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CHINA VON 221 V. CHR. BIS 220 N. CHR.

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China von 221 v. Chr. bis 220 n. Chr.
 
Qin Shi Huangdi, der Erste Erhabene Göttliche, der 221 v. Chr. den Kaiserthron bestieg und damit das chinesische Kaiserreich begründete, ist keineswegs eine Lichtgestalt, eine Heldenfigur der chinesischen Geschichtstradition. Im Gegenteil, die nachfolgenden Generationen machten ihn zur Unperson, beschimpften ihn als Erzschurken. Ursache dieses vernichtenden Urteils ist nicht der bombastische und anmaßende Titel, den er sich selbst zulegte; den trugen ungeniert auch seine Nachfolger, auch jene, denen die Nachwelt Hymnen sang. Sein Pech war, dass die wahren Herren der Geschichte, die Geschichtsschreiber, die Schriftkundigen und Literaten, in den 400 Jahren der Handynastie, die sein kurzlebiges Reich ablöste, mehr und mehr in den Bann des Konfuzius gerieten. Der aber hatte die Gründerväter der Zhou — jener Dynastie also, der der Vater des Erhabenen Kaisers den Gnadenstoß versetzt hatte — zu Idealherrschern hochstilisiert, zu wahren Tugendbolden, die allein schon durch ihr vorbildliches moralisches Verhalten im Reich für Frieden und Harmonie gesorgt hatten. Und sie waren der Spiegel, den die Beamten — auch in China träumten die Intellektuellen von einem Utopia — ihrem Herrscher vorhielten, wenn sie dessen Machtgelüste zügeln wollten.Die Fratze aber, die ihm dann vielleicht entgegenstarrte, das Wolfsgesicht absoluter kaiserlicher Macht und Willkür, war der Erste Erhabene Göttliche, der Mörder des alten und wahren China, der Menschenschinder und Menschenschlächter.
 
Hatte er nicht 212 v. Chr. über 400 Konfuzianer lebendig begraben lassen? Ganz abgesehen davon, dass die Opfer keineswegs nur Konfuzianer, sondern Beamte jeglicher geistiger Couleur waren, spricht vieles dafür, dass diese Geschichte eher zu den Legenden zählt, die sich um diesen ungeliebten Kaiser ranken. Auf keiner Legende dagegen beruht der Vorwurf, er habe im Jahr 213 v. Chr. eine Bücherverbrennung angeordnet. Mit ihr versuchte der allmächtige Kanzler Li Si jeglicher Kritik und möglichen separatistischen Gedanken den Boden zu entziehen. Betroffen von dieser Maßnahme waren deshalb nicht nur konfuzianische, sondern alle im Privatbesitz befindlichen philosophischen Schriften überhaupt und die Chroniken der ehemaligen Fürstenreiche mit Ausnahme der Chronik von Qin. Nur Werke zur Heilkunde, Landwirtschaft und Weissagung waren von dem Bücherbann ausgenommen. Freilich wurden die konfiszierten Schriften nicht ganz vernichtet. Einzelne Exemplare blieben in der kaiserlichen Bibliothek und standen den Akademiemitgliedern, unter denen auch Konfuzianer waren, zur Verfügung. Vermutlich sind sie erst beim Palastbrand im Jahre 206 v. Chr. verloren gegangen. Überdies wurden alle philosophischen Lehren außer der des Legalismus verboten.
 
Noch schlimmer war, dass Zehntausende von Menschen während der Fronarbeit für Qin Shi Huangdis größenwahnsinnige Projekte elendiglich umgekommen sind: beim Bau der Großen Mauer gegen die Hirtennomaden des Nordens, der zehn Jahre dauerte und die schon vorhandenen Grenzwälle der nördlichen Grenzstaaten des Zhoureiches untereinander verband; beim Bau eines Straßennetzes von fast 7000 km Länge; beim Bau verschiedener Kanäle, die ein damals in der Welt einmaliges Kanalnetz schufen; beim Bau der Paläste und nicht zuletzt beim Bau des Grabmals des Erhabenen Kaisers.
 
Gerade dieser monumentale Bau könnte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestätigen. Es sind nicht allein die riesigen Ausmaße seines Mausoleums bei Lintong (Provinz Shaanxi), das seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts ausgegraben wird, die uns staunen machen; die Gräber seiner Ahnen sind so viel kleiner auch nicht. Doch die Abertausende lebensgroßen und in ihren Physiognomien individuell und in zahlreichen anderen Details ganz unterschiedlich gearbeiteten Grabfiguren — Soldaten, Offiziere und Pferde — könnten auf eine Neigung zum Größenwahnsinn und zur Maßlosigkeit hinweisen oder aber auch auf seine Angst vor dem Tod, auf die Sehnsucht nach dem ewigen Leben.
 
Denn mehrfach hatte er sich von Magiern und Schamanen überreden lassen, Expeditionen zu den sagenhaften, im Ostmeer vermuteten Inseln der Seligen, der Unsterblichen, auszusenden, mit dem Versprechen, ihm von dort das Elixier des langen Lebens zu bringen. Die Expeditionen verschwanden auf Nimmerwiedersehen; und der genasführte Kaiser musste am Ende doch hinab in sein gigantisches Hügelgrab, das ihm das versagte Paradies ersetzen sollte; dort lag er inmitten von künstlichen Meeren und Flüssen aus Quecksilber, über sich ein gemaltes Firmament, umgeben von einem Hofstaat aus Bronze und bewacht von Selbstschussanlagen aus Armbrüsten — so erzählen es uns die Geschichtsbücher — und eben jener nach Tausenden zählenden Armee aus lebensgroßen Tonsoldaten.
 
 Die Reformen des Erhabenen Göttlichen
 
Der Lebensleistung des ersten Kaisers wird das harte Urteil der traditionellen Geschichtsschreibung aber nicht gerecht; immerhin hat er das Reich politisch geeinigt, hat den partikularistischen Adel entmachtet und in die Hauptstadt umgesiedelt und ihm damit die lokale Basis entzogen. An die Stelle der einst unabhängigen Fürstentümer traten jetzt reichsweit mehr als 30 Regierungsbezirke (»jun«) mit mehr als 1000 ihnen unterstehenden Kreisen (»xian«), verwaltet von Beamten, die der Zentralregierung unmittelbar verantwortlich waren und von ihr ein festes Gehalt erhielten. An der Spitze dieser Zentralregierung standen die drei »Großwürdenträger« (»sangong«): der »Kanzler« (»chengxiang«), der »Großzensor Sekretär« (»yushi dafu«) und der »Große Oberfeldherr« (»taiwei«). Ihnen unterstanden neun Ministerien, vom Justizminister bis zum Polizeichef der Hauptstadt. Die nachfolgenden Dynastien haben dieses Organisationsschema übernommen, auch wenn die Namen und die Zuständigkeiten immer wieder geändert wurden.
 
Der Strafrechtskodex der Qin fand jetzt im ganzen Reich Anwendung. Gewiss, die Strafen waren harsch und die Pflichten groß, zum Beispiel der Zwang zur Denunziation. Kleinste Vergehen wurden mit Zwangsarbeit oder Verbannung an die Grenzen geahndet. Damit war der ständige Nachschub für das riesige Heer der Fronarbeiter auf den zahlreichen Baustellen garantiert. Schaudern macht uns auch die Erfindungsgabe bei den Körperstrafen (Verstümmelungen) und brutalen Hinrichtungen. Andererseits sind die Strafrechtsvorschriften, die übrigens nicht von einer fiktiven überirdischen Instanz gesetzt waren, sondern allein vom allmächtigen Herrscher, schon sehr detailliert und abgestuft, berücksichtigen auch mildernde Umstände. So ließen sie Jugendliche straffrei ausgehen oder wenigstens mit reduzierten Strafen davonkommen. Auch waren jetzt alle vor dem Gesetz gleich, den Kaiser ausgenommen.
 
Aber nicht nur die Verwaltung und das Recht wurden vereinheitlicht, sondern auch die Steuern, das Münzwesen, der Kalender, Maße und Gewichte und sogar der Radabstand der Lastkarren. Und auch die Schrift wurde jetzt standardisiert, die Schreibweise der Zeichen festgelegt und überzählige Zeichenvarianten ausgeschieden. Stillschweigend haben die folgenden Generationen diese Reformen, die ein Weltreich schufen, akzeptiert und auch nicht einmal an ihnen gerüttelt. Und die Idee des Einheitsstaates, die Idee, dass China immer eins sein sollte, ist heute noch lebendig wie eh und je, wie erst kürzlich (1996) die martialischen Drohgebärden der Volksrepublik China gegenüber Taiwan aller Welt deutlich machten.
 
Der Erhabene Göttliche Kaiser starb 210 v. Chr. auf einer Inspektionsreise in Ostchina. Und dort brachen auch bereits ein Jahr später die ersten, zunächst noch lokal begrenzten Aufstände aus, die sich aber rasch ausweiteten, gespeist durch den Zulauf von unzufriedenen Elementen, die es dank der sozialen Umwälzungen, der Deportationen und Verbannungen in großer Zahl gegeben haben muss. Die Anführer dieser Aufstände kamen entweder aus dem entmachteten lokalen Adel wie Xiang Yu, lange Zeit der unangefochtene Chef der Rebellengeneräle, oder aus dem einfachen Volk wie der Bauernsohn und kleine Lokalbeamte Liu Bang, der 207/206 v. Chr. Xianyang eroberte und damit der Dynastie den Todesstoß versetzte. 202 v. Chr. bezwang er schließlich Xiang Yu und bestieg noch im gleichen Jahr mit der Billigung der anderen Militärherren den Kaiserthron. Seine Dynastie nannte Gaozu — so sein postumer Name — Han, nach dem Fürstentum in Westchina, das ihm Xiang Yu einst verliehen hatte.
 
 Die Zeit der Han
 
Das Wohlwollen der anderen Kriegsherren, zumeist Emporkömmlinge wie Liu Bang, hatte seinen Preis. Die Osthälfte des Reiches, der volkreichste und wirtschaftlich stärkste Teil, blieb seiner Kontrolle entzogen; hier herrschten die Feldherren als Könige über eigene, unabhängige Staaten. In seiner Hälfte, der westlichen, blieb aber das vom Ersten Erhabenen Göttlichen geschaffene System der Zentralverwaltung über Regierungsbezirke und Kreise bestehen. Und wie um aller Welt seinen Anspruch auf den Kaiserthron und die Aufrechterhaltung der Qintradition deutlich zu machen, baute er seine neue Residenz Chang'an (heute Xi'an, Provinz Shaanxi) nicht in seinem Heimatstaat Chu, sondern bei Xianyang, der ehemaligen Hauptstadt des Ersten Erhabenen Göttlichen. Auch sonst ließ er alles beim Alten; nicht einmal die harschen Gesetze wurden reformiert, allenfalls hier und da gemildert.
 
Bis zu seinem Tod (195 v. Chr.) gelang es ihm, die Könige, die in ihren Machtbereichen offensichtlich nicht recht hatten Fuß fassen können, durch seine Brüder oder Söhne zu ersetzen, wenn nötig mit Gewalt. Und seine Nachfolger (Wendi, 180—157; Jingdi, 157—141; Wudi, 141—87 v. Chr.) setzten alles daran, die Königreiche durch Erbteilung in kleinere Königreiche oder Fürstentümer zu zerstückeln oder sie am Ende gar in Regierungsbezirke umzuwandeln. 108 v. Chr. waren es nur noch 18 Königreiche, Inseln in einem Meer von 84 Regierungsbezirken. Zwar blieb diesen Königreichen immer noch die Finanz- und Steuerhoheit — doch die Beamtenschaft wurde jetzt von der Zentralregierung ernannt und war dieser auch Rechenschaft schuldig. Die Königreiche waren damit zu bloßen Apanagen für ranghohe Angehörige des Kaiserhauses herabgesunken.
 
Weitaus bedrohlicher als im Inneren war die Lage für die junge Dynastie im Norden, wo das Reich mit den Steppenvölkern um die Grenze rang, eine Erbschaft, die ihr der Erste Erhabene Göttliche hinterlassen hatte. Denn der Ansturm der hirtennomadischen Xiongnu der Mongolei, die fälschlicherweise oft mit den später nach Europa vordrängenden Hunnen gleichgesetzt werden, gegen die Nordgrenze war nicht die Folge von Trockenheit und Dürre in ihren angestammten Weidegründen, sondern die Reaktion auf die Expansion des chinesischen Reiches unter den Qin. 214 v. Chr. waren dessen Truppen tief in die nördliche Steppenzone vorgedrungen; die damalige Große Mauer, sichtbares Symbol dieser Expansion, verlief deutlich nördlicher als die uns heute bekannte Große Mauer. Doch Druck erzeugt Gegendruck, umso mehr, als das Qinreich selbst für ehrgeizige Führer unter den Hirtennomaden das Vorbild dafür abgab, wie dieser Gegendruck am wirkungsvollsten zu erzeugen war: durch Zusammenfassung aller Kräfte, indem man die untereinander verfeindeten Stämme unter einem Oberbefehl vereinte. Überläufer aus dem Qin- und Hanreich, darunter hohe Würdenträger, bestärkten noch als Berater die ambitionierten Stammesführer in ihren hochfliegenden Plänen, es den chinesischen Kaisern gleichzutun und die Völker des Nordens mit Überredung oder Gewalt zur Einheit zu zwingen.
 
Als Erstem gelang dies Maodun, der 209 v. Chr., ein Jahr nach dem Tod des Ersten Erhabenen Kaisers, zum »Khan« (»shanyu«) der Xiongnu-Konföderation gewählt wurde, nachdem er den Vorgänger, seinen Vater, ermordet hatte. Innerhalb weniger Jahre unterwarf er die Völkerschaften der östlichen Mongolei und der westlichen Mandschurei, stieß in das südliche Sibirien und nach Zentralasien vor und holte wieder alle Gebiete südlich der Großen Mauer zurück, die Qin seinem Volk 214 v. Chr. entrissen hatte.
 
Nachdem 200 v. Chr. ein aufwendiger und kostspieliger Nordfeldzug kläglich in einer Falle der Xiongnu gescheitert war, sahen Gaozu und seine Nachfolger keinen anderen Ausweg, als die Xiongnu mit diplomatischen Mitteln in Schach zu halten. 198 v. Chr. wurde ein Kompromiss geboren, der noch für Jahrhunderte zum Standardrepertoire chinesischer Außenpolitik gehörte — das System der Tributzahlungen und Heiratsallianzen. Dementsprechend verpflichtete sich das Hanreich, mehrmals im Jahr festgesetzte Mengen von Gold, Seide, Reis und Alkohol an die Xiongnu zu liefern und das Nomadenreich als gleichrangig, als Bruderstaat anzuerkennen; außerdem wurde die Große Mauer als Grenze zwischen den beiden Machtbereichen festgesetzt. Der ganze Vertrag wurde schließlich durch die Verheiratung einer Hanprinzessin mit Maodun besiegelt.
 
 China entdeckt den Westen: Die Geburt der Seidenstraße
 
Da die Nachfolger Maoduns die Tributforderungen immer höher schraubten, ihre Reiter weiterhin die Grenzgebiete verheerten und gar bis in die Nähe Chang'ans vorstießen, wuchs am chinesischen Kaiserhof der Wunsch, die Grenzfrage gewaltsam zu lösen, zumal das Reich jetzt innerlich gefestigt war und sich somit den von außen drohenden Gefahren energischer widmen konnte. Unter Wudi, der 141 v. Chr. als 15-Jähriger den Kaiserthron bestieg und erst nach 64 langen Regierungsjahren starb, setzte sich schließlich die Kriegspartei gegen die Beschwichtigungspolitiker durch. Die Nachwelt verlieh ihm deshalb den Namen »der Martialische« (»wu«), obwohl an ihm selbst gar nichts Kriegerisches war; er stand nie an der Spitze seiner Truppen im Feld.
 
Auf der Suche nach Verbündeten gerieten den chinesischen Kriegsstrategen die Völker Zentralasiens ins Visier: jene Tocharisch — eine indogermanische Sprache — sprechenden Hirtenvölker, die in den Steppengebieten zwischen dem Quellgebiet des Gelben Flusses und dem Pamirmassiv ihre Weidegründe besaßen. Seit 176 v. Chr. waren Teile dieser Tocharer unter dem Druck der Xiongnu, die ihren Machtbereich auf deren Siedlungsgebiete ausdehnten, nach Westen abgewandert, eine Völkerwanderung, die erst jenseits des Pamirmassivs in den ehemals persischen, dann unter Alexander dem Großen hellenisierten Provinzen von Baktrien (Nordafghanistan) und Sogdien (Fergana und Samarkand) zum Stillstand kam.
 
Hierher, in diese wohlhabenden städtischen Kulturen, die seit ungefähr 140 v. Chr. von einer tocharischen Oberschicht beherrscht wurden, zu den Hirtennomaden und sesshaften Völkern östlich und westlich des Pamirs, von den Chinesen unter der vagen Bezeichnung »Westlande« zusammengefasst, floss der Überschuss der chinesischen Tributseide, sei es als Geschenk der Xiongnu-Khane an ihre Vasallenstaaten oder als Handelsware. Dies war die Geburt der Seidenstraße, eines Handelsweges, der entlang der Oasenstädte nördlich und südlich der Wüste Takla-Makan und über die Pamirpässe nach Sogdien und Baktrien und von dort über Persien ans Mittelmeer, in die hellenistische, später römische Welt führte. Die Seidenstraße war demnach keine Schöpfung unternehmungslustiger Kaufleute, seien es Chinesen oder Westländer; zunächst wurde über sie ein staatlicher Handel abgewickelt; und Initiatoren dieses Handels waren nicht Chinesen, sondern die Xiongnu.
 
Der Kundschafter, den Wudi gegen 135 v. Chr. zur Kontaktaufnahme nach Westen aussandte, ein kleiner Beamter namens Zhang Qian, erreichte zwar nach langjährigem Zwangsaufenthalt bei den Xiongnu das ferne Sogdien und Baktrien; doch ein Bündnis gegen den gemeinsamen Erzfeind kam nicht zustande. Aber Zhang Qian kehrte zehn Jahre nach seiner Abreise nicht mit leeren Händen zurück. Er brachte erstmals Kunde von einer Gegend, die wie ein blinder Fleck zwischen Ost und West lag, von der Welt jenseits des himmelhohen Pamirs, von Baktrien, Parthien und Sogdien, von den dort lebenden Völkern, die doch wahrhaftig kultiviert waren und wie sie, die Chinesen, in ummauerten Städten lebten, Gold- und Silbermünzen prägten und, Gipfel des Staunens, sogar schriftkundig waren.
 
Ohne Nachricht von seinem Kundschafter hatte Wudi inzwischen beschlossen, den Krieg gegen die Xiongnu auf eigene Faust zu wagen. Seine Armeen, die jetzt über große, nach Zehntausenden zählende Kavallerieverbände verfügten und damit der schnellen Kampfweise der Hirtenkrieger Paroli bieten konnten, fügten diesen zwischen 127 und 119 v. Chr. einige empfindliche Niederlagen zu und entrissen ihnen die Nordschleife des Gelben Flusses, das Ordosgebiet, und den Gansukorridor, jenen schmalen Landstrich zwischen dem lebensfeindlichen Qinghai-Tibet-Plateau und der nicht weniger unwirtlichen Wüste Gobi, der den Zugang nach Westen kontrollierte, und stießen dabei bis zur Wüste Takla-Makan vor. Damit hatte China den Xiongnu ihren »rechten Arm« abgeschlagen und durch den Gansukorridor eine »Nordwestpassage« zu den Oasenstädten eröffnet. Zum Schutz dieser Nordwestpassage vor weiteren Angriffen der Xiongnu griff der Martialische Kaiser zum klassischen Mittel der Grenzverteidigung in China — zum Bau eines Grenzwalls. Die alte, unter dem Ersten Erhabenen Kaiser erbaute Mauer reichte von Korea bis ungefähr an den Ordosbogen des Gelben Flusses, dort, wo er den nördlichsten Punkt seines Laufes erreicht, in der heutigen Inneren Mongolei. Jetzt ließ der Hanhof den Wall noch einmal mehr als 1000 km bis zum Jadetorpass verlängern, dem östlichen Einfallstor zum Tarimbecken mit seinem halben Dutzend Oasenstaaten.
 
Auch China war nach diesen Feldzügen erschöpft und konnte die geschlagenen Feinde nicht weiter bedrängen. Erst 112 v. Chr. ging das Reich wieder zur Offensive über — aber nicht im Norden, sondern im Nordosten gegen Korea und im Süden. Verglichen mit den Feldzügen gegen die Xiongnu waren diese Kampagnen weniger aufwendig, doch, wenigstens der Südfeldzug nach Kanton, Yunnan und Vietnam, von großer historischer Wirkung. Denn hier, im wilden, aber warmen und feuchten Süden, wo zahlreiche nichtchinesische Völkerschaften siedelten, lag die Zukunft des Reiches. Dorthin verlagerte sich im Verlauf von Jahrhunderten sein Bevölkerungs- und Wirtschaftszentrum. Damals aber lag diese Entwicklung noch in weiter Ferne.
 
 Wirtschaft und Gesellschaft der Früheren Hanzeit
 
Der Martialische Kaiser führte nicht nur nach außen, gegen die Xiongnu, ein scharfes Schwert; auch im Inneren ließ er keinen Zweifel daran, wer der Herr im Hause war. Er vollendete die Entmachtung der Königslehen, wenn nötig mit blutiger Gewalt; und politische Entscheidungen traf er mehr und mehr allein, im Kreise der von ihm ausgewählten Berater, des »Inneren Hofs«. Der Beamtenapparat, der »Äußere Hof«, mit dem Kanzler an der Spitze, dem eigentlich die Beraterfunktion zustand, wurde zum bloßen Vollzugsorgan kaiserlicher Entscheidungen degradiert. Es wurde immer schwieriger, den Kaiser von dort zu beeinflussen, da das kaiserliche Sekretariat, das den Schriftverkehr zwischen ihm und der Außenwelt kontrollierte, sich unter der Führung kaiserlicher Vertrauter zunehmend verselbstständigte und nach eigenem Gutdünken darüber entschied, welche Eingaben der Beamten der Herrscher zu Gesicht bekam. Auch die Wirtschafts- und Steuerpolitik wurde im »Inneren Hof« entschieden. Der Martialische Kaiser brauchte Geld, viel Geld für den Unterhalt eines riesigen Hofstaates und Beamtenapparates, vor allem aber zur Auffüllung der vormals vollen öffentlichen Kassen, die jetzt, nach den kostspieligen Feldzügen gegen die Xiongnu, leer waren. Zur Deckung dieser Kosten reichte das alte Steuersystem allein nicht mehr aus.
 
Ein Pfeiler dieses Steuersystems war die »Kopfsteuer« (»kouqian«), die theoretisch von jedem Bürger ab dem Alter von drei Jahren in Geld entrichtet werden musste: 120 Münzen von den Erwachsenen, 20 von den Kindern bis zum Alter von 15 Jahren. Die zweite Säule war die »Bodensteuer« (»tianzu«), im Regelfall ein Dreißigstel des geschätzten Ernteertrags, die in Getreide (Hirse, Weizen, Reis) entrichtet werden musste. Aus diesen Naturaleinkünften bestritt die Regierung die Gehälter der Beamten und die Versorgung des Palastes und der Armeen. Des Weiteren mussten die männlichen Erwachsenen jährlich einen Monat unbezahlten Arbeitsdienst leisten; darüber hinaus waren sie im Alter von 23 bis 56 Jahren zu einem zweijährigen Militärdienst verpflichtet, von dem sie sich allerdings gegen Geld freikaufen konnten.
 
Jetzt wurde die Kopfsteuer für die bislang unterbesteuerten Kaufleute auf das Doppelte erhöht; darüber hinaus wurde ihr Vermögen mit einer Steuer von 6—9,5 % belastet; für die Handwerker betrug der Satz die Hälfte. Dazu kam noch die Besteuerung von Booten und Karren ab einer Länge von 11 m. Im Falle der Steuerhinterziehung wurde das gesamte Vermögen konfisziert. Hier zeigt sich eine schon in der Qinzeit praktizierte Ächtung des Kaufmanns- und Handwerksstandes als »unproduktive« Gesellschaftsgruppen, eine Ächtung, die auch unter späteren Dynastien immer wieder rechtlich und institutionell bekräftigt wurde. Es passt auch in dieses Bild, dass der Martialische Kaiser 112 v. Chr. die Münzprägung, die bisher auch von Privatleuten betrieben wurde, der alleinigen Kontrolle des Staates unterstellte.
 
Diese zusätzlichen Einkünfte aus der Besteuerung der Kaufleute und Handwerker reichten aber zur Deckung des Staatsdefizits nicht aus. Eine weit wichtigere neue Geldquelle wurde ebenfalls bei den reichen Kaufleuten erschlossen: die Salz- und Eisenherstellung. Beide wurden jetzt zu staatlichen Monopolen, das heißt, Herstellung und Vertrieb von Salz und Eisenwaren lagen ausschließlich in staatlicher Regie. Das war im Jahre 110 v. Chr., im Jahr des letzten Feldzugs gegen die Xiongnu. Salz war nicht nur als Nahrungsmittel unentbehrlich; weitaus größere Mengen wurden zur Konservierung von Nahrungsmitteln gebraucht. Und bei einer Bevölkerung von 50 Millionen und mehr, zumeist Bauern, die die verschiedensten Geräte aus Eisen zur Bearbeitung des Bodens benötigten, waren auch hier, wie beim Salz, ein ständiger Absatz sowie hohe Gewinnspannen garantiert, denn sowohl die Salzgewinnung wie auch die Verhüttung und Weiterverarbeitung des Eisens wurde nicht von Lohnarbeitern, sondern mithilfe von Sklaven und Zwangsarbeitern betrieben.
 
Während das Eisenmonopol sich auf die Dauer nicht durchsetzen konnte, blieb das Salzmonopol auch unter späteren Dynastien eine wichtige Einnahmequelle des Staates. Wie groß die Staatseinnahmen nach den Reformen unter Wudi waren, bleibt allerdings wegen der ungesicherten Zahlen schwer abzuschätzen. Die Ausgaben aber dürften immens gewesen sein; allein während der Reise zu einem Staatsopfer nach Ostchina (110 v. Chr.) beliefen sich die unterwegs großzügig verteilten Seidengeschenke auf den Wert von 25t Gold.
 
 Die Religionspolitik des Martialischen Kaisers
 
Der Martialische Kaiser bestimmte nicht nur die Richtlinien der Politik; er griff auch tatkräftig in das geistig-religiöse Leben des Reiches ein. Alles, was er dabei tat, diente nur einem Zweck: der selbstbewussten Abgrenzung seiner Herrschaft von seinen Vorgängern, dem Ruhme seiner Herrschaft und damit seiner selbst. Seine Vorgänger hatten den Staatskult der Qin und dessen Symbole weitgehend unverändert beibehalten, ohne aber großen religiösen Eifer in seiner Ausübung zu bekunden oder sich irgendwie ideologisch festzulegen. Und sie hatten auch ohne Scheu den auf legalistischen Prinzipien beruhenden Staatsapparat der Qin übernommen. Auch Wudi stand mit seinen finanzpolitischen Maßnahmen ganz in dieser legalistischen Tradition des Primats des Staates über das Individuum.
 
Doch im Gegensatz zu seinen Vorgängern besaß er einen ausgeprägten Hang zum Religiösen, besonders zum Okkulten. Er war ein Anhänger daoistischer Ideen, die jetzt nicht mehr allein von den poetischen Utopien der quietistischen Lebensführung eines Laozi und der Naturverherrlichung des Zhuangzi geprägt waren, sondern auch von den ganz handfesten Praktiken von Magiern und Schamanen, die vorgaben, Geheimrezepte für das vom Daoismus angestrebte Einswerden von Mensch und Dao und damit letztlich für die Unsterblichkeit zu besitzen.
 
Auch der Martialische Kaiser war, wie schon sein berühmter Vorgänger, der Erste Erhabene Göttliche, zeitlebens damit beschäftigt, den Schlüssel zum Geheimnis des ewigen Lebens zu finden. Auch er soll unter dem Einfluss von Magiern Suchexpeditionen nach den Inseln der Seligen ausgesandt haben. Sie blieben ebenso erfolglos wie die seines Vorgängers. So begnügte er sich damit, die Inseln in seinem Palast im Gartenformat in einem künstlichen Teich nachbauen zu lassen — woraus dann über mehrere Zwischenstufen der Kult des Topfparadieses entstand, das wir heute unter seinem japanischen Name Bonsai kennen.
 
Er war aber auch ganz Ohr, als 133 v. Chr. ein gewisser Li Shaojun behauptete, er könne das Elixier des langen Lebens selbst herstellen, hier und jetzt, könne mithilfe der Ofengötter Zinnoberstaub in das unzerstörbare Gold verwandeln, das, zu Essgeschirr verarbeitet, seine Wirkkraft auf Speisen und Getränke und damit auf den Menschen übertragen und so dessen Leben verlängern könne. Die Sache misslang; aber die Versuche, das Lebenselixier künstlich herzustellen, hörten von da an nicht mehr auf. Es war die Geburtsstunde der chinesischen, vielleicht sogar die der westlichen Alchimie.
 
Vielleicht war es eine Folge des gewonnenen Selbstvertrauens nach den siegreichen Kriegen gegen die Xiongnu oder ein weiterer Versuch, mit der Welt des Übernatürlichen in Kontakt zu treten und so doch noch das ewige Leben zu gewinnen, dass Wudi in den Jahren zwischen 114 und 110 v. Chr. einen neuen Staatskult einführte. Die vier Ahnengottheiten (»di«) der Qin, die der Gründer der Handynastie, Liu Bang, um eine fünfte erweitert hatte, wurden nun von einer Trinität von neuen Göttern in eine Nebenrolle gedrängt. Diese Gottheiten waren »Himmel« und »Erde«, über denen noch das »All-Eine« (»taiyi«) stand. Der Kult des »All-Einen« trug zwar starke daoistische Züge, doch die Verehrung von Himmel und Erde lässt durchaus auch konfuzianischen Einfluss erkennen.
 
Einen weiteren Schritt weg vom Staatskult der Qin hin zu einer eigenständigen Hantradition tat der Martialische Kaiser 104 v. Chr. In diesem Jahr stellte er seine Dynastie, ganz nach der Lehre des Konfuzianers Dong Zhongshu, unter die Farbe Gelb, unter die Wandlungsphase Erde, die in dem damals noch gebräuchlichen Zyklenmodell der Wandlungsphasen auf das Wasser (Schwarz) folgte, das Symbol der Qin. Folgerichtig ersetzte er auch den immer noch gebräuchlichen Qinkalender durch einen eigenen Hankalender. Und um aller Welt den Bruch mit der Vergangenheit deutlich zu machen, stellte er den neuen Zeitabschnitt unter das Regierungsmotto »Großer Anfang« (»taiyuan«).
 
 Der Aufstieg der Konfuzianer
 
Angesichts der Experimentierfreude, die der Martialische Kaiser in religiösen Dingen zeigte, nimmt es wenig wunder, dass er auch den Konfuzianern sein Ohr lieh. Eine ihm allzu fremde Ideenwelt betrat er damit nicht. So rational und nüchtern die Konfuzianer sich auch gebärdeten — ihre Lehre war voll von esoterischen Beimengungen; die daoistische Grundvorstellung, dass Himmel und Erde in einer geheimnisvollen Wechselwirkung stehen, war Allgemeingut des zeitgenössischen Denkens.
 
Erstes Anzeichen für dieses Interesse am Konfuzianismus war die Gründung der kaiserlichen Akademie im Jahre 136 v. Chr. Voraussetzung für die Aufnahme in diese Akademie war die Kenntnis von Schriften, die gemeinhin der konfuzianischen Schule oder Konfuzius selbst zugeschrieben wurden. Das waren das »Buch der Lieder«, das »Buch der Urkunden«, das »Buch der Riten« und die »Frühlings- und Herbstannalen«. Zwölf Jahre später, 124 v. Chr., fiel eine Entscheidung, die den Konfuzianismus zur ideologischen Grundlage der Erziehung der Elite des Reiches machen sollte; es wurde verfügt, dass alle Beamtenanwärter in dieser Akademie eine einjährige Ausbildung mit abschließender Prüfung in diesen konfuzianischen Schriften durchlaufen mussten.
 
Dies war die Geburt des berühmten chinesischen Systems der Beamtenprüfung und -auswahl, eines Systems, das es allerdings in seiner reinen Form nie gab, schon gar nicht jetzt, an seinem Anfang. Immer führten auch andere Wege in die Beamtenlaufbahn, über Protektion und Amtsprivilegien von Vätern oder anderen Verwandten; ja über diese anderen Wege rekrutierte sich in der Regel die Mehrzahl der Beamten. Aber ohne eine Ausbildung in den Schriften ging es nie; und je älter das System wurde, desto wichtiger wurde eine erfolgreiche Prüfung als Voraussetzung einer steilen Karriere. Am Anfang waren es nur einige Dutzend Schüler, die in der Akademie unter der Anleitung der Spezialisten die klassischen Schriften studierten; 8 v. Chr. waren es bereits 3000, und für das 2. Jahrhundert n. Chr. ist gar von durchschnittlich 30000 Schülern die Rede.
 
Wesentlichen Anteil daran, dass die Traditionalisten aus dem Schattendasein der Akademien ins politische Licht traten, hatte Dong Zhongshu (um 179—104 v. Chr.), ein kleiner, nicht besonders erfolgreicher Beamter und Spezialist in der Auslegung der »Frühlings- und Herbstannalen«, einer Konfuzius zugeschriebenen, angeblich kritischen Chronik der Jahre zwischen 722 und 481 v. Chr. Dong Zhongshu hat nicht nur vor dem Martialischen Kaiser unermüdlich die Propagandatrommel für seine Ansichten gerührt — und wäre dabei beinahe unter dem Richtschwert geendet; er war auch der Architekt des Han-Konfuzianismus, der auf der weltlichen Moral- und Erziehungslehre des Konfuzius, dem selbst jede Transzendenz fern lag, ein in sich geschlossenes, das Diesseitige und das Jenseitige umfassendes Weltbild aufbaute. Originell war nur das Gesamtgebäude, nicht aber die einzelnen Teile, aus denen sich seine Lehre zusammensetzte.
 
Für Dong Zhongshu waren die diesseitige und die jenseitige Welt ein einziger riesiger Organismus, der vom Dao, dem All-Einen, regiert wurde. Das Dao erzeugt die beiden einander im rhythmischen Wechsel ablösenden, aber auch ergänzenden Urkräfte Yin und Yang, die ihrerseits wieder die Fünf Wandlungsphasen oder Elemente (»wuxing«) hervorbringen, die sich ebenfalls in einem ewigen Kreislauf ablösen. In diesem Universum hängt alles mit allem zusammen, die Welt des Menschen mit der des Himmels; was auch immer in einer dieser Welten geschieht, findet sein Echo in der anderen. Und immer wird diese Welt von einer der Wandlungsphasen regiert; und alles, was Fleisch vom Fleische dieser herrschenden Wandlungsphase ist, reagiert besonders empfindlich untereinander.
 
Handeln die Menschen gegen das Dao, dann gerät das Universum aus den Fugen, ein Zustand, der sich in allerlei ungewöhnlichen Naturerscheinungen bemerkbar macht; vor allem dann, wenn der Zuwiderhandelnde der Erste aller Menschen, der Mittler zwischen Himmel und Erde, eben der Kaiser ist. Dessen vornehmste Aufgabe ist es daher, die Gesellschaft im Einklang mit dem Dao zu regieren. Verstößt der Kaiser ständig gegen die Harmonie des Dao, so entzieht ihm der Himmel den Herrschaftsauftrag, und seine Dynastie wird von einer anderen abgelöst. Damit war die Idee des Kaisertums, die Legitimität eines Herrschers nicht mehr auf das Schwert gegründet, sondern auf die kosmische Ordnung; und diese kosmische Ordnung, deren Pulsschlag langsamer ging als derjenige der diesseitigen Welt, sorgte einerseits für Stabilität und Kontinuität, verhinderte andererseits aber nicht den Wandel. Sie verdammte eine Dynastie nicht nur zum Untergang, wenn ein Herrscher massiv gegen diese Ordnung verstieß, sondern auch dann, wenn deren Wandlungsphase zu Ende ging.
 
Den konfuzianischen Gelehrten ist die Wiederherstellung und Tradierung der von den Qin vernichteten Literatur zu danken. Frucht dieser Tätigkeit waren die ersten Kommentare und Wörterbücher. Auch das erste große Geschichtswerk Chinas, die »Aufzeichnungen des Historiographen« (»Shi-ji«) des Sima Qian (um 145 bis um 90 v. Chr.), wurde gegen Ende der Regierungszeit des Martialischen Kaisers vollendet.
 
 Konfuzianismus und Politik nach dem Martialischen Kaiser
 
Mit dem Tod des Martialischen Kaisers (87 v. Chr.) ging das expansive Zeitalter der Han zu Ende. Das Reich, von den Eroberungsfeldzügen ausgeblutet, schaute jetzt mehr nach innen; und mehr und mehr übernahmen die Konfuzianer, die gemäß ihrem utopischen und idealistischen Gesellschaftsmodell für weniger Staat in Politik und Gesellschaft und für eine zurückhaltendere Außenpolitik plädierten, das politische Ruder, trieben unter den nachfolgenden Kaisern (Zhaodi, 87—74; Xuandi, 74—49; Yuandi, 49—33 und Chengdi, 33—7 v. Chr.) die Konfuzianisierung der Gesellschaft weiter voran. Wichtige Etappen dieses Konfuzianisierungsprozesses waren das siegreiche Streitgespräch (81 v. Chr.) der Gelehrten mit den legalistischen Pragmatikern, die seit der Qinzeit den Ton in der Regierung angaben und für einen starken Staat eintraten; das Konzil am Kaiserhof (53—51 v. Chr.) zur Ausarbeitung verbindlicher Auslegungen der Klassiker für die Beamtenausbildung; die Einführung des offiziellen Staatskultes von Himmel und Erde (31 v. Chr.) ohne die daoistische Obergottheit des »All-Einen«.
 
In der politischen Praxis war die Hinwendung zum Konfuzianismus weniger auffallend; allenfalls der erneute Friedensschluss mit den Xiongnu könnte eines seiner Ergebnisse sein. Noch der Martialische Kaiser hatte 104 v. Chr., nach Abschluss seiner religiösen Reformen und der Loslösung von der Qintradition, einen kühnen, aber auch kostspieligen Vorstoß nach Zentralasien gewagt, der 101 v. Chr. mit der Eroberung von Fergana und der Unterwerfung der Westlande ein vorläufig gutes Ende nahm. Doch die Xiongnu wollten den Chinesen ihre alte Einflusssphäre nicht kampflos überlassen. Die Kämpfe zwischen den beiden Großmächten wogten in den nächsten Jahrzehnten hin und her, doch mit einem zunehmenden Übergewicht der chinesischen Seite, nicht zuletzt deshalb, weil die tocharischen Wusun sich auf die Seite Chinas schlugen. 60 v. Chr. errichteten die Han auf halbem Wege zwischen der letzten chinesischen Grenzstation bei Dunhuang und den Pamirpässen im Westen den Sitz eines Generalgouvernements für die Westgebiete und begannen nach und nach das Netz ihrer Verwaltung dichter zu knüpfen.
 
Dabei kamen ihnen die internen Nachfolgestreitigkeiten unter den Xiongnu zugute, die zu dieser Zeit ausbrachen und zu einer Abspaltung eines großen Teils der Stämme unter einem eigenen Khan führten. Der Hanhof akzeptierte dessen Friedensangebot, unter der Bedingung, dass er seine Unabhängigkeit aufgab und sich in das chinesische Tributsystem einordnete. Dieses System, das bis zum Ende des chinesischen Kaiserreichs im 20. Jahrhundert Grundlage der chinesischen Außenpolitik war, sah den chinesischen Kaiser als Alleinherrscher an und die Fürsten der umliegenden Länder und Völker als seine Vasallen, die erst aus seiner Hand die Legitimation ihrer Herrschaft erhielten. Die Vasallen waren in der Innenpolitik ihrer Machtbereiche frei, mussten aber gegenüber China den Frieden wahren und, wenn nötig, ihm militärische Hilfe leisten. Zur Sicherung mussten sie in regelmäßigen Abständen zur Audienz am Kaiserhof erscheinen und Geiseln stellen. Auch mussten sie als Anerkennung der Besitzrechte des chinesischen Kaisers auf ihr Land landestypische Produkte am Kaiserhof abliefern. Als Gegenleistung erhielten sie den Schutz und den Beistand des Reiches und Gegengeschenke, die den Wert der Tributlieferungen um das Mehrfache überstiegen. Immerhin sollen allein die Geschenke an die Xiongnu 7 % der Staatseinkünfte verschlungen haben. Auf diese Weise wurde ihnen die bittere Speise der formalen Unterwerfung versüßt.
 
Doch das drängendste, von ihnen immer wieder angeprangerte innere Problem der Zeit, das Bauernlegen, die Konzentration großer Ländereien in den Händen reicher Familien (Adlige und Beamte), lösten auch die Konfuzianer nicht. Die Adligen — Angehörige des Kaiserhauses, der Kaiserinnenfamilien und sonstige für ihre Verdienste geadelte Personen — erhielten reiche Schenkungen in Land und Gold. Auch die Beamten der hohen Ränge wurden üppig entlohnt; so erhielten die höchsten Beamten ein Jahresgehalt von 40t Getreide, die Hälfte davon in Geld. Da Grund und Boden immer noch die sicherste Geldanlage waren, investierte jeder, der konnte, in Land, besonders in der Region um die Hauptstadt, aber auch in der Nähe der anderen Metropolen des Reiches, wo in der Regel das Land gut erschlossen war und sich die größten Absatzmärkte fanden. Schwer fiel das dieser reichen Schicht nicht, lebten doch die Bauernfamilien, die gerade einmal einige wenige Hektar Ackerland ihr Eigen nannten und davon im Durchschnitt fünf Köpfe ernähren mussten, meistenteils am Rande des Existenzminimums. Eine schlechte Ernte infolge von Dürre oder Überschwemmung zwang sie, beim örtlichen Großgrundbesitzer Kredit aufzunehmen; und der tilgte diesen dann mit dem billigen Aufkauf ihrer Äcker. Die Bauern bestellten ihre ehemaligen Böden weiter, entweder als bezahlte Tagelöhner oder als Pächter; Letztere zahlten dann die halbe Ernte als Pachtzins an den Grundbesitzer; die Kopfsteuer, der Arbeits- und Militärdienst gehörten selbstredend weiterhin zu ihren Pflichten gegenüber dem Staat.
 
Neben den Bauern war der Staat der andere Verlierer dieser Transaktionen. Denn die Grundbesitzer waren gleichzeitig auch ihre eigenen Steuereintreiber. Aus ihren Reihen kamen nicht nur die hauptstädtischen Beamten mit ihren Einflussmöglichkeiten auf die Regierung bis hin zum »Inneren Hof«; sie stellten auch die Beamten der Lokalverwaltung, der Regierungsbezirke und Kreise, damit waren sie die Herren der Kataster und konnten so die Steuerlisten manipulieren und die Bodensteuer hinterziehen.
 
 Das Zwischenspiel des Wang Mang
 
Es waren aber nicht diese Missstände oder die Dekadenz der letzten Herrscher, die am Ende des Jahrhunderts den Sturz der Dynastie verursachten. In Wahrheit stürzte die Dynastie über eine Palastrevolte, der eine jahrzehntelange schleichende Entmachtung der Kaiser vorausging. Hauptakteure dieser Intrige waren die Witwe Kaiser Yuandis, eine geborene Wang, und ihr Großneffe Wang Mang (45 v. Chr. bis 23 n. Chr.). Die Kaiserinwitwe hatte schon für ihren Sohn, Kaiser Chengdi, die Regierungsgeschäfte geführt, unterstützt von dreien ihrer Brüder, die einander als Staatsmarschälle und Regenten ablösten. In deren Fußstapfen trat dann Wang Mang. Zunächst führte er für einen neunjährigen, unmündigen Kaiser die Regierungsgeschäfte (1 v. Chr. bis 6 n. Chr.). Und als dieser schon mit 15 Jahren verstarb, wurde gar ein einjähriges Kind zum Nachfolger ernannt, Wang Mang aber zum stellvertretenden Kaiser. Drei Jahre später machte er der Posse ein Ende und rief sich selbst zum Kaiser der Dynastie Xin (»Erneuerung«) aus.
 
Als er den Staatsstreich vorbereitete, verließ er sich nicht nur auf die Autorität seiner greisen Großtante und auf seine Stellung als »starker Mann« des Reiches; er wollte seinen Thronraub auch ideologisch rechtfertigen und suchte daher die Unterstützung der Beamtenschaft, die jetzt, 100 Jahre nach Dong Zhongshu, weitestgehend konfuzianisch indoktriniert war. Ob aus taktischen Gründen oder aus echter Überzeugung — Wang Mang, der sich gern als Herzog von Zhou sah, der von den Konfuzianern gepriesene Idealherrscher des Altertums, gebärdete sich geradezu als ein Erzkonfuzianer. Er erweiterte die kaiserliche Akademie, förderte die konfuzianischen Schulen in der Provinz, berief eine Gelehrtenkonferenz zu den klassischen Texten ein und zementierte endgültig die Verehrung von Himmel und Erde als Staatskult.
 
Die Gelehrten wiederum lieferten ihm eine Theorie der Fünf Wandlungsphasen, nach der diese einander erzeugten und nicht, wie in der klassischen Version, einander vernichteten. Sie kam seinen Plänen sehr zustatten, versuchte er doch, seine Herkunft vom mythischen Gelbkaiser (Huangdi) herzuleiten, dem ersten Herrscher Chinas überhaupt. Dessen Wandlungsphase war die Erde (Gelb); doch die hatte schon 104 v. Chr. der Martialische Kaiser für die Handynastie beansprucht, ganz konsequent nach der klassischen Theorie, nach welcher die Erde das Wasser (»qin«) besiegt. Nach der neuen Theorie erzeugte Holz (»zhou«) das Feuer (»han«) — die Qin wurden, ganz konfuzianisch, als illegitim ausgeschieden — und das Feuer die Asche, das heißt die Erde — und das war Wang Mang selbst. Geschickt bediente er sich dann der umfangreichen konfuzianischen Orakel und Geheimliteratur, um durch ihm genehme Deutungen von tatsächlichen oder erfundenen Naturerscheinungen nachzuweisen, dass die Zeit der Wandlungsphase Feuer und damit der Han abgelaufen war.
 
Wang Mang war so reformfreudig wie kein Kaiser vor ihm und propagierte dabei die Rückkehr zu den Institutionen der verklärten Zhoudynastie. Aber seine hektischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen waren voller Widersprüche. Weder das staatliche Münzmonopol, die Ausgabe einer minderwertigen Münze, die Einführung des staatlichen Alkoholmonopols noch die Naturnutzungssteuer für Jäger und Fischer waren originell oder befanden sich im Einklang mit der reinen Lehre des Konfuzianismus. Eher war das schon bei der Konfiszierung des im Privatbesitz befindlichen Goldes im Tausch gegen minderwertiges Bronzegeld der Fall; eine Maßnahme, die vor allem den Adel traf und wohl auch treffen sollte. Auch zwei weitere Maßnahmen, die konfuzianisch inspiriert sein könnten, die Freilassung aller Privatsklaven und die längst überfällige Bodenreform mit der Zerschlagung des Großgrundbesitzes, trafen an erster Stelle den Adel, insbesondere die Kaisersippe Liu, die Wang Mang gefährlich hätte werden können. Alles Land unter dem Himmel wurde zum Königsland erklärt und neu aufgeteilt, wobei Wang Mang sich an einem fiktiven Landverteilungsmodell der Vorbilddynastie Zhou orientierte. Beide Reformen mussten aber schon drei Jahre nach ihrer Einführung wieder abgebrochen werden.
 
Als Thronräuber, der letztlich seine Position nicht festigen konnte und von derselben Dynastie beerbt wurde, die er zuvor gestürzt hatte, wurde Wang Mang auf den Schutthaufen der Geschichte geworfen; er fiel wie der Erhabene Göttliche Kaiser dem Klischee des illegitimen Herrschers anheim; alle seine Handlungen wurden wie die des Erhabenen Göttlichen Kaisers von der Nachwelt negativ beurteilt. Dabei sind die vierzehn von der späteren konfuzianischen Geschichtsschreibung so verfemten Jahre seiner Herrschaft für die Festigung der konfuzianischen Kaiseridee von ähnlicher Bedeutung wie die fünfzehn verfemten Jahre der Qin für die Geschichte des chinesischen Kaiserstaates überhaupt.
 
 Die Restauration der Handynastie
 
Es war nicht der Volkszorn über seine gelegentlich überhasteten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen, die — so die traditionelle Geschichtsschreibung — Wang Mangs Ende hervorgerufen haben sollen; denn der kleine Mann war von diesen Maßnahmen nur selten betroffen. Es war der Gelbe Fluss, der ihn hinwegschwemmte. Zweimal — 3 n. Chr. und 11 n. Chr. — durchbrach dieser in seinem Unterlauf die Dämme und überflutete und verheerte das am dichtesten besiedelte und produktivste Gebiet des Reiches. Nach der ältesten erhaltenen Volkszählung der Erde lebten 2 n. Chr. 57,7 Millionen Menschen im chinesischen Reich, davon die Hälfte allein in der Überschwemmungszone des Nordostens. 140 n. Chr. waren es nur noch 48 Millionen, obwohl die dazwischen liegenden 140 Jahre eher von Frieden und Stabilität gekennzeichnet waren. Und der Vergleich der Statistiken der einzelnen Regierungsbezirke macht deutlich, dass der Niedergang der Bevölkerungszahl fast ausschließlich den Nordosten betraf, eben das Katastrophengebiet.
 
Die verelendeten Bauern des Nordostens rotteten sich zu Banden zusammen, die auf der Suche nach Nahrung immer weiter in die angrenzenden Gebiete nach Süden und Westen vordrangen; nach und nach wuchsen sie zu einer locker organisierten größeren Einheit zusammen, deren Kämpfer sich zur Unterscheidung von den sie bekämpfenden Truppen Wang Mangs die Augenbrauen rot färbten, weshalb die Hungerrevolte auch als Aufstand der »Roten Augenbrauen« bezeichnet wird. Ein politisches Programm besaßen sie nicht; das erhielten sie erst, als Mitglieder der gestürzten Kaiserfamilie Liu, die ihre Wohnsitze in einem von den »Roten Augenbrauen« bedrohten Gebiet besaßen, sich den Aufständischen anschlossen — allein schon, um nicht in deren Flut zu ertrinken. Es war übrigens eine Nebenlinie, die nicht einmal mehr in den Listen der Kaiserfamilie geführt wurde. Nachdem die Aufständischen 23 n. Chr. Chang'an erobert und Wang Mang getötet hatten, ließ sich 25 n. Chr. Liu Xiu, ein Mitglied dieser Nebenlinie, der jetzt Führer der Aufständischen war, formell zum Kaiser Guangwudi ausrufen. Seine Dynastie wird in der Geschichtsschreibung unter dem Namen Spätere Han (Hou Han) geführt, aber auch als Östliche Han (Dong Han), weil der neue Kaiser seine Residenz in das östlich von Chang'an gelegene Luoyang verlegte, in die ehemalige Residenz der Zhou.
 
Die neue Dynastie war kein Neuanfang. Sie lief in den von den Früheren oder Westlichen Han und Wang Mang gezogenen Gleisen; sie vollendete den Triumph des Konfuzianismus und der mit ihm verbundenen Reichs- und Kaiseridee. Guangwudi ging sogar einen Schritt zurück und belebte die Königslehen wieder, die er mit seinen Söhnen besetzte, vielleicht als ein Gegengewicht zu den mächtigen Familienverbänden, von denen er abhängig war. Und diese Abhängigkeit mag auch erklären, dass er und seine Nachfolger das Grundübel des Reiches, den wachsenden Großgrundbesitz, der Bauern und Staat verarmen ließ, ebenso wenig anpackten wie seine Vorgänger und dass 88 n. Chr. gar das Staatsmonopol für Salz und Eisen abgeschafft wurde. Dennoch war die von Guangwudi wieder begründete Dynastie dem Charakter nach die entschieden konfuzianischere; und damit war sie auch die weniger aggressive und weniger militärische, auch wenn sie noch bis Ende des 1. Jahrhunderts kräftig ihre Muskeln spielen ließ, gerade auch nach außen, gegen die Xiongnu. Die hatten während der Kriegswirren ihre Überfälle wieder aufgenommen und ihre Einflusssphäre wieder auf die Oasenstädte des Tarimbeckens ausgedehnt. Und wieder war es die Spaltung der Xiongnu (48 n. Chr.), die es China langfristig erlaubte, die Westgebiete zurückzuholen. Als die Nördlichen Xiongnu, von allen Seiten bedrängt — im Osten, Norden und Westen von rivalisierenden Hirtenvölkern und im Süden von China und den verbündeten Südlichen Xiongnu —, 91 n. Chr. endgültig geschlagen nach Westen abzogen, hatte das Hanreich für die folgenden fünf Jahrzehnte freie Hand in den Westlanden. Danach musste es aber wegen der hohen Militärausgaben die Kontrolle über die Seidenstraße aufgeben.
 
 Das Ringen um die Thronfolge und der Kampf um die Macht
 
Die Spätere Handynastie übernahm von den Früheren Han auch das Übel, das jene am Ende zu Fall gebracht hatte und das auch ihr zum Verhängnis werden sollte — die Haremswirtschaft, die daraus resultierenden Intrigen um die Thronfolge und die damit verbundene Frage, welche der Damen des Harems Kaiserin werden sollte. Diese, ihrer eigenen Sippe immer noch eng verbunden, versuchte, ihre nächsten männlichen Anverwandten in Machtpositionen zu bringen, allein schon auch um ihre eigene Stellung abzusichern.
 
Die Heirat eines Kaisers oder die Ernennung eines Thronfolgers waren also hochpolitische Akte, auf die jeder, der nach der Macht strebte, Einfluss zu nehmen versuchte. Unter der Vorgängerdynastie war es nur der Familie Wang durch eine glückliche Fügung gelungen, sich mehr als vierzig Jahre an der Macht zu halten und am Ende sogar das Kaiserhaus Liu zu stürzen. Unter der Dynastie der Späteren Han wurde aber die Schattenherrschaft der jeweiligen Kaiserinfamilie zur Regel. Denn die Familie Liu war während des Aufstandes der »Roten Augenbrauen« und des anschließenden Bürgerkriegs (bis 36 n. Chr.) nur dank der Unterstützung von fünf mächtigen Familienverbänden an die Macht gekommen — zwei kamen aus der Heimat der Kaiserfamilie in Mittelchina und drei aus dem Nordwesten, wo sie ihre eigenen unabhängigen Machtbereiche geschaffen und sich dann Liu Xiu angeschlossen hatten. Sie alle musste der Dynastiegründer nach seinem endgültigen Sieg zufrieden stellen, das heißt an der Macht beteiligen; und nur die Tatsache, dass diese Familien untereinander rivalisierten, hat es ihm vermutlich ermöglicht, überhaupt zu überleben. 41 n. Chr. war er aber gezwungen, seine erste Frau, der er sehr zugetan war, zugunsten einer Kaiserin aus einem der beiden Klane seiner Heimatprovinz zu verstoßen. Von den elf Kaiserinnen zwischen 41 und 168 n. Chr., dem Jahr, in dem die Eunuchen die letzte dieser dominierenden Familien vernichteten und die Macht am Hofe übernahmen, stammten allein neun aus diesen fünf Familien; und ebenso fünf der sechs Regenten. Bedenkt man, dass seit 88 n. Chr. alle Kaiser als Minderjährige, gar als Säuglinge auf den Thron kamen, wird die Macht dieser Familienverbände deutlich. Nur die Rivalität untereinander hielt sie in Schach — und die Eunuchen.
 
Diesen war es im Verlauf des 2. Jahrhunderts gelungen, sich neben dem Kaiser und der Beamtenschaft — zu der trotz gelegentlicher abweichender Interessen auch die Regenten gezählt werden müssen — als dritte Säule der Macht am Hofe zu etablieren. Dank ihrer exklusiven Nähe zum Kaiser — nur sie durften die inneren Gemächer des Palastes mit dem Harem betreten — und als Leiter des kaiserlichen Sekretariats kontrollierten sie den Informationsfluss zwischen Regierung und Herrscher. Dies gab ihnen vielfältige Möglichkeiten, die Politik mitzugestalten, vor allem, wenn es um Fragen des Harems ging, also um die Thronfolge oder die Auswahl einer Kaiserin. Auch wenn sie nicht immer gemeinsam an einem Strang zogen, lag die Stärkung der Autorität des Kaisers im Interesse aller Eunuchen; denn nur er konnte ihnen, die keinen familiären Rückhalt besaßen, die erreichte Stellung garantieren. Und als sie 135 n. Chr. das Privileg der Adoption und damit zur Gründung von Familien und Vererbung ihres Besitzes erhielten, trachteten sie auch aus diesem Grund danach, die einmal erkämpften Machtpositionen zu erhalten. Schon mehrfach hatten sie unmündigen Kaisern im Kampf gegen die mächtigen Familienverbände zur Seite gestanden und diese, bis auf einen, endgültig ausgeschaltet.
 
Als dieser Klan 168 n. Chr. im Bündnis mit den Beamten nach der Macht zu greifen und die Eunuchen zu vernichten versuchte, drehten diese mithilfe der Palastarmee den Spieß um. Ihr Putsch rettete das Kaiserhaus aber nur vorübergehend. Denn sie begnügten sich nicht damit, die besiegte Familie auszurotten: Auch zahlreiche Anhänger dieser Familie aus der Beamtenschaft endeten unter dem Richtschwert, und noch mehr wurden in entlegene Provinzen verbannt, auf immer von allen Ämtern ausgeschlossen, auch solche, die mit ihr nur entfernt verwandt waren. Höchste Regierungsämter wurden jetzt von den allein regierenden Eunuchen zur Aufbesserung der kaiserlichen Finanzen gegen Höchstgebot versteigert. Der Arm der Eunuchen reichte aber nicht bis in die Provinz, die eigentliche Basis des Reiches. Dort, in der Lokalverwaltung, dominierten weiter die Beamten, die durch ein weit gesponnenes Netz familiärer, persönlicher, landsmannschaftlicher Bindungen und akademischer Klüngel miteinander verbunden waren. Und dort sollte sich auch das Schicksal der Dynastie entscheiden.
 
 Der Zerfall des Hanreiches
 
Im Jahre 184 n. Chr. brach in den Küstenregionen von Shandong und Henan östlich der Residenz Luoyang, wo es schon lange unter den verelendeten Bauern gärte, eine Volkserhebung los, die nach dem Erkennungszeichen der Aufständischen, einem um den Kopf gewickelten gelben Tuch, auch Aufstand der »Gelbturbane« genannt wurde. Dieser Aufstand war deshalb so gefährlich, weil er im Gegensatz zu dem Aufstand der »Roten Augenbrauen« straff organisiert war und ein klares politisches Programm besaß: die Beseitigung der Han und die Errichtung eines theokratischen Herrschaftssystems, das ein Zeitalter des »Großen Friedens« (»taiping«) einleiten sollte, eine Utopie, nach der auch der Konfuzianismus strebte. Geistige Grundlage dieses Programms war, mit einer Beimengung von kosmologischen Vorstellungen der Konfuzianer und allerlei magischen Praktiken und pseudomedizinischem Hokuspokus, eine Spielart des religiösen Daoismus, dessen höchste Gottheit der »Gelb-Alte« (»huanglao«) war, eine Verschmelzung von Laozi mit dem mythischen Gelbkaiser (Huangdi). Das Kerngebiet dieser religiösen Bewegung, die Provinz Shandong, war schon vor den Qin für seine Magier und Schamanen bekannt gewesen. Im Westen, in der noch dünn besiedelten und stark mit nichtchinesischen Völkern durchsetzten unzugänglichen Region des nördlichen Sichuan, bildete sich, ebenfalls auf der geistigen Grundlage des Huanglao-Daoismus, ein straff organisierter »Kirchenstaat« heraus, dessen Begründer, der historisch nicht eindeutig nachweisbare Zhang Daoling, als erster »Papst« der daoistischen »Kirche« gilt. Der Aufstand der »Gelbturbane« war die erste in einer langen Reihe von messianischen Volkserhebungen, die China immer wieder erschütterten, zuletzt im verheerenden Taipingaufstand Mitte des 19. Jahrhunderts.
 
Auch wenn die Volksbewegung selbst nicht zu unterdrücken war, so konnte doch der Aufstand rasch niedergeschlagen werden, aber nur um den Preis der Stärkung des Militärs. Dieses wurde jetzt in den Regierungsbezirken, die ohnedies schon vom Hof wegdrifteten, mit weit reichenden zivilen und militärischen Vollmachten ausgestattet, sodass deren Kommandeure sich als unabhängige Kriegsherren etablieren konnten. Die Dynastie wurde vollends ihrer Machtbasis beraubt, als 189 n. Chr., bei der Ernennung eines neuen Kaisers, die Beamten zusammen mit den Militärs gegen die Eunuchen putschten und diese zu Tausenden abschlachteten. Völlig schutzlos, wurde der minderjährige Herrscher jetzt ein Spielball der miteinander rivalisierenden Kriegsherren. Er blieb jedoch wenigstens der Form nach noch der Kaiser, weil keiner der regionalen Machthaber es wagen konnte, den letzten Schritt zu tun und die Dynastie zu beerdigen, solange er von Rivalen umlauert war.
 
196 fiel der Kaiser in die Hände des Kriegsherrn Cao Cao. Diesem gelang es, nach und nach Nordchina, das immer noch das bei weitem volkreichste Gebiet des Reiches war, unter seine Herrschaft zu zwingen. Trotzdem wagte auch er es nicht, der Dynastie den Todesstoß zu versetzen. Das tat erst sein Sohn und Nachfolger Cao Pi. Im November 220 ließ er sich von dem letzten Hankaiser feierlich das kaiserliche Siegel übertragen und gründete die Weidynastie. Unangefochten blieb sein imperialer Anspruch aber nicht. Einer der beiden anderen übrig gebliebenen Rivalen um die Nachfolge der Han, der Kriegsherr Liu Bei in Sichuan, tat es ihm gleich und ließ sich, da er ein entfernter Verwandter der Herrschersippe der Han war, konsequenterweise zum Kaiser der Dynastie Han (Shu-Han) ausrufen. Der dritte Bewerber um das Erbe der Han, der Kriegsherr des Südostens, Sun Quan, riskierte diesen Schritt erst 229 n. Chr.; sein Reich hieß Wu, nach dem Namen der Region.
 
Keines dieser drei Reiche überlebte lange. Die Kämpfe zwischen ihnen, die der Epoche ihren Namen gaben (Drei Reiche: San-guo, 220—265), sind in der volkstümlichen Literatur Chinas zu Heldenepen romantisiert worden. Han und Wu wurden noch während des 3. Jahrhunderts vom Nordreich geschluckt, sodass China von 280 bis 316, schon unter einem neuen Herrschergeschlecht und dem Namen Jin, noch einmal geeint war; doch danach fiel es, wenigstens in seiner Nordhälfte, in völlige politische Anarchie. Die Trennlinie zwischen Nord und Süd bildete der Huai He. Im von Kriegen weniger geschüttelten Süden, wohin sich ein guter Teil der ehemaligen Oberschicht der Han geflüchtet hatte, lösten einander bis 589, dem Jahr der Reichseinigung, nur fünf Dynastien ab, wenn auch nicht ohne Blutvergießen; diese wurden von der späteren Geschichtsschreibung zu legitimen Nachfolgern des Hanreiches bestimmt. Von den 26 Herrschern dieser Reiche wurden 13 ermordet und vier mit Gewalt zum Thronverzicht gezwungen. Noch turbulenter ging es im politisch zerrissenen Norden zu, wo im 4. und 5. Jahrhundert an die 20 meist kurzlebige Staaten, zum Teil nebeneinander, existierten, die Mehrzahl davon Gründungen von hirtennomadischen Völkern unklarer Herkunft, Erben der untergegangenen Xiongnu-Konföderation. Nur einem dieser Reiche, dem der Toba-Wei (386—534), einer Gründung des mongolischen Volkes der Xianbi, war ein längeres Leben beschieden. Das Herrschervolk war aber am Ende so stark sinisiert, dass es völlig im chinesischen Volk aufging. Trotz dieser politischen Zerrissenheit war es aber der immer noch weit volkreichere Norden, der 589 das Reich unter der Dynastie Sui (581—618) wieder einte, die diese Einheit an die glanzvolleren Tang (618—906) weiterreichte.
 
 Geistesgeschichte der Späteren Hanzeit und der Reichsteilung
 
Es wäre ein Irrtum zu glauben, diese Jahrhunderte der politischen Zerrissenheit seien ein finsteres Zeitalter der chinesischen Kultur gewesen. Im Gegenteil, sie gehören, gerade auch gemessen an den 400 Jahren der Han, zu den kulturell fruchtbareren Epochen der chinesischen Geschichte. Hier muss es genügen, den großen Dichter Tao Qian zu erwähnen, ohne dessen Bukolik und Weltflucht die klassische Tangdichtung kaum zu denken wäre, oder die Landschaftsmalerei, die hier ihren Ausgang nahm, ganz zu schweigen von den monumentalen buddhistischen Höhlentempeln des Nordens mit ihren mächtigen Buddhaskulpturen und prachtvollen Wandfresken.
 
Das bedeutendste geistige Ereignis dieser Epoche war nämlich die Missionierung Chinas durch den Buddhismus, der von den inzwischen buddhisierten Westlanden über die Seidenstraße nach China gelangte. Dort wurde er erstmals 65 n. Chr. erwähnt; und gegen Ende der Hanzeit hatte er in der Hauptstadt Luoyang und in einigen wenigen Zentren der Provinzen Fuß gefasst, vermutlich aber nur in den oberen Zirkeln der Gesellschaft. Den eigentlichen Durchbruch erlebte er erst in der »kaiserlosen« schrecklichen Zeit zwischen dem 3. und 6.Jahrhundert, dank der wohlwollenden Förderung durch die Barbarenfürsten des Nordens, die weniger Vorurteile gegenüber dem fremden Eindringling hegten. Unter den Toba-Wei stieg der Buddhismus sogar in den Rang des offiziellen Staatskultes auf, wenn auch um den Preis, dass er strikter Staatsaufsicht unterstellt wurde, eine Praxis, der auch die späteren Dynastien folgen sollten. Aber nicht nur administrativ wurde die fremde, eigentlich unchinesische Religion gezähmt; mit der Zeit flossen so viele chinesische Elemente in den Buddhismus ein — so zum Beispiel auch der ihm völlig wesensfremde Ahnenkult —, dass mit Recht von einem ostasiatischen Buddhismus gesprochen werden darf; dieser hat sich dann auch nach Korea und Japan ausgebreitet.
 
Geholfen hat ihm auch der Daiosmus, der ja selbst schon zu einer Religion geworden war oder sich mit alchimistischem Hokuspokus beschäftigte. Der Buddhismus hat zur Erläuterung seiner Ideen anfangs kräftig Anleihen bei der philosophischen Terminologie des späten Daoismus gemacht, mit dem er religiöse Praktiken wie Meditation, Atemtechniken und Speisevorschriften teilte; dieser war sozusagen das Trojanische Pferd, mit dem der Buddhismus sich in die Festung China schlich. Ihrerseits übernahmen die Daoisten vom Buddhismus die Form der Ordensorganisation mit Mönchen, Nonnen und Klöstern. Beide »Kirchen« haben sich im Übrigen erbittert bekämpft, häufig bis aufs Messer, gerade weil es ihnen um die gleiche Klientel ging.
 
Es mag wenig wundern, dass in diesem tuscheklecksenden und von Aberglauben beherrschten Säkulum ein kühner Denker und Rationalist wie Wang Chong (27 bis etwa 97 n. Chr.) mit seinen Thesen kein Gehör bei seinen Zeitgenossen fand. In seinem Werk »Lun-heng« (»Erörterungen und Erwägungen«) entlarvt er so ziemlich alle Denkklischees seiner Zeit als Irrtümer, wobei er seine Beweisführung nicht auf Spekulation, sondern auf die Beobachtung sinnlicher Phänomene stützt. Nicht einmal die Eckpfeiler zeitgenössischen Denkens, die Vorstellung einer Erschaffung der Erde durch den Himmel und die der Unsterblichkeit und damit die der Lebensverlängerung, finden vor seinem kritischen Verstand Gnade. So radikal war sein Denken sogar, dass es nicht nur in seiner Zeit, sondern auch danach folgenlos blieb.
 
Was Rom für Europa, das war die Hanzeit für China: ein Vorbild, dem viele nachzueifern versuchten. So manche der nachfolgenden Dynastien nannte sich nach ihrem Namen; und nicht zuletzt ging dieser auch auf das chinesische Volk als Ganzes über, das sich selbst »hanren« nennt. Das Hanreich steckte den Rahmen ab, innerhalb dessen sich die chinesische Zivilisation weiterentwickelte; und diesen Rahmen hatten die Konfuzianer zurechtgeschnitten, weshalb diese auch nach langen Jahrhunderten der Verdrängung durch Buddhisten und Daoisten doch wieder die geistige und politische Führerschaft übernahmen, die erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts endete.
 
Dr. Klaus Tietze
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
China (589 bis 1644): Trennung und Fremdherrschaft
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Chinas frühe Hochkultur
 
Literatur:
 
Bauer, Wolfgang: China und die Hoffnung auf Glück. Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in der Geistesgeschichte Chinas. München 31989.
 
The Cambridge history of China, herausgegeben von Denis Twitchett u. a. Band 1: The Ch'in and Han Empires, 221 B. C.-A. D. 220. Cambridge u. a. 1986. Nachdruck Cambridge u. a. 1995.
 Eberhard, Wolfram: Geschichte Chinas. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 31980.
 
Fischer-Weltgeschichte, Band 19: Franke, Herbert / Trauzettel, Rolf: Das chinesische Kaiserreich. Frankfurt am Main 69.-70. Tausend 1993.
 Fitzgerald, Charles P.: China. Von der Vorgeschichte bis zum neunzehnten Jahrhundert. Aus dem Englischen. Essen 1975.
 Franke, Otto: Geschichte des chinesischen Reiches. Eine Darstellung seiner Entstehung, seines Wesens und seiner Entwicklung bis zur neuesten Zeit, 5 Bände. Berlin 1-21948-65.
 Gernet, Jacques: Die chinesische Welt. Die Geschichte Chinas von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Aus dem Französischen. Frankfurt 21994.
 
Jenseits der großen Mauer. Der 1. Kaiser von China und seine Terrakotta-Armee, herausgegeben von Lothar Ledderose und Adele Schlombs. Ausstellungskatalog Museum am Ostwall, Dortmund. Gütersloh u. a. 1990.
 Kuhn, Dieter: Status und Ritus. Das China der Aristokraten von den Anfängen bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. Heidelberg 1991.
 Pirazzoli-t'Serstevens, Michle: China zur Zeit der Han-Dynastie. Kultur und Geschichte. Aus dem Französischen. Stuttgart u. a. 1982.
 Wiethoff, Bodo: Grundzüge der älteren chinesischen Geschichte. Darmstadt 21988.


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