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FAUVISMUS: »DONATELLO UNTER DEN WILDEN TIEREN«

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Fauvismus: »Donatello unter den wilden Tieren«
 
Als im Pariser Herbstsalon von 1905 eine kleine Gruppe junger Maler erstmals gemeinsam ausstellte, entfesselten ihre Bilder - wie diejenigen der Impressionisten dreißig Jahre zuvor - einen Sturm der Entrüstung: Henri Matisse, Albert Marquet, Raoul Dufy, André Derain, Othon Friesz, Georges Rouault und Maurice de Vlaminck verwendeten reine ungebrochene Farben, die sie in vereinfachter Zeichnung und ohne Licht- und Schattenmodellierungen nebeneinander setzten. Selbst besonnene Kritiker wie Camille Mauclair reagierten mit Entsetzen und Häme auf diese Gemälde: »Ein Topf Farbe, dem Betrachter ins Gesicht geschüttet.« Eine kleine Porträtbüste von der Hand Marquets kam dem Kritiker Louis Vauxcelles zwischen all diesen leuchtenden Bildern besonders deplatziert vor, weil sie ihn an Skulpturen der Renaissance erinnerte; mit seiner Feststellung »Donatello au milieu des fauves« gab er der Gruppe der »Fauves«, den »wilden Tieren«, unter die Donatello geraten sei, ihren Namen.
 
Dass die intensive Farbigkeit in reinen Buntfarben zum Hauptangriffspunkt wurde, war kein Zufall. Noch immer galt die Farbe als »animalische Zutat« und als der »geistvollen« Zeichnung untergeordnet. Auf dem Weg, die Farbe aus den Fesseln der Tradition zu befreien, waren den Malern des Fauvismus die Impressionisten und die Nachimpressionisten vorangegangen.Die Methode der Farbzerlegung, die Georges Seurat ab etwa 1880 entwickelt hatte, führte Matisse in dem nach einem Gedicht Baudelaires betitelten Bild »Luxus, Stille und Wollust« weiter, das bei seiner Ausstellung im Sommer 1905 großes Aufsehen erregte. Statt kleiner Farbpunkte wie Seurat verwendeten Matisse und andere Maler seiner Gruppe, vor allem Derain, allerdings breite kurze Striche, welche die Form silhouettenartig umreißen. Eine solche Zerstückelung der Farbe wie in voneinander getrennte Mosaiksteine bedinge aber auch die Zerstückelung der Form und zerstöre die Ruhe der Oberfläche und des geschlossenen Umrisses, bemerkte Matisse mit Bedauern.
 
Die Lösung dieses ästhetischen Problems fand er 1905 während des Sommeraufenthalts in Collioure, einem kleinen malerischen Fischerdorf an der Mittelmeerküste Frankreichs, wo er zusammen mit Derain und zeitweilig auch mit Vlaminck malte. Die neuen Bilder, die Matisse und seine Freunde im Herbstsalon ausstellten, zeigen geschlossene Formen und heftig aneinander stossende Kontraste, die sich entlang der wichtigsten Umrisslinien zu glutvollen Komplementärkontrasten steigern, um die Form aus der Farbe entstehen zu lassen. Der Kunst Vincent van Goghs folgend, dessen Gedächtnisausstellung von 1901 vor allem auf Vlaminck, Derain und Kees van Dongen großen Eindruck gemacht hatte, sollte mit diesen Farbkontrasten der Natureindruck mit dem größtmöglichen gefühlsmäßigen Ausdruck verschmolzen werden. Auch Paul Gauguin und die von ihm angeregte Malerei der »Nabi«, der Gruppe der »Erleuchteten« um Maurice Denis, Édouard Vuillard und Pierre Bonnard, zeigten den jungen Malern den Weg zur freien Entfaltung der malerischen Mittel: Statt durch die genaue Wiedergabe des Motivs sollte durch Übertreibungen der Farbe und durch Verzerrungen der Form der Ausdruck an Intensivität gewinnen. Das Bild sollte von jeder Konventionalität, jedem Klischee der Wirklichkeitsdarstellung befreit werden, um allein die vitalen und spontanen Kräfte des malenden Individuums sprechen zu lassen.
 
Diese Forcierung der künstlerischen Individualität fand auch in der zeitgenössischen Literatur und Philosophie zahlreiche Anregungen. So beschwor der Schriftsteller André Gide den Kult des Lebens, einen Zustand leidenschaftlicher Begeisterung, in dem sich das Individuum ganz entfalten könne. Auch die »Naturisten« setzten sich, unter Berufung auf den Dichter Saint-Georges de Bouhélier, gegen die - wie André Billy sie nannte - »symbolistische Erschlaffung und parnassische Austrocknung« der Jahrhundertwende zur Wehr. Sie bezeichneten sich selbst als »Barbaren« und verkündeten die Rückkehr zur Natur, zur Einfachheit, zur fröhlichen Bejahung der Welt. Diese Absage an den träumerischen, als morbid empfundenen Symbolismus zugunsten des Lebenskults ist auch bei Fernand Gregh zu finden. Nietzsches Schriften - sein Hauptwerk »Also sprach Zarathustra« war als Übersetzung 1898 in Frankreich erschienen - beeindruckten die Künstler dieser Richtung am nachhaltigsten. Die Verherrlichung des Lebens, der freudige, mutige Individualismus wurden als Kampfansage gegen den Pessimismus des »Fin de Siècle« angesehen. Hochaktuell war in diesen Jahren auch die Philosophie von Henri Bergson. Seine Bücher wurden von den Fauvisten wahrscheinlich kaum gelesen, doch seine Vorlesungen am »Collège de France« in Paris während der Jahre 1904/05, in denen er besonders die Theorie des »élan vital«, der »schöpferischen Lebenskraft«, erläuterte, waren auch unter Künstlern beliebt.
 
Der Fauvismus hatte seine Blütezeit zwischen 1904 und 1907. Danach trennten sich die Maler und gingen eigene Wege. Während Derain, Marquet und Friesz sich wieder der traditionellen Malerei zuwandten, van Dongen und Vlaminck Elemente des Fauvismus in eine gepflegte Salonkunst einbauten, verfolgte Matisse konsequent einen Stil, der die reinen Farbflächen des Fauvismus mit einer neuen Kraft der Linie und ornamentalen Flächen verband. Georges Braque, der sich 1905 als letzter Künstler den Fauvisten angeschlossen hatte, wandte sich schon ein Jahr später wieder von ihnen ab und suchte nach einem anderen bildnerischen Ausdruck, mit dem er wieder Volumen, Plastizität und Formgebung berücksichtigen könnte. Das neue Leitbild lieferte dabei Cézanne, dessen Gedächtnisausstellung von 1906 Maßstäbe für ganze Generationen von Malern setzen sollte.
 
Dr. Hajo Düchting
 
Literatur:
 
Giry, MarcelDer Fauvismus. Ursprünge und Entwicklung. Aus dem Französischen. Würzburg 1981.
 
Kunst des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Ingo F. Walther. 2 Bände. Köln u. a. 1998.
 Thomas, Karin: Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 101998.


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