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EYCK: DIE ENTDECKUNG DER SICHTBAREN WELT

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Eyck: Die Entdeckung der sichtbaren Welt
 
Das Œuvre des niederländischen Künstlers Jan van Eyck bezeichnet einen Neuanfang und gleichzeitig einen Höhepunkt in der Geschichte der europäischen Malerei. Weder früher noch später hat ein Maler in der unübertroffen wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe der Bildgegenstände solche Wunder vollbracht wie Jan van Eyck. Seine Werke sind Berichte von Entdeckungsreisen in die unerschöpfliche Welt des Sichtbaren, wie sie niemals mit größerem Enthusiasmus unternommen worden sind, und sie legen davon Zeugnis ab, dass die sichtbare Welt eine Welt von überwältigender Schönheit ist. Vom Lichtreflex in einer Wasserkaraffe bis zum Leuchten schneebedeckter Alpengipfel am fernen Horizont, von der zarten Blüte des heimischen Maiglöckchens bis zu südlichen Pinien, Palmen und Zypressen, vom nackten menschlichen Körper bis zum prunkvollsten Gewand — es gibt kaum einen Bereich der Wirklichkeit, den der Künstler in seinen Werken nicht mit unersättlich erscheinender Neugier und hingebungsvoller Objektivität erkundet hätte.
 
Nichts brachte die Vorstellung vom künstlerischen Neuanfang Jan van Eycks treffender zum Ausdruck als die Überzeugung, dass er die Ölmalerei erfunden habe.Diese Ansicht, die erstmals der Italiener Giorgio Vasari um die Mitte des 16. Jahrhunderts in seinen »Lebensbeschreibungen der berühmtesten Künstler« vertrat, wurde zum Allgemeingut des kunstinteressierten europäischen Publikums. Tatsächlich war die Verwendung von Ölharzen als Bindemittel schon lange vor Jan van Eyck gebräuchlich; aber die außerordentliche Verfeinerung dieser Technik zu einem dünn lasierenden Auftrag der Pigmente, der den Farben einen zuvor unbekannten Glanz verlieh und sie wie von innen heraus leuchten ließ, war doch Jan van Eycks ureigenste künstlerische Leistung. Nur mithilfe einer neuen malerischen Technik war es ihm möglich, seine neue Sicht der Dinge künstlerisch zu realisieren.
 
 Leben
 
Jan van Eycks Leben ist besser dokumentiert als das jedes anderen niederländischen Künstlers des 15. Jahrhunderts. Allerdings gibt es Dokumente nur für die letzten 20 Jahre seines Lebens, von 1422 bis 1441, bezeichnenderweise sind es zum größten Teil Dokumente, die seine herausgehobene Stellung als Hofmaler betreffen. Als Jahr der Geburt wird traditionell »um 1390« angegeben, wofür jedoch jeder konkrete Anhaltspunkt fehlt. Ab August 1422 ist Jan van Eyck als Hofmaler Johanns von Bayern, des Grafen von Holland und Zeeland, in dessen Residenz Den Haag bezeugt. Über die Art seiner Tätigkeit geben die Dokumente keine Auskunft. Johann von Bayern starb im Januar 1425, aber schon wenig später trat Jan van Eyck in die Dienste Herzog Philipps des Guten von Burgund, des mächtigsten Fürsten der Zeit. Spätestens im Juni 1425 wurde er dessen Hofmaler, und er blieb es bis zu seinem Tod in Brügge am 9. Juni 1441. Auf Anordnung des Herzogs musste sich Jan van Eyck in Lille niederlassen, der Verwaltungshauptstadt des burgundischen Reiches. Noch im Sommer 1425 schickte der Herzog Jan van Eyck auf eine »weite und geheime Reise«. Ein Geheimnis blieb auch das Ziel der besonders weiten Reise, die Jan van Eyck 1428 im Auftrag des Herzogs unternahm: Im Oktober brach eine Gesandtschaft, der Jan van Eyck angehörte, nach Portugal auf, um die Eheschließung des Herzogs mit der portugiesischen Prinzessin Isabella zu vereinbaren. Jan van Eycks Aufgabe war es, die Prinzessin zu porträtieren, sodass sich Philipp, dem das Porträt durch Kuriere überbracht wurde, ein Bild von seiner zukünftigen (dritten) Gemahlin machen konnte. Nachdem der Herzog sein Plazet erteilt hatte, kehrte die Gesandtschaft nach Flandern zurück, wo sie am Weihnachtstag des Jahres 1429 eintraf.
 
Im Juni 1432 mietete Jan van Eyck in Brügge ein Haus »mit steinerner Front«, das er bis zu seinem Tod bewohnte. Für die übliche Annahme, dass er schon 1430, nach der Rückkehr aus Portugal, nach Brügge gezogen wäre, gibt es aber keine Belege. Die Entscheidung Jan van Eycks, den Wohnsitz nach Brügge zu verlegen, ist sehr gut verständlich, denn Brügge war die wirtschaftliche Metropole Flanderns; hier konnte er mit lukrativen Aufträgen rechnen, zumal er als Hofmaler von den strengen Zunftgesetzen befreit war. Das Kalkül Jan van Eycks muss aufgegangen sein; er erlangte eine sehr unabhängige Position. Nach den erhaltenen Werken zu urteilen, führte er viel mehr Arbeiten für vermögende Patrizier und hohe Hofbeamte als für den Hof selbst aus, und 1435, als die herzogliche Kasse gewisse Zahlungen nicht leisten wollte, konnte er es sich sogar leisten, dem Herzog zu drohen, dessen Dienste zu verlassen. Unter den Zeugnissen, die erkennen lassen, wie sehr dieser Jan van Eyck schätzte, ist es das schönste. Für das erste Kind Jan van Eycks, das im Frühjahr 1434 geboren wurde, übernahm der Herzog die Patenschaft. Jan van Eyck wird daher 1433 geheiratet haben. Auf einem Porträt seiner Ehefrau von 1439 hat er vermerkt, dass sie Margarethe hieß und 1406 geboren wurde.
 
 Hubert
 
1432, vielleicht nicht zufällig in demselben Jahr, in dem er sein Haus in Brügge bezog, begann Jan van Eyck als erster und zunächst einziger niederländischer Künstler, seine Werke zu signieren und — öfters auf den Tag genau — zu datieren. Das künstlerische Schaffen der letzten neun Lebensjahre Jan van Eycks ist daher unvergleichlich gut zu überschauen, auch wenn einige Gemälde ohne diese Angaben überliefert sind, da sie ihre ursprünglichen Rahmen, auf denen sich meistens die Signatur befand, verloren haben. Dagegen sah sich die Forschung bisher erheblichen Schwierigkeiten gegenüber, wenn sie die Frage nach den Werken Jan van Eycks vor 1432 beantworten wollte. Eines der Hindernisse, das einer Lösung des Problems im Wege stand, war die Inschrift des Genter Altares. Ihr zufolge habe der größte Maler der Zeit, Hubert van Eyck, den Altar begonnen und sein Bruder Jan van Eyck ihn 1432 vollendet. Da es sonst kein Werk gibt, das Hubert van Eyck, der bereits 1426 gestorben ist, mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, hätte nur eine Abgrenzung des Anteils von Hubert am Altar Klarheit über den frühen Stil Jan van Eycks bringen können, was aber trotz aller Bemühungen im Laufe einer mehr als hundertjährigen Forschungsgeschichte bisher nicht möglich war. Das verwundert nicht, denn inzwischen konnte nachgewiesen werden, dass es sich bei der Inschrift um eine Fälschung des 16. Jahrhunderts handelt. Entgegen den Angaben der Inschrift ist der von Joos Vijd gestiftete Genter Altar frühestens im Jahre 1430 begonnen und erst 1435 vollendet worden. Hubert van Eyck kann daher mit dem Altar nichts zu tun haben. Jan van Eyck ist der alleinige Schöpfer.
 
 Der Genter Altar
 
Der Genter Altar ist das Hauptwerk der altniederländischen Malerei. Seit seiner ersten Erwähnung durch den Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer im Jahre 1498 wurde er mit niemals nachlassender Begeisterung als eines der größten Wunderwerke der Malerei überhaupt gepriesen. Besuche der Bürgermeister von Brügge und des Herzogs Philipp im Sommer und im Herbst 1432 in der Werkstatt Jan van Eycks, um »ein gewisses Werk zu sehen«, müssen dem Altar gegolten haben, der demnach noch vor seiner Vollendung Aufsehen erregte. Schon in der äußeren Form hat der Genter Altar nicht seinesgleichen. Er ist ein zweigeschossiger Flügelaltar mit beweglich unterteilten, beidseitig bemalten Flügeln. Insgesamt besteht der Altar aus zwölf Tafeln, die, was den Inhalt und vor allem den Figurenmaßstab angeht, höchst verschiedenartige Darstellungen enthalten.
 
Dass der Genter Altar nach einem einheitlichen Plan ausgeführt wurde, lässt schon das Rahmenwerk erkennen, dessen ungewöhnliche Form den engen räumlichen Verhältnissen am ursprünglichen Aufstellungsort, der Vijd-Kapelle in der Johanneskirche (jetzt Sint-Baafskathedraal) von Gent, Rechnung trägt. Der Darstellung des geöffneten Altares liegt in wesentlichen Zügen die Vision des neuen Jerusalems zugrunde, die der Seher Johannes im 21. Kapitel seiner geheimen Offenbarung beschrieben hat. Mit dem Jüngsten Gericht sind die »alte Erde und der alte Himmel« vergangen, und es kam nun »eine neue Erde und ein neuer Himmel« hernieder. Diese »neue Erde«, bevölkert von verschiedenen Scharen der Heiligen und Erlösten, ist im unteren Register, und dieser »neue Himmel«, den Jesus Christus mit dem Glanz seiner göttlichen Majestät erfüllt, ist im oberen Register dargestellt. Der thronende Christus im oberen sowie das auf dem Altar stehende Lamm und der Brunnen im unteren Register, jeweils auf der Mittelachse, bilden inhaltlich eine unauflösbare Einheit, denn sie zusammen bezeichnen das Zentrum des neuen Jerusalems. Adam und Eva dagegen, im Unterschied zu allen anderen Gestalten auf den schmalen äußeren Flügeln des oberen Registers in steinernen Nischen und in Untersicht wiedergegeben, gehören nicht zu den Bewohnern der Himmelsregion. Sie sind diejenigen, die mit ihrem Fehltritt die Sünde in die Welt gebracht und dadurch die ganze Heilsgeschichte ausgelöst haben, deren glücklicher Ausgang der Gegenstand der Darstellung ist. Bei geschlossenem Altar präsentiert sich in den äußeren Nischen des unteren Registers das Stifterpaar Joos Vijd und Elisabeth Borluut. Kniend und mit gefalteten Händen verehrt es seine persönlichen Heiligen, die als Statuen in den inneren Nischen stehen, Johannes der Täufer links und Johannes der Evangelist rechts. Im Register darüber ist die Verkündigung an Maria dargestellt, mit der das Erlösungswerk Christi beginnt. Das Ereignis findet in einem bürgerlichen, sich über alle vier Tafeln erstreckenden Innenraum statt. Auf die Verkündigung beziehen sich auch die Propheten und Sibyllen in den Nischen des obersten Registers, deren Spruchbänder Weissagungen der Ankunft Christi enthalten. Von allen Darstellungen des Genter Altares haben Adam und Eva in ihrer bezwingenden Lebenswirklichkeit die Betrachter immer am meisten beeindruckt. Ein so täuschend wahres Bild des ersten Menschenpaares war noch niemals geschaffen worden. Im milden Glanz ihrer Nacktheit heben sich Adam und Eva geradezu greifbar vom dunklen Grund der Nischen ab. Nur etwas unterlebensgroß, scheinen sie lebende Wesen zu sein, die in der Lage sind, ihre Nischen zu verlassen, ein Eindruck, der dadurch, dass sie durch die Untersicht unmittelbar auf den Standpunkt des Betrachters bezogen sind, nachdrücklich gesteigert wird.
 
Es wäre jedoch falsch, im Vergleich zu Adam und Eva die anderen Darstellungen des Genter Altares als geringere künstlerische Leistungen zu betrachten. Im Gegenteil, der Künstler scheint sich ein Höchstmaß an völlig verschiedenen Aufgaben gestellt zu haben, wie um zu demonstrieren, dass die Malerei über jeden nur erdenklichen Gegenstand zu triumphieren vermag. Erstmals ist ein weites Landschaftspanorama Schauplatz der Darstellung auf einem Altar. Sofern die Landschaft den Figurengruppen als eine Bühne dienen muss, trägt sie diesem Erfordernis selbstverständlich Rechnung (steiler Anstieg der Rasenfläche), doch sind alle einzelnen Motive, von den unscheinbaren Wiesenblumen des Vordergrundes bis zu den Orangenbäumen und den Palmen im Hintergrund, »lebenswahre« Wiedergaben wirklicher, gesehener Natur. Alles fügt sich zum Bild einer Landschaft von üppiger Vegetation und paradiesischer Schönheit. Überzeugender konnte die Natur ihren Anspruch, ein würdiger Gegenstand der Kunst zu werden, nicht anmelden. Jan van Eyck erweist die Macht der Malerei, indem er das malerische Handwerk ganz in den Dienst der Erscheinungsweise der Dinge stellt; wenn er Steinskulpturen wiedergibt, wie bei den beiden Johannesstatuen, dann scheint der harte, steinerne Werkstoff tatsächlich tastbar zu sein, und wenn er, wie bei den musizierenden Engeln, Brokatgewänder darstellt, dann meint man in gleicher Weise die kostbarsten Luxusstoffe von dunkler Samtigkeit und goldenem Glanz vor sich zu haben. Ob es sich um die Orgelpfeifen aus Zinn, die Holzmaserung des Orgelkastens, den dämmrigen Innenraum des Verkündigungsgemachs, die schimmernden Rüstungen der Streiter Christi, die edelsteingeschmückte Goldkrone zu Füßen Christi oder dessen gläsernes, durchscheinendes Zepter handelt — um nur noch einige wenige Beispiele zu nennen —, immer ist die Erscheinungsweise des Gegenstandes, bei der freilich die jeweilige Beleuchtung eine entscheidende Rolle spielt, so genau getroffen, dass man den dargestellten Gegenstand nicht betrachten kann, ohne die unvergleichliche Kunst der Darstellung zu bewundern.
 
 Das Turin-Mailänder Stundenbuch
 
Das umstrittenste Problem der Van-Eyck-Forschung stellt das Frühwerk Jan van Eycks dar. In einem Gebetbuch für den privaten Gebrauch, dem Turin-Mailänder Stundenbuch, das um 1380 oder später in Paris begonnen, aber erst um 1450 in Flandern vollendet worden ist, befinden sich sieben Miniaturen, die einen unverkennbar »eyckischen« Stilcharakter aufweisen. Auf einer der Miniaturen ist ein reitender, zu Gott betender Fürst dargestellt, der dank der Fahne, die ein Ritter seines Gefolges hält, identifiziert werden kann. Es ist Wilhelm VI., Graf von Holland, Zeeland und Hennegau aus dem Hause Wittelsbach und der ältere Bruder des erwähnten Johann von Bayern, in dessen Diensten Jan van Eyck von 1422 bis Anfang 1425 stand. Die Forschungsprobleme ergeben sich nun aus der Tatsache, dass Wilhelm VI. bereits im Mai 1417 gestorben ist. War Wilhelm VI. der Auftraggeber, dann müssen die Miniaturen vor Mai 1417 entstanden sein — ein so frühes Datum erschien der Forschung aber wegen der revolutionären Darstellungen vielfach undenkbar, weshalb zahlreiche Hypothesen ersonnen wurden, die eine spätere Entstehung zu begründen versuchten. Diese Bemühungen erwiesen sich jedoch als haltlose Spekulationen, da an der Darstellung Wilhelms VI. in einem privaten Gebetbuch niemand außer Wilhelm VI. selbst ein Interesse haben konnte.
 
Die sieben Miniaturen (mit den dazugehörigen Fußleisten) müssen als die frühesten Dokumente einer nicht mehr mittelalterlichen Sicht auf die Welt bezeichnet werden. Im »Gebet am Strand« reitet ein Fürst, begleitet von seinem ebenfalls berittenen Gefolge, durch eine Dünenlandschaft; junge Frauen und ein älterer Mann begrüßen ihn kniefällig; im Hintergrund werden das Meer und der Küstensaum sichtbar. Ein bleierner Himmel liegt über der Landschaft, und der Künstler scheint es vor allem als seine Aufgabe angesehen zu haben, die Wirkung dieses grauen und diffusen, bis zur Düsterkeit gedämpften Lichtes auf die Meeresoberfläche mit ihren Wellenkämmen, den Strand mit seinen Booten, die schimmernden Rüstungen, die kostbaren Gewänder und das Fell der Pferde zu untersuchen. Der Text des Gebetbuches verlangte die Darstellung eines betenden Fürsten, doch hat der Künstler diesem Erfordernis nur mit Mühe und Not Rechnung getragen, denn selbstverständlich gehörte es sich auch für einen Fürsten, zum Gebet niederzuknien. Offensichtlich war der Künstler aber an einem ganz anderen Thema interessiert, das er aufgrund seiner Beobachtungen erst entdeckt hat: ein Reiterzug am Strand bei trüben Lichtverhältnissen. Die Darstellung verrät — natürlich abgesehen von Gottvater in seiner Gloriole — genaueste Beobachtungen bis zum unscheinbarsten sachlichen Detail und bis zum nebensächlichsten natürlichen Phänomen; überzeugender könnten ein solches Ereignis und eine solche Stimmung nicht künstlerisch wiedergegeben werden. Jeder Rest von mittelalterlicher Zeichenhaftigkeit ist verschwunden, die Darstellung vermittelt den Eindruck, ein tatsächlich gesehenes Ereignis festzuhalten.
 
Nicht weniger erstaunlich sind die beiden Innenraumdarstellungen, die »Geburt Johannes' des Täufers«, die in einem bürgerlichen Interieur stattfindet, und die »Totenmesse«, deren Schauplatz der Chor einer gotischen Kirche ist. Die Räumlichkeiten scheinen den Künstler in demselben Maße interessiert zu haben wie die in ihnen dargestellten Ereignisse, denn er hat — was völlig unmittelalterlich ist — die menschlichen Gestalten, die ja die Träger der Handlung sind, so winzig klein werden lassen, dass ihr Größenverhältnis zu dem Raum, in dem sie sich befinden, als ein natürliches erscheint. Die Gesamtheit des Raumes mit seinen Menschen wird wichtiger als die jeweilige Handlung, aber nur so war es möglich, den jeweiligen Raum als einen Gegenstand der künstlerischen Darstellung zu erschließen. Zum ersten Mal sind hier ein bürgerlicher Wohnraum und das Innere einer gotischen Kirche wirklichkeitsgetreu, wie tatsächlich gesehene Räume, wiedergegeben worden. In gleicher Weise erscheint bei der »Taufe Christi« in der Fußleiste der »Johannesgeburt« die winzig kleine Taufszene zu einer bloßen Staffage degradiert. Der Künstler hat die Taufe im Jordan als eine Gelegenheit wahrgenommen, eine ganze Flusslandschaft mit Burgen, Gehöften und bewaldeten Ufern darzustellen, die sich im Schein des letzten Abendlichtes weit in die Tiefe verliert. Jan van Eycks Miniaturen im Turin-Mailänder Stundenbuch sind nach Form und Inhalt so revolutionär, dass ihre Entstehung bereits um 1415—17 in der Tat unglaublich früh erscheint. Aber gerade die beiden ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts waren eine Zeit kühnster Neuerungen im Bereich der niederländisch-französischen Buchmalerei. Einerseits machten Künstler wie der anonyme »Meister des Marschalls Boucicaut« oder die Gebrüder Limburg, die als die wichtigsten Vorläufer und Wegbereiter Jan van Eycks zu bezeichnen sind, damals große Fortschritte in der künstlerischen Eroberung der vom Menschen geschaffenen und der natürlichen Umwelt; andererseits war die Buchmalerei das ideale Medium für diese Entdeckungslust, denn v.a. bei Gebetbüchern, die sie im Auftrag kunstverständiger Mäzene illustrierten, brauchten die Künstler keine Rücksichten auf die Erwartungshaltung eines frommen Publikums, wie sie bei Altar- oder bei Andachtsbildern üblich waren, zu nehmen; hier hatten sie größere künstlerische Freiheiten als in jeder anderen Gattung der Malerei. Schon in den Zwanzigerjahren des 15. Jahrhunderts hatte sich die Situation wieder gewandelt, deshalb passen die Turin-Mailänder Miniaturen mit ihrer Entstehungszeit um 1415—17 doch sehr gut in die allgemeine Entwicklung, wogegen eine spätere Datierung sehr problematisch erschiene. Diese Miniaturen weisen Jan van Eyck als einen Begründer der altniederländischen Malerei aus. Der einzige andere Maler, der Anspruch auf diesen Ehrentitel erheben könnte, ist der »Meister von Flémalle«, der höchstwahrscheinlich mit Robert Campin aus Tournai identifiziert werden kann; von ihm ist jedoch bislang kein so früh datiertes Werk bekannt.
 
 Das New Yorker Diptychon
 
Wenige Jahre nach den Miniaturen des Turin-Mailänder Stundenbuches, vielleicht zu Beginn der 1420er-Jahre, dürfte Jan van Eyck das Diptychon (New York) mit den Darstellungen der »Kreuzigung« und des »Jüngsten Gerichtes« geschaffen haben. Es ist von allen eyckischen Werken dasjenige, das den Miniaturen stilistisch am nächsten steht. Die Übereinstimmungen zeigen sich beispielsweise im miniaturhaften Figurenstil, in der außerordentlichen Präzision selbst des kleinsten Details, in der gedämpften Farbstimmung und sogar in den gleichen Typen von Berittenen und Soldaten mit schimmernden Rüstungen. Das ungewöhnlich steile Hochformat der Tafeln (jeweils 56,5 x 19,7 cm) hatte eine ungewöhnliche Anordnung der beiden Darstellungsgegenstände zur Folge. Bei der »Kreuzigung« mussten die Kreuze notwendigerweise unüberschnitten in der oberen Bildhälfte erscheinen, doch konnten sie nicht zugleich, wie es sonst selbstverständlich ist, im Vordergrund angeordnet werden. Dieses Problem wurde gelöst, indem die untere Hälfte der Bildfläche als Abhang des Golgathahügels aufgefasst ist. Die Kreuze erheben sich also auf der Höhe des Hügels, aber in solcher Entfernung von der Vorderkante des Bildraumes, dass es notwendig war, die Schar der Berittenen auf dem Hügel und den Gekreuzigten in deren Mitte kleiner wiederzugeben als die Gestalten der Trauernden im Vordergrund. Die Gesetzmäßigkeiten des räumlichen Sehens haben den Sieg über den traditionellen Figurenmaßstab, der von der Bedeutung der Figur diktiert war, davongetragen. — Was das Auge des Künstlers sonst noch für Entdeckungen gemacht hat, verrät der Hintergrund; die Stadtansicht von Jerusalem ist zwar, wie nicht anders zu erwarten, fantastisch, doch das Gebirgspanorama mit den schneebedeckten Gipfeln, der noch am Himmel stehende abnehmende Mond und die kompakten Kumuluswolken sind malerische Berichte von wirklichen Natureindrücken. Jan van Eyck muss die Alpen überquert haben, sonst hätte er diese Gebirgslandschaft nicht malen können.
 
Beim »Jüngsten Gericht« ist die in der Tradition unverrückbar feststehende Anordnung des Richters in der Mitte, des Paradieses zu seiner Rechten und der Hölle zu seiner Linken aufgegeben zugunsten einer in der Vertikalen sich vollziehenden Ordnung, die ungleich sinnfälliger erscheint: Die Hölle befindet sich in der Unterwelt, das Paradies im Himmel, und hoch über allem thront der Richter. Die Seligen drängen sich in lichterfüllten Höhen zu Christus, um in den ersehnten Genuss des göttlichen Antlitzes zu kommen. Ungeheuerlich aber ist das Grauen, das in den lichtlosen Tiefen der Hölle herrscht. Wie Christus über dem Paradies thront, so schwebt in schrecklich übermächtiger Gestalt der Tod als Gerippe mit ausgebreiteten Armen, Beinen und Flügeln über der Hölle, und aus seinem Unterleib stürzen die Verdammten kopfüber in die Tiefe, wo schreckliche Monster über sie herfallen. Jan van Eyck hat nicht nur die Wirklichkeit scharf beobachtet, er konnte auch Höllenqualen anschaulich machen, wie sie beklemmender und wahrhaftiger kaum vorstellbar sind.
 
 Porträtmalerei
 
Das früheste (erhaltene) Bild Jan van Eycks, das signiert und datiert ist, trägt das Datum des 10. Oktober 1432; es handelt sich um das Porträt eines Mannes im mittleren Alter. Der Dargestellte ist vor dunklem Hintergrund in Dreiviertelansicht nach links wiedergegeben. Die Kopfwendung geht in die Richtung des einfallenden Lichtes, wodurch sie als Ausdruck einer sehr selbstbewussten Persönlichkeit erscheint. Der Schatten auf der linken Wangenpartie verleiht dem Kopf große Plastizität. Eine steinerne Brüstung, die vielfache Beschädigungen aufweist, auf der aber auch die Signatur und andere Inschriften angebracht sind, dient dazu, die Büstenform des Porträts zu motivieren. Jan van Eyck verwendet in seiner Signatur nicht das übliche »fecit« oder »pinxit« (hat es »gemacht« oder »gemalt«), sondern das in Notariatsakten verwendete »actum«, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass er den Dargestellten mit der Gewissenhaftigkeit eines juristischen Protokolls geschildert habe. Tatsächlich lassen der etwas grobe Schädelbau, das mächtige Kinn, die aufgeworfenen Lippen und die Stupsnase keinen Zweifel an der ungeschönten Wiedergabe des Porträtierten aufkommen. Die Gegebenheiten des Gesichtes sind mit derselben unerbittlichen Genauigkeit erfasst, wie die Schrunden und die Schriftzüge der Brüstung. Das Porträt von 1432 repräsentiert den Typus, dem auch alle anderen sieben erhaltenen Bildnisse Jan van Eycks folgen. Es sind die angeborenen Gesichtszüge sowie die vom Leben eingezeichneten Spuren, die den einzelnen Menschen in den Rang eines unverwechselbaren Individuums erheben. Neben Robert Campin, gehört er so zu den Begründern der Gattung des bürgerlichen Porträts.
 
Die Werke Jan van Eycks aus den Dreißigerjahren, von denen mehrere datiert sind, unterscheiden sich beträchtlich von den Miniaturen des Turin-Mailänder Stundenbuches und dem Diptychon. Statt einer großen Anzahl von kleinen Figuren in einem Raum von natürlicher Größe sind nur noch einzelne Figuren dargestellt, die, thronend oder stehend, das Bildformat weitgehend dominieren; die Figuren haben auch ihre frühere Agilität verloren und erscheinen nun in stilllebenhafter Ruhe. Trotzdem gibt es genügend Gemeinsamkeiten, die die Identität des Künstlers verbürgen. Das Doppelbildnis des Ehepaares Arnolfini ist 1434 datiert und signiert. Giovanni Arnolfini und Giovanna Cenami, ein sehr vermögendes, in Brügge ansässiges Kaufmannsehepaar aus Italien, befinden sich in einem bürgerlichen Wohnraum, der unmittelbar an das Interieur der Turiner »Johannesgeburt« erinnert. Das Verhältnis der Gestalten zum Raum musste aber hier ein anderes sein, weil die Aufgabe eine andere war: Bei einem ganzfigurigen Ehepaarbildnis konnten die Personen nur bildbeherrschend in den Vordergrund gerückt werden, mit der Konsequenz, dass der Raum nicht mehr in seiner ganzen Größe, sondern lediglich in einem begrenzten Ausschnitt erschien. Ganz unterschiedlich ist jedoch jeweils die Rolle des Lichtes, und sie verrät die große zeitliche Distanz zwischen beiden Werken. Bei den Miniaturen gibt es nur eine gleichmäßige, sehr zurückgenommene Helligkeit, aber noch kein von außen einfallendes, den Raum erhellendes Licht, wie das bei dem Arnolfini-Doppelbildnis auf so unvergleichliche Weise der Fall ist. Das Licht bestimmt nun auch die Grenzen der Sichtbarkeit, wo es nicht hinreicht, verbleibt der Raum im Dunkel, vermag das Auge nichts mehr zu erkennen. Das frühe Interesse am bürgerlichen Interieur hat schließlich hier, wo die Porträts eines wohlhabenden Ehepaares mit der Darstellung eines vornehmen Wohnraums verbunden werden konnten, zu einer einzigartigen Lösung gefunden. Der Bürger in seinem privaten Ambiente — das heißt: ein profaner Lebensbereich — ist darstellungswürdig geworden, aber zugleich wird er von der neuen Malerei in einer Weise geadelt, die jeden Rangunterschied gegenüber den religiösen Gegenständen aufhebt. Es wäre wohl möglich, von einer ästhetischen Legitimation der privaten Welt des Bürgers zu sprechen.
 
Die neue, der Wirklichkeit zugewandte Malerei konnte bei der Darstellung religiöser Themen aber auch in große Konflikte geraten. Ein aufschlussreiches Beispiel ist die »Rolin-Madonna«. Es handelt sich um ein Votivbild, das den Kanzler des burgundischen Reiches, Nicolas Rolin, in Verehrung der Madonna und des Jesusknaben zeigt. Das Bild ist nicht datiert, stilistische Merkmale, wie die Größe der Figuren, die Rolle des Lichtes, die Dunkelheit des Raumes und der Landschaftsausblick, erlauben es jedoch, eine Entstehungszeit um 1435 anzunehmen. Der mächtige Kanzler, in ein kostbares Brokatgewand gekleidet, kniet an einem Betpult und verehrt mit zusammengelegten Händen die Gottesmutter, die sich ihm unmittelbar gegenüber befindet. Eingehüllt in einen weiten roten Mantel, präsentiert sie auf ihrem Schoß das nackte Jesuskind, das den Kanzler segnet. Die Verehrung der Madonna durch Nicolas Rolin findet in einer großen Halle statt, die sich im Hintergrund in einer dreiachsigen Loggia öffnet und einen weiten Ausblick gewährt, zunächst auf eine zinnenbewehrte Terrasse, von der zwei Männer in die Tiefe und die Weite schauen, und dann weiter auf eine große Stadt, an einem Fluss, auf Weinhänge und schließlich auf ein Gebirge in der Ferne, alles in mildes Abendlicht getaucht.
 
Der Kanzler, die Madonna, das Jesuskind, die Halle, die Stadt und die Landschaft, alles hat in diesem Gemälde denselben Realitätscharakter. Nicolas Rolin scheint sein Gebet an die tatsächlich vor ihm thronende, leibhaftig anwesende Madonna in seinem eigenen Palast zu richten. Hat sich die Madonna also in den Palast des Nicolas Rolin begeben? — Oder wäre die Madonna gar nicht leibhaftig anwesend, sondern dem Kanzler nur in einer Vision erschienen? Dagegen spricht jedoch die Darstellung selbst: Ohne Zweifel wollte der Künstler, dass der Betrachter die Madonna als leibhaftig anwesend wahrnimmt. Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen dürfte kaum zu finden sein. Die Ursache des Problems liegt wohl darin, dass die neue Kunst gar nicht anders konnte, als auch solchen Themen einen durchgehenden Realitätscharakter mitzuteilen und sie in eine Sphäre realitätsgesättigter Anschaulichkeit zu übertragen, was zwangsläufig auf Kosten der überweltlichen Dimensionen geschah.
 
 Symbolgehalt
 
Ein noch immer lebhaft diskutiertes Problem der Forschung betrifft denn auch die Frage nach dem Symbolgehalt der realistischen Kunst des Jan van Eyck und der altniederländischen Malerei im Allgemeinen. Vielfach wird die Meinung vertreten, dass nur von einem Scheinrealismus gesprochen werden könne; die scheinbar realistischen Bildgegenstände hätten in Wirklichkeit die Aufgabe, einen symbolischen Gehalt zu transportieren, und nur von dieser symbolischen Funktion her könne der »Realismus« richtig verstanden und gewürdigt werden. Dieser Ansicht liegt jedoch letztlich die — zumeist unausgesprochene — Vorstellung zugrunde, dass ein »realistisches« Bild nur einen rein mechanischen Abklatsch der Wirklichkeit darstelle und daher nicht beanspruchen könne, als eine geistige Leistung anerkannt zu werden. Der Wert eines Kunstwerkes bemisst sich in dieser Sicht nach dem symbolischen, das heißt literarischen Inhalt, den es zu vermitteln vermag. Am Ausgang des Mittelalters war es jedoch eine nicht unerhebliche geistige Leistung der Künstler, sich der Wirklichkeit zuzuwenden und deren Darstellungswürdigkeit zu postulieren. Die mittelalterliche Kunst hat die irdische Wirklichkeit ausgespart, so weit ihr das nur irgend möglich war, weil sie die Aufgabe hatte, auf die Realität des Jenseits hinzuführen. In dem Maße, wie die Kunst eines Jan van Eyck die irdische Wirklichkeit entdeckte, erklärte sie diese auch zu einem Wert an sich, der nicht mehr von einer Verankerung im Jenseits abhängig war. Jan van Eyck entdeckte die Schönheit in den irdischen Dingen, und auf diese Weise verklärte er die Wirklichkeit. Zweifellos ist es möglich, viele realistisch dargestellte Gegenstände in den Gemälden Jan van Eycks als Träger einer symbolischen Bedeutung zu verstehen, doch wäre diese Möglichkeit nicht gegeben, wenn der Künstler nicht die Darstellungswürdigkeit dieser Gegenstände entdeckt hätte. Als ein Beispiel mag die »Madonna in der Kirche« dienen, vielleicht das schönste Gemälde Jan van Eycks. Maria wurde immer auch als Personifikation der Kirche verstanden, und so kann problemlos die »Maria in der Kirche« als die Identifizierung der Maria mit der Kirche interpretiert werden. Doch niemals zuvor in der ganzen Kunstgeschichte wurde Maria in einem Kirchenraum dargestellt, um diese Vorstellung zum Ausdruck zu bringen. Der Antrieb Jan van Eycks scheint deutlich zu werden, wenn man die »Totenmesse« des Turin-Mailänder Stundenbuches betrachtet, wo der Künstler sich zum ersten Mal die Aufgabe gestellt hatte, das Innere einer gotischen Kirche wirklichkeitsgetreu wiederzugeben. Wollte er dasselbe in der Tafelmalerei tun, benötigte er dazu einen Vorwand — und die Madonna lieferte ihn. Wiederum stellte Jan van Eyck einen gotischen Kirchenraum dar, aber jetzt, etwa zwanzig Jahre später, begnügt er sich nicht damit, die Architektur genauestens zu erfassen — jetzt interessiert ihn vor allem, wie das Licht in diesen vielgestaltigen gotischen Raum eindringt und ihn geheimnisvoll belebt. Eindrucksvoller haben das auch die holländischen Architekturmaler des 17. Jahrhunderts nicht vermocht.
 
Volker Herzner
 
Literatur:
 
Elisabeth Dhanens:Van Eyck. Königstein 1980.
 Barbara Lane: Jan van Eyck. Das Gesamtwerk. Aus dem Englischen und Italienischen. Berlin 1980.
 Otto Pächt: Van Eyck, die Begründer der altniederländischen Malerei. München 21993.
 Hans Belting und Christiane Kruse: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei. München 1994.
 Craig Harbison: Jan van Eyck. The play of realism. Neudruck London 1995.
 Volker Herzner: Jan van Eyck u. der Genter Altar. Worms 1995.


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