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FINNLAND: WEG ZUR SOUVERÄNITÄT

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Finnland: Weg zur Souveränität
 
Bis zum Ende des schwedisch-russischen Kriegs im Jahr 1808 war Finnland immer ein Teil, nicht etwa eine Provinz Schwedens gewesen. Nach dem Übergang zum Russischen Reich im Frieden von Hamina (schwedisch Fredrikshamn) im Jahr 1809 mussten sich die Bewohner Finnlands jedoch auf eine völlig neue Situation einstellen. Der Einfluss des etwa 17-prozentigen schwedischen Bevölkerungsteils ging drastisch zurück, stattdessen baute die finnische Bevölkerungsmehrheit ihre Stellung nach innen während des ganzen 19. Jahrhunderts erheblich aus. Am Ende dieser Entwicklung stand der Beginn der Eigenstaatlichkeit seit 1917. Suomi/Finland — so der offizielle Landesname — ist seitdem eine unabhängige Republik und hat die staatliche Souveränität trotz des Verlusts Kareliens im Winterkrieg 1939/40 und im Friedensschluss von 1944 mit der Sowjetunion behauptet.
 
Vergleicht man nun die Suche nach ethnischer Identität zwischen den Finnen und Schweden in Finnland einerseits sowie zwischen den Deutschen und den Esten und Letten in den drei zum Russischen Reich gehörenden Ostseeprovinzen andererseits, so kann zwar behauptet werden, dass die baltischen Städte Riga und Reval am Ende des 18.Jahrhunderts entwickelter und für den Welthandel wichtiger waren als etwa Helsinki (schwedisch Helsingfors) oder Wiborg. Von tiefer greifender Bedeutung aber war die Frage, ob die Landbevölkerung stets frei war wie in Finnland oder ob sie fast ohne Ausnahme seit dem 14. Jahrhundert den Weg in die Schollenpflichtigkeit antreten musste wie in den Ostseeprovinzen. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Esten und Letten sogar Leibeigene und konnten auf entsprechenden Märkten einzeln oder als Familien verkauft werden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Entstehung Finnlands als gelungene Erfolgsgeschichte einer selbstbewussten, agrarisch geprägten Bevölkerung beschrieben wird, während die entsprechende Geschichte der Esten und Letten im 19. Jahrhundert im Wesentlichen als nahezu aussichtslose Kampfsituation gegen übermächtige, ständisch privilegierte deutsche Herren erlebt wurde, wobei erschwerend hinzukam, dass die Herren über ein hohes Ansehen in der Hauptstadt Sankt Petersburg verfügten.
 
 Die Fennomanenbewegung
 
Die Vorherrschaft der schwedischen Minderheit in Finnland hatte vor der Eingliederung Finnlands ins Russische Reich weniger auf Landbesitz als auf einer überragenden Stellung in Finnlands Bürokratie beruht. Auch nach 1809 wurden die schwedischen Grundgesetze vom russischen Kaiser Alexander I. ausdrücklich anerkannt. Sie zielten auf einen Ausbau der Herrschaft der lokalen Bürokratie nach innen ab. Ein eigener Senat übte die Herrschaft im Interesse der vorherrschenden schwedischen Bürokratie aus. Die Zielrichtung der Politik änderte sich jedoch nachhaltig in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Agrarwirtschaft blühte auf und stärkte auf genossenschaftlicher Basis mittlere Betriebe, die von wohlhabenden, zumeist finnischen Farmern geleitet wurden. Das Wachstum der Milchwirtschaft vervierfachte sich. Der schwedische Großgrundbesitzer und Großbauer hatte gegenüber der steigenden Zahl finnischer Mittelbauern kein Übergewicht mehr. Unter diesen Bedingungen waren gebildete Angehörige der schwedischen Minderheit unter Führung des Philosophen, Senators und Publizisten Johan Vilhelm Snellman durchaus bereit, ethnische Unterschiede abzubauen. Gebildete Schweden gingen bewusst auf den Gebrauch der finnischen Sprache über. Seit den 1860er-Jahren sah die radikal-finnische Bewegung der Fennomanen ihre eigentliche Aufgabe im Ausbau der regionalen Eigenständigkeit des Großfürstentums gegenüber Sankt Petersburg, ohne im Übrigen damit bei der russischen Führung Verdacht zu erregen. Die Fennomanenbewegung galt vielmehr als staatstragend, reichstreu und konservativ. Finnisch wurde zur dominierenden Verwaltungssprache im Lande. In den Schulen auf dem Lande wurde — abgesehen von den wenigen überwiegend schwedischen Gebieten im Osten und Süden — auf Finnisch unterrichtet. Die einheitlich evangelisch-lutherisch geprägte Bevölkerung verband mit dem Gebrauch des Finnischen in Kirche und Schule also keine Befreiungsideologie gegen eine dominierende fremde Oberschicht, wie das in den Ostseeprovinzen der Fall war. Es entstand vielmehr allmählich eine überwiegend Finnisch sprechende Solidargemeinschaft, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von Russland weitgehend unbehelligt blieb. Finnland erhielt eigene Gesetze, eine eigene Währung und eine Zollgrenze gegenüber Russland, eigenes Militär seit 1878, schließlich sogar eine eigene Post. Adel, lutherische Geistlichkeit, Stadtbürger und Vertreter der Bauern stellten je 25 Prozent der Abgeordneten im 1863 begründeten Landtag.
 
 Das demokratischste System Europas
 
Als der russische Generalgouverneur Nikolaj Iwanowitsch Bobrikow 1899 das »Februarmanifest« von Kaiser Alexander III., das die finnische Selbstständigkeit beseitigte, durchsetzen wollte, war der Widerstand in Finnland durchschlagend. Schließlich wurde nach langen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen lutherischen, religiös-freikirchlichen, ländlichen und städtischen Gruppen und Parteien erreicht, dass unter dem Eindruck der russischen Revolution von 1905 bis 1907 und ihrem heftigen Widerhall in Finnland das demokratischste System auf dem ganzen europäischen Kontinent im Großherzogtum Finnland eingerichtet wurde. Aus dem Landtag wurde ein Einkammersystem, basierend auf dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht für Frauen und Männer. Nach 1907 erhielten statt 126000 Männern nunmehr 1273000 Wählerinnen und Wähler das aktive Wahlrecht. Im Ergebnis gewannen daraufhin die Sozialdemokraten im Jahr 1907 mit einem besonderen Rückhalt unter den Landarbeitern und in der städtischen Arbeiterschaft mehr als 33 Prozent aller Stimmen und 80 der 200 Sitze. Mit diesem Sieg der Sozialdemokraten verloren zwar schließlich die Fennomanen älterer Prägung ihre Vorherrschaft. Nunmehr dominierten im gemäßigten ländlichen und städtischen Bürgertum jedoch die »Jungfinnen«. Als 1917 nach dem Zusammenbruch des Russischen Reichs und der Ausrufung der Unabhängigkeit des finnischen Staates ein Machtvakuum entstand, versuchten im Januar 1918 radikale Sozialisten und Kommunisten eine Revolution zu entfachen. Den gemäßigten bürgerlichen Gruppen um die Jungfinnische Bewegung und die verfassungsorientierten Sozialdemokraten gelang es, wenn auch nur mit Mühe, angesichts der gewaltsamen revolutionären Explosion dennoch die Oberhand zu behalten und Finnland auf der Grundlage einer gemäßigten Agrarideologie nach innen zu konsolidieren. Die Jungfinnen kamen der Linken entgegen und schlossen mit deren Wählern und Protagonisten, den städtischen Arbeitern, Frieden. Autoritäre und faschistische Gedanken erreichten zwar auch Finnland, fanden dort aber letztlich nach dem ersten Schlag gegen die Kommunisten keine durchschlagende Resonanz. Als 1939 der Winterkrieg von der Sowjetunion vom Zaune gebrochen wurde, hielt ein nach innen geeintes Finnland unter Einschluss der schwedischen Minderheit der militärischen Herausforderung durch eine erdrückende Übermacht erstaunlich lange stand.
 
Dr. Gert von Pistohlkors
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Finnland: Unabhängigkeit im Schatten der Sowjetunion
 
Literatur:
 
Finnland-Studien, herausgegeben von Edgar Hösch. 2 Bände Wiesbaden 1990-93.
 Jutikkala, Eino: Geschichte Finnlands. Aus dem Finnischen. Stuttgart 21976.
 Puntila, Lauri A.: Politische Geschichte Finnlands, 1809-1977. Aus dem Finnischen. Helsinki 1980.


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