Etrusker: Auf der Suche nach dem Willen der Götter
Die Etrusker, die von den Griechen »Tyrrhenoi«, von den Römern »Tusci« oder »Etrusci« genannt wurden und sich selbst »Rasenna« oder »Rasna« nannten, sind vom 7. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. in Mittelitalien historisch fassbar; sie sind die Träger der ersten Hochkultur auf italischem Boden. Sie lebten und wirkten in einem Spannungsfeld wirtschaftlicher und politischer Interessen zwischen Kelten, Italikern, Römern, Griechen und Karthagern, das sie, indem sie es zunächst geschickt zu nutzen wussten, zu hoher kultureller Blüte führte, von dem sie letztendlich aber zerrieben wurden.
Ureinwohner oder zugewandert?
Wer sind die Etrusker und woher stammen sie? Das sind Fragen, die schon antike Autoren beschäftigten und die immer noch im Interesse der Forschung stehen. Denn dass sie anders waren als ihre direkten Nachbarn, z. B. eine grundsätzlich andere Sprache benutzten und andere religiöse Sitten hatten, stand schon für die antiken Autoren fest. Ihr angeblich rätselhafter Ursprung ist nach wie vor Anlass für so manche populärwissenschaftliche Spekulation.
Es gibt drei Thesen zu dem Problem, die zum Teil schon in der Antike diskutiert wurden.Die erste geht auf den griechischen Geschichtsschreiber Herodot zurück, der im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb, die Etrusker seien Lyder aus Kleinasien, die wegen einer Hungersnot unter Führung des Tyrrhenos nach Italien ausgewandert seien (daher der griechische Name »Tyrrhenoi« für die Etrusker). Die zweite, völlig gegensätzliche These, nämlich die Etrusker seien Ureinwohner Italiens, vertrat als Erster der griechische Autor Dionysios von Halikarnassos, der um die Zeitenwende lebte. Die dritte These, welche besagt, dass sie aus dem Norden stammten, ist erst im 18. Jahrhundert aufgebracht worden.
Mischung und »Volkswerdung«: Ein langer Prozess
Nun ist die historische Wirklichkeit sehr viel komplizierter als eine dieser Theorien, denn alle enthalten einen Teil Wahrheit und gegen alle können berechtigte Einwände vorgebracht werden. Gegen Herodot lässt sich z. B. einwenden, dass es sich bei seiner These um einen literarischen »Topos«, einen Gemeinplatz, handelt, der im Zusammenhang mit den Gründungen griechischer Kolonien in der Literatur immer wieder vorkommt und hier nun auf die Etrusker übertragen wird. Von einer eingehenden Interpretation des Dionysios von Halikarnassos bleibt nur seine Beobachtung übrig, dass die Etrusker anders seien als ihre Nachbarn; die Schlussfolgerung, deshalb seien sie Ureinwohner, ist reine Spekulation. Es kommt der Realität sehr viel näher, wenn man von einer Mischung verschiedener Volkselemente spricht, die sich in einem Prozess der »Volkswerdung« — ein Begriff, den der italienische Etruskologe Massimo Pallottino geprägt hat — zu dem, was wir ab 700 v. Chr. Etrusker nennen können, entwickelt hat.
Dieser Prozess setzte in der Bronzezeit im 2. Jahrtausend v. Chr. ein, als das mittlere Italien von den Trägern der Apenninkultur besiedelt wurde. Die Menschen lebten zu dieser Zeit in weit verstreuten kleinen Hüttensiedlungen, und die Gräber lassen auf eine gleichmäßige soziale Struktur der Bevölkerung schließen. Eine große Einwanderungswelle, die nach Herodot um 1300 v. Chr. stattgefunden haben müsste, ist archäologisch nicht nachzuweisen. In der späten Bronzezeit, dem 10. Jahrhundert v. Chr., sind hingegen deutliche Veränderungen zu beobachten. Es gelangten nun Einflüsse der Urnenfelderkultur aus dem Bereich nördlich der Alpen nach Italien, unter anderem die Sitte der Brandbestattung.
Nach dieser auch Protovillanova genannten Phase bildete sich auf dem Gebiet des späteren Etrurien im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. die eisenzeitliche Villanovakultur heraus, die nach einem Fundort bei Bologna benannt wird. Das Land wurde nun sehr viel dichter besiedelt, es lassen sich besonders im 8. Jahrhundert Konzentrationen größerer Dörfer beobachten, und über die archäologischen Funde lässt sich eine soziale Differenzierung mit der Herausbildung einer vermögenden Oberschicht konstatieren, welche anscheinend die reichen Bodenschätze des Landes nutzte. Die Villanovaleute werden gelegentlich zu Recht als Protoetrusker, Vorläufer der Etrusker, bezeichnet, da sie an denselben Stellen siedelten wie die späteren Etrusker. Neben dieser Siedlungskontinuität, die an vielen Orten archäologisch nachgewiesen ist, zeigen auch die Keramik, die Metallverarbeitung und weitere Funde einen bruchlosen Übergang zur etruskischen Kultur. Hinzu tritt nun allerdings etwas ganz Neues, nämlich ein starker Einfluss aus dem Bereich des östlichen Mittelmeers und des Orients. Durch Kontakte zu den Griechen, die im 8. Jahrhundert v. Chr. in Italien Kolonien gründeten, durch die Übernahme der Schrift und starken Einfluss orientalischer Kultur auf Mittelitalien entstand in der Zeit um 700 v. Chr. eine neue Kultur, die wir nun etruskisch nennen können. Es hatte sich eine völlig neue Oberschicht gebildet, die durch prunkvolle Gräber mit reichen Goldfunden und Importware aus dem Orient hervorsticht. Es mag sich bei dieser neuen Führungsschicht zum Teil um Einwanderer gehandelt haben, auch wenn das nicht endgültig beweisbar ist. Sicher eingewandert ist eine ganze Reihe von Handwerkern im 7. Jahrhundert v. Chr., doch eine größere Einwanderungswelle breiter Bevölkerungsschichten ist auszuschließen.
Mit diesem Prozess der sozialen Differenzierung ging auch eine Verstädterung einher, ein wichtiges Merkmal einer Hochkultur. Die Menschen der Villanovakultur lebten noch in kleinen Dörfern in ovalen oder eckigen Hütten. Diese Dörfer konzentrierten sich an manchen Orten, und aus mehreren solcher Ansiedlungen entstanden, wie unter anderem in Veji gut dokumentiert, in einem »Synoikismos« (griechisch, wörtlich etwa »Zusammenhausung«) benannten Prozess die etruskischen Städte.
Ein anderes Problem, das mit dem der Herkunft eng verbunden ist, betrifft die etruskische Sprache. Wir kennen etwa 8000 Inschriften — zumeist kurze Texte —, die man problemlos lesen kann, da sie in einem abgewandelten griechischen Alphabet geschrieben sind. Auch der Inhalt der meisten Texte ist zu verstehen. Einzelne Wörter und längere Texte bieten aber noch nicht gelöste Probleme. Das liegt daran, dass die etruskische Sprache nicht zur indogermanischen Sprachfamilie gehört und keine Gemeinsamkeiten mit den Sprachen der benachbarten italischen Kulturen besitzt, also etwa mit dem Umbrischen oder dem Latinischen; am ehesten findet sie Parallelen in Kleinasien, z. B. auf der Insel Lemnos, in Karien und Lykien. Dies ist ein wichtiges Argument für die Herkunft zumindest von bestimmten Teilen der Bevölkerung aus Kleinasien.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Etrusker — wie es ja auf fast alle Völker zutrifft — nicht als Ganzes eingewandert oder als Ganzes eingeboren, sondern aus einer Mischung verschiedener Kulturen erwachsen sind. Da sich zumindest archäologisch keine große Einwanderungswelle nachweisen lässt, weder im 2. Jahrtausend noch im 8. oder 7. Jahrhundert v. Chr., eine Kontinuität aber erkennbar ist, muss der Großteil der Bevölkerung alteingesessen sein. Es kamen dann im Zuge von Wanderungsbewegungen aus dem Norden, aber auch besonders aus dem Osten, Bevölkerungselemente hinzu, die zu starken Veränderungen und Wandlungen der einheimischen Lebensweise beitrugen und um 700 v. Chr. in das münden, was wir als Etrusker definieren können.
Etrurien, Kernland der Etrusker
Die Etrusker siedelten in Mittelitalien in dem Gebiet zwischen Florenz und Rom. Dieses Kerngebiet hieß in römischer Zeit »Etruria«; das entspricht räumlich heute ungefähr der Toskana — deren Name von »Tusci«, dem römischen Namen der Etrusker, abgeleitet ist —, dem nördlichen Latium und dem westlichen Umbrien.
Etrurien besaß als natürliche Grenzen im Westen das Tyrrhenische Meer, im Norden und Osten den bis über 2000 m ansteigenden Apennin mit dem davor verlaufenden Arno im Norden sowie im Süden und Südosten den Tiber. Nachbarn der Etrusker waren zu verschiedenen Zeiten im Norden das Volk der Ligurer sowie die Kelten und die Veneter, im Osten die Umbrer und Picenter, im Südosten Sabiner und Falisker und im Süden Rom und die Latiner.
Über dieses Kerngebiet hinaus wurde der etruskische Einflussbereich zu bestimmten Zeiten aus politischen und wirtschaftlichen Gründen ausgedehnt. In der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. waren Teile Korsikas unter etruskischer Kontrolle; etwa zur gleichen Zeit wurden Teile der Poebene bis an die Adria etruskisch besiedelt. Die wichtigsten etruskischen Orte nördlich des Apennin waren Felsina, das heutige Bologna, Misa (Marzabotto) an den Abhängen des Apennin sowie die Hafenstadt Spina. Im 4. Jahrhundert v. Chr. nahmen jedoch die Kelten von der gesamten Poebene Besitz, sodass der etruskische Einfluss schwand. Die Ausdehnung nach Süden reichte bis nach Kampanien, mit Capua als der wichtigsten etruskischen Stadt. Aber bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden die Etrusker durch die Samniten aus Kampanien verdrängt.
Die abwechslungsreiche, hügelige Landschaft Etruriens mit fruchtbaren Küstenebenen und Flusstälern wird durch an Bodenschätzen reiche Gebirgszüge gegliedert; zu nennen sind besonders das Tolfagebirge (Monti della Tolfa) im Süden, das Massiv des Monte Amiata in Zentraletrurien und das Toskanische Erzgebirge, die Colline Metallifere, im Norden.
Aus geographischen und kulturellen Gründen teilt man dieses etruskische Kerngebiet in Süd- und Nordetrurien. Die Grenze verläuft etwa auf einer Linie zwischen den heutigen Orten Vulci und Orvieto und wird durch den Gebrauch eines etwas veränderten Alphabets markiert. Der Norden war zu etruskischer Zeit dünner besiedelt, die Städte eher dem Binnenland zugewandt und agrarisch geprägt; die Landschaft besteht aus Kalk- und Sandsteinhügeln. Im Süden bildet die zerklüftete vulkanische Tufflandschaft mit steilen Tälern und lang gestreckten Plateaus einen ganz anderen Eindruck; die dortigen Städte waren eher zum Meer hin orientiert und lebten vorwiegend vom Handel.
Immer auf Anhöhen: Die Städte
Die Städte, die wie die griechischen Stadtstaaten jeweils ein umliegendes Territorium beherrschten, lagen auf Anhöhen mit zum Teil steilen Abhängen, sodass Stadtmauern zum Schutz nur selten auf allen Seiten vonnöten waren. Außer Populonia lagen die Küstenstädte aus Sicherheitsgründen immer ein paar Kilometer im Landesinnern und hatten ihre eigenen Häfen und Handelsniederlassungen am Meer. Die Grenzen zwischen den Stadtgebieten wurden durch Grenzsteine markiert. Es handelt sich um einfache Steinblöcke mit Inschriften, die zumeist mit tular spural... (»Grenze der Stadt...«) beginnen. Die Verkehrsverbindungen zwischen Städten verliefen meist entlang den Flusstälern; die Flüsse selbst waren nur in wenigen Fällen stellenweise schiffbar.
Wirtschaft und Handel
Die etruskische Kultur erlebte ihre größte Blüte vom 7. bis in die 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Grundlage für diese Entwicklung waren die günstigen wirtschaftlichen Bedingungen. Zum einen war das Land sehr fruchtbar und brachte genügend agrarische Produkte für die Eigenversorgung hervor. Darüber hinaus wurden Öl, Wein und andere Dinge in großem Umfang ausgeführt. Zum anderen besaß das Land enorme Bodenschätze, die seit der Villanovazeit für großen Wohlstand sorgten und bei antiken Autoren immer wieder erwähnt sind. Zu nennen sind besonders Eisen, Kupfer, Silber, Blei und Zinn, die sich auf der Insel Elba, in den nördlich gelegenen Colline Metallifere und den Tolfaner Bergen im Süden fanden und zum Teil noch heute dort abgebaut werden.
Die Metall verarbeitende Industrie lässt sich auch archäologisch nachweisen; es sind mehrere Bergbausiedlungen und Verhüttungsbetriebe ausgegraben worden. Das beste Beispiel ist das Industrieviertel am Hafen von Populonia mit großen Schlackenanhäufungen, dem Abfall der Eisenschmelzung. Die Etrusker verkauften die Rohstoffe, entwickelten aber auch eine große Perfektion in der handwerklichen Verarbeitung von Metallen.
In allen Teilen der antiken Welt zu finden: Etruskische Waren
Spuren etruskischen Handels finden sich in allen Teilen der antiken Welt, besonders im westlichen Mittelmeerbereich, das heißt in Nordafrika, Spanien, Südfrankreich und entlang der Route, die durch das Rhônetal und weiter bis nach England führte, wo Zinn ein begehrtes Produkt war. In Zentraleuropa kamen etruskische Funde bis hinauf an die Ostsee zutage, wo der seltene und kostbare Bernstein gegen andere Waren getauscht wurde. Zu den Keltenfürsten der späten Hallstattzeit in Frankreich und Südwestdeutschland bestanden enge Beziehungen; etruskische Amphoren mit Weinresten an keltischen Siedlungsplätzen belegen, dass etwa die Sitte des Weintrinkens über die Etrusker in Mitteleuropa eingeführt wurde.
In Griechenland war im 7. Jahrhundert v. Chr. Korinth wichtigster Handelspartner der Etrusker, der im 6. Jahrhundert von Athen abgelöst wurde. Auch nach Kleinasien, der Levante und Ägypten gelangten etruskische Güter. Umgekehrt importierten die Etrusker Luxusprodukte aus diesen Regionen. In den Gräbern der Oberschicht kamen Fayencen aus Ägypten, Keramik aus dem östlichen Mittelmeer, phönikisches Gold, Bernstein und viele weitere Dinge zutage.
Voraussetzung für den Handel war eine entwickelte Seefahrt. Der Bedeutung entsprechend häufig finden sich in der Kunst Darstellungen von Schiffen. Die harte Konkurrenz, die im antiken Seehandel herrschte, wird dadurch verdeutlicht, dass die Etrusker wegen ihrer aggressiven Expansionspolitik von griechischen Autoren häufig als »Piraten« bezeichnet wurden. Der früheste Beleg dafür findet sich im homerischen Hymnos an Dionysos aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr., in dem berichtet wird, die Etrusker hätten einen reichen Jüngling entführt, um Lösegeld zu erpressen. Er sollte mit ihnen »in Richtung Ägypten, Zypern oder zu den Hyperboräern (die im Norden leben)« reisen. Es handelte sich bei dem Entführten aber nicht um einen gewöhnlichen Jüngling, sondern um den Gott Dionysos, der seine Entführer zur Strafe in Delphine verwandelte. Diese Episode wurde gelegentlich in der Kunst dargestellt.
Etrusker und Karthager: Eine siegreiche Allianz
Zur Verteidigung der Handelswege wurden Allianzen geschlossen. Die Etrusker verbündeten sich mit den Phönikern, die in Karthago und Spanien Kolonien gegründet hatten, um zu verhindern, dass die Griechen neben den schon bestehenden Kolonien im westlichen Mittelmeer weiter Fuß fassten. Aristoteles beschreibt in seiner »Politik« das Verhältnis zwischen Etruskern und Karthagern als Beispiel für zwischenstaatliche Verträge: »Es bestehen zwischen ihnen Abmachungen über Einfuhren, Verträge, sich gegenseitig keinen Schaden zuzufügen, und Absprachen über militärischen Beistand«. Ausführlich schildert Herodot die Umstände, die 540 v. Chr. bei Alalia, dem heutigen Aleria an der Ostküste Korsikas, zu einer Seeschlacht führten, die eine karthagisch-etruskische Flotte gegen unerwünschte griechische Einwanderer aus Phokäa in Kleinasien gewann. Dieses Datum markiert den Höhepunkt etruskischer Machtentfaltung. Die Phokäer waren von den Persern aus ihrer Heimat vertrieben worden und hatten ihre Niederlassung auf Korsika ausgebaut, Piraterien begangen und waren so direkt vor der etruskischen Küste zu einer großen Konkurrenz geworden. Nach der Niederlage siedelten sie sich im Süden Italiens an.
Die wichtigsten Städte, die Fernhandel betrieben, wa- ren im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. im Norden Vetulonia und im Süden insbesondere Volci (Vulci), Caere (Cerveteri) und Tarquinii (Tarquinia). Funde in den Heiligtümern von Pyrgi (beim heutigen Santa Severa) und Graviscae/Gravisca (beim heutigen Porto Clementino), den Häfen von Caere und Tarquinii, zeigen den internationalen Charakter dieser Orte in etruskischer Zeit. In Graviscae fand man unter anderem einen Steinanker mit der eingeritzten Weihung des auch aus der Literatur bekannten griechischen Händlers Sostratos aus Ägina an Apoll. In Pyrgi kamen die berühmten Goldbleche mit eingravierten gleich lautenden Inschriften auf Phönikisch und Etruskisch zutage — Weihungen an die phönikische Göttin Astarte, die mit der etruskischen Fruchtbarkeitsgöttin Uni gleichgesetzt wurde, der Frau des obersten Gottes Tinia, die gleichzeitig der griechischen Hera bzw. der römischen Iuno entsprach. Den Texten ist zu entnehmen, dass der oberste Beamte oder Tyrann(?) von Caere, Thefarie Velianas, im phönikischen Text »König« genannt, der Göttin eine Statue geweiht hat, was die engen Beziehungen zu Karthago unterstreicht. Die besondere Rolle der Etruskerstadt Caere und ihre Integration in die antike Staatenwelt wird auch durch das Bestehen eines Schatzhauses (Thesauros) der Stadt im panhellenischen Heiligtum von Delphi bezeugt, einem für »Barbaren«, und das waren die Etrusker aus Griechensicht ja, seltenen Umstand.
Das Ende etruskischer See- und Handelsübermacht und das Erstarken der griechischen Kolonien in Italien wird spätestens im Jahre 474 v. Chr. vor Augen geführt. In diesem Jahr nämlich besiegte Hieron, der Tyrann der griechischen Stadt Syrakus auf Sizilien, eine etruskische Flotte vor Cumae in Kampanien. Um der Welt seinen Sieg zu dokumentieren, gab er erbeutete etruskische Waffen als Weihgaben in das Zeusheiligtum von Olympia. Zwei Helme aus dieser Weihung wurden tatsächlich ausgegraben und weisen die gleiche Inschrift auf: »Hieron, Sohn des Deinomenes, und die Syrakusaner (weihten ihn) dem Zeus, aus der tyrrhenischen (Beute) von Cumae«.
Verfassung und politische Ordnung Etruriens
Etrurien war zu keiner Zeit ein einheitliches Staatsgebilde, sondern bestand aus unabhängigen Stadtstaaten, in der Art der griechischen poleis. Diese waren in einem Bund zusammengeschlossen, der in der Regel zwölf Mitglieder hatte, die duodecim populi Etruriae. Dieser Bund war in erster Linie religiöser Natur, auch wenn bei den jährlichen Treffen im Bundesheiligtum, dem Fanum Voltumnae bei Volsinii, dem heutigen Orvieto, sicher politische Probleme, die alle etruskischen Städte betrafen, besprochen wurden; gelegentlich unternahmen die etruskischen Staaten auch gemeinsame politische und militärische Aktionen. Den antiken Berichten zufolge war dieses jährliche concilium Etruriae, das Treffen am Tempel des Gottes Voltumna (römisch Vertumnus), dessen Bedeutung wir nicht genau kennen, vor allem ein religiöses Ereignis. Es fand aber auch ein großer Warenmarkt statt, es wurden Spiele abgehalten und es gab allerlei Schausteller zu sehen.
Ob der etruskische Bund tatsächlich immer zwölf Mitglieder hatte und ob es immer dieselben waren, ist zu bezweifeln. Die Zwölfzahl hatte wohl eher symbolische Bedeutung und scheint an der des Ionischen Bundes der griechischen Städte in Kleinasien orientiert gewesen zu sein. Wir kennen insgesamt mehr als zwölf wichtige Städte in Etrurien, von denen einige allerdings nur zu bestimmten Zeiten von Bedeutung waren. Der Bund war auch sicherlich nicht immer sehr homogen, da wir von Uneinigkeit und Rivalitäten zwischen den Städten wissen, die zum Teil zu kriegerischen Auseinandersetzungen führten. So scheint das im 7. Jahrhundert v. Chr. reiche Marsiliana gegen Ende des Jahrhunderts von einem der Nachbarn zerstört worden zu sein, und in den »Elogia Tarquiniensia«, lateinischen Inschriften aus Tarquinii, die von Ruhmestaten der Vorfahren sprechen, werden Kriege gegen Caere und Arretium (Arezzo) genannt.
Geleitet wurde der etruskische Bund in der Frühzeit von einem aus der Reihe der Könige und in republikanischer Zeit von einem Amtsträger, der nach Meinung vieler Forscher zilath mechl rasnal hieß, was vielleicht dem in römischen Quellen genannten praetor Etruriae entspricht.
Die Informationen, die wir über die politische Organisation der einzelnen Stadtstaaten besitzen, reichen aus, um eine ungefähre Vorstellung von der Entwicklung der Regierungsformen zu bekommen; Details über die Verfassung der etruskischen Städte und deren Ämter sind uns jedoch nur spärlich erhalten. Da keine etruskische Literatur oder Geschichtsschreibung direkt überliefert ist, sind wir auf gelegentliche Erwähnungen bei lateinischen oder griechischen Autoren sowie auf die häufig strittige Interpretation etruskischer Inschriften angewiesen.
Die Königszeit
In der Frühzeit war die Monarchie die vorherrschende Staatsform. Die Stadtstaaten wurden von Königen regiert, den Lukumonen, deren Titel lateinisch lucumo, etruskisch wohl lauchume lautete. Sie sprachen Recht, standen dem Heer vor und waren auch oberste Priester.
Von einigen der Könige kennen wir die Namen, doch nur von wenigen haben wir genauere Kenntnis. Am meisten wissen wir über die Herrschaft der etruskischen Könige in Rom, wo — nach traditioneller Datierung — von 613 bis 509 v. Chr. die Dynastie der Tarquinier regierte. Der römische Historiker Livius überliefert, dass der Dynastiegründer Tarquinius Priscus von Tarquinii nach Rom ausgewandert und nach dem Tode seines kinderlosen Vorgängers vom ganzen Volk zum König gewählt worden sei. In der Folge habe er dann den römischen Senat mit Vertretern der einflussreichsten Familien gegründet.
Gegen Ende der etruskischen Herrschaft über Rom tritt ein weiterer König in das Interesse der Historiker, Porsenna von Clusium, dem heutigen Chiusi, der nach der Vertreibung der Tarquinier Rom zurückeroberte oder vielleicht sogar selbst den letzten König Tarquinius Superbus vertrieb. Sein Erfolg war aber nur von kurzer Dauer. Sein monumentales, sehr aufwendig gebautes Grabmal, das von einem enormen Geltungsbedürfnis zeugt, wurde noch Jahrhunderte später von dem römischen Redner und Historiker Varro in Clusium sehr fantasievoll beschrieben.
Um die Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. wurde die Monarchie von einer republikanischen Staatsform abgelöst. Wie dieser Wandel vollzogen wurde, ob in einem langsamen Prozess der Entmachtung der Könige oder einer abrupten Änderung, entzieht sich unserer Kenntnis. Im späten 5. Jahrhundert stieß die kurzfristige Wiedereinführung der Monarchie in Veji jedenfalls auf das Unverständnis des übrigen Etrurien, wie uns Livius überliefert.
Die Republik der großen Familien
Von nun an bis in die etruskische Spätzeit herrschte eine oligarchisch-republikanische Verfassung, bei der die wichtigen politischen und religiösen Ämter im Wechsel von Mitgliedern der wenigen bedeutenden Familien, der gentes, ausgeübt wurden, aus denen sich auch vorher schon die Könige rekrutiert hatten. Die Angehörigen dieser Oberschicht, die im Senat der jeweiligen Stadt vertreten waren, nennen die römischen Quellen principes, zuweilen auch sublimes viri, nobiles oder domini. Ob die Beamten aber nicht zum Teil auch von weiteren Kreisen der Bevölkerung gewählt wurden, wissen wir nicht genau. Demokratische Verfassungen, wie sie im 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland eingeführt wurden oder auch in der Römischen Republik, sind bis in die Spätzeit hinein aus Etrurien jedenfalls nicht bekannt.
Auf ihren Grabdenkmälern führen etruskische Honoratioren gelegentlich ihren cursus honorum auf, ihre Ämterlaufbahn. Häufig erwähnte Titel bekleideter Ämter sind zilath bzw. zilac/zilach/zilch, maru und purth, deren exakte Deutung bislang nicht möglich ist. Bei zilath scheint es sich um den jeweils höchsten Beamtentitel zu handeln. Dafür spricht die Nennung auf den zweisprachigen Bronzeblechen von Pyrgi, wo zilath dem phönikischen Wort für König entspricht. Maru scheint ein Beamter mit kultischer Funktion zu sein, und bei purth wurde erwogen, ob es nicht etymologisch mit dem griechischen Amt des Prytanen, des »Vorstehers«, der ein hoher städtischer Beamter war, zusammenhängen könne.
Die Könige, in ihrer Nachfolge aber auch die republikanischen Beamten, benutzten Insignien als äußere Kennzeichen ihrer Macht. Sie wurden zum Teil auch in Rom bis in die Kaiserzeit hinein verwendet. Die Könige und Inhaber bestimmter Ämter saßen auf einem Thron oder der sella curulis, einem Klappstuhl bestimmter Form, trugen ein Diadem, eine reich verzierte Toga, ein Zepter und das Beil mit umgebenden Rutenbündeln, den fasces, die von Liktoren vor den Amtsinhabern hergetragen wurden. Ein originales Liktorenbündel mit Doppelbeil in kleinerem Maßstab fand sich in einem Grab des 7. Jahrhunderts v. Chr. in Vetulonia und ist damit das früheste Zeugnis für diese Amtsabzeichen. Eine weitere Amtsinsignie ist der Lituus, ein Krummstab; ein Original des 6. Jahrhunderts wurde in einem Grab in Cerveteri entdeckt. In der Grabkunst findet man gelegentlich Darstellungen von Beamtenumzügen, die anscheinend bei offiziellen Anlässen stattfanden. Der häufig mit dem Wagen fahrende Amtsinhaber wird dabei von Musikanten und Trägern der Amtsinsignien begleitet. Diese Szenen spiegeln den Status des Verstorbenen im Leben wider und können bei Anwesenheit von Todesdämonen auch als Zug ins Jenseits gedeutet werden.
Die gesellschaftliche Ordnung
Die etruskische Gesellschaft war grundsätzlich zweigeteilt; eine deutliche, breite Kluft trennte das Volk von der Oberschicht. Während die große Masse unfrei war, besaß ein kleiner Teil der Bevölkerung die politische und wirtschaftliche Macht. Erst in der Spätzeit scheint sich dann doch so etwas wie eine »Mittelschicht« herausgebildet zu haben.
Bildung, Luxus und lockere Sitten — Die Oberschicht
Die großen Familien, die gentes, besaßen den Grund, kontrollierten die Wirtschaft und den Handel und übernahmen die öffentlichen Ämter. Über diese Oberschicht wissen wir sehr viel besser Bescheid als über das breite Volk. Die prunkvoll ausgestatteten Gräber künden von großem Wohlstand, zeigen die Bildung ihrer Erbauer durch die Übernahme griechischer Kunst, Kultur und Mythologie und verraten auch viel über ihr tägliches Leben. In den Wandmalereien Tarquinias sehen wir die Führungsschicht unter anderem bei Sportwettkämpfen und bei üppigen Gelagen mit Gästen, Dienern, Musikanten, Tänzern und Gauklern, also bei einem luxuriösen und anscheinend heiteren Leben.
In vielen Bereichen versuchte die etruskische Oberschicht, griechische Sitten nachzuahmen. Man lag zu Tische wie die Griechen und trank Wein aus griechischen Tongefäßen; mancher hielt sich sogar griechische Sklaven. Und auch im Jenseits sollte für alles gesorgt sein, wie komplette Ausstattungen für Feste in Gräbern zeigen. Der Import von Luxusgütern war so groß, dass wir heute z. B. mehr athenische Keramik aus Etrurien kennen als aus Athen selbst.
Die Griechen sahen die reichen Etrusker, wohl auch aus der Konkurrenzsituation heraus, mit kritischen Augen und empfanden ihren Lebensstil als neureich und übertrieben. Der griechische Reisende des 2. Jahrhunderts v. Chr., Poseidonios, dessen Bericht bei Diodor erhalten ist, schildert ihre dekadente Lebensweise, betont aber immerhin, dass die Etrusker in ihrer Blütezeit einen besseren Ruf genossen hätten. Theopompos, ein Schriftsteller des 4. Jahrhunderts v. Chr., verbreitete zum Teil offensichtliche Übertreibungen über die Genusssucht der Etrusker in Bezug auf Trinken und sexuelle Ausschweifungen.
Die Römer aber sahen die etruskische Oberschicht anscheinend etwas differenzierter. Auch sie störten sich an den lockeren Sitten, erkannten aber die Bildung der Etrusker an und schickten z. B. ihre Kinder auf Schulen nach Caere. Insbesondere bewunderten sie die Religiosität und die religiösen Praktiken der Etrusker, die sie in vielen Bereichen übernahmen.
Freie und unfreie Arbeit — Das einfache Volk
Das einfache Volk setzte sich aus einer Vielfalt von Gruppen zusammen, die sich nicht immer klar trennen lassen; es scheint verschiedene Abstufungen von völlig Unfreien bis hin zu Freien, im Klientelverhältnis zu einem Herrn Stehenden, gegeben zu haben. Auch die antiken Quellen benutzen kein einheitliches Vokabular in Bezug auf das etruskische Volk. Es gab eindeutig unfreie Teile der Bevölkerung, die als servi, Sklaven, bezeichnet wurden. Diese Sklaven konnten eine ganz unterschiedliche Herkunft haben; von Griechen und Orientalen über Kelten, Hebräer bis hin zu Karthagern sind uns Namen erhalten. Derartige Sklaven fanden als Diener im Haus, als Schauspieler und Akrobaten, in der Landwirtschaft oder als Arbeiter Verwendung. Diener scheinen, wenn man den Aussagen des Poseidonios und Darstellungen in der Malerei folgt, gut behandelt worden zu sein; die Arbeiter im Bergbau und in der Metall verarbeitenden »Industrie« hatten sicher harten Frondienst in den tusca ergastula, den Arbeitshäusern, zu leisten. Unter den Landarbeitern gab es Sklaven, aber auch verschiedene Arten von zum Teil selbstständigen Bauern mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen. Bei Dionysios von Halikarnassos heißt es bei der Schilderung eines Krieges zwischen Rom und Veji: »Aus ganz Etrurien waren die Fürsten mit ihren Penesten gekommen.« So hießen Bauern in Thessalien (Nordgriechenland), die zwar Freie waren, aber in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu einem Herrn standen und für diesen auch Kriegsdienste übernehmen mussten. Vergleichbare Verhältnisse müssen also auch für Etrurien angenommen werden. Die Kriegspflicht der etruskischen Bauern wird auch von Livius bestätigt.
Seit dem 4. Jahrhundert scheint sich die soziale Lage verändert zu haben. Wir haben durch die Grabinschriften Zeugnis von einer weiteren großen Bevölkerungsgruppe, den Freigelassenen. Zumindest wird der etruskische Begriff lautni in einigen lateinisch-etruskischen zweisprachigen Inschriften parallel zu den römischen liberti benutzt. Der römische Libertus wurde wegen besonderer Verdienste in einem juristischen Akt freigelassen, erhielt den Namen seines Herrn und blieb diesem in der Regel in einem Klientenverhältnis verbunden. Auch in Etrurien erhielt der lautni, in der weiblichen Form lautnitha, den Namen des ehemaligen Herrn; ein avle alfnis lautni war also Aulus, Freigelassener des Alfius. In selteneren Fällen, bei denen Sklaven eines Heiligtums freigelassen wurden, erhielten sie als Gentile, also als Familiennamen, den Namen des betreffenden Gottes. So kennen wir unter anderem eine Familie Selvas, die auf den Grenz- und Fruchtbarkeitsgott Selvans (römisch Silvanus) zurückgeht, und eine Familie Tins, die auf den obersten Gott Tinia (römisch Jupiter) zu beziehen ist. Daneben gab es ebenfalls in der Spätzeit eine größere Gruppe von anscheinend Freien, die Vornamengentilizien benutzten. Es handelt sich dabei um freie Personen, die das Recht hatten, einen eigenen Namen zu führen, aber keinen alten Familiennamen besaßen, sich also den Vornamen des Vaters oder der Mutter als Familiennamen wählten. Diese Aufsteigerschicht, die besonders seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. bezeugt ist, bildete mit den Freigelassenen anscheinend eine neue Mittelschicht, die besonders gut im nördlichen Etrurien zu beobachten ist. Eine weitere Bevölkerungsgruppe bildeten die etera, von denen wir zwar die Bezeichnung, nicht aber Stellung oder Bedeutung kennen.
Seit dem späteren 4. Jahrhundert v. Chr. erfahren wir nun von sozialen Unruhen in mehreren Städten, unter anderem in Volsinii und Arezzo. Als Urheber dieser Unruhen werden in den Quellen Sklaven genannt, es wird sich aber sicher auch um Teile einer neuen Mittelschicht aus Händlern und Handwerkern gehandelt haben. In Volsinii hatte man ihnen Zutritt zum örtlichen Senat eingeräumt, was jedoch alsbald zur völligen Machtübernahme der Unterschicht und einem - so sagen die römischen Quellen - exzessiven Machtmissbrauch führte. Da sie sich nicht mehr anders zu helfen wußten, holten die Adligen die Römer zu Hilfe, die mit militärischer Gewalt den alten oligarchischen Zustand wiederherstellten, da ihnen an stabilen Verhältnissen gelegen war. Die Stadt Volsinii wurde 265 v. Chr. bei einer solchen Befriedungsaktion allerdings völlig durch die Römer zerstört und an den Ort des heutigen Bolsena umgesiedelt; dort wurde die alte oligarichische Verfassung wieder eingesetzt.
Die Stellung der Frau
Dass die etruskische Frau andere Rechte und Freiheiten besaß als die griechische oder römische, erregte schon in der Antike Argwohn und führte zu ihrem ausgesprochen schlechten Ruf. Im 19. Jahrhundert führte das dazu, dass Johann Jakob Bachofen ein Matriarchat für Etrurien konstatierte, eine Vorstellung, die heute zwar längst widerlegt, aber unterschwellig immer noch bei manchen modernen Autoren vorhanden ist.
Der griechische Autor Theopomp aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. und andere in seinem Gefolge beschreiben ausführlich die lockeren Sitten der Etruskerinnen: Sie trieben mit den Männern unbekleidet Sport, tränken viel, verbrächten mit jedem beliebigen Mann den Abend und zögen Kinder groß, deren Vater ihnen nicht bekannt wäre. Nach Plautus, dem römischen Komödiendichter des 3. bis 2. Jahrhunderts v. Chr., verdienten die Etruskerinnen ihre Aussteuer sogar durch Prostitution.
Wandmalereien, teilweise mit Namensbeischriften, zeigen, dass etruskische Frauen in der Tat an Gelagen teilnehmen konnten, was in Griechenland nur Hetären, Prostituierten, gestattet war, aber der normalen Griechin untersagt blieb, die den Großteil ihrer Zeit in den Frauengemächern verbrachte. Etruskerinnen fuhren im Wagen durch die Stadt und besuchten Schauspiele und Sportwettkämpfe, was in Griechenland ebenfalls nicht möglich war. Belege für die angebliche völlige sexuelle Freiheit lassen sich jedoch nicht finden.
Eine berühmte Episode aus der Königzseit in Rom, in der sich die Vorurteile der Römer gegenüber den etruskischen Frauen zeigt, ist bei Livius überliefert. Etruskische Prinzen unterhalten sich mit ihren römischen Gästen über die Tugendhaftigkeit ihrer Frauen. Um diese zu überprüfen, reiten sie nach Hause, wo sich die etruskischen Frauen bei einem Trinkgelage vergnügen, wohingegen die tugendhafte Römerin Lucretia, Frau des Collatinus, bei der Handarbeit zu Hause angetroffen wird.Eine gewisse Freiheit zeigt sich auch in der etruskischen Namengebung. Anders als die Römerinnen trugen die Etruskerinnen individuelle Vornamen, ferner gaben viele Männer und Frauen in ihren Grabinschriften auch den Namen der Mutter an. dass aber der Vater, der Pater familias, die entscheidende Person war, zeigt sich darin, dass die Kinder seinen Familiennamen annahmen und dass zwar der Name der Mutter bei Namensformeln fehlen konnte, nicht aber der des Vaters. Außerdem bekamen die männlichen Nachkommen das Erbe. Die patriarchalische Struktur auch der etruskischen Familie ist also unbestreitbar. Auf die Politik übertragen gilt das gleiche: Nur Männer bekleideten öffentliche Ämter.
Der politische Einfluss etruskischer Frauen wird in der römischen Geschichtsschreibung ebenfalls hervorgehoben; ob dies den Tatsachen entsprach oder ob derartige Geschichten denselben Vorurteilen entsprungen sind wie die Berichte über die mangelnde Tugendhaftigkeit der Frauen, lässt sich nicht immer verifizieren. Folgt man jedenfalls den Schilderungen des Livius, dann wäre der erste etruskische König von Rom, Tarquinius Priscus, ohne seine Frau Tanaquil mit ihrem Ehrgeiz und ihren Wahrsagekünsten nie König geworden. Einzelne starke Frauen, die ihre Männer antrieben, hat es zu allen Zeiten der Geschichte gegeben; sie sagen aber nichts über den tatsächlichen Einfluss der Frauen allgemein in einer bestimmten Zeit aus.
Eine politisch wichtige Figur meinte man in der um 650 v. Chr. verstorbenen Toten aus dem Regolini-Galassi-Grab von Cerveteri gefunden zu haben. In der Hauptgrabkammer war sie mit großen Mengen kostbaren Goldgeschirrs und Goldschmucks beigesetzt. In den beiden Nebenkammern waren hingegen zwei Männer beigesetzt. Es mag sich bei dieser Dame um ein Mitglied der Caeretaner Königsfamilie handeln; über ihre politische Stellung oder ihren Einfluss sagt das Grab jedoch nichts aus.
Zusammenfassend lässt sich eine größere Freiheit der Etruskerinnen im Alltag gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen in Rom und Griechenland nachweisen; alle weiteren Schlüsse daraus gehören jedoch ins Reich der Phantasie.
Die religiösen Riten
Bereits in der Antike wurden die Etrusker als überaus religiöses Volk angesehen; insbesondere waren ihre religiösen Praktiken berühmt. Livius nennt sie ein »Volk, das sich vor allen anderen religiösen Riten widmete, weil es durch die Kunst diese auszuführen, hervorstach. ..«. Dionysios von Halikarnassos schreibt: »... wegen ihrer Kenntnis der göttlichen Opferriten, in der sie andere übertreffen, werden sie heute Tusci genannt«; er und nach ihm andere Autoren leiteten den Namen Tusci nämlich irrigerweise von dem griechischen Wort für opfern, »thysiazein«, ab. Der um 300 n. Chr. lebende Rhetor Arnobius bezeichnet Etrurien als »Schöpferin und Mutter des Aberglaubens«.
Die Etrusker glaubten, dass alle Ereignisse vorbestimmt seien und göttliche Mächte alle Natur- und Lebensbereiche lenkten. Da nichts zufällig geschehe, versuchten sie, den Willen der Götter zu erforschen und auszudeuten, um möglichst viel vorherzusehen und genau danach zu handeln. Dafür entwickelten sie ein ausgefeiltes kultisches System, dessen Beachtung sie höchste Aufmerksamkeit widmeten.
Fast alle Bereiche des Lebens wurden durch religiöse Vorschriften geregelt. Zusammengestellt waren diese in der »disciplina etrusca«, die leider nicht als Ganzes erhalten ist, sondern nur bruchstückhaft durch Erwähnungen bei römischen Autoren rekonstruiert werden kann. Diese Lehre wurde dem Knaben Tages, einem Enkel des obersten Gottes, offenbart, der sie dann aufschreiben ließ; bestimmte Teile der Disziplin wurden außerdem einer Nymphe namens Vegoia offenbart. Die Lehre wurde dann im Laufe der Jahrhunderte durch die praktischen Erfahrungen bei der Kultausübung und durch Einflüsse auswärtiger Religionen ständig erweitert und modifiziert. Aufgeschrieben wurde sie in mehreren Büchern, die von Familien der Oberschicht, welche die Priesterämter innehatten, aufbewahrt wurden. Diese Bücher waren »libri lintei«, Leinenbücher, wie sie auf Grabdenkmälern zuweilen wiedergegeben werden. Teile eines originalen etruskischen »liber linteus«, das später als Mumienbinde zweitverwendet wurde und das umfangreichste heute erhaltene etruskische Schriftmonument darstellt, wird im Museum von Zagreb aufbewahrt.
Die Disziplin war in mehrere Teile gegliedert, nämlich in die »libri fulgurales«, die Bücher zur Blitzdeutung, die »libri haruspicini«, die Bücher der Wahrsagekunst, besonders aus den Eingeweiden der Opfertiere, sowie die »libri rituales«, die nicht direkt kultische Vorschriften enthielten, sondern z. B. die Vorstellungen vom Jenseits und vom Ablauf der Geschichte.
Die Himmeskuppel, das »templum caeleste«, war in mehrere Teile untergliedert, wie wir unter anderem vom spätantiken Autor Martianus Capella wissen; zum einen in eine Himmels- und eine Unterweltsseite, die »pars familiaris« und die »pars hostilis«, zum anderen in 16 Sektoren, in denen jeweils Götter »wohnten«. Alle Götter hatten so einen bestimmten Platz in diesem kosmischen System.
Bei der Blitzdeutung ging es nun darum, herauszufinden, von welchem Teil des Himmels, also von welchem der blitzschleudernden Götter der Blitz stammte, um daraus ein gutes oder schlechtes Zeichen für eine bevorstehende Handlung, etwa eine Schlacht, herauszulesen. Die Blitzdeuter hießen auf lateinisch »fulguriator«, auf etruskisch wohl »trutnut«. Im 1. Jahrhundert n. Chr. machte sich Seneca über die Blitzdeutungen der Etrusker etwas lustig, indem er den Unterschied zwischen Etruskern und Griechen so formulierte: »... diese glauben, dass Blitze aus dem Zusammentreffen von Wolken entstehen, jene, dass sich die Wolken treffen, um Blitze zu erzeugen«.
Die Deutung des Vogelfluges, in der Regel Aufgabe der Auguren, konnte ebenfalls zur Erkennung positiver oder negativer Vorzeichen angewendet werden, wurde aber auch bei der Neugründung von Städten benutzt, um die genaue Lage und Ausrichtung der Straßen festzulegen. Livius schildert ein solches »auspicium« bei der Ankunft des zukünftigen ersten ertruskischen Königs von Rom, Tarquinius Priscus. Dieser zögerte etwas wegen der ungewissen Zukunft in der neuen Stadt; in dem Verhalten eines Adlers erkannte seine Frau dann aber das günstige Zeichen der Götter, und sie gingen bestärkt nach Rom hinein. In dem Wandgemälde eines Grabes aus Vulci, der Tomba François, ist eine solche Szene wiedergegeben: Ein Diener hält einen Vogel, den er bald fliegen lassen wird, damit sein hinter ihm stehender Herr die Flugbahn des Vogels beobachten kann.
Wie die Eingeweideschau - am häufigsten war die Leberschau - praktiziert wurde, zeigen uns anschaulich mehrere bildliche Darstellungen sowie die Bronzeleber von Piacenza, die wohl einem Haruspex (etruskisch »netsvis«), dem Priester, der die Leberschau ausführte, zu Übungs- oder Ausbildungszwecken gehörte. Auf dieser nachgebildeten Schafsleber ist nämlich das etruskische »templum caeleste« mit allen Einteilungen und Götternamen eingeritzt. Jede Gottheit hat hier ihr Feld, in dem sie »wohnt«. Wenn bei einer echten Leber nun Veränderungen oder besondere Zeichen an bestimmten Stellen, die denen auf der Musterleber entsprachen, zu erkennen waren, war das auf den Willen der dort ansässigen Gottheit zurückzuführen, und wurde entsprechend gedeutet. Die Haruspices hatten neben der Deutung des göttlichen Willens auch noch die Aufgabe, ungewöhnliche Ereignisse wie Naturkatastrophen zu erklären und entsprechende Bußhandlungen zur Besänftigung der Götter vorzuschlagen.
Die Praxis der Leberschau war auch im Orient verbreitet, wo sie vielleicht ihre Ursprünge hat, und wurde in der Folge, wie auch andere Methoden der Weissagung, von den Römern übernommen, die entweder etruskische Priester befragten oder ihre eigenen in Etrurien ausbilden ließen. Noch in der Spätantike gibt es Überlieferungen zu etruskischen Haruspices. Im Jahre 363 n. Chr. begleitete ein solcher das römische Heer bei einen Feldzug gegen die Perser; noch im 6. Jahrhundert n. Chr. berichtet der Historiker Prokop, dass die Etrusker zu seiner Zeit als Wahrsager berühmt seien, also mehr als eine halbes Jahrtausend nach dem eigentlichen Ende der etruskischen Kultur.
Die Götter selbst lassen sich in mehrere Gruppen einteilen. Da sind insbesondere die olympischen Götter, die aus Griechenland und Rom bekannt sind. In Etrurien handelt es sich dabei meist um alte einheimische Götter, die im Zuge der Hellenisierung menschliches Aussehen bekamen und mit den griechischen Göttern identifiziert wurden; sie sind in bildlichen Darstellungen nicht von den griechischen Göttern zu unterscheiden. Zum Teil behielten sie ihre alten einheimischen Namen, zum Teil wurden die griechischen Namen übernommen, zum Teil wurde die Namen aus den benachbarten italischen Kulturen entlehnt. Zu nennen sind unter anderem der oberste Gott Tinia, der dem griechischen Zeus und dem römischen Jupiter entspricht, seine Frau, die Fruchtbarkeitsgöttin Uni (griechisch Hera, römisch Iuno), die Göttin der Schönheit und Fruchtbarkeit, Turan (griechisch Aphrodite, römisch Venus), die Göttin des Kampfes und der Weisheit, Menrva (griechisch Athena, römisch Minerva), der Kriegsgott Laran (griechisch Ares, römisch Mars), der Gott des Weines, Fufluns (griechisch Dionysos, römisch Bacchus), die Jagdgöttin Artumes (griechisch Artemis, römisch Diana) und ihr Bruder Aplu (griechisch Apollon, römisch Apollo) und der Götterbote Turms (griechisch Hermes, römisch Merkur).
Daneben gibt es einheimische Götter, zu denen es keine griechischen Äquivalente gibt, die auch häufig reine Kultgötter »ohne Aussehen« sind, die also nie bildlich dargestellt worden sind, wie Selvans, Thufltha, Sans, Culsans und andere. Des weiteren gibt es Göttervereine, von denen man kaum etwas weiß, mit so mysteriösen (lateinischen) Namen wie »dei opertanei« (geheimnisvolle Götter) oder »dei involuti« (unerklärbare Götter) und niedere Hilfsgottheiten wie zum Beispiel die Lasen: geflügelte, meist unbekleidete weibliche Wesen aus dem Umkreis der Turan/Aphrodite.
Charakteristisch für die etruskische Götterwelt sind Dämonen verschiedenster Art, die meist geflügelt und mit grauenvollem Aussehen die Bilder vor allem seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. bevölkern. Zu nennen ist der hakennasige Tuchulcha, der ebenso wie die weibliche geflügelte Vanth und die Torwächterin Culsu Schlangen in den Händen hält, der struppige Charun mit dem Hammer, der die Toten in die Unterwelt geleitet und weitere derartige Wesen, deren Namen wir nicht immer kennen.
Mit der Anthropomorphisierung, der menschlichen Darstellung der Götter seit dem 7. Jahrhundert v. Chr., geht auch die Wiedergabe von Mythen einher. Vor allem griechische Götter- und Heldensagen werden nun häufig wiedergegeben, besonders in der Vasenmalerei und auf gravierten Spiegeln. Mythen werden schon früh mit gezieltem politischen Hintergrund eingesetzt. So ist zum Beispiel der Mythos von Äneas sehr beliebt, der aus dem besiegten Troja mit Vater und Sohn nach Italien flieht und sich dort ansiedelt. Mit dem Helden Äneas als Urvater will man die eigene Vergangenheit glorifizieren und legitimieren.
Romanisierung
Nach der Blütezeit im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. erlebte Etrurien eine lange währende Epoche politischen Niedergangs.
Die erste große Krise ereilte das Land bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. Die Handelsvorherrschaft im westlichen Mittelmeer geriet durch die Konkurrenz der griechischen Kolonien in Süditalien in Gefahr. Die Niederlage in der Seeschlacht vor Cumae gegen die Syrakusaner 474 v. Chr. war Ausdruck dieses beginnenden Niedergangs. Ein weiteres wichtiges Ereignis war der Fall der kampanischen Stadt Capua 423 v. Chr., der das Ende des etruskischen Einflusses auf das Gebiet südlich von Rom markierte. Allerdings konnten diese Verluste durch die Verlagerung des Handels über die Niederlassungen an der Adria, besonders den Hafen Spina, zunächst kompensiert werden. Durch mehrere Kelteneinfälle von Norden, die gegen Ende des 5. Jahrhunderts einsetzten und bis in das 3. Jahrhundert andauerten, gerieten aber auch diese Stützpunkte sowie viele der nordetruskischen Städte bald in Bedrängnis.
Als neue wichtige Macht in Italien etablierte sich in der Zwischenzeit die Stadt Rom, die nun schrittweise Italien unter ihre Kontrolle brachte. Der Prozess der Romanisierung vollzog sich aber nicht kontinuierlich, sondern in mehreren Phasen vom 4. bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. Etrurien wurde nicht einfach erobert und unterworfen, sondern durch - zum Teil aufgezwungene - Bündnisverträge mit einzelnen Städten immer enger an Rom gebunden. In einer ersten Phase wurden im 4. Jahrhundert die nahe bei Rom gelegenen südetruskischen Städte nach langen Auseinandersetzungen bezwungen. 396 v. Chr. wurde nach 10-jährigem Krieg Veji erobert und in das römische Staatsgebiet eingegliedert. 384 wurde Pyrgi, die Hafenstadt von Cerveteri, zerstört; 373 gründeten die Römer Kolonien in Sutri und Nepi, 353 bzw. 351 wurden Cerveteri und Tarquinia besiegt und durch langfristige Friedensverträge, die den Städten die innere Autonomie beließen, fest an Rom gebunden.
Erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. stießen die Römer in einer zweiten Phase erneut nach Norden vor, zogen durch den Ciminischen Wald (Monte Cimino) bis nach Arezzo, Cortona und Perugia. 302 v. Chr. wurden sie sogar von Aristokraten der Stadt Arezzo, der Familie der Cilnii, um Hilfe gerufen, um drohenden sozialen Unruhen eine Ende zu bereiten. Da den Römern an stabilen Verhältnissen gelegen war, beendeten sie diese Konflikte gewaltsam und stellten die alten oligarchischen Verhältnisse wieder her. In der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts wurde die Phase der politischen Romanisierung Nordetruriens weitgehend abgeschlossen. Zwar verbündeten sich zunächst einige etruskische Städte mit Kelten und Umbrern gegen Rom, doch unterlag in der Schlacht von Sentinum 295 v. Chr. ein gemeinsames Heer den Römern. 280 v. Chr. errangen die Römer Siege über Vulci und Volsinii; 265 v. Chr. nahm der Feldherr Marcus Fulvius Flaccus soziale Unruhen zum Anlass, Volsinii, den Sitz des etruskischen Bundesheiligtumes, zu zerstören und die Bevölkerung an anderer Stelle, nämlich in Volsinii Novi, dem heutigen Bolsena, neu anzusiedeln. Gleiches geschah mit Falerii, dem Hauptort der italischen Falisker, der 241 zerstört und an anderer Stelle als Falerii Novi neu gegründet wurde. Damit waren die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Etrurien und Rom weitgehend beendet, die etruskischen Städte erkannten die Vorherrschaft Roms in Italien an und schlossen Bündnisverträge, die ihnen in der Regel die innere Freiheit und Selbstverwaltung beließen. 225 v. Chr. besiegten schließlich die Römer gemeinsam mit etruskischen Truppen die Gallier bei Telamon (Talamone) und beendeten damit die gallischen Plünderungszüge. Für das Jahr 205 v. Chr. sind Tributleistungen der etruskischen Städte für den Feldzug Scipios nach Karthago bezeugt; anhand der von Livius überlieferten Auflistung der gelieferten Sachgüter lässt sich die wirtschaftliche Lage der einzelnen Städte gut ermessen.
Um diese Situation zu festigen und an strategisch wichtigen Punkten präsent zu sein, gründete Rom verschiedentlich Kolonien, die ersten, wie erwähnt, bereits im 4. Jahrhundert; 273 v. Chr. wurde dann die Kolonie Cosa am Tyrrhenischen Meer mit 4 000 latinischen Kolonisten eingerichtet, weitere Kolonien befanden sich im Süden in Fregene (Fregenae), Alsium, Pyrgi und Gravisca, im Norden in Saturnia, Lucca (Luca) und Luni (Luna) in der Nähe von La Spezia. Um das Gebiet besser zu erschließen, mit dem Militär beweglicher zu sein und das Land stärker auf Rom zu zentrieren, wurden große von Rom ausgehende Fernstraßen gebaut, die Via Aurelia am Meer entlang, die Via Clodia, Via Cassia, Via Amerina und die Via Flaminia im Landesinnern. Damit waren nun die Bedingungen auch für eine kulturelle Romanisierung bzw. eine Vereinheitlichung der italischen Kulturen gegeben. Dass Rom nun auch führende Wirtschaftsmacht geworden war, zeigte sich unter anderem darin, dass römisches Geld seit dem 3. Jahrhundert verstärkt in ganz Etrurien im Umlauf war und der Außenhandel nunmehr in der Regel über Rom oder kampanische Städte lief. Während aber besonders in einigen nordetruskischen Städten noch im 2. Jahrhundert ein eigenes Kunsthandwerk blühte und auch die etruskische Sprache noch vorherrschte, so war mit dem Bundesgenossenkrieg 90-88 v. Chr., nach dem ganz Etrurien das römische Bürgerrecht erhielt und die Städte somit römische Munizipien mit römischer Verwaltung wurden, der Punkt erreicht, an dem eine eigene etruskische Identität immer schwerer erkennbar blieb. Da die lateinische Sprache nun Amtssprache geworden war, wurde die etruskische Sprache immer weniger benutzt, und es traten nun in einer Übergangsphase häufiger Bilinguen auf, das heißt zweisprachige Inschriften in Etruskisch und Lateinisch. Die etruskische Oberschicht bemühte sich auch um politischen Einfluss in Rom, was unter anderem dadurch deutlich wird, dass einige Etrusker auch Eingang in den römischen Senat fanden.
Einige etruskische Städte wurden im Zusammenhang mit den römischen Bürgerkriegen in militärische Turbulenzen gezogen. Bei der Auseinandersetzung zwischen den Feldherren Marius und Sulla stellten sie sich auf die Seite des Marius, der jedoch unterlag. Bei einer Strafaktion wurden unter anderem Populonia und Volterra von Sulla zerstört. Die folgende Ansiedlung von Veteranen Sullas auf etruskischem Gebiet verstärkte die Assimilierung von Römern und Etruskern.
Das Ende Etruriens besiegelte schließlich der erste römische Kaiser, Augustus, bei dessen Neugliederung Italiens aus Etrurien die 7. Region »Etruria« und somit ein fester Bestandteil des römischen Staatsgebietes wurde. Letzte spärliche etruskische Schriftzeugnisse stammen noch aus der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr., in der Kaiser Claudius sich um die Bewahrung etruskischer Traditionen bemühte. Unter anderem verfasste er selbst eine zwanzigbändige Geschichte Etruriens, die aber leider nicht erhalten ist.
Erst in der Renaissance, im 15. und 16. Jahrhundert n. Chr., kam es zur »Wiederentdeckung« der Etrusker durch die Medicifürsten in Florenz, die sich als Nachfahren der Etrusker in der Toscana ansahen. Die ernsthafte wissenschaftliche Beschäftigung mit den Etruskern setzte dann im 18. und 19. Jahrhundert ein, als sich die Etruskologie als eigenständiger Zweig der Altertumswissenschaften etablierte.
Dr. Martin Bentz
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
römische Republik: Vorgeschichte und Entstehung
Literatur:
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Die Etrusker, bearbeitet von Mauro Cristofani u. a. Übersetzt von Christel Galliani u. a. Sonderausgabe Stuttgart u. a. 1995.
Die Etrusker. Kunst und Geschichte, bearbeitet von Maja Sprenger und Gilda Bartoloni. Aufnahmen von Max und Albert Hirmer. München 1977.
Die Etrusker und Europa, herausgegeben von Irma Wehgartner. Ausstellungskatalog Altes Museum, Berlin. Gütersloh u. a. 1993.
Etruskische Texte, herausgegeben von Helmut Rix in Zusammenarbeit mit Gerhard Meiser. 2 Bände Tübingen 1991.
Heurgon, Jacques: Die Etrusker. Aus dem Französischen. Stuttgart 41993.
Lexicon iconographicum mythologiae classicae. LIMC, veröffentlicht von der Fondation pour le Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC ). Redaktion Christoph Ackermann u. a. 7 Bände Zürich u. a. 1981-94.
Pallottino, Massimo: Etruskologie. Geschichte und Kultur der Etrusker. Aus dem Italienischen. Basel u. a. 1988.
Pfiffig, Ambros Josef: Einführung in die Etruskologie. Probleme, Methoden, Ergebnisse. Darmstadt 41991.
Pfiffig, Ambros Josef: Religio etrusca. Graz 1975.
Die Städte der Etrusker, Beiträge von Francesca Boitani u. a. Einleitung von Mario Torelli. Aus dem Italienischen. Freiburg im Breisgau u. a. 21977.
Steingräber, Stephan: Etrurien. Städte, Heiligtümer, Nekropolen. München 1981.
Torelli, Mario: Die Etrusker. Geschichte, Kultur, Gesellschaft. Aus dem Italienischen. Frankfurt am Main u. a. 1988.
Weeber, Karl-Wilhelm: Geschichte der Etrusker. Stuttgart u. a. 1979.