weisheitssprüchen unter Kontrolle zu bringen.
 
In diesen und anderen Szenen wird eine höfische Funktion der Unterhaltung greifbar: die Behandlung der königlichen Affekte. Der König braucht sowohl den gerechten Zorn wie auch die schweren Sorgen, das gehört zu seiner Rolle, aber er braucht gerade deshalb auch seine Berater, Weisen und Unterhalter, damit diese dramatische Hochspannung, die nötig ist, ein Reich in Gang zu halten, nicht außer Kontrolle gerät.
 
Texte zum Auswendiglernen im Rahmen der Erziehung und Texte zum Vergnügen stellen natürlich keine völlig getrennten Welten dar. Selbstverständlich gibt es hier fließende Übergänge. Es ist durchaus möglich, dass Unterhaltungstexte in den Rang kultureller Texte aufsteigen. Wichtig ist nur, dass in Ägypten Texte nicht unspezifisch »veröffentlicht«, sondern für genau festgelegte Zwecke geschaffen und verwendet wurden. Dabei kann man zwei Richtungen unterscheiden: Von oben nach unten (Lehrer - Schüler) sind die edukativen Texte adressiert, und von unten nach oben (Untertan - Herrscher) die unterhaltenden. Der Sitz im Leben der unterhaltenden Texte ist der »schöne Tag«, die Mußekultur der Oberschicht, sowie die höfische Zerstreuung des Königs, dessen affektive Hochspannung durch Weisheit und Erotik gebändigt werden muss. Der Sitz im Leben der edukativen Texte dagegen ist die Schule, das heißt das höfische, religiöse und administrative Bildungssystem.
 
Die Stoffe der Unterhaltungsliteratur lebten in der mündlichen Überlieferung und gelangten zur Schriftform als Freizeitbeschäftigung, vielleicht auch als Gesellenstücke ausgebildeter Schreiber, die sie ihrem Vorgesetzten zum Geschenk machten, kursierten als wertvolle Geschenke im Kreis der gebildeten Beamten und wurden von ihnen als kostbarer Besitz mit ins Grab genommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass nur ein geringer Ausschnitt dessen, was einmal das kulturelle Gedächtnis Ägyptens bildete, überhaupt schriftlich niedergelegt wurde, ganz abgesehen davon, dass auch von diesem Ausschnitt nur ein verschwindend geringer Bruchteil erhalten ist. - Eine weitere wichtige Gattung der ägyptischen Literatur ist die Totenliteratur. Sie wird in dem Kapitel »Reise in die Ewigkeit - Totenkult und Jenseitsvorstellungen« behandelt.
 
Prof. Dr. Jan Assmann


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