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CHINAS FRÜHE HOCHKULTUR: HUNDERT SCHULEN

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Chinas frühe Hochkultur: Hundert Schulen
 
Politisch wird die Chun-qiu- und Zhan-guo-Periode meist als Zeitalter der Annexionen und des gnadenlosen Kampfes aller gegen alle charakterisiert. Die Verklammerung der Teilstaaten in Form des Feudalismus hielt den Zentrifugalkräften nicht mehr stand, da das Zhoukönigshaus zu schwach geworden war, um machtpolitisch und ordnend einzugreifen. Gleichzeitig waren diese Zeiten der Unsicherheit und Gewalt mit 32 Fürstenmorden und mit mindestens 800 Kriegen allein in der Chun-qiu-Zeit jedoch auch der Anlass darüber nachzusinnen, wie eine Besserung der schlimmen Verhältnisse, einschließlich der Menschen, die sie verursacht hatten, zu erreichen war. Zahlreiche Denker und ihre Schulen, die man traditionell unter dem Begriff »baijia« (Hundert Schulen) zusammenfasst, begannen etwa ab Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. um beste Lösungen zu ringen und miteinander zu wetteifern.
 
Die von den »baijia« ausgehenden geistigen Strömungen wiesen in der Regel eine enge Verbindung mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen und Anliegen der damaligen Zeit auf. Abstraktes Philosophieren um seiner selbst willen war nicht gefragt. Der Mensch und sein Handeln sowie die Auswirkungen seines Handelns auf die Gesellschaft und den Staat waren die Themen, die am meisten interessierten.
 
 Konfuzius
 
Herold des geistigen Aufbruchs war der im 6./5.Jahrhundert v. Chr. lebende Kong Qiu, auch Kongzi und Kongfuzi (Meister Kong) genannt, der uns unter dem im 17. Jahrhundert von Jesuiten latinisierten Namen Konfuzius vertrauter ist. Er war Chinas erster namentlich bekannter Philosoph und Ethiker. Seine Lehre, die man einschließlich der Bereicherungen seiner geistigen Nachfolger in der westlichen Literatur als Konfuzianismus bezeichnet, hat wie keine zweite das traditionelle chinesische Denken und Handeln beeinflusst und wirkt bis zum heutigen Tag fort. Im Chinesischen gab es nie ein besonderes Wort für Konfuzianismus. Anhänger dieser Lehre hießen immer »ru«, ein Begriff, der gemäß dem »Shuo-wen jie-zi«, dem ältesten, um 100 n. Chr. erschienenen chinesischen Wörterbuch, »schwach« bedeutet. Das Wort, das lange vor Konfuzius existierte, war zunächst allgemein für Männer des Geistes benutzt worden, die sich in Riten, Kulten und Zeremonien auskannten, um sie von den starken Männern, den Militärs, zu unterscheiden, die wie sie zur Aristokratie gehörten. In der 2. Hälfte der Zhouzeit wurde »ru« oder »rujia« (die Ru-Anhänger) zur alleinigen Bezeichnung der Konfuzianer, die sich bis heute so erhalten hat.
 
Die Hauptquelle für die Lehre des Konfuzius ist das »Lun-yu« (Gespräche), ein Werk, das gemäß seiner Biographie im »Shi-ji« von einigen seiner 3 000 Schüler anhand ihrer Aufzeichnungen nach seinem Tod zusammengestellt worden war. Es besteht überwiegend aus einer eher zufälligen Abfolge von lebendigen Dialogen, die sich zwischen dem Meister und seinen Schülern oder anderen Zeitgenossen entwickelt hatten. Anders als viele andere klassische Opera ist das »Lun-yu« also keine gelehrte Abhandlung mit Monographiecharakter.
 
Konfuzius stammte aus der unteren Adelsschicht, konnte aber seine Ahnen angeblich 14 Generationen bis zum jüngeren Bruder eines Shangkönigs zurückverfolgen. Er war wie die meisten Vertreter der »baijia« nach ihm lange Jahre eine Art wandernder Scholar und suchte so die Fürsten verschiedener Teilstaaten von seinen Ideen zu überzeugen. Nach der Überlieferung soll er zwar verschiedene Ämter in seinem Heimatstaat Lu bekleidet haben, doch nirgendwo erhielt er eine Anstellung, die mit soviel Autorität oder Weisungsbefugnissen ausgestattet gewesen wäre, dass er seine Vorstellungen von einer besseren Welt im größeren Rahmen in die Praxis hätte umsetzen können.
 
Seine profunde Erfolgslosigkeit zu Lebzeiten steht in einem scharfen Kontrast zu seiner späteren kultischen Verehrung, die während der Handynastie (202 v. Chr.- 220 n. Chr.) ihren Anfang nahm. Von der ungeheuren Wertschätzung zeugten im kaiserlichen China regelmäßige offizielle Opfer zu seinen Ehren, allenthalben anzutreffende, ihm persönlich gewidmete Tempel oder die Flut von ständig zunehmenden Ehrentiteln, die seinem Namen bei offiziellen Kulthandlungen voranzustellen waren. Noch unter der Qingdynastie (1644-1911/12) wurde seine Titulatur folgendermaßen ergänzt: »der große vollendete, höchst heilige, die Bildung verbreitende König der Literatur«.Eine besonders lobende Hervorhebung wurde ihm in der Mingzeit (1368-1644) zuteil: »Ohne die Lehre des Konfuzius kann das Reich auch nicht einen Tag bestehen. ..«. Die Meinung des Weisen über sich selbst war demgegenüber von großer Bescheidenheit geprägt: »Ich übermittle, aber ich schaffe nichts Neues, ich vertraue auf das Alte und liebe es auch...«.
 
Für Konfuzius krankte die Gesellschaft seiner Tage daran, dass ihre früher vorhandene, mehr oder weniger als ideal angesehene Ordnung durcheinander geraten war. Die bisher bewährten Normen, welche die sozialen Hierarchien und damit ein geordnetes Zusammenleben geregelt hatten, wie etwa die Unterordnung des Ministers unter den Fürsten, besaßen kaum noch Gültigkeit. Ein allgemeiner Verfall der Werte hatte eingesetzt. Um diese verhängnisvolle Entwicklung aufzuhalten, propagierte er eine Wiederherstellung der alten Verhältnisse. Noch bestand ja die alte Ordnung im Prinzip, sie bedurfte nur einer grundlegenden Reform. Jeder sollte die ihm aufgrund seiner sozialen Stellung zukommende Rolle wieder richtig ausfüllen. »Der Herrscher handle wie ein Herrscher, der Minister wie ein Minister, der Vater wie ein Vater und der Sohn wie ein Sohn«.
 
Als einen wichtigen Schritt zu diesem Ziel wollte Konfuzius zunächst sprachliche Verwirrungen beseitigen: »Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Misserfolg«. Seiner Ansicht nach klafften zwischen den Worten und Begriffen auf der einen Seite und der Wirklichkeit auf der anderen Seite große Diskrepanzen. Erforderlich war »zheng ming« (die Richtigstellung der Bezeichnungen oder die Berichtigung der Namen), was von ihm jedoch nicht als ein allgemeines sprachphilosophisches Problem gesehen wurden. Er hatte nur die Auswirkungen im Blick, welche die Begriffsverwirrungen in der Gesellschaftsordnung angerichtet hatten: Befugnisse, Rechte und Pflichten waren nicht mehr mit den richtigen Inhalten besetzt. »Zheng ming« oder »die Richtigstellung der Bezeichnungen« bedeutete für Konfuzius letztlich die Richtigstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Waren die Bezeichnungen korrekt, würden sie auch ihre normative Kraft auf die Wirklichkeit nicht verfehlen.
 
Die Bedeutung von »li«
 
Konfuzius war jedoch genügend Realist, um sehr viel konkretere Vorschläge zu machen, wie denn Begriffe und bewährte soziale Verhältnisse wieder zur Deckung gebracht werden konnten. Es galt, den Menschen die richtigen Eigenschaften und Verhaltensweisen beizubringen oder, in der Sprache des Konfuzius, dem »li« wieder Geltung zu verschaffen. »Li« ist ein inhaltlich sehr breit angelegter Ausdruck. Vom Weisen und seinen Nachfolgern wurde er meist als ein ethischer Begriff im Sinne von »Schicklichkeit«, »(gute) Sitten«, »Sittlichkeit« oder »sittliche Normen« benutzt. Alle, auch die Mitglieder der aristokratischen Eliten, hatten sich stets so zu verhalten, wie man es aufgrund ihres Ranges in der gesellschaftlichen Hierarchie erwarten durfte.
 
Oft schimmern bei der Verwendung des Begriffes »li« auch ältere Bedeutungen wie »Riten«, »Zeremonien« oder »Zeremoniell« durch. Das dem sozialen Rang gemäße Verhalten, das geeignet war, Distanz zu schaffen, bedeutete in erster Linie, sich in die vorgegebenen mannigfachen Hierarchien einzufügen, wie sie nun einmal zum Beispiel zwischen Adligen und Gemeinen, Alten und Jungen bestanden. Nur so konnte nach Auffassung des Konfuzius ein harmonisches Miteinander innerhalb der Gesellschaft, zwischen den Herrschenden und den Beherrschten, aber auch innerhalb der unterschiedlichen sozialen Gruppen erreicht werden.
 
An der Verinnerlichung von »li« wurde der wahrhaft kultivierte Mensch erkennbar, den Konfuzius »junzi« (Edler, wörtlich »Sohn eines adligen Herren«) nennt. Ein »junzi« war für ihn die Verkörperung des idealen Menschen, in dem sich alle erforderlichen Tugenden vereinten. Nur ein »Edler« oder einer, der ihm nahe kam, sollte mit Führungsaufgaben betraut werden. Kontrastiert wurde er mit dem »xiaoren« (dem gemeinen oder gewöhnlichen Menschen), der moralisch minderwertig und unkultiviert ist. Um im Einklang mit der »Schicklichkeit« handeln zu können oder um die sittliche Reife eines »junzi« zu erlangen, bedurfte es fortgesetzter Anstrengungen, denn die geforderten moralischen Qualitäten waren nicht angeboren und wurden auch nicht vom »Himmel« herabgesandt. Man musste sie selbst oder mit Hilfe eines Lehrers erwerben.
 
Im Vordergrund des Kultivierungsprozesses stand die Aneignung und Praktizierung von »ren«, meist mit »Güte« oder »(Mit-)Menschlichkeit« übersetzt. »Ren«, ein sehr weit gefasster Begriff, sollte für ein freundliches, auf Harmonie bedachtes Verhalten gegenüber den Mitmenschen sorgen, freilich ohne dass die durch die »Schicklichkeit« vorgegebenen Grenzen überschritten wurden. Unter den Oberbegriff »Menschlichkeit« fiel noch eine Reihe anderer, für einen »Edlen« wichtiger Tugenden und Verhaltensweisen. Als Beispiel sei zunächst »shu« (gegenseitige Rücksichtnahme) herausgegeriffen, die Konfuzius mit der recht vertraut klingenden Sentenz erläutert: »Das, was du selbst nicht wünschst, das füge auch keinem anderen zu«. »Ren« umfasste darüber hinaus »gong« (Hochachtung), »kuan« (Verzeihen), »xin« (Vertrauen), »min« (Klugheit), »hui« (Fürsorge), »zhi« (Weisheit), »yong« (Tapferkeit), »zhong« (Loyalität), »yi« (rechtes Tun, Gerechtigkeit, Gerechtigkeitssinn), »xiao« (Ehrerbietung), »di« (Wertschätzung) und noch vieles andere mehr. Schon bei den jungen Menschen musste die Vermittlung dieser Werte einsetzen. Innerhalb der Familie sollten sie zu »xiao« (Ehrerbietung, Fügsamkeit, Pflichterfüllung und Ehrfurcht gegenüber den Eltern) erzogen werden, aber auch das durch »Menschlichkeit« geprägte Miteinander kennenlernen. Der hierarchisch strukturierte familiäre Mikrokosmos, der die Bindungen der Mitglieder untereinander und die Verantwortung füreinander einschloss, konnte so als Vorbild für den gesellschaftlichen oder staatlichen Makrokosmos herangezogen werden. Der Staat wurde so zu einer in größere Dimensionen erweiterten Familie. Die enge Verflechtung von Familie und Staat kommt selbst noch im modernen chinesischen Wort »guojia« (Staat) zum Ausdruck, das aus den Bestandteilen »guo« (Land) und »jia« (Familie) beteht.
 
Es war das Ziel des Konfuzius, die angeblich heilen Verhältnisse der frühen Zhouzeit, personifiziert in der Gestalt des Wenwang, des »kultivierten Königs«, wiederherzustellen. Er wollte jedoch keine einfallslose Kopie der Vergangenheit, sondern wünschte bedeutsame Modifikationen. Insofern war er nicht einfach ein Reaktionär, wie er von einigen marxistischen Historikern verunglimpft wurde, sondern ein moderater Neuerer, der den Spagat zwischen Bewahrung und Innovation versuchte.
 
Die wichtigen staatstragenden Stellungen sollten nicht mehr, wie bislang fast automatisch üblich, aufgrund von Geburt und blutsverwandschaftlichen Beziehungen vergeben werden. Zwar kamen auch für Konfuzius prinzipiell nur Aristokraten als Kandidaten in Betracht - hier war er noch ganz Gefangener fest etablierter Vorstellungen -, doch wollte er innerhalb dieser Gruppe eine differenzierende Auslese, orientiert an konfuzianischen Wertvorstellungen. Gestaffelt nach dem Erfolg, den Bewerber beim Streben nach dem Junzi-Ideal erreicht hatten, sollten sie mehr oder weniger hohe Ämter erhalten. Die so erreichte Stellung in der sozialen Hierarchie musste dann natürlich von den anderen respektiert werden, ebenso wie der Begünstigte seinen Rang, dem »li« entsprechend, auszufüllen hatte.
 
Dadurch entwickelte Konfuzius für die stetig wachsende Schar von nicht angemessen untergekommenen niedrigen Adeligen, zu denen ja auch er gehörte, die Perspektive, zu mehr politischem Gewicht und sozialem Ansehen kommen zu können. Gleichzeitig waren seine Ideen und Vorschläge der Versuch, eine menschlichere Welt zu schaffen, in der die Moral als Regulator individuellen und gesellschaftlichen Verhaltens eine äußerst wichtige Rolle spielen sollte.
 
 Die Nachfolger des Konfuzius
 
Es besteht eine allgemeine Übereinstimmung unter Kennern der chinesischen Philosophie, dass Meng Ke, auch Mengzi (Meister Meng) genannt, latinisiert zu Mencius, und Xun Kuang oder Xun Qing, auch Xunzi (Meister Xun) genannt, als die bedeutendsten Vertreter des zhouzeitlichen Konfuzianismus nach Konfuzius anzusehen sind. Durch ihre manchmal diametral entgegengesetzten Auffassungen, die zum Beispiel in ihrem jeweiligen Menschenbild deutlich werden, zeigen sie, in welch verschiedene Richtungen sich die Lehre des großen Weisen in ihrer Zeit bereits entwickelt hatte.
 
Der zweite Heilige: Mengzi
 
Mengzi lebte gemäß eindeutigen Quellenangaben im 4. Jahrhundert v. Chr. Möglicherweise wurde er etwa 100 Jahre nach dem Tod des Konfuzius geboren. Diese Angabe sowie seine oft zu findenden Lebensdaten (ca.372- 289 v. Chr.) stützen sich allerdings auf eine Biographie aus der Mingzeit (1368-1644), bei der Skepsis angebracht ist, da sie für ihre Datierung keine Quelle nennt. Das schriftliche Vermächtnis von Mengzi befindet sich im gleichnamigen Werk »Mengzi«, das in seinen grundlegenden Zügen schon zu Lebzeiten des Philosophen und mit dessen Plazet schriftlich fixiert worden war. Ähnlich wie das »Lun-yu« enthält es eine Lehrmeinung in Form von Aussprüchen und Diskussionen; diese führte Mengzi mit seinen Schülern oder den Mächtigen verschiedener Teilstaaten. Auch er war ein Wanderlehrer wie sein Vorbild Konfuzius, stammte aus einer einstmals mächtigen, dann aber zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkenen Aristokratensippe aus Lu, und auch er scheiterte bei dem Versuch, einen Fürsten zu gewinnen, der bereit gewesen wäre, seine Vorschläge zu realisieren.
 
Anders als Konfuzius muss Mengzi ein streitbarer, mit sehr großem Selbstwertgefühl ausgestatteter, um nicht zu sagen hochfahrender Mensch gewesen sein. Einerseits ließ er sich und seine Hunderte mitziehenden Jünger durch großzügige Zuwendungen und Geschenke von Fürsten aushalten. Andererseits behandelte er seine Gönner, auch zum Bedauern seiner Schüler, von oben herab und brüskierte sie, indem er zum Beispiel die Bitte, sich zu einer Audienz einzufinden, einfach ignorierte. Jedoch führte die Wertschätzung seiner Lehre schon in der Östlichen Handynastie (25-220 n. Chr.) dazu, dass er, abgesehen von solchen persönlichen Unzulänglichkeiten, als »zweiter Heiliger« (nach Konfuzius) bezeichnet wurde und später, wie dieser, von staatswegen zahlreiche offizielle Ehrentitel erhielt. In der Songzeit (960-1279) erfuhren »Lun-yu« und »Mengzi«, zusammen mit dem »Da-xue« (die Große Lehre) und »Zhong-yong« (Mitte und Maß) eine besondere Ehrung, als sie vom wohlbekannten, im 12. Jahrhundert lebenden Neokonfuzianer Zhu Xi als die »Si-shu« (Vier Bücher) ediert wurden. Man sah in ihnen und ihren Kommentaren die Summa oder Quintessenz der konfuzianischen Lehre.
 
Berühmt wurde Mengzi durch seine Ansicht, derzufolge der Mensch von Natur aus gut sei. In allen Menschen schlummern von vornherein »Menschlichkeit«, »Gerechtigkeitssinn«, »Sittlichkeit« und »Weisheit«, natürlich nicht voll ausgebildet, die dann durch eigene Bemühungen und Erziehung voll zum Erblühen gebracht werden können. Die eingewurzelten moralischen Qualitäten der Menschen verdeutlichte er am Beispiel eines kleinen Kindes, das in einen Brunnen zu fallen droht. Jeder empfinde bei einer solchen Szene spontan Bestürzung und Mitgefühl. Schlechte Menschen sind nach seiner Meinung das Produkt einer sie verderbenden Umgebung.
 
Für Aufsehen, aber wohl wenig Beisterung auf Seiten der damaligen Betroffenen sorgten die Ansichten, die Mengzi über einen guten Herrscher entwickelt hatte. Er wies ihm einen nachgeordneten Rang an, da er das Volk für das wertvollste im Staat hielt: »Das Volk ist am wichtigsten, danach kommen die Götter der Erde und der Feldfrüchte, die Herrscher wiegen dagegen leicht«. Die Qualität eines Fürsten bemaß sich nach dessen humaner Regierung (»ren zheng«), die darauf ausgerichtet sein musste, das Volk für sich zu gewinnen. Beurteilungskriterium für den Fürsten war nicht etwa die besondere Macht seines Staates, da politisches Ansehen in dieser Zeit meist durch Akte von Gewalt erzielt wurde, nicht aber durch »humanes Regieren«.
 
»Ren« (Menschlichkeit) und »yi« (rechtes Tun, manchmal auch als Pflichterfüllung interpretiert) waren für Mengzi die zentralen Tugenden, die alle Herrschenden, aber auch die anderen Menschen möglichst weitgehend verinnerlicht haben sollten. Er griff in diesem Zusammenhang die Tianming-Idee aus der frühen Zhouzeit auf. Der »Himmel« war für ihn eine moralische Instanz, die dem Fürsten den Auftrag zum Herrschen gab und ihn entzog, wenn sich der Fürst als unwürdig erwies. Für Mengzi wurde das Mandat des Himmels offenkundig durch die Akzeptanz, die dem Herrscher im Volk zuteil wurde, sozusagen »Vox populi vox Dei«, die Stimme des Volkes ist Gottes (des Himmels) Stimme.
 
Allerdings sollte man diese Aussage und die Tatsache, dass Mengzi das einfache Volk als Bestandteil der Gesellschaft überhaupt in die Argumentation einbringt, nicht überbewerten. Er benutzt das Volk im Grunde nur zur Stützung seiner Ansichten. Mit seinen Ideen wendet er sich immer nur an den Fürsten, nie an das Volk. Ein Plädoyer für ein Mitregieren des Volkes findet man bei ihm nicht. Ähnlich wie Konfuzius kann er sich nur Aristokraten als Herrschende vorstellen, deren soziale Rangfolge sich nach ihrer moralischen Qualifikation bestimmt. Eine Umverteilung der Macht kann nur innerhalb der adeligen Oberschicht stattfinden. Wirklich durchgehende soziale Mobilität, dass etwa ein Bauer zum Minister aufstiege, ist zu verhindern, da dies eine Umkehrung von Unten und Oben, mithin Chaos bedeutete. Welche unveränderbare Rolle Mengzi dem Volk, also jenen Leuten, die sich von ihrer Hände Arbeit ernähren mussten, zugedacht hatte, verdeutlichte er unmissverständlich: »Es gibt sowohl geistige Arbeit als auch körperliche Arbeit. Die Geistesarbeiter regieren die Menschen, die körperlich Arbeitenden werden regiert. Die Regierten ernähren die Menschen, die Regierenden werden ernährt. Für die ganze Welt hat das seine Richtigkeit.«
 
Letztlich schwebte Mengzi ein Reich auf der Grundlage seiner Wertvorstellungen vor, mit einem vom Himmel legitimierten König an der Spitze, der mit Junzi-Qualitäten ausgestattet war. Auch er greift wie Konfuzius bei der Illustration seiner Gedanken auf die idealen alten Zeiten zurück und weist auf die beispielgebenden Gestalten der frühen Zhouherrscher und der Urkaiser oder Kulturheroen hin. Insbesondere letztere hatten sich mit kaum noch zu überbietender Selbstlosigkeit für das Wohl ihrer Gemeinwesen aufgeopfert. Nur allzu verständlich ist daher Mengzis tiefe Abneigung gegenüber Ansichten, wie sie von seinem philosophischen Widersacher Yang Zhu entwickelt wurden.
 
Der Individualist: Yang Zhu
 
Yang Zhus im 4. Jahrhundert v. Chr. entstandene Lehre ist nur in Bruckstücken überliefert, die sich eingestreut in den auf uns gekommenen Werken seiner geistigen Gegner, im schon genannten »Lü-shi chun-qiu« und in einem daoistischen Werk finden, dem »Liezi« (Meister Lie), das in der Hanzeit (202 v. Chr. - 220 n. Chr.) auf der Basis zhouzeitlicher Texte ediert wurde.
 
Yang Zhu propagierte einen praktisch alle konfuzianischen Grundwerte in Frage stellenden Individualismus. Jeder Mensch habe das Recht auf eigenes Glück und freie Entfaltung, Moralvorschriften zum Nutzen und Frommen der Gesellschaft legten dem Menschen nur Fesseln an. Sehr prosaistisch beurteilte er auch die beispielgebenden Tugendverkörperungen der »rujia«, nämlich den Kulturheroen Shun, den ersten Xiakönig Yu, den selbstlosen Zhouregenten Zhougong und Konfuzius, der in seiner Zeit bereits dazu zählte: »Alle vier Weisen hatten in ihrem Leben nicht einen Tag der Freude. Als sie tot waren, gab es für sie unendlichen Ruhm. ..Auch wenn wir sie feiern, sie wissen es nicht, und auch wenn wir sie hochschätzen, sie wissen es nicht«. Yang Zhu kontrastiert dann ihre Freudlosigkeit mit dem flotten Leben, das die verruchten letzten Könige der Xia- und Shangdynastie geführt hatten. Auch wenn man sie postum verdammte, davon merkten sie nichts mehr, hatten aber ein Leben nach ihrem Geschmack geführt und ihr Vergnügen gehabt. Yang Zhu favorisierte ganz offen das Dolce vita der beiden Musterbeispiele für das Gegenteil eines »junzi«, da schlussendlich für die Guten und die Schlechten gleichermaßen ohnehin nichts blieb als der Tod. Eine ausgleichende jenseitige Gerechtigkeit für den im Diesseits gelebten Hedonismus gab es für ihn nicht.
 
Sein Prinzip des »wei wo« (alles für sich selbst, das heißt Egoismus) verdeutlichte Yang Zhu mit einer provokanten Feststellung. Selbst wenn er die Welt retten könnte, indem er sich ein einziges Härchen auszupfte, er würde es nicht tun. Die Konsequenzen aus dieser Einstellung waren die Abnabelung von der Gesellschaft, die Weigerung, am politischen Leben teilzunehmen, andererseits aber der Wille, dennoch vom Staat zu profitieren. Seine Lehre überlebte nicht als Ganzes, doch fanden einige Elemente in den Daoismus Eingang.
 
Der Pessimist: Xunzi
 
Als letzter bedeutsamer Vertreter des zhouzeitlichen Konfuzianismus war oben Xunzi genannt worden. Er wurde im Nordstaat Zhao (im Bereich der heutigen Provinz Shanxi) geboren, doch sind seine Lebensdaten nicht genau ermittelbar. Sie bewegen sich im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. Auch er bestritt seinen Lebensunterhalt als wandernder Scholar, bekleidete aber auch zeitweilig öffentliche Ämter, unter denen das eines Magistrats das höchste war. Das schriftliche Vermächtnis des Xunzibefindet sich im gleichnamigen Werk »Xunzi«, das erst in der Westlichen Hanzeit (202 v. Chr.- 9 n. Chr. und 23 bis 25 n. Chr.) ediert wurde. Bedauerlicherweise weist es nicht gekennzeichnete fremde Einschübe auf, von denen viele auf das Konto seiner Schüler gehen.Unter den Sinologen konnte nur teilweise Übereinstimmung in der Frage erzielt werden, welche der 32 Kapitel eindeutig der Autorschaft des Xunzi zuzuordnen sind. Anders als im »Lun-yu« oder »Mengzi« mit ihren Dialogen, Aphorismen und Lebensweisheiten finden sich im »Xunzi« zur Darlegung der sozialethischen Gedanken kleine, in sich geschlossene Abhandlungen.
 
Bleibende Berühmtheit erreichte Xunzis pessimistisches Menschenbild, demzufolge der Mensch eine angeborene Boshaftigkeit in sich trage. Um sie zu überwinden, muss er kultiviert werden, er muss lernen und sich dabei die konfuzianischen Moralnormen aneignen. Die Gewissheit, dass man den Menschen überhaupt bessern kann, sieht Xunzi in einer weiteren dem Menschen innewohnenden Eigenschaft: »Der Mensch hat im Prinzip den Wunsch, gut zu werden - eben weil er von Natur aus böse ist.« Für den Kultivierungsprozess seiner Person benötigt er Vorbilder, besser noch einen Lehrer. Letzterer genoss daher in Xunzis Denken ein hohes Prestige, eine Bewertung im übrigen, die in der konfuzianischen Tradition generell Gültigkeit besaß.
 
Analog kam auch einem Herrscher, der ein »Edler« war, höchste Wertschätzung zu, da er durch seine überlegenen Junzi-Eigenschaften erzieherisch auf seine Untertanen wirkte und deren richtiges sittliches Verhalten positiv beeinflusste. Seine Ausstrahlung bestimmte nach Xunzi die moralische Qualität einer Gesellschaft und die Stabilität ihres Ordnungsgefüges. Er glaubte sogar, dass bei einem Obsiegen der konfuzianischen Moral die neuerliche Einigung des Reiches unter einem König möglich sei.
 
Standen bei Mengzi »Menschlichkeit« und »rechtes Tun« im Vordergrund, betonte Xunzi die »sittlichen Normen«. Konfuzius betrachtete »li« in erster Linie noch als korrekte Verhaltensweise des Einzelnen, während Xunzi darüber hinaus ging und sie als Ordnungsprinzip für die Gesellschaft empfahl. Die »sittlichen Normen« wurden von ihm als Regulatoren betrachtet, die ein geordnetes menschliches Zusammenleben garantieren. Bei ihm finden wir eine intensivere Beschäftigung mit dem Volk, eine Annäherung, die sogar weiter zu gehen scheint als die bei Mengzi, wenn Xunzi sagt, dass jeder ein Yu, also ein idealer Herrscher werden könne. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese Vision als eine nur sehr hypothetische Möglichkeit, da im Grunde auch für ihn die natürlichen Grenzen zwischen dem körperlich arbeitenden Volk und dem Adel nicht überwindbar sind. »»Gemeiner« und »Edler« - sie könnten stets ihren Platz tauschen. Dass dies nicht geschieht, liegt daran, dass sie es zwar können, aber nicht tun«.
 
Soziale Mobilität gab es allein innerhalb der Oberschicht. Immerhin forderte Xunzi aber von einer Regierung, das Volk zu lieben und ihm mit Toleranz zu begegnen, allerdings unter Beachtung und Anwendung der »sittlichen Normen«. »Li« erhielt bei Xunzi einen so stark normativen Charakter, dass sich in Teilbereichen der Unterschied zu gesetzlichen Vorschriften verwischte.
 
 Gegner der Konfuzianer: Mo Di
 
Zu den härtesten geistigen Konkurrenten, mit denen sich die Konfuzianer während der gesamten Zhan-guo-Zeit auseindersetzen mussten, gehörten die Anhänger des im 5./4. Jahrhundert v. Chr. lebenden Mo Di, auch Mozi (Meister Mo), latinisiert Micius genannt. Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. verschwanden die »Mojia« (Mohisten) nahezu spurlos aus dem Geistesleben, möglicherweise weil die privilegierte Oberschicht den Erhalt ihrer Macht durch sie gefährdet sah und den Mohismus durch zielstrebige Nichtbeachtung in die Bedeutungslosigkeit entließ. Die Ansichten Mo Dis sind im »Mozi« enthalten, einer Textsammlung, die nach seinem Tod zusammengetragen und mit Beiträgen seiner Schüler ergänzt wurde.
 
Mo Di stammte, im Gegensatz zu allen anderen bedeutsamen Philosophen seiner Zeit, aus dem einfachen Volk und hatte, wie alle aus dieser Gesellschaftsschicht, keinen Familiennamen, sondern nur den Vornamen Di. Das »Mo« in seinem Namen könnte darauf hindeuten, dass er wegen eines Delikts verurteilt worden war, und zwar zu »mo« (Straftätowierung), sein Name mithin eigentlich »der straftätowierte Di« bedeutete. Wie er es in Anbetracht seiner sozialen Herkunft und Biographie geschafft hat, das für die Formulierung seiner Lehre nötige Wissen zu erwerben, entzieht sich unserer Kenntnis. Auch er zog mit seinen Jüngern an verschiedene Fürstenhöfe, ohne, wie die Konfuzianer, wirklich erfolgreich zu sein. Sein Gefolge bildete eine verschworene Gemeinschaft mit frugalem Lebensstil, welche die Lehren ihres Meisters beispielhaft lebte und sich an ihn in absolutem Gehorsam gebunden hatte. Nach Mo Dis Tod traten sogenannte »juzi« (Großmänner) an seine Stelle und führten die sektenartige Bruderschaft an. Einige moderne Autoren sehen in dieser Gruppierung eine Vorform für die vielen Geheimbünde im kaiserlichen China.
 
Mo Di hatte sich den besonderen Unwillen der Konfuzianer zugezogen, weil er sich, genau wie sie, der Aufgabe verschrieben hatte, Vorschläge für eine lebenswertere Welt anzubieten. Bezogen die Konfuzianer ihre ethischen Vorstellungen in erster Linie auf die Familie oder Sippe, um sie dann für die Gesellschaft zu verallgemeinern, so entwickelte Mo Di sein Alternativmodell, ohne auf verwandtschaftliche Einengungen Rücksicht zu nehmen. Nach seiner Auffassung war für die verheerenden Zustände im Reich ein Mangel an »jian'ai« (gegenseitiger oder universeller Liebe) verantwortlich. »Universelle Liebe« bedeutete für Mo Di, dass, ähnlich wie im Gebot der christlichen Nächstenliebe, alle Menschen den jeweils anderen wie sich selbst lieben sollten, ungeachtet ihres sozialen Ranges. Wenn sie auf diese Art ihren Egoismus überwanden, dann würden durch ihr humanes Verhalten Harmonie und Ordnung einkehren. »Wenn alle Menschen unter dem Himmel durch gegenseitige Liebe miteinander verbunden sind, dann ist Ordnung. Begegnen sich die Menschen hingegen mit Hass, dann ist Unordnung.« Um seiner Forderung nach »jian'ai« mehr Autorität zu verleihen, bemühte Mo Di den Himmel, der für ihn eine moralische, kontrollierende und in das menschliche Leben belohnend und strafend eingreifende Instanz war. Er meinte, dass sein Konzept der »universellen Liebe« ganz dem Willen des Himmels entsprach. Verstießen die Menschen aber gegen den Willen des Himmels, dann würden Naturkatastrophen und Krankheiten nicht lange auf sich warten lassen.
 
Mo Dis Aufruf zu »jian'ai« sollte aber nicht nur ein moralischer Appell sein. Er glaubte, dass, wenn die Menschen sich gegenseitig liebten, sie sich auch gegenseitig helfen müssten. Das wäre zum Vorteil aller. Aus »jian'ai« erwuchs somit auch »xiang li« (gegenseitiger Nutzen). Der einzelne, aber auch die Gesellschaft insgesamt würde davon profitieren. Viele Gegensätze würden ausgeglichen, wenn Selbstsucht als Verrat am Gemeinwohl begriffen würde. Das Horten von Reichtümern würde geächtet, da man das nur auf Kosten anderer tun konnte und somit das Kriterium des »gegenseitigen Nutzens« verletzt würde.
 
Es war Mo Di ein wichtiges Anliegen, die oft beklagenswerten materiellen Lebensumstände des einfachen Volkes - er wusste nur zu gut, wovon er sprach -zu verbessern. In der gesellschaftlichen Realität, in der er lebte, stand dem Ziel, allen ein ausreichendes Auskommen zu ermöglichen, nach seiner Auffassung die Verschwendung entgegen, die in den höchsten Adelskreisen betrieben wurde. Insbesondere geißelte er die pompösen Begräbnisse, die kostbaren Grabbeigaben und die langen, von den Konfuzianern verteidigten Trauerzeiten, während derer Amtsträger ihren Pflichten nicht nachgehen durften.
 
Als ein noch weitaus größeres Übel brandmarkte Mo Di die Angriffskriege - ein anscheinend nicht ausrottbares Übel seiner Zeit -, die er als Inbegriff überdimensionaler Verschwendung ansah. Krieg bedeutete die Vernichtung von Menschen, die Unmöglichkeit, sie nützliche Arbeit leisten zu lassen, und er bedeutete Zerstörung materieller Werte. All das war zum Nachteil für den Staat und gegen das Gemeinwohl. Abgesehen von den fatalen Auswirkungen war der Aggressionskrieg natürlich aus moralischen Erwägungen zu verdammen. Als Gegenteil zum Frieden, der für Mo Di nichts anderes war als »universelle Liebe« in den Beziehungen der Teilstaaten untereinander, erschien er ihm als eine verabscheuungswürdige ethische Pervertierung, und er mahnte die Herrschenden: »Wenn heutzutage Könige, Fürsten, höchste Persönlichkeiten, Amtsträger und Edle ernstlich den Nutzen für das Reich fördern und Schaden abwenden wollen,. ..dann müssen sie für den Grundsatz des Nichtangriffs eintreten. ..«Mo Di redet gleichwohl nicht einem generellen Pazifismus das Wort, da er einen »gerechten« Krieg, in seiner Terminologie »zhu« (Strafexpedition) genannt, gegen korrupte Regierungen für legitim hält.
 
Zur Realisierung seiner von »universeller Liebe« bestimmten Gesellschaft wollte Mo Di die leitenden Positionen im Staat nur mit den Tüchtigsten besetzen. Darunter verstand er solche Menschen, die sich durch Gemeinsinn und humanes Verhalten gegenüber der Allgemeinheit hervorgetan hatten. Sie hatten in der Logik des Mo Di damit ihre besondere Befähigung unter Beweis gestellt, dem Gemeinwesen von Nutzen zu sein. Ihr Rang in der Führungshierarchie bestimmte sich nach dem Grad des Erfolges, den sie bislang mit ihren Bemühungen um »jian'ai« und »xiang li« erzielt hatten.
 
Prinzipiell stand einer sozialen Mobilität, welche die Barriere zwischen der körperlich arbeitenden Bevölkerung und der adeligen Oberschicht überwand, nichts entgegen. Allerdings war Mo Di insoweit Realist, als er meinte, dass die meisten Menschen ihre Kraft für physische Arbeit zur Sicherung ihrer Existenz verbrauchen würden. Es blieb ihnen wenig Zeit, um im Sinne der mohistischen Moral so viele Meriten zu erwerben, dass sie für ein hohes Regierungsamt in Betracht gekommen wären. Um auch nur ansatzweise seine Ideen von einer Gesellschaft des Miteinander, nicht getrübt durch Familienegoismus und unabänderliche Hierarchien, realisieren zu können, hätte es eines einsichtigen Herrschers bedurft. Ein solcher fand sich weder zu seinen Lebzeiten noch später. Mo Di blieb das Verdienst, eine frühe und in vielen Punkten faszinierende Utopie für das menschliche Zusammenleben entwickelt zu haben.
 
 Die Daoisten
 
Einen vergleichbar geringen Einfluss auf die damalige politische und gesellschaftliche Realität erzielten nach Auffassung der meisten Historiker die »daojia« (Daoisten, nach alter Umschrift Taoisten). Unter dieser erst im 1. Jahrhundert v. Chr. geprägten Sammelbezeichnung wurden die Denker recht heterogener Geistesströmungen zusammengefasst, unter denen es jedoch auch einige Vertreter gab, die sich mit politischen Problemen beschäftigten. Allen Vertretern des frühen philosophischen Daoismus war gemein, dass sie, als Reaktion auf die von den meisten Philosophen geforderte Einbindung der Menschen in ein Korsett vorgeschriebener Verhaltensweisen, individuelle Unabhängigkeit propagierten.
 
Die zwei wichtigsten überlieferten Werke des frühen Daoismus sind das »Dao-de-jing« (der Klassiker vom Weg und der Wirkkraft) sowie das »Zhuangzi« (Meister Zhuang). Wohl kein chinesisches Buch wurde so oft übersetzt wie das mit etwa 5 000 Zeichen (etwa ebensoviele Worte) recht knappe, offensichtlich aber eine große Faszination ausübende »Dao-de-jing« (alte Umschrift Tao-te-king) mit dem Alternativtitel »Laozi« (der alte Meister). Heute wissen wir, dass dieses Werk etwa zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. geschrieben wurde, das heißt später als das Buch »Zhuangzi«, von dem man bislang angenommen hatte, dass es eine Weiterentwicklung des »Dao-de-jing« darstellte.
 
Heute wissen wir auch, dass der angeblich im 6./5. Jahrhundert v. Chr. lebende, an die 200 Jahre alt gewordene Laozi (der alte Meister, andere Umschrift Lao-tse), hinter dem abwechselnd ein gewisser Lao Dan oder ein Li Er vermutet wurden, nicht der Verfasser des »Dao-de-jing« war. Sein Treffen mit Konfuzius, in dem letzterer als geistiger Bittsteller auftrat, ist ebenso eine Legende wie die oft zitierte Geschichte vom Ursprung des »Dao-de-jing«. Es entstand angeblich auf Bitten eines Grenzwächters, als Laozi, tief enttäuscht über die gesellschaftlichen Missstände, im Begriff war, dem Zhoureich den Rücken zu kehren. Die Autorschaft ist zwar letztlich nicht zu klären, doch waren der oder die Verfasser bemüht, es möglichst alt erscheinen lassen, um durch die Aura der Bejahrtheit seine Autorität noch zu mehren.
 
Das Werk »Zhuangzi« ist anders als das »Dao-de-jing« kein homogener Text; an ihm haben mit Sicherheit mehrere Autoren mitgewirkt. Es besteht aber kein Zweifel, dass in ihm die Lehre des Zhuang Zhou, der in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. lebte, und die einiger Schüler enthalten ist. Zhuang Zhou, wie viele seiner konkurrierenden Denker ein verarmter Adliger, schlug sich nach seiner Biographie im »Shi-ji« als niederer Beamter durchs Leben. Er zeigte sich im Einklang mit seiner Lehre an einer Karriere im Staatsdienst völlig uninteressiert. In der Tangzeit (618-907), als der Daoismus am Kaiserhof in hoher Gunst stand, verlieh man ihm den postumen Ehrennamen »Nanhua zhenren« (der wahrhafte Mensch vom Südlichen Blütenland), wobei letzteres der Name seines bevorzugten Aufenthaltsortes war.
 
Hatten sich die Konfuzianer und Mohisten auf den Menschen in seiner Funktion als gesellschaftliches Wesen konzentriert, interessierte die Daoisten der größere Zusammenhang, der Mensch als Teil der Natur, der Welt oder des Kosmos. Daraus ergab sich das Bestreben, auch über den Gesamtzusammenhang aller Dinge und Erscheinungen zu reflektieren, eine Naturphilosophie mit besonderer Betonung des Menschen zu entwerfen. Bei der philosophischen Interpretation spielte das »dao« eine zentrale Rolle. Der Begriff »dao«, mit seiner Grundbedeutung »Straße« oder »Weg«, war schon von den Konfuzianern im übertragenen Sinn benutzt worden. Sein Bedeutungsfeld umfasste bei ihnen unter anderem »den rechten Weg beschreiten«, »Lebensanschauung« und »geordnete Gesellschaft«. Die Daoisten gaben »dao« seine metaphysische Dimensionen. Bei ihnen wurde es einerseits zur mystischen Ursubstanz aller Dinge im Kosmos, in der Sprache des »Dao-de-jing«: »Es gibt eine unbestimmte Sache, schon vor Himmel und Erde bestehend,. ..welche die Mutter aller Dinge genannt werden kann. Ich weiß ihren Namen nicht, aber ich gebe ihm die Bezeichnung dao.« Andererseits war »dao« für sie aber auch das philosophische Weltgesetz, das die Welt in ihrem Innersten zusammenhält und gleichzeitig für den allgegenwärtigen Wandel sorgt, für das unaufhaltsame Werden und Vergehen. Der Begriff »de« im Titel »Dao-de-jing« ist als eine Besonderung des »dao« zu verstehen, als die Dao-Einflussnahme oder die Dao-Wirkkraft auf alles, was existiert. Durch »de« kommen die verschiedenen Eigenschaften, Verhaltensweisen und speziellen Regeln der Dinge zum Ausdruck.
 
Das Werden und Vergehen der Dinge vollzog sich in daoistischer Sicht nach dem Yinyang-Prinzip. Dieses Begriffspaar, das ursprünglich nur Schatten und Licht bedeutete, aber bald zur Bezeichnung des Gegensätzlichen schlechthin wurde, existierte schon seit den Gründerjahren der Zhoudynastie. Auch wurde in dieser Zeit schon der nächste denkerische Schritt getan, dass der Schatten zum Licht, der Berg zum Tal oder der Tod zum Leben gehört, dass diese Gegensatzpaare im Grunde jeweils Einheiten mit unterschiedlichen Komponenten bilden. Abstrahiert und verdichtet wurde diese Erkenntnis in der Yinyang-Lehre, die das dialektische Denken im alten China begründete.
 
In diesem Zusammenhang sei auch kurz auf die Lehre von den »wuxing« (Fünf Elemente, andere Übersetzungen Fünf Agenzien oder Fünf Wandlungszustände) verwiesen, deren Anfänge ebenfalls in der frühen Zhouzeit lagen. Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser wurden als einander bedingende kosmische Bestandtteile begriffen, die sich in einem ständigen Prozess gegenseitig hervorbrachten und besiegten. Es war ein Kreislauf, in den alles einbezogen werden konnte, da man schließlich annahm, jedes Ding oder Phänomen sei jeweils mit einem bestimmten Element fest verbunden und verhalte sich analog zu »seinem« Element.
 
Beide Lehren, »yinyang« und »wuxing«, beeinflussten in ihren frühen, noch nicht voll ausgebildeten Formen mehr oder minder die Philosophien der Zhan-guo-Zeit. Sie wurden schließlich von dem Naturphilosophen Zou Yan im 3. Jahrhundert v. Chr. zu einer einzigen zusammengefasst und systematisiert. Viele Denker im traditionellen China glaubten, dass damit die für Natur und Gesellschaft gleichermaßen verbindlichen Gesetzmäßigkeiten, das universale Ordnungsprinzip entdeckt worden waren.
 
Eine vergleichbare Beeinflussung ging vom »Yi-jing« (Buch der Wandlungen) aus, das zu Beginn der Zhouzeit als Divinationsbuch konzipiert worden war. Mit Hilfe seiner 64 jeweils benannten Hexagramme, Sechsereinheiten von nicht unterbrochenen und/oder unterbrochenen Linien, deutete man die Ergebnisse des Scharfgabenorakels. Die Hexagramme waren jeweils mit den grundlegenden Bestandteilen verknüpft, die nach damaliger Auffassung die Gesamtheit des Universums ausmachten. Sie standen dabei nicht für feste Komponenten, sondern befanden sich durch die Yinyang-Kräfte in stetem Wandel. Beigeordnet wurden ihnen rational bisweilen schwer nachvollziehbare Sprüche als Anleitung zum Handeln und bald Kommentare, die das Orakelbuch zu einer Quelle der Weisheit erweiterten. Allgemeine Gesetzmäßigkeiten, die man durch die Hexagramme einschließlich der mit ihnen verknüpften Phänomene und Vorstellungen sowie aus der Interaktion der Hexagramme gewonnen zu haben glaubte, existierten in der Zhouzeit unabhängig von denen, die aus der Wuxing-Lehre hervorgegangen waren.
 
Daoistische Gesellschaftsmodelle
 
Doch noch einmal zurück zur Philosophie der frühen Daoisten, die den Sinn des Lebens darin erblickten, eins zu werden mit dem »dao«, dem mystischen Urgrund allen Seins. Das Ziel konnte nur durch »wuwei« (nicht handeln, sich einreihen in den natürlichen Gang der Dinge) erreicht werden. Es war verpönt, Anstrengungen hierfür zu unternehmen, weil sie gemäß der daoistischen Dialektik nur das Gegenteil des Erstrebten bewirkt hätten. Eine Gesellschaft, in der sich der Dao-Suchende noch am ehesten wohl fühlen könnte, müsste nach dem »Dao-de-jing« in einem möglichst urwüchsigen und naturnahen Gemeinwesen, bar jeden Luxus', beheimatet sein. »Das Land sei klein, das Volk gering an Zahl. ..Auch wenn es Boote und Wagen gibt - man besteige sie nicht. ..Die Nachbarstaaten liegen dicht beeinander, sodass das Gackern der Hühner und das Bellen der Hunde von hüben und drüben zu hören sind. ..«.
 
Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass derartige Vorstellungen als Staatsidee keinen Erfolg haben konnten. Von dieser Sicht der Gesellschaft, die sich in ihrer Weltfremdheit nicht von der im »Zhuangzi« vertretenen unterschied, rührt die allgemein anzutreffende Einschätzung, dass der Daoismus nicht in der Lage war, realistische Vorstellungen oder Modelle für einen funktionierenden Staat zu entwickeln oder praktikable Vorschläge für politische Verbesserungen zu machen.
 
Den Menschen, die im Sinne des philosophischen Daoismus erfolgreich »wuwei« praktizierten, war, so heißt es im »Zhuangzi«, ein langes Leben beschieden. Dieser Aspekt wurde von verschiedenen dem Daoismus verpflichteten Denkern aufgegriffen und zu eigenständigen Lehren fortentwickelt, die sich speziell mit Langlebigkeit und mit dem Fernziel der Unsterblichkeit befassten. In ihnen spielten, neben Lebenselixieren und -pillen, Liebestechniken eine wichtige Rolle. Letztere waren immer auf ein erfülltes Sexualleben der Frauen abgestellt; den Männern brachten sie nur dann ein langes Leben, wenn sie alles richtig gemacht hatten - etwa wie der chinesische Methusalem namens Peng Zu, dem es dank seiner Liebeskunst gelungen war, über 900 Jahre alt zu werden.
 
Vier Schriften, die klare Anweisungen enthielten, wie man es richtig macht, fanden sich unter den aus dem Jahre 168 v. Chr. stammenden Funden aus Grab Nr. 3 von Mawangdui (bei Changsha, Provinzhauptstadt von Hunan). Nach Meinung von Kennern stehen sie in einer daoistischen Tradition, deren Anfänge in der späten Zhouzeit lagen, auch wenn die Quellen nicht bestätigen, dass es seitdem, wirkungsgeschichtlich betrachtet, auffällige Veränderungen in der männlichen Alterspyramide gegeben hat.
 
Generell ist es sicherlich richtig, den philosophischen Daoismus als eine auf das Individuum fixierte Lehre des Protests und der Verweigerung zu bezeichnen, untauglich zur politischen Gestaltung sowie zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und Aufgaben. Man nimmt daher zunächst mit einer gewissen Skepsis gegenteilige Beispiele zur Kenntnis, die im »Huainanzi« referiert werden, einer heterogenen, daoistisch beeinflussten Aufsatzsammlung aus dem späteren 2. Jahrhundert v. Chr. Eines der behandelten Themen ist hier die Erörterung einer erstrebenswerten Gesellschaftsordnung. In diesem Zusammenhang wird ausgeführt, ein Kanzler des Feudalstaates Wei sei mit seiner Politik des »durch Nicht-Regieren Regierens« sehr erfolgreich gewesen. In einem anderem Fall lenkte ein Minister des Küstenstaates Qi angeblich das Land mit dem Grundsatz: »Wert legen auf Reinheit und Ruhe, dann ordnet sich das Volk von selbst.«
 
Gäbe es nur diese Art von vagen Hinweisen, könnte man an Gedankensplitter von Staatsmännern denken, die, wie viele ihrer Kollegen im späteren kaiserlichen China, dem Daoismus zugetan waren, ohne dass dies bedeutsame Spuren in ihrem politischen Handeln hinterlassen hätte. Durch die Ende 1973 und Anfang 1974 geborgenen Seidenbücher aus dem schon erwähnten Grab von Mawangdui sind unsere Kenntnisse jedoch entscheidend erweitert worden. Unter den 20 auf helle Seide geschriebenen Werken, mit insgesamt mehr als 120 000 Zeichen bzw. Worten, fanden sich vier Texte der sogenannten Huang-Lao-Lehre. Der Name, der eine Verschmelzung von Huangdi (einer der Kulturheroen) und Laozi enthält, steht für eine Art politischen Daoismus. Durch diese Schriften bekam man ein klareres Bild von den Vorstellungen und Konzepten der Huang-Lao-Daoisten, die sich nicht nur im Südstaat Chu großer Beliebtheit erfreuten, sondern auch zahlreiche Anhänger im Teilstaat Qi hatten. Zusammenfassend kann man sagen, dass sie sich erklärtermaßen der Stärkung und der Konsolidierung einer zentralen Regierungsgewalt verschrieben hatten.
 
Dieses Konzept gewinnt noch etwas klarere Konturen, wenn man das aus derselben Schule stammende und ebenfalls in Chu während der Zhan-guo-Zeit entstandene Werk »Heguanzi« (Meister Fasanenkappe) hinzunimmt. Der merkwürdige Name des Buches sollte vermutlich eine Anspielung auf den nicht näher bekannten Verfasser sein. Als Offizier trug er den damals üblichen Hut mit Fasanenfedern, die angeblich Wildheit signalisierten. Im »Heguanzi« befindet sich der klar ausgearbeitete Plan, wie zur Stärkung der Zentralgewalt in Chu anstelle von Afterlehen flächendeckend Verwaltungseinheiten in Form der weiter oben erwähnten »Kreise« und »Regierungsbezirke« eingerichtet werden sollten und dann im Laufe der Zeit auch tatsächlich wurden. Um einen Zusammenhang zwischen diesen Vorschlägen und dem Daoismus zu erkennen, bedarf es einiger dialektischer Anstrengungen. Vermutlich hoffte man durch einen zentralen, sich daoistisch verhaltenden Herrscher und durch die neue Administration die Reibungsverluste verringern zu können, die es zwischen einem Staat und seinem Einswerden mit dem »dao« immer geben musste.
 
 Der Legismus
 
Die Lehre, die gemessen am politischen Erfolg in der Zhan-guo-Zeit alle anderen in den Schatten stellte, war der Legismus. Seine Anhänger erhielten in der Westlichen Hanzeit (202 v.Chr.-9 n.Chr. und 23-25 n. Chr.) die Bezeichnung »fajia« (Legisten oder Legalisten). Als Begründer der Lehre gelten Shen Buhai, Shen Dao und vor allem Shang Yang, der Minister von Qin, der auch die Namen Gongsun Yang oder Wei Yang hatte; sie alle lebten im 4. Jahrhundert v. Chr. Dagegen könnte man dem im 3. Jahrhundert v. Chr. lebenden Han Feizi als bedeutsamsten Vertreter und geistigen Vollender des Legismus charakterisieren. Die wichtigsten erhaltenen Werke sind das »Shangjun shu« (das Buch des Herrn von Shang), das in Teilen von Shang Yang stammt, sowie das Werk »Han Feizi«, das weitestgehend aus dem Pinsel des gleichnamigen Legisten kam.
 
Das grundlegende Konzept der »fajia« war, alle Macht im Staat auf den Herrscher konzentrieren zu wollen. Zur Realisierung ihrer Vorstellungen sollten Gesetze geschaffen werden (daher der Name Legisten), die auf alle, ohne Ansehen der Person, nur den Herrscher ausgenommen, anzuwenden waren.
 
Die bisher vorgestellten Ideen der baijia für eine bessere Gesellschaftsordnung kann man als Kontrastprogramme verstehen, welche die Philosophen auf dem Hintergrund einer als wenig lebenswert erachteten Wirklichkeit erarbeitet hatten. Demgegenüber war der Legismus eine Lehre, die direkt aus der praktischen politischen Anschauung abgeleitet worden war. Die oben genannten Vetreter, zum Teil aus obersten Adelskreisen, bekleideten, mit Ausnahme von Shen Dao, und anders als etwa die Hauptvertreter des Konfuzianismus, höchste Staatsämter und hatten vielfach Gelegenheit, ihre Ansichten in die Wirklichkeit umzusetzen.
 
Vor dem Gesetz sind alle gleich
 
Als erste stimulierende Ansätze für den späteren Legismus kann man praktische Maßnahmen ansehen, die im 7. Jahrhundert v. Chr. im schon oft erwähnten Teilstaat Qi durchgeführt worden waren. Der dortige Minister Guan Zhong hatte gezielt Belohnungen und Strafen, die praktischen Wirkungs- und Erscheinungsformen von Gesetzen, als Mittel zur Realisierung seiner politischen Vorstellungen eingesetzt, wie etwa um Abgaben entsprechend der Bodenqualität durchzusetzen. Verschiedene Teilstaaten hatten sich im 6. Jahrhundert v. Chr. daran gemacht, Strafbestimmungen zu formulieren, ehe Li Kui, der in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. als Minister im Teilstaat Wei amtierte, mit dem »Fa-jing« (Gesetzesklassiker) das wohl bis dahin umfangreichste Gesetzbuch schuf, das jedoch nicht auf uns gekommen ist. Derlei Aktivitäten wurden von Teilen des Hochadels sicherlich mit Misstrauen verfolgt, da man nicht ganz zu Unrecht durch kodiertes Recht eine Beschneidung angestammter Privilegien befürchtete. Der Verlauf der Geschichte hat jedoch gezeigt, dass die Betroffenen offensichtlich keine geigneten Gegenmittel fanden, sich diesen Entwicklungen zu widersetzen.
 
Ebenso wie der seit Ende der Chun-qiu-Zeit mögliche Kauf von Land und die Einsetzung von abrufbaren Beamten unterhöhlten für alle gleichermaßen geltende Gesetze generell das Feudalsystem, da sie, durch die einheitliche Behandlung aller, alte soziale Hierarchien zu relativieren begannen. Als konkretes Beispiel für den Privilegienabbau und als Hinweis auf den Wandel von einer lehensfeudalistisch zu einer bürokratisch organisierten staatlichen Administration sei vorwegnehmend auf eine Forderung von Shang Yang verwiesen. Er schrieb: »Die Einheitlichkeit der Strafen bedeutet, dass [bei ihrer Anwendung] keine Ränge oder Grade berücksichtigt werden: Vom Minister und General bis zum Beamten und einfachen Volk werden alle zum Tode verurteilt und nicht begnadigt, wenn sie den Befehlen des Königs nicht gefolgt sind, wenn sie gegen staatliche Verbote verstoßen haben oder wenn sie sich gegen Statuten des Herrschers aufgelehnt haben. ..Weder in hohen noch in niedrigen Ämtern gibt es eine automatische erbliche Nachfolge in die Ämter, die Ränge, die Ländereien und Einkünfte von Beamten.«
 
Die Legisten bemühten sich, die neuen Entwicklungen und Erfahrungen, erweitert um eigene Überlegungen, zu einer in sich stimmigen und zusammenhängenden Lehre auszubauen. Den Vorstellungen der Konfuzianer, vor allem auf die normative Kraft der Moral für die Ordnung und das Wohlergehen in einer Gesellschaft zu vertrauen, setzten sie als nüchterne Machtstrategen »fa« (Gesetze) entgegen, in denen detailliert Verbote und Gebote sowie Strafen und Belohnungen fixiert waren.
 
Drakonische Strafen regieren den Staat
 
Das am meisten favorisierte Herrschaftsmittel, das den Staatsapparat und die Wirtschaft in Gang hielt und den absoluten Machtanspruch des Herrschers unterstrich, waren für die Legisten Strafen, und Han Feizi erläuterte: »Wenn Strafen vorherrschen, ist das Volk ruhig, aber wenn es reichlich Belohnungen gibt, entstehen Schurkereien. Darum ist das Vorherrschen von Strafen beim Regieren des Volkes das oberste Prinzip, zu viele Belohnungen sind die Wurzel von Unordnung.«Im »Shangjun shu« heißt es dazu präzisierend: »In einem geordneten Staat. ..straft deshalb der König neunmal und belohnt nur einmal«. Schon die leichtesten Vergehen sollten äußerst hart geahndet werden, da man glaubte, dadurch eine Generalprävention zu erreichen: »So wird das Volk keine Verbrechen begehen, und es wird keine Unordnung geben.«
 
Die Gesetze waren den Menschen nach legistischer Auffassung weder vom Himmel gestiftet noch durch ihn inspiriert worden; sie waren also nicht mit einer übernatürlichen Autorität ausgestattet. Sehr realistisch wurden sie als der verbalisierte Wille des jeweiligen Herrschers betrachtet.
 
Weder bei Shang Yang noch bei Han Feizi gab es Überlegungen, ob allgemein akzeptierte Moralvorstellungen oder gar Gewogenheit gegenüber dem Volk in die Gesetze einfließen müssten. Im Gegenteil: Für Han Feizi handelt nur ein solcher Staatsmann weise, der mit Bedacht die Angst vor den drakonischen Gesetzen als Mittel zur Aufrechterhaltung der inneren staatlichen Ordnung zu nutzen weiß. Die Furcht, bei Ungehorsam den Gesetzeshütern des eigenen Staates in die Finger zu fallen, sollte größer sein als die Furcht vor einem starken Feind in einer Schlacht. Für den Herrscher lohnte sich nicht, Menschlichkeit, Gerechtigkeitssinn, Liebe und Wohlwollen Beachtung zu schenken, denn nur mit strengen Gesetzen und schweren Strafen ließ sich ein Land regieren.
 
Große Sorgfalt verwandte man darauf, die gesetzlichen Bestimmungen absolut klar und eindeutig zu formulieren sowie sie an jedem Ort bekannt zu machen, damit alle wussten, wie sie sich zu verhalten hatten. Zusätzlich propagierte Han Feizi ein Denunziationssystem, dessen Anfänge auf Shang Yang zurückgingen. Die gesamte Bevölkerung wurde demnach, ohne Rücksichtnahme auf Familiengrenzen, in Nachbarschaften unterteilt, deren Mitgliedern es zur Pflicht gemacht wurde, sich gegenseitig zu überwachen. Jeder, der es unterließ, einen anderen, der straffällig geworden war, anzuzeigen, sollte in zwei Teile zersägt werden.
 
Umgekehrt wurde jeder, der eine Anzeige erstattet hatte, genauso belohnt wie jemand, der einem Feind den Kopf abgeschnitten hatte. Er bekam dafür einen Ehrentitel - bei mehreren Auszeichnungen winkte die Verschonung von öffentlichen Arbeiten -, ». ..und solche, die Beamte werden wollten, erhielten ein mit 50 shi/dan (ca. 1 500 kg) Getreide dotiertes Amt. ..«. Wenn die Mengenangabe stimmt, so war dies im übrigen ein fürstlicher (Judas-)Lohn, mit dem man den Getreidebedarf einer vierköpfigen Familie für ein Jahr gut abdecken konnte.
 
Die Gleichsetzung von »Meriten« im zivilen und militärischen Bereich deutet bereits an, welche bedeutsame Rolle die Legisten der organisierten Gewalt beimaßen, Gewalt, die geeignet war, den Staat auch auf Kosten oder durch Einverleibung der anderen Staaten zu stärken. Militär und Landwirtschaft waren die Bereiche, in denen sich das Volk zu betätigen hatte, da beide die Wurzeln für die Stärke eines Staates waren. Eine florierende Agrikultur war unerlässlich, weil man sie als Grundlage für überlegene Streitkräfte brauchte. Brutale Disziplin wiederum sorgte für die Schlagkraft der Armeen. Innerhalb der Fünferschaften, der kleinsten Untergliederung der Truppe, mussten alle füreinander einstehen. Wurde einer getötet, so wurden die restlichen vier exekutiert, weil sie für den Tod des einen verantwortlich gemacht wurden. Die Ränge der Militärführer bemaßen sich nach der Zahl der von ihnen erschlagenen Feinde.
 
Diejenigen, die den Boden bearbeiteten, waren im Grunde die einzigen nützlichen Mitglieder der Gesellschaft, da nur sie produktive Arbeit leisteten und im Krieg überdies dem Staat als Soldaten dienten. Alle anderen wurden mit der Elle der so formulierten Nützlichkeit gemessen, sodass es nicht wunder nimmt, wenn, neben anderen, Gelehrte und Händler als Parasiten und Schädlinge eingestuft wurden. Sie produzierten nach Auffassung der Legisten keine Werte, die dazu beigetragen hätten, den Staat stark zu machen.
 
Der Einfluss der Geistesschulen
 
Bei der theoretischen Unterfütterung ihrer Lehre machten die Legisten bei verschiedenen Geistesschulen Anleihen. Ihr pessimistisches Menschenbild war nicht unähnlich dem von Xunzi. Der Mensch hatte von Natur aus schlechte Eigenschaften, unter denen der Eigennutz dominierte. Dadurch, dass jeder nur nach persönlichem Vorteil strebte, bestand nach Ansicht der Legisten die Gefahr eines Tohuwabohu für die Gesellschaft. Der angeborene Egoismus musste mit Gewalt unterdrückt werden, soweit man ihn nicht, wie beim Gieren nach materiellen Belohnungen, für eigene Zwecke nutzen konnte. Den Menschen durch Erziehung charakterlich bessern zu wollen, wie dies alle Konfuzianer anstrebten, war für die Legisten eher Zeitverschwendung.
 
Auch der Daoismus, präziser gesagt einzelne Elemente, wurden herangezogen und erfuhren durch die Legisten eine Umwertung. Der Herrscher, auf den alles zugeschnitten war und von dem alle Macht ausging, der aber gleichzeitig durch seine einzigartige Stellung und Unnahbarkeit fast mystisch entrückt war, verkörperte in gewisser Weise das »dao«. Sein dao wirkte in Form der von ihm bestimmten Gesetze in die Gesellschaft hinein. Die Gesetze wurden so zu einer Besonderung des »dao«. Wenn die Untertanen sich an sie hielten, konnten sie eins werden mit dem »dao« und erreichten damit scheinbar den daoistischen Lebenszweck. Umgekehrt verwirklichte der Herrscher das angestrebte Wuwei-Ideal. Er brauchte nicht mehr zu handeln, da die Gesetze von sich aus ihre Wirkung taten. Das Hilfspersonal kümmerte sich um alles andere: »Ein kluger Herrscher steht nicht-handelnd (»wuwei«) an der Spitze, während die Schar der Beamten unter ihm zittert und bang. ..Bei Erfolgen kommt dem Herrscher der Ruhm zu, bei Fehlern tragen die Beamten die Schuld. So gerät der Name des Herrschers nie in Gefahr.« Diese Überlegungen, zur Erhöhung ihrer Akzeptanz verbrämt mit daoistischen Begriffen, waren zwar in sich schlüssig, stellten jedoch eine Pervertierung des philosophischen Daoismus dar.
 
Misst man den Erfolg der Konzepte der Hundert Schulen daran, inwieweit sie in die Realität umgesetzt wurden, so war der Legismus, der zur Staatsdoktrin des Teilstaates Qin und später zu der des ersten Kaiserreichs wurde, ohne Zweifel der Gewinner. Er überlebte zwar nicht in seiner Reinform, doch hinterließ er nach seiner Vermählung mit dem Konfuzianismus in der Hanzeit (202 v. Chr.-220 n. Chr.) untilgbare Spuren in der danach gültigen konfuzianischen Staatsdoktrin. Die »Verhimmelung« des autokratischen Herrschers, das Prinzip der Zentralisation und die Techniken zur Durchsetzung von politischen Zielen sind einige legistische Elemente, die einen erheblichen Anteil daran hatten, später das riesige Reich der Mitte erfolgreich regieren und zusammenhalten zu können.
 
Prof. Dr. Klaus Flessel, Erlangen
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Chinas frühe Hochkultur: Qin und erneute Reichseinigung
 
Hochkultur: Annäherung an einen umstrittenen Begriff
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Chinas frühe Hochkultur: Zhoudynastie
 
Literatur:
 
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